Die Belfast Mission - Kapitel 09   0

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Francis Dille      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 27. April 2024
Bei Webstories eingestellt: 27. April 2024
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Kapitel: 0, Seiten: 0

Diese Story ist die Beschreibung und Inhaltsverzeichnis einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

Kapitel 09 – Der Undercover Agent



Die Vincenzo`s Bar war das berühmteste Lokal in United Europe. Einwohner aus anderen Citys ließen es sich nicht entgehen, wenn sie das Centrum besuchten, in diese Bar vorbeizuschauen.

Vincenzo`s Bar befand sich in der 51. Etage des Centrums, direkt gegenüber dem Gebäude der Time Travel Agentur. Tagsüber trafen sich dort überwiegend Studenten, die in den Computern für ihre Klausurarbeit recherchierten und sich dabei einen Kaffee oder eine Brause gönnten. Zum Frühstück sowie zur Mittags- und Abendzeit konnte man dort selbstverständlich auch speisen; die Speisekarte war zwar international aber wie der Name des Lokals schon verriet, waren die Mahlzeiten auf die italienische Küche spezialisiert. Selbstverständlich handelte es sich bei der Nahrung sowie wie bei allen Getränken ausschließlich um synthetisch hergestellte Lebensmittel, die innerhalb wenigen Minuten dem Gast serviert werden konnte. Spezialität des Hauses war die legendäre Calzone Roma a`la Vincenzo, die am häufigsten bestellt wurde. Am To-Go Verkaufsschalter war stets eine Warteschlange zu erwarten und der Lieferdienst erledigte Drohnen, die selbstständig in jede Etage die Kunden belieferten.



Es trudelten auch generell TTA-Kunden herein, die eine Reise in die Vergangenheit gebucht hatten und sich bis zu ihrem bevorstehenden Transfer dort die Zeit vertrieben. Meistens recherchierten die angehenden Zeitreisenden dort im Computer, welches Wetter sie in ihrer Zeitepoche erwartet. Manchmal stolzierten erfolgreiche Geschäftsleute herein, bestellten ein Salatbuffet und feierten ihren Erfolg mit eisgekühlter Brause (Ein Energiegetränk erhältlich in allen Geschmacksrichtungen, das minutenlang euphorisch wirkt).

Jedoch das Besondere und Einmalige an Vincenzo`s Bar war, dass die Computer mit dem Archiv verbunden waren. Man konnte somit detaillierter in der Weltgeschichte recherchieren, was das Internet nicht preisgeben vermochte. Man konnte sich im Archiv sogar heimlich aufgezeichnete Videos von Schleusern oder Akademiker ansehen, diese beispielsweise Alexander der Große, König Herodes Antipas, Napoleon Bonaparte, Pharao Tutanchamun oder Jesus Christus tatsächlich begegnet waren.

Zudem war der Inhaber dieser Bar, Vincenzo Falkone, eine lebende Legende in United Europe, weil er der erste Mensch war, der ein historisches Ereignis verändert hatte. Vincenzo hatte es damals vor dreißig Jahren einst gewagt, den Absturz des Zeppelins Hindenburg am 6.
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Mai 1937 in New Jersey zu verhindern. Mit Erfolg. Aber die UE-Agenten waren ihm damals zuvor gekommen und hatten ihn noch bevor er das legendäre Luftschiff sabotiert hatte, verhaftet.

Vincenzo Falkone war also der erste TT des 25. Jahrhundert, woraufhin man ihm seinen implantierten Chip wieder entfernt hatte, damit er nie wieder eine Zeitreise unternehmen kann.

Als damals vor dreißig Jahren die TTA gegründet wurde, um für die Bevölkerung Urlaubsziele in die vergangene Welt zu ermöglichen, wurden die weltgeschichtlichen Veränderungen zuerst bloß als eine gewöhnliche Straftat eingestuft, dies mit einem Bußgeld oder gar einer Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren geahndet wurde, und nicht wie zurzeit in der Gegenwart mit der gnadenlosen Verbannung aus allen Citys bestraft. Wiederholungstätern wurde zusätzlich das Transponderimplantat entfernt.

Vincenzo Falkone, der gebürtig aus der City Nieuw Roma stammte aber seit 25 Jahren im Centrum zuhause war, wurde äußerst populär und genießt seitdem den Status quo eines sehr prominenten Mannes, der häufig in den Medien erscheint. Kurz gesagt, jeder in United Europe weiß, wer Vincenzo Falkone ist und wo auch immer er sich die Ehre gibt, wird er von Journalisten sowie Fernsehteams umzingelt und seine Fans feiern ihn wie einen Popstar.



Henry richtete seine Krawatte, bevor die Luke des geräumigen Röhrenlifts sich langsam öffnete.

Agent Gudimard und Ike blickten auf eine unübersichtliche, menschenbelebte Plattform, als sich der Lift langsam öffnete. Die berühmte 51. Etage des Centrums, die im ersten Augenblick einer gigantischen Einkaufsmall glich, lag direkt vor ihnen. Aber die Quadratkilometerfläche der 51. Etage war vergleichbar mit einer Metropole aus der Vergangenheit, weil diese Etage mittig dieser Kuppelstadt lag.

Die mächtigen Stahlkonstruktionen der Transportröhrenlifte stützten zusätzlich die Etagendecken. Elektroautos surrten mit mäßiger Geschwindigkeit auf den metallischen Straßen herum; in erhöhten panzerverglasten Schächten rauschten Straßenbahnen hindurch und eine Menschenmasse drängte sich zwischen flachen Gebäuden und auf den Rolltreppen, die hinauf zu den Fußgängerzonen führten. Auffällig waren die vielzähligen Fahrradfahrer. Nirgendwo, in keiner anderen City in United Europe, benutzten die Einheimischen das altertümliche Fahrrad, wie im Centrum.
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Jedoch in keiner anderen City herrschte auch ein vergleichbarer Menschenauflauf und der Taxi- sowie Straßenbahnverkehr waren nirgendwo überlasteter, als im Centrum. Das lag hauptsächlich daran, weil das Centrum nicht nur die Hauptcity, sondern vielmehr der Knotenpunkt zu allen anderen 344 Citys war.

Über allen Geschäften schwebten projizierte Werbefilme, die zum Einkaufen animierten und ihre Produkte anpriesen. Es ertönten monotone Gongschläge, daraufhin sprachen freundliche Frauenstimmen und wiesen auf sehenswerte Events hin. Beinahe an jedem Gebäude waren übergroße Monitore montiert, die Nachrichten aus anderen Citys übermittelten oder über aktuelle Ereignisse berichteten, was sich in den übrigen 129 Etagen des Centrums zutrug.

Alles strahlte und blinkte bunt. Auf einem besonders großen Monitor verfolgten zurzeit einige Fußgänger ein Fußballspiel, welches live aus der City Nieuw Bruxelles, im ehemaligen Belgien erbaut, übertragen wurde. FC-Centrum spielte im Finale gegen FC-Nieuw Bruxelles um den Europapokal. Plötzlich jubelte Henry mit geballten Fäusten, genauso wie eine geringe Anzahl von Passanten, die soeben das geschossene Goal der Nieuw Bruxelles Fußballmannschaft gesehen hatten. Ike dagegen verzog missmutig sein Gesicht.

„TOR! Jawohl!“, brüllte Henry freudig und klatschte Beifall.

„Verdomme! Das darf doch nicht wahr sein!“, platzte es aus Ike verdrossen heraus und schüttelte dabei verärgert mit dem Kopf. „Leute, Leute, so wird das wieder nix mit dem Europapokal.“

„Bravo Jungs, gut gemacht. Wir werden wieder Europameister! Dann schon das dritte Mal hintereinander!“, applaudierte Henry, worauf er sich missmutige Blicke gewisser Passanten einhandelte. Schließlich befand er sich grad mitten im Centrum.

Henry stieß Ike leicht in die Bauchseite und streute noch etwas Salz in die Wunde, indem er schadenfroh lachte und dabei frech mit dem Zeigefinger wankte.

„Gegen Nieuw Bruxelles seid ihr im Endspiel bisher immer gescheitert. Die Belgier waren schon seitdem ich denken kann, wahre Fußballgötter. Stets Tabellenerster! Nieuw Bruxelles ist nicht zu schlagen. Kein Wunder, ist ja auch meine Heimat“, lachte er.

„Blödsinn, recherchier mal im Archiv“, konterte Ike. „Im Zwanzigsten sowie Einundzwanzigsten Jahrhundert waren die Belgier im Fußball unbedeutend gewesen.
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Holland dagegen spielte immer in der obersten Liga mit. Ihr hättet gar einen Elfmeter verschossen, selbst dann, wenn das Tor doppelt so groß gewesen wäre. Ihr ward Nullen gewesen“, lachte Ike.

Henry blieb vor einem spiegelnden Schaufenster stehen, musterte seinen zeitlosen Designeranzug und zupfte erneut die Krawatte zurecht. Er grinste.

„Die Tabellenliste von Anno Domini interessiert nicht mehr, mein Junge. Ihr aus dem Centrum seid nun die Nullen“, bekundete Henry zufrieden lächelnd.

„Noch haben wir nicht verloren, Boss“, konterte Ike. „Das Spiel ist noch nicht vorbei!“



Ike war in seinen Gedanken versunken während beide die metallische Straße überquerten, direkt zu Vincenzo`s Bar.

„Sag mal, dieser Vincenzo … Ich kenne ihn nur aus den Medien. Er ist zwar berühmt aber ...“ Ike schüttelte mit dem Kopf. „Ich kann diesen aufgeblasenen Typ einfach nicht leiden. Er war der erste TT überhaupt. Seine Bar mag ja von außen her seriös erscheinen, aber zur späten Abendstunde tummelt sich dort Gesindel rum. Und wer einmal ein Verbrecher war, der wird es auch bleiben. Also, weshalb arbeiten wir mit ihm zusammen? Was hat er mit meiner Mission zu tun?“

„Weil Vincenzo für den Geheimdienst seit etlichen Jahren inoffiziell dient. Aufgrund dass sein Internetcafé teilweise mit dem Archiv verbunden ist, werden dort die häufigsten Anschläge geplant. Zumindest recherchierten dort die bekanntesten TT. Außerdem pflegt Vincenzo Kontakte mit abtrünnigen Mounts, die wiederum die Unterwelt aller Citys kennen. Vincenzo ist also ein äußerst wichtiger Informant für uns, zudem ist er ein unschlagbarer Hacker. Es war ihm damals bei der Hindenburg Affäre gelungen, seinen Transponderchip zu deaktivieren, sodass die Sicherheitszentrale ihn nicht mehr lokalisieren konnte. Seine Fähigkeiten sind für uns äußerst wertvoll.“

„Heißt das etwa, Vincenzo ist ein Verdeckter Ermittler? Also, ein Undercover Agent?“, fragte Ike überrascht.

Henry nickte. „Das sozusagen, kann man so sagen. Diese Information ist selbstverständlich absolut top secret. Falls seine Tarnung auffliegt, würden einige Missionen gefährdet sein und viele unsere Agenten würden in Lebensgefahr schweben. Zudem wäre unsere wertvolle Informationsquelle für immer versiegt. Der Staatspräsident Hendrik Klaasen hat mich dazu befugt, dir dieses Geheimnis anzuvertrauen.
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Denn du musst Falkone während deiner Mission vollständig vertrauen, weil er dich betreuen wird. Von ihm wirst du jede nötige Information oder Warnung erhalten, falls dir in der vergangenen Welt irgendeine Gefahr droht. Die Sicherheitszentrale kann sich bei mittlerweile über fünfzig laufenden Missionen nicht um jeden persönlich kümmern. Das verstehst du doch!“



Die folgende Geschichte, die Henry ihm erzählte, hatte Ike noch nie über Vincenzo gehört und rückte Falkone in seinen Augen in ein etwas helleres Licht:

Eines Tages, noch lange bevor Vincenzo beabsichtigte die Hindenburg-Katastrophe zu verhindern, als er noch wie ein gewöhnlicher Akademiker mit aktiven Transponder durch Raum und Zeit gereist war, besuchte er unter anderem auch das antike Römische Reich, so wie es sich für einen gebürtigen Italiener gehörte. Sein Reiseziel war Rom 82 n.Chr., zur Zeit des römischen Kaisers Titus. Das neu erbaute Kolosseum wurde derzeit eingeweiht und ganz Rom war im freudigen Aufruhr. Ein ehrgeiziger Mitarbeiter der TTA bemerkte jedoch damals, dass sich Vincenzo ungewöhnlich häufig in diese Zeitepoche begeben hatte, dabei oftmals den ausgemachten Zeitpunkt seines Exits um Wochen ignoriert und seinen Urlaub somit illegal verlängert hatte, obwohl er dafür nicht bezahlt hatte. Vincenzo dachte sich wohlmöglich, wer soll schon dahinter kommen, ob ich nun vier oder eben doch neun Wochen meinen Urlaub genieße? Letztendlich kehre ich nach zehn Stunden zurück und wer schaut schon so genau auf die verschlüsselten Codes des Timers, welche die detaillierten Monate, Tage, Stunden und sogar Minuten enthielten, die der Hauptcomputer so ausspuckt? Das merkt doch keine Sau, war Vincenzos Meinung gewesen. Doch er hatte sich getäuscht.

Der aufmerksame TTA Angestellte hatte seinen Betrug aufgedeckt und sich an die Personalabteilung gewandt, diese wiederum hatten es der Sicherheitszentrale gemeldet. Der Geheimdienst wurde darüber in Kenntnis gesetzt und daraufhin beauftragte man den jungen Agenten Henry Gudimard nachzuforschen, weshalb der Akademiker Vincenzo Falcone ständig unverfroren seinen Urlaub unbezahlt verlängerte. Ständig in derselben Zeitepoche, dies sofort den Verdacht weckte, dass der Akademiker illegal ein paralleles Leben anstrebte und sich an der Vergangenheit bereicherte.

Für ein neues Leben in einem fremden Jahrhundert bot die TTA immerhin das Auswanderer Projekt an, dies sich aber nur Multimilliardäre leisten konnten und es zudem kein Zurück mehr in die Gegenwart gab.
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Solch eine Entscheidung war endgültig.

Henry landete also direkt in Rom, stand vor dem neuerbauten Kolosseum und blickte ehrfürchtig hinauf. Bunte Flaggen flatterten an dem gerundeten Mauerwerk, riesige Sonnensegel ragten in das Bauwerk hinein und Fanfaren ertönten. Zudem hörte er eine Menschenmasse grölen, dies wie mit einem gewaltigen Meeresrauschen zu vergleichen war. Er blinzelte und hielt sich die Hand vor die Stirn, als er hoch hinaufschaute. Die makellosen, hellen Steinblöcke dieses meisterhaften Bauwerks reflektierten die Sonnenstrahlen.



Vor dem gigantischen Amphitheater waren unzählige Zelte und Überdachungen aus Rinderleder aufgestellt – ein riesiger Markt offenbarte sich ihm. Sandstaub lag in der Luft, denn tausende Menschen mit Packeseln und Pferdewagen tummelten sich auf diesem Markt, es herrschte ein unbeschreibliches Gedrängel und es stank nach Ziegenmist und Eselskacke. Und überall waren römische Soldaten positioniert, die mit ernster Miene dreinschauten und jederzeit bereit waren, einen plötzlichen Aufruhr gewaltsam zu zerschlagen.

Marktschreier aus fernen Ländern priesen ihre Waren an, genauso führten Sklavenhändler verängstigte, gefesselte Frauen, Männer und sogar Kinder vor, und jeder von ihnen behauptete lautstark, sie hätten die beste Ware und versicherten, dass die Sklaven absolut gesund wären.

Der damals fünfundzwanzigjährige Henry blickte unauffällig auf seinen Beamer. Das Signal des Funkpeilsenders seiner Zielperson leuchtete auf dem Display grün auf, was bedeutete, Vincenzo befand sich in unmittelbarer Nähe. Henry, bekleidet mit einer hellen Robe, stülpte sich seine Kapuze über und schlenderte mit Sandalen durch die Menschenmenge. Einige herrenlose Hühner flatterten umher, als er unentwegt voranging. Angebundene Ziegen meckerten, Schafe wurden mitten auf der Straße geschoren, um die Wolle in Bastkörben zu verkaufen.

Bärtige Männer aus Persien palaverten und penetrierten ihn, irgendwelche Tontöpfe, Götterstatuen oder sonstigen Krimskrams zu kaufen. Römische Kaufleute stolzierte durch die Menge, hielten hölzerne Täfelchen in die Höhe und riefen lautstark, dass dies die letzten Eintrittskarten für das Kolosseum wären:

„Für nur fünf Denare könnt ihr die Spiele der tapferen Gladiatoren sehen, ihr lieben Leut`! Für die Kinder kostet es nur die Hälfte! Heute wird die legendäre Schlacht bei Kadesch zwischen den Ägyptern und Hethitern vorgeführt, die vor über 1270 Jahre stattgefunden hatte und blutig sowie glorreich für das Ägyptenland ausgegangen war! Der berühmte, bislang ungeschlagene Gladiator, Spartacus, wird heute diesmal als Rames der Große auftreten! Zudem wird im Vorprogramm gezeigt, wie Verbrecher von wilden Tigern zerfleischt werden! Lasst euch dieses Spektakel nicht entgehen!“, brüllten sie lautstark.
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Plötzlich wurde Henry von einem Sklavenhändler an der Schulter gefasst, der riss ihn herum und führte ihn zu einer schwarzhäutigen Frau mit kurzem, krausem Haar. Um ihren Hals schnürte sich eine enge Seilschlinge. Die hilflose Frau blickte mit verängstigtem Blick drein und keuchte.

„Fremder, seht Euch dieses prachtvolle Weibsstück einmal an. Sie ist in der Tat ein ausgesprochenes Exemplar. Sie kann kochen und Eure Unterkunft sauber halten. Und was am Wichtigsten ist: Bumsen kann sie wie ein wildes Tier. Das garantiere ich Euch, beim allmächtigen Jupiter!“, lachte der Sklavenhändler.

Er griff der dunkelhäutigen Frau ins Gesicht und öffnete grob ihren Mund. „Seht nur, Fremder, selbst ihre Zähne sind gesund. Ihr könnt sie für nur 100 Denare haben. Sie wird alles tun, was Ihr Euch nur wünscht.“

Henry schüttelte ausdruckslos mit dem Kopf und ging einfach weiter, daraufhin griff der Sklavenhändler ihn erneut an der Schulter, zerrte ihn abermals zurück und riss der Sklavin ihre spärliche, verschmutzte Bekleidung herunter, sodass sie splitternackt dastand. Dann spreizte er ihre Beine.

„Beim Gott Neptun, ich schwöre Euch, Herr. Diese Sklavin ist wie ein Vulkan und wird Euch alle Wunschträume anstandslos erfüllen. Na schön“, sagte er sogleich und minderte den Preis. „Nur weil Ihr es seid, Herr, und damit Ihr erkennt, was für ein netter Kerl ich bin, überlasse ich Euch dieses Weib für nur 90 Denare.“

Der Sklavenhändler grinste breit über die Backen, während er die Brüste der hilflosen Frau knetete.

„Weiter runter mit dem Preis kann ich nicht gehen, Herr. Entscheidet Euch!“

Henry schaute in ihr Gesicht. Die Nubierin blickte starr zu Boden und ließ sich anstandslos begrapschen. In ihren Augen erkannte er, dass sie bereits mit ihrem Leben abgeschlossen hatte und bereit war, willenlos zu handeln.
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Vermutlich, so dachte Henry, hatte diese arme junge Frau, die sogar noch jugendlich war, bereits ihre geliebte Familie verloren und nahm daher alles hin, egal, was noch auf sie zukäme. Vielleicht wünschte sie sich die Freiheit oder doch eher den Tod? Aber dem jungen Henry war es bewusst, dass all diese Menschen nur Akteure waren, die ihr Leben bereits gelebt hatten und nun jegliche Handlungen, und seien sie auch noch so ehrenvoll, trotz alledem strafrechtlich von der UE-Regierung verfolgt werden würden. Sogar als ein Agent würde man dafür bestraft werden.



Immer noch starrte er in ihre trostlosen Augen. Henry hätte sie mühelos sogar weit über den Preis, mit 200 oder gar 300 Denaren freikaufen und ihr somit ein neues Leben ermöglichen können. Doch er tat es nicht, wimmelte den Sklavenhändler stattdessen energisch ab und ging zielstrebig dem Signal entgegen, welches der Funkpeilsender von seiner Zielperson aus sendete. Henry wollte konsequent bleiben und beschloss, sich niemals von seinen Gefühlen leiten zu lassen, ansonsten wäre er auch nicht besser als ein TT. Er überließ die junge Frau ihrem ursprünglichen Schicksal.

Plötzlich vernahm Henry einen appetitlichen Duft. Er kannte diesen Geruch aber dieser passte absolut nicht in diese Zeitepoche. Er schaute nicht mehr auf seinen Beamer, um das Signal zu verfolgen, sondern folgte nur noch seiner Nase. Vor einen der zahlreichen Eingänge zum Kolosseum entdeckte er eine drängelnde Menschenmasse, und sachter Rauch stieg empor. Als er sich durch die Menschenmenge drängelte erblickte er Vincenzo, wie er erhöht auf einem Schemel hockte, Silberlinge kassierte und sich von nubischen Sklaven kühlen Wind zufächeln ließ.

Direkt neben ihm war ein transportabler Steinofen auf einem Fuhrwagen deponiert, darin von seinen weiteren Sklaven Calzone gebacken wurde. Sein Geschäft boomte, die Leute waren ganz verrückt nach diesem neuartigen Brot, dass mit Schinken, Salami, Zwiebeln, Pilzen, Paprika und Tomatensoße aus der Dose (leere Dosen lagen massenweise hinter seinem Schemel. Diese hatte er sich aus dem Zwanzigsten Jahrhundert besorgt) belegt wurde.

Als die Spiele im Kolosseum anfingen und die Leute verschwunden waren, stand Henry mit verschränkten Armen vor dem erhöht sitzenden Vincenzo, der ihn erschrocken anblickte, während er seine Denare zählte. Sekundenlang blickten sie sich nur an.
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„Hallo Henry … W-wie wäre es mit einer Calzone Roma a`la Vincenzo? Geht aufs Haus“, lächelte Vincenzo verlegen.

„Da wird nix draus. Du bist verhaftet, Vinzenco. Wiedermal“, antwortete Henry seufzend. „Diese Aktion wird dich diesmal teuer zu stehen kommen. Scheinbar lernst du es nicht anders, bevor du noch einen größeren Schaden an der Weltgeschichte anrichtest.“

„Ach, komm schon, Henry. Drück ein Auge zu und lass mich doch machen. Was ist schon dabei? Die Weltgeschichte wird sich deswegen nicht drastisch verändern. Die Leute haben Hunger und wollen was Anständiges essen. Das Geschäft boomt, mein Freund. Wir machen fifty-fifty, sei doch kein Narr. Meine Calzone ist in Rom sehr beliebt. Mit reinen, biologischen Zutaten und …“ Vincenzo konnte nicht einmal zuende reden, weil die Handschellen klickten.



Ike schüttelte schmunzelnd mit dem Kopf.

„Ist das tatsächlich wahr? Vinzenco hatte die erste Pizzeria eröffnet, direkt vor dem Kolosseum? Ist der noch bei Trost? Kein Wunder, das seine Calzone Roma Kult geworden ist. Ich muss gestehen, dass ich mir manchmal auch eine Calzone Roma per Drohne liefern lasse.“

„Na ja, wer weiß. Vielleicht ist dieser kulinarische Genuss gar auf seinen Mist gewachsen. Vielleicht ist er der Urheber der Calzone. Ein waschechter Italiener im alten Rom erfindet die Calzone, beziehungsweise Pizza. Ich hatte ihn verhaftet und wieder in die Gegenwart gebracht. Seine Sklaven hatten sich möglicherweise gewundert, wo ihr Meister verblieben war. Wahrscheinlich hatten sich die Sklaven sein Rezept gemerkt und weil diese nun frei waren, hatten sie sich selbständig gemacht und in ganz Rom Pizza und Calzone gebacken. Damals war der Geheimdienst noch nicht so gründlich gewesen und hatte es versäumt, seine Straftaten rückgängig zu machen, so wie es heutzutage üblich ist. Nichtsdestotrotz sind Vincenzo und ich heute sehr gute Freunde.“

Henry lächelte, als sie vor Vincenzo`s Bar standen. Er hielt sein Auge auf einen Scanner, woraufhin sich das Schleusentor öffnete.

Ike stieg die samtroten Treppenstufen hinauf in das Lokalinnere, schaute sich begeistert um und staunte. Er hatte sich das Vincenzo`s wahrlich anders vorgestellt. Entweder übermäßig laut oder totenstill. Zwar wusste er vom Erzählen seiner Freunde und Studentenkollegen, dass an jedem Sitzplatz die Computer sogar auf das Archiv zugreifen konnten und sie lobten die noble Ambiente, den Flair des Zwanzigsten Jahrhunderts, aber niemand unterrichtete ihn von dieser ausgewogenen Atmosphäre, die dort herrschte.
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Es war grad Nachmittag und etliche Leute hockten nur vor Computertischen, chatteten mit Freunden aus anderen Etagen oder Citys oder recherchierten im Archiv. Zur späten Abendstunde aber verwandelte sich das Vincenzo`s in einen Insider-Club, dort nur auserwählte Gäste Eintritt gewährt wurde und Techno-Beats lautstark hämmerten.

Eine hübsche uniformierte Dame schlenderte herbei, ging zielstrebig auf Henry zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ike runzelte die Stirn, als er die attraktive Bedienung genauer betrachtete. Sie wirkte zwar menschlich, aber beim genauen Hinschauen sah sie eher puppenhaft aus. Ihr wunderschönes Gesicht war völlig makellos. Selbst wenn sie lächelte, waren keinerlei Falten zu erkennen. „Die ist kein Beuteschema für mich, denn die ist bloß ein Androide. Sie sieht zwar scharf aus und hat eine perfekte Figur, trotzdem ist sie nur ein Roboter in Menschengestalt mit künstlicher Intelligenz ausgestattet“, dachte er sich.



Die attraktive Bedienung führte die beiden Geheimagenten in einen abgeschotteten Raum, dort mehrere gerundete Sofas standen. Das Licht war rötlich und gedämmt. Der Song von Frank Sinatra – New York, New York – drang dezent aus der Musikbox.

Ike, nur bekleidet mit glänzender Boxershorts und Muskelshirt, blickte umher und schaute sich erstaunt die übergroßen, eingerahmten Bilder an, die hell beleuchtet waren. Das eine Bild zeigte die Fotografie von Marylin Monroe, wie sie in einen weißen Pelzmantel eingehüllt war und lasziv lächelte. Auf einem anderen Bild war Al Capone zu sehen, wie er mit einem Hut auf dem Kopf ausdruckslos drein schaute (Dies war ein Fahndungsfoto von 1931). Weitere Bilder von Elvis Presley, James Dean, Marlene Dietrich und der berühmten Fotografie des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy bestaunte er, wie er im offenem Cadillac in Dallas dem Volk lächelnd zuwinkte, kurz bevor ihn die tödlichen Schüsse niederstreckten. Und selbstverständlich konnte man überall Schwarz-Weiße Bilder von der Hindenburg betrachten, wie das Luftschiff prachtvoll über die Skyline von New York glitt. Und auch Fotografien, wie die Hindenburg brennend abstürzte. Das Flair des Zwanzigsten Jahrhundert bestimmte eindeutig die Atmosphäre der Vincenzo`s Bar, wobei sich jeder nostalgischer Gast dort wohlfühlte.
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Plötzlich stolzierte ein Mann mit einem hellen Designeranzug herbei, dessen dunkles Haar streng nach hinten gekämmt war. Er war nicht sehr groß, allerhöchstens einsfünfundsechzig. Aber sein Charisma war dafür groß. Man spürte es förmlich, wenn Signor Vincenzo Falkone eine Räumlichkeit betrat. Man drehte sich ihm automatisch zu. Vincenzo sah wie ein mächtiger Mafiapate aus. Er lächelte während er Henry herzlichst umarmte. Ike war verwundert, dass sie trotzdem gute Freunde waren, obwohl Henry ihn doch damals für fünf Jahre in den Knast befördert hatte. Zudem, Transponderchip für immer adieu, was Falkone Gudimard zu verdanken hatte.

Nachdem sich die Männer auf der gerundeten Couch niederließen, drückte Vincenzo einen Schalter unter dem Tisch. Daraufhin bildete sich augenblicklich ein grünlich schimmernder, halbkugliger Schutzschirm um die Gesprächsrunde. Nun konnte niemand in dem ohnehin abgeschotteten Raum von außen zuhören. Vincenzo betätigte einen weiteren Schalter, woraufhin aus dem Tisch ein metallischer Koffer emporstieg. Vincenzo packte den Koffer und tätschelte darauf.

„Das hier ist die Belfast Mission, Ike. Darin sind alle Informationen enthalten, die du benötigst. Da die Mission Titanic schon am Hafen gescheitert ist, vermuten wir, dass bereits eine Sabotage vorher begangen wurde. Und zwar während des Baus der Titanic. Wir werden dich also in das Jahr 1908 nach Belfast beordern, dort liegt erst der Kiel des Schiffes auf der Helling. Deine Aufgabe wird sein, den vollständigen Schiffsbau zu überwachen. Bis dieses Schiff vom Stapel läuft und seine erste Probefahrt im Jahre 1912 unternimmt.“

Vincenzo blätterte seine Akten durch, die ihm Henry überreicht hatte, und nickte anerkennend.

„Du erfüllst alle Vorrausetzungen. Du besitzt eine Lizenz für das Zwanzigste Jahrhundert, hast nebenbei Schiffsbau studiert und obendrein hattest du eine Schreinerlehre mit Meisterzertifikat absolviert. Genauso jemanden brauchen wir für die Belfast Mission“, lächelte Vincenzo.

„Wir brauchen dich in Belfast. Unbedingt!“, übernahm Henry das Gespräch, nachdem er an seinem länglichen Glas Erdbeerbrause nippte.

„Da die Mission Titanic schon zum zweiten Mal gescheitert ist, vermutet die Sicherheitszentrale, dass möglicherweise während der Entstehung des Schiffes sabotiert wurde.
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Beispielsweise könnte der Maschinenraum oder gar das Steuerruder so manipuliert worden sein, dass die Titanic den Eisberg rechtzeitig umfährt oder verpasst. Insbesondre müsstest du den Frachtraum auf der Steuerbordseite genauestens inspizieren. Vielleicht wurde dieser verstärkt verplankt oder gar mit einem magnetischen Schutzschirm ausgestattet.“

„Aha, ich verstehe. Ich soll mich also auf der damaligen größten Schiffswerft Harland & Wolff einschleusen und observieren. Okay, wenn’s weiter nichts ist, unterschreibe ich den Missionsvertrag sofort. Aber du sorgst dafür wie versprochen, dass meine Mutter die beste medizinische Behandlung bekommt. Egal wie teuer es wird“, forderte Ike.

„Mach dir darüber keine Sorgen, mein Freund“, schaltete sich Vincenzo wieder ein. „Henry hält sein Wort, das kann ich persönlich bestätigen. Sicher weißt du von meiner Vergangenheit und ohne Henrys Hilfe hätten sie mich lebenslänglich eingebuchtet. Deine Aufgabe ist aber umfangreicher, als du dir es vorstellst. Der Bau der Titanic dauerte über drei Jahre lang, sobald der Innenausbau beginnt musst du 6.550 Mikrokameras auf dem Schiff installieren. Jeder unersichtliche Winkel muss auf dem Schiff verwanzt werden, weil die TTA die Titanic bereits in ihr Zeitreiseprogramm aufgenommen hat. Zudem musst du ein Haus bauen, dass nicht nur für dich als ein vorläufiges Zuhause dienen soll, sondern ab Dezember 1909 wirst du Auswanderer einschleusen und sie in ihrem Probejahr betreuen. Es handelt sich dabei um ein Ehepaar und ihren dreizehnjährigen Sohn. Sie hatten das Auswanderer Projekt gebucht, was dem UE-Staat satte 55 Milliarden Euro einbringt. Deine Pflicht wird demnach sein, ihm ein Haus zu bauen, einen Job bei Harland & Wolff zu verschaffen und ihm einen Freundeskreis aufzubauen. Diese Familie muss sich praktisch in ein gemachtes Nest setzen, dafür haben sie schließlich reichlich gelöhnt. Du bist ein Schleuser, dafür bist du spezifisch ausgebildet worden.“

Vincenzo tätschelte auf den silbernen Koffer.

„Wie gesagt, alle Informationen die du benötigst, befinden sich hier drin. Ike, du musst immer auf der Hut sein. Es könnten dir möglicherweise Leute begegnen, die dich beseitigen wollen, damit die Belfast Mission scheitert. Das darf auf gar keinen Fall passieren, denn die TTA bietet die Jungfernfahrt der Titanic längst in ihrem Zeitreiseprogramm an. Die ganzen Werbemaßnahmen haben ein wahres Vermögen gekostet, die TTA kann jetzt unmöglich einen Rückzieher machen, zumal tausende von zahlungskräftigen Akademiker sich bereits für diese Zeitreise beworben haben, und täglich werden es mehr.
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Ike hielt sich seine Faust auf dem Mund und nickte sachte. „Klar Vincenzo, hab soweit alles verstanden.“

Henry kippte seine Erdbeerbrause in einem Zug hinunter, stellte das längliche Glas auf dem Tisch ab und lächelte Ike an.

„Wir haben bereits ein Schleusertrupp in die vergangene Welt beordert, die Spuren deines Scheinlebens hinterlassen haben. Von deiner Geburt an ist von nun ab alles nachweisbar. Merke dir vor allem dein Geburtsdatum: 6. Mai 1878. Du wurdest in Utrecht geboren, bist dort zur Schule gegangen und hattest dort eine Lehre in einer kleinen Schreinerwerkstatt gemacht. In der Universität von Utrecht, die bereits seit 1636 bestand, hattest du schließlich Schiffsbau studiert, wobei dies ja nicht einmal gelogen ist. Wenn du dich also bei Harland & Wolff bewirbst, wird die Personalabteilung anhand deines Lebenslaufes davon ausgehen, dass du bereits 30 Jahre alt bist. Dein Alter um fünf Jahre hochzuschrauben war notwendig, weil es das Mindestalter ist, um die Position eines Vorarbeiters zu übernehmen.“

Ferner teilte Henry ihm mit, dass es unbedingt notwendig wäre, dass er sich eine Lebenspartnerin sucht und diese heiratet, um eine perfekte Tarnung zu erschaffen. Denn über einen Alleinstehenden würden sich die Akteure nur wundern und einiges hinterfragen, was seine Tarnung gefährden könnte. Aber diese Frau sollte keinesfalls irgendeine kluge Gelehrte sein, sondern vielmehr ein einfaches, unkompliziertes Mädchen vom Land, die keine unangenehmen Fragen stellen würde oder gar eines Tages dahinter kommt, wer er wirklich ist. Ike würde ein Doppelleben führen müssen, in einer ihm völlig fremden Welt. Niemals dürfte er mit seiner Lebenspartnerin über gewisse Probleme reden, die ihn unweigerlich erwarten werden, dafür stünde ihm eine Psychologin aus der Sicherheitszentrale bei. Ike wäre gezwungen sein, ständig zu lügen.

Henry grinste, genauso wie Vincenzo.

„Weiber verarschen, darin bist du doch ein Meister. Oder etwa nicht?“



Ike hockte in der gerundeten Ledercouch, legte sich abrupt zurück und blies die Backen auf. Ja, diese Mission schien tatsächlich eine wahre Herausforderung zu sein.
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Dass er Auswanderer betreuen müsste, darin sah er kein Problem, schließlich war dies die Hauptaufgabe eines Schleusers. Aber die Arbeit auf einer Helling als Vorarbeiter könnte sich als wirklich schwierig erweisen, zumal er dort ständig engen Kontakt zu Akteuren hätte.

Er blickte Vincenzo, dem er über drei Jahre lang blind vertrauen sollte, scharf an.

„Sag mal, weshalb hattest du die Hindenburg Katastrophe verhindert? Und wie ist dir das überhaupt gelungen?“

Vincenzo schmunzelte, betätigte einen Schalter und bestellte eine weitere Runde Getränke, die aufs Haus gingen.

„Wie mir es gelungen war, kann ich dir leider nicht genau sagen. Agent Henry und sein damaliger Kollege, der berühmte Schleuser Simon Barnes, hatten mich ja noch bevor ich in Frankfurt am Main am Flughafen einchecken konnte, verhaftet und somit meine Sabotage ungeschehen gemacht. Soviel kann ich dir aber sagen, dass ich beabsichtigt hatte, die Hindenburg mit einem Mikrochip zu versehen, der ein Blitzableiter war. Diesen gigantischen Luftballon, der irrsinnig mit explosivem Wasserstoff anstatt mit nichtentzündlichem Helium gefüllt war, war daraufhin von jeglicher statischen Aufladung geschützt. Am 6. Mai 1937 braute sich nämlich kurz vor der Landung über New York ein Gewitter auf, mit mächtigem Blitz und Donner und so weiter. Dadurch hatte sich die Stahlkonstruktion des Zeppelins offenbar statisch aufgeladen und als die Landungstaue am Flugplatz in Lakehurst New Jersey zu Boden gelassen wurden, war dieser Bodenkontakt wie eine Zündschnur gewesen, was die Hindenburg letztendlich hatte explodieren lassen.“

Vincenzo seufzte.

„Dieses Luftschiff war Hitlers Stolz gewesen. Es kursierte dann jahrzehntelang die Verschwörungstheorie, dass von den Amis auf die Hindenburg ein Bombenanschlag verübt wurde. Das ist aber völliger Blödsinn, meiner Meinung nach. Denn das Nazi Regime war zu jener Zeit in Amerika äußerst angesehen. Adolf Hitler wurde ein Jahr später international sogar als: Der Politiker mit dem größten Einfluss auf die Weltgeschichte verehret. Als Mann des Jahres ausgezeichnet, sozusagen.“

Vincenzo nickte stetig, während er nachdenklich vor sich hinstarrte.

„Die Hindenburg war damals das luxuriöseste Luftschiff der Welt gewesen, der Stolz des Deutschen Reiches. Genauso wie die Titanic der Stolz von England gewesen war.“



Ike blinzelte kurz und blickte ihm dann ausdruckslos in die Augen.
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„Okay, weiß ich alles natürlich. Das war raffiniert von dir, das mit dem Mikrochip was die statische Aufladung neutralisiert hatte. Aber erkläre mir bitte mal, warum hattest du die Hindenburgkatastrophe verhindert? Was war dein Beweggrund dafür? Ich frage nur, weil es mich schon immer beschäftigte, weshalb manche Leute versuchen, die Vergangenheit zu verändern. Was geht in einem verfluchten TT-Kopf nur vor sich?“

„Das kann ich dir kurz und knapp erklären“, meldete sich Henry schmunzelnd zu Wort, während er mit seiner Erdbeerbrause prostete.

„Vincenzo hatte sich in eine Nazi-Braut verknallt und nur deshalb hatte er versucht, ein geschichtliches Ereignis zu verändern. Eine Dame namens Helene Schneider flog mit der Hindenburg nach Amerika, und zählte zu den Todesopfern. Vincenzo wollte also eine Akteurin vor dem sicheren Tod bewahren.“

„Moment mal, Henry. Helene war keine Nazi-Braut!“, betonte Vincenzo verärgert. „Sie unterstützte die Partei NSDAP in keiner Weise, sondern sie war nur die Geschäftsführerin eines angesehenen deutschen Unternehmens und wollte mit den Amerikanern … Mama Mia, das ist jetzt auch völlig egal“, antwortete dieser charismatische Mann mit dünner Stimme, wobei er seinen Kopf senkte.

„Als ich Helene kennen lernte, war ich sofort in sie verliebt. Sie erwiderte meine Zuneigung aber muss mir eingestehen, dass sie nicht in mich verliebt war. Zu diesen Zeitpunkt jedenfalls nicht. Sie versprach mir, dass sie sich nach dem geschäftlichen Abkommen mit den Amerikanern mit mir in Frankfurt treffen würde. Ich hätte bestimmt ihr Herz erobert“, sagte Vincenzo nickend. „Ja, ganz bestimmt sogar. Noch heute denke ich an sie. Sie wäre die Frau meines Lebens geworden. Siehe mich an, mein Freund. Hier und heute werde ich als eine Legende gefeiert, weil mein Motiv die Rettung meiner Liebe war. Die Leute glauben mir, weil ich nie geheiratet habe, weil ich meiner Liebe treu geblieben bin. Noch heute, hier und jetzt, liebe ich nur meine Helene.“



Ike blickte ihn einen Augenblick verdutzt an, prustete und schüttelte dann mit dem Kopf.

„Das war also der Preis gewesen, dass man dir deinen Transponderchip entfernt hatte, um nie wieder durch Raum und Zeit zu reisen? Wegen einer Akteurin? Verstehe mich nicht falsch.
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Für die Liebe meines Lebens hätte ich sicherlich genauso gehandelt. Aber deine Helene Schneider war eine Akteurin, eine Person aus der vergangenen Welt. Das ist doch völlig sinnlos, sich in eine Akteurin zu verlieben. Mir passiert so etwas nicht, so wahr ich mit euch rede. Das garantiere ich euch Beiden! Denn letztendlich muss man in die Gegenwart wieder zurückkehren. Und zwar alleine!“

Daraufhin klopfte Henry anerkennend auf seine Schulter.

„Gut gesprochen, Ike. Verinnerliche deine Meinung und halte dir immer vor Augen, dass die gewonnenen Freundschaften und auch die Liebe in der vergangenen Welt nur Schall und Rauch sind. Letztendlich wirst du wieder nach zehn Stunden in deine Realität erscheinen. Du sollst zwar eine Akteurin heiraten, aber ihr eine wahre Liebe nur vorspielen. Du kriegst das schon hin, ich vertraue auf dich. Ich werde sogar auf deine Hochzeit persönlich erscheinen. Das tue ich bei jedem Schleuser, das ist für mich eine Tradition geworden“, versicherte Henry lächelnd. Er zwinkerte ihm zu, als er sein längliches Glas ansetzte und leertrank.

„Zuletzt noch eine kleine Warnung.“, fügte Henry mahnend hinzu. „Du wirst an vielen Feierlichkeiten teilnehmen müssen, um Freundschaften zu knüpfen. Insbesondre ist das irische Volk für dafür bekannt, dass sie sich gerne betrinken. Unterschätze niemals die Wirkung des Alkohols. Es sind schon einige Missionen deswegen gescheitert, weil volltrunkene Schleuser in einer vollbesetzten Kneipe über eine Mondlandung oder Zeitreisen geplaudert hatten.“

„Keine Sorge, Henry. Ich werde alles im Griff haben. Ich weiß zwar nur theoretisch wie Alkohol wirkt, aber das wird mir nichts anhaben können. Und mich in eine Akteurin zu verlieben, werdet ihr ganz bestimmt nicht erleben. Niemals“, sagte Ike, prostete mit seinem Glas Tomatenbrause und trank es in einem Zug leer.



Ike war bereit sich gleich morgen pünktlich um 6.00 Uhr in der Frühe bei der Sicherheitszentrale zu melden, damit sein neues Personenprofil und Missionsbeschreibung in das Archiv einprogrammiert werden konnte. Diese Nacht hatte er kein Auge zugetan, sondern sich ausschließlich damit beschäftigt, die seitenlangen Akten in dem silbernen Koffer zu studieren.

Er war nicht übermüdet sondern voller Adrenalin, als er sich zum Checkpoint der TTA begab, um in das Jahr Dezember 1908 nach Belfast teleportiert zu werden. Im Dezember 1908 angekommen, würde ein Schleuserteam ihn erwarten, das ihm weitere Ausrüstung, ein Stromaggregat und ein Pferdegespann mitsamt einem Fuhrwagen überreichen würde.
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Dieses Team wurde außerdem dazu beauftragt, ein geeignetes Grundstück, außerhalb der Stadt Belfast für ihn vorab zu erwerben und sobald er sich auf diesen Fuhrwagen setzen würde, wäre er in der vergangenen Welt, in Irland, ganz allein auf sich gestellt und müsste einsam durch die Morgendämmerung seiner neuen Heimat entgegen traben. Und von diesem Moment an würde mit jedem Fortschritt, der ihm gelingen würde, sein persönlicher Timer wie eine rieselnde Sanduhr herunterzählen. Diese Zeitreise würde nur zehn Stunden andauern, jedoch würde Ike jahrelang von seiner sterbenskranken Mutter getrennt sein.
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Kommentare zur Story:

  Packend und lebendig geschrieben. Geschehnisse als ob das alles wirklich passiert wäre. Tolle Story.  
   Harald Schmiede  -  02.05.24 19:20

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Homo Faber" zu "Der Zug"

Hallo, ein schöner text, du stellst deine gedanken gut dar, trifft genau meinen geschmack. lg Holger

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Kommentar von "Evi Apfel" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 06"

Wunderbarer Schreibstil und immer wieder spannend. Es lohnt sich das zu lesen.

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