Schauriges · Kurzgeschichten

Von:    Kyra      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 31. Januar 2002
Bei Webstories eingestellt: 31. Januar 2002
Anzahl gesehen: 3011
Seiten: 3

Ich trat aus dem Lokal auf die nächtliche Straße hinaus. Nachdem die gepolsterte Tür zugefallen war, blieb ich einen Augenblick stehen. In dieser Stunde, zwischen vier und fünf, schien die Stadt in einen kurzen Schlaf zu fallen. Auf der Hauptstraße fuhren fast nur noch Taxis. Es musste geregnet haben, der Bürgersteig war noch etwas feucht, die Luft war trotz der Wärme sauber und frisch. Der Himmel war wieder wolkenlos, eine schmale Mondsichel stand über den Dächern. Ich fühlte mich auf angenehme Art betrunken und war glücklich, alleine zu sein. Das leise Dröhnen in meinen Ohren ebbte langsam ab, ich fühlte mich sentimental und übermütig. Fernweh, Sehnsucht – hätte mich jetzt ein Matrose auf eine Seereise entführen wollen, ich wäre sofort mit ihm gegangen.

Merkwürdig, wie schön jetzt die Ruhe war. Dieser Moment, in tiefer Nacht aus einer verräucherten Kneipe in die Stille zu treten, war fast der schönste des ganzen Abends. Ich kannte alle Tricks, um lästige Verehrer abzuschütteln, zahlte jedes Getränk direkt – man sagte mir, die Schotten würden das genauso machen – um sofort gehen zu können, wenn ich genug hatte. Genug von gelallten Versprechungen, genug von traurigen Blicken, genug von den Geschichten über die Ungerechtigkeit der Welt und genug von meinem eigenen Lachen. Dann stand ich auf, und ging völlig unvermutet für die trägen Jungs an der Theke. Nicht das ich Angst vor ihnen gehabt hätte, mit denen konnte ich es allemal aufnehmen, aber es war lästig und sie zerstörten mir das schöne Gefühl des Alleinseins.

Meine Schritte hallten durch die schmale Straße, ein Geräusch, das manche Frauen ängstigt. Ich dagegen kam mir wie ein einsamer Ritter vor, ein Eindringling, dem die Bewohner der Stadt ausgeliefert sind. Natürlich, ich bin größer und stärker als die meisten anderen, aber das ist es nicht alleine – ich bin eine Jägerin, kein Opfer.

Ein leichter Wind kam auf. Dankbar breitete ich die Arme aus, ließ mir den Rauchgeruch aus dem Kleid blasen, öffnete mein hochgestecktes Haar und kratzte genüßlich die Kopfhaut. Das war es, was ich eigentlich den ganzen Abend über tun wollte, zumindest erschien es mir jetzt so. Zufrieden lächelnd setzte ich meinen Heimweg fort, als ich einen halben Block vor mir eine Gestalt erblickte.
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Ich mag es grundsätzlich nicht, auf meinem Heimweg jemanden zu begegnen. Am ehesten kann ich noch die lärmenden kleinen Gruppen vertragen, die nehmen aber meist die großen Straßen. Ein Trupp Menschen, der aus einer Bar oder Disko kommt, berührt mich nicht. Sie sind genauso für sich, wie ich es bin. Manchmal johlen und pfeifen einige Typen, wenn sie mich sehen, aber eigentlich interessiere ich sie nicht. Einen Augenblick später haben wir alle die Begegnung vergessen. Etwas anderes sind diese einsamen Asphaltcowboys, sie sind mir ähnlicher, sehen mich mit wissenden Augen an, beobachten mich, erkennen mich. Das stört mich. Dieser Mann dort vor mir wurde sogar langsamer, als er meine Schritte hinter sich hörte. Verstolen blickte er über die Schulter und verlangsamte noch einmal seinen Schritt. Ich holte rasch auf und konnte ihn jetzt deutlicher sehen. Ein kleiner Kerl, wahrscheinlich schon älter. Solche Typen boten mir, wenn ich vorbeiging, hundert Mark an. Ich haßte sie. Ich kam immer näher, seine Bewegungen waren kaum noch zu sehen, er war stehen geblieben. Als hätte ich nichts bemerkt kam ich auf ihn zu. Vielleicht war es die herrlich kühle Luft oder ein Jagttrieb, der älter war, als mein Bewußtsein – jedenfalls auf den letzen Metern begann ich direkt auf ihn zuzulaufen. Die Arme vorgestreckt, mit einem kehligen Schrei, schürzte ich auf ihn zu. Ich war ein Falke der sich auf eine Ratte stürzt. Und tatsächlich, mit einem kleinen Quieken floh er aus dem Häuserschatten auf die Straße.

Jetzt hätte ich meinen Weg in Ruhe fortsetzten können, aber eine bebende Lust mein Opfer nicht entkommen zu lassen, ließ mich nachsetzten. Ich genoß die Kraft meiner Beine, als ich mit einem kurzen Sprint den Abstand wieder auf wenige Meter reduzierte. Es gab kein Versteck für die Ratte. Ich beobachtete seinen Versuch, so schnell wie möglich zu gehen, ohne in einen Laufschritt zu verfallen. Sein Kopf hüpfte unruhig vor mir auf und ab. Er stolperte und fiel fast hin. Jetzt begann er wirklich Angst zu haben, ich glaubte seinen Schweiß riechen zu können. Warum empfand ich kein Mitleid, schließlich hatte er mir nichts getan. Es war wohl die Mischung aus dem Geruch der Nacht, dem Bewußtsein der Stärke und einer geheimen Freude an seiner Furcht.
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Ein Weile liefen wir so durch die Gassen. Ich hatte keine Ahnung was ich tun wollte, konnte aber nicht von der Verfolgung lassen. Außerdem war die Sache noch nicht fertig. Da war ich mir ganz sicher – es mußte noch etwas kommen.

Es kam als er einen Befreiungsschlag versuchte. Wie dumm von ihm, gerade als wir an einem kleinen Park vorbeikamen, versuchte er sich dorthin in die Finsternis zu retten. Natürlich hätte ich ihn sofort einholen können, aber ich ließ ihm einen kleinen Vorsprung und setzte erst nach, als er sich wohl schon in Sicherheit wähnte.

Ich brach durch das Gebüsch wie ein großes Tier, Zweige brachen und ich meinte die Erde unter meinen Sohlen beben zu fühlen. Er stand wie erstarrt auf einem Spielplatz im Sandkasten - weit gekommen war er nicht. Durch sein Stehenbleiben zwang er mich viel schneller zu einer Entscheidung, als ich es gewollt hatte. Aber das ist das Gesetz der Jagt, der Falke verschont die Ratte nicht, nur weil sie sich ergibt. Oder sich zu einem letzten Kampf stellt. Ohne zu zögern stürzte ich mich auf ihn. Er ging sofort zu Boden. Es war wie ein Rausch, ich legte die Hand über sein Gesicht und drückte seinen Kopf nach hinten. Dann begann ich ihm seine Kleider vom Leib zu reißen. Er wehrte sich kam, schien etwas sagen zu wollen, aber aus seinem Mund kamen nur undeutliche Worte der unterwürfigen Verzweiflung und Bitten. Hätte ich jetzt von ihm ablassen sollen? Auch wenn ich es gewollt hätte, es wäre mir in diesem Moment nicht mehr möglich gewesen. Ich konnte den kleinen Mann nicht mehr loslassen, der sich unter mir so verzweifelt wand.

Was folgte, ist für ihn sicher das demütigendste Erlebnis seines Lebens gewesen. Als es vorbei war, ließ ich ihn im Sand liegen. Er war unverletzt, ich hatte ihm auch nicht besonders weh getan, so traf es mich völlig unerwartet, als ich sein Schluchzen hörte.

Dieses weinen werde ich nie vergessen. Ich höre es immer, wenn ich auf die Jagt gehe.


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Kommentare zur Story:

  Das Thema der Homosexualität scheint dich stark zu beschäftigen...warum?
Falls du Lust hast mir zu antworten, mail mir doch, ich würde mich freuen!  
Loxana  -  07.02.02 23:07

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  PS.
ich habe immer Jagt statt Jadg geschrieben. Waldorfschule, sorry.

Kyra  
Kyra  -  31.01.02 09:19

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Kommentar von "SCvLzH" zu "Am Meer"

... melancholisch aber schön ...

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Kommentar von "rosmarin" zu "Sich fühl'n wie Seifenblasen"

Hahaha, darauf muss man erstmal kommen. Köstlich. Habt alle ein schönes Osterfest. Gruß von

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