Kurzgeschichten · Nachdenkliches

Von:    Siebensteins Traum      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 12. Juni 2024
Bei Webstories eingestellt: 12. Juni 2024
Anzahl gesehen: 1194
Seiten: 3

Er geht aus dem Haus. Draußen scheint die Sonne, was man von seinem Inneren gerade nicht unbedingt sagen kann. Es fühlt sich unangenehm an, wenn das Außen nicht zu dem Inneren zu passen scheint. Es fühlt sich unpassend an, wie eine Art Quadratur des Kreises; wie etwas, das nicht stimmig ist; wie ein Ungleichgewicht in einem System, das nach einem Gleichgewicht strebt. Es fühlt sich wie ein Sog an, so als würde etwas versuchen, ihn irgendwo hinhaben zu wollen. Er weiß nicht wohin. Er kennt das Ziel nicht. Er kennt den Sinn dahinter nicht. Er weiß einfach nicht, was dabei sein Part sein soll.



Zerrüttet. So fühlt er sich. Aneckend und missverstanden.



Die Sonne scheint. Sie blendet ihn. Das ist schon etwas passender, zumindest als Gefühl. Er fühlt sich geblendet. Nicht sehend. Denn das Licht verhindert es.



Sollte er auf sein Bauchgefühl hören? Sollte er das Weite suchen; in Bewegung bleiben; seinen Weg konsequent bis zu seinem Ende weitergehen?



Ja, das sollte er. Denn es ist sein irgendwie auch vorherbestimmter Weg.



Der Wind weht. Es raschelt in den Bäumen. Das Wetter ist angenehm, eigentlich. Es fühlt sich aber nicht angenehm an.



Er sieht Menschen auf den Straßen, die gut gelaunt zu sein scheinen. Die lachen. Die Witze reißen. Er sieht es und kann nur den Kopf schütteln. Wie ist das möglich? Wie können die Leute nur so ausgelassen sein; so gut gelaunt; so außer sich, im wahrsten Sinne des Wortes? Er ist nicht außer sich. Ganz im Gegenteil. Er blickt tief in sich hinein. So sehr, dass das Außen dabei fast gar keine Relevanz mehr zu haben scheint.



Er kommt an einem Park an. Es ist ein schöner Park. Er ist in Stand gesetzt, hat aber dennoch seine Stellen, die man wohl sich selbst überlassen hat; die einfach so wild gewachsen sind. Es stehen Bäume in dem Park, die Schatten spenden. Er schlendert weiter und kommt an einer Wiese an. Junge Leute stehen dort im Kreis herum und spielen Frisbee. Unbeschwert. Die Sonne scheint sie anzustacheln; sie den Moment noch viel intensiver erleben; genießen zu lassen. Er ist fasziniert davon und blickt sich um. Am Rande der Wiese stehen Bäume. Er geht dorthin und setzt sich auf einen großen Stein im Schatten. Er schaut betrübt auf den Boden. Es kommt ihm so vor, als würde sein Inneres ein Eigenleben führen. Als sei es von außen gar nicht so recht zu beeinflussen.
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Diese Tatsache entfremdet ihn vom Rest der Welt; lässt ihn abgetrennt von ihr sein und damit unabhängig davon existieren. Er teilt die Welt nicht mit den anderen. Er ist bei sich und er bleibt bei sich. Vielleicht sogar für immer.



Er atmet tief ein und lässt die Luft langsam wieder entweichen. Er blickt auf und sieht einem Kind zu, das gerade verzweifelt versucht, einen Drachen steigen zu lassen. Es saust mit der Schnur zuerst in die eine Richtung und dann wieder in die andere. Der Drachen zockelt hinter ihm in der Luft hin und her. Wendet das Kind, kracht der Drachen auf den Boden und steigt dann sofort wieder auf, sobald das Kind wieder anfängt, loszurennen.



Er denkt darüber nach, wie wenig er bisher Anschluss gefunden hat. Wie selten er etwas gefunden hat, das ihn wirklich interessiert hat; das in ihm so etwas wie ein Feuer entstehen ließ; ihn brennen ließ; ihn in gewisser Weise damit auch erhöht hat, so wie diesen Drachen hier auch.



Sein Dasein ist eine leere Hülle. Ohne Sinn. Ohne Wert für irgendwen. Weder für sich selbst, noch für irgendjemand anderen sonst.



Es gibt Tage, die ihn sehr belasten. Andere Tage, an denen es etwas besser ist. Gute Tage gibt es nicht. Kann es nicht geben für jemanden, der so wenig in die Welt hineinpasst; der sich derart verloren fühlt; der tatsächlich auch verloren ist. Das Menschsein ist nun einmal so. Und ist es nicht so, kommt es einem nur so vor, als sei es anders, als es ist.



Ablenkung. Er benötigt Ablenkung davon. Er benötigt einen Drachen oder andere Leute, mit denen er Frisbee spielen kann. Er benötigt eine Freundin, mit der er darüber quatschen kann, wie es ist, wie es sein könnte, wie es sein müsste. Ablenkung. Darum geht es. Um nichts anderes. Die Leute lenken sich vom tristen Dasein ab; von der menschlichen Existenz; von der Sinnlosigkeit, die sofort auftaucht, denkt man nur ein klein wenig tiefer über das Leben nach. Das Leben möchte Oberflächlichkeiten und keine Tiefe. Tiefe lässt es versinken im Treibsand der Möglichkeiten; der Erkenntnis; des Seins. Das Leben möchte keine Wahrhaftigkeit; hat es noch nie gewollt; hat es vor allem noch nie gebraucht. Es hat keinen Nutzen, sondern ganz im Gegenteil: es bringt nur Ärger mit sich, Unordnung und Chaos. Unberechenbarkeiten also. Das ist das Problem.
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Ja, er selbst ist wahrscheinlich auch in gewisser Weise unberechenbar. Auch für sich selbst. Seine Gedanken kann er nur schwer kontrollieren; sein Verhalten so gut wie gar nicht anpassen. Es ist, wie es ist. Er ist, wie er ist. Er kann es doch auch nicht ändern. Oder sollte er es noch einmal versuchen und dann doch wieder scheitern? Und wieder den Schmerz spüren müssen, es gewusst zu haben und es dennoch versucht zu haben, nur um die unerschütterliche Tatsache damit ein weiteres Mal bestätigt zu haben?



Sein Herz und seine Seele sind schwarz. Erstickt in Traurigkeit und den Tränen seiner Hoffnungslosigkeit. Seine Existenz ist einfach nicht berechtigt.



Er kann Ehrgeiz entwickeln, sicher. So wie Ian Curtis, und vielleicht auch mit dem gleichen Ergebnis. Sie werden ihn als Genie feiern; als Verbunden mit den tieferen Ebenen des Seins, die man nur erreicht, wenn man sich losreißt von den Fesseln der irdischen Bedürfnisse der Vorhersehbarkeit. Denn nur das Chaos hat die Macht, alles niederzureißen und damit Neues entstehen zu lassen; neue Zusammenhänge; eine neue Art von Sinnhaftigkeit. Und das nur, um es dann erneut niederzureißen und daraus erneut etwas Neues entstehen zu lassen, das es noch nie zuvor gegeben hat und das es auch danach nie wieder geben wird; das höchstens noch als leises Echo erhalten bleibt, aber bis zur Unkenntlichkeit verzerrt in Form von Mythen und Geschichten.



Wo das Chaos regiert, entsteht das Neue. Aber immer auch Entfremdung. Denn dies ist der Preis der Innovation, der gezahlt werden muss, möchte man diesen Weg beschreiten.



Er bezahlt ihn. An jedem verdammtem Tag.
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Punktestand der Geschichte:   189
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Interessante Kommentare

Kommentar von "Nausicaä" zu "frühling z2"

einfach toll, dieses frühlingsgedicht. du findest in deinen gedichten häufig ganz eigene, besondere bilder. wunderschön, ohne kitschig zu sein.

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