Kurzgeschichten · Fantastisches

Von:    Siebensteins Traum      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 19. Oktober 2023
Bei Webstories eingestellt: 19. Oktober 2023
Anzahl gesehen: 1072
Seiten: 5

Sie betreten Cynthias Reich. Sie kennt sich in dieser Stadtbibliothek bestens aus. Zielsicher geht sie zur Info. Tobi folgt ihr.

„Hi Michael, wie geht?“, begrüßt sie den jungen Mann hinter dem Schalter, der gerade in irgendeinem Buch vertieft zu sein scheint. Dieser blickt von dem Buch auf, erkennt Cynthia, und sofort erhellt sich sein Gesichtsausdruck. „Hi Cynth, wie geht’s dir? Was verschlägt dich in unsere heiligen Hallen?“

„Diesmal was ganz Abgefahrenes.“

Das Interesse von Michael scheint geweckt. Er macht Anstalten, sein Buch zur Seite zu legen, zeigt aber vorher noch Cynthia, was er gerade liest, und sagt dabei herausfordernd: „Interessanter, als das da? Ist gerade heute neu reingekommen. Fast alles habe ich von Poe gelesen. Diese Story hier fehlte mir aber noch.“

„Oh, Poe, der ist natürlich schwer zu schlagen“, zeigt sich Cynthia ehrlich beeindruckt. „Aber vielleicht versuche ich es doch einfach mal.“

Michael legt sein Buch zur Seite. „Na, dann lass mal hören, Cynth. Ich bin ganz Ohr.“

„Nun, die ganze Geschichte ist vielleicht etwas schwer zu glauben.“ Cynthia schaut verlegen drein.

„Schwer zu glauben? Wie meinste das denn?“

„Es hat auch viel mehr mit meinem Freund hier zu tun.“ Cynthia neigt den Kopf zu Tobi rüber. Michael scheint jetzt erst zu bemerken, dass da überhaupt noch jemand anderes ist. Er zeigt auf ihn, und fragt: „Wer ist das denn? Den habe ich hier noch nie gesehen.“

„Hi, mein Name ist Tobi“, stellt sich Tobi etwas unsicher vor.

„Hi, ich bin Michael. Na, dann schießt doch mal los, was ihr auf dem Herzen habt. Ich platze ja gleich vor Neugierde. Cynthia ist, soweit ich weiß, nicht so einfach zu beeindrucken. Sie scheint aber beeindruckt zu sein.“

„Nun“, nimmt jetzt Cynthia wieder das Wort auf, „es ist gar nicht so wichtig, was genau vorgefallen ist. Ich bräuchte aber für eine Recherche deine Hilfe.“

„Ach Cynth, da trittst du bei mir offene Türen ein. Immer wieder bin ich froh, wenn jemand meine Hilfe in Anspruch nimmt, und nicht die des“, fast sieht es so aus, als müsse er einen Würgereiz unterdrücken, als er das Wort sagt, „I N T E R N E T S. Also, lass hören. Wie kann ich euch helfen?“

„Gut.“ Cynthia versucht kurz, sich zu konzentrieren. „Also, es geht um ein Messer.“ Sie bemerkt, wie Michael eine Augenbraue hochzieht.
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Sie kennt das von ihm. Das macht er, wenn ihn innerlich etwas aufwühlt. „Das Messer ist wunderbar verziert“, führt sie schnell weiter aus, „mit Abbildungen von irgendwelchen geschichtlichen Ereignissen und Runen, oder so was. Irgend so `ne alte Schrift, glaube ich. Das Messer hat etwas mit der Zeit zu tun. Irgendwie wohl auch mit den Pyramiden. Kannst du damit irgendetwas anfangen?“

Michael runzelt seine Stirn. Er scheint angestrengt nachzudenken. „Ja, warte mal“, sagt er, wie zu sich selbst. „Irgendetwas gibt es da. Irgendwas habe ich darüber mal gelesen oder in einem Buch als Abbildung gesehen. Ein Messer, Pyramiden, Runen, Zeit.“ Plötzlich platzt es aus ihm heraus: „Ja, natürlich. Die ersten Hochkulturen. Das müsste es sein. Inka, Azteken, Ägypten, sowas, ja?“

„Ja, vielleicht. Wobei das mit den Pyramiden wahrscheinlich nur eine Anspielung auf die Auseinandersetzung mit der Zeit sein sollte. Es hat vielleicht mit dem Messer konkret gar nichts zu tun.“

Michael nickt ganz zaghaft. „Ah, ich verstehe. Es geht um die Zeit, und wie die Menschen in den Zeitaltern mit der eigenen Vergänglichkeit umgegangen sind. Manche haben versucht, das Konzept Zeit theoretisch in den Griff zu bekommen; gar die Planeten miteinzubeziehen. Andere wiederum, wie die Ägypter, haben versucht, sprichwörtlich die Zeit mit ihren unvergänglichen Pyramiden zu überwinden, was ihnen bis in die heutige Zeit schlussendlich auf beeindruckende Weise ja auch irgendwie gelungen ist. Ein Messer hingegen deutet mir doch sehr auf die südamerikanischen Hochkulturen hin. Dort gab es viele Riten, die sich sicherlich auch mit der Zeit beschäftigt haben. Kommt mit!“ Und Michael verlässt stürmisch seinen Platz an der Info der Bibliothek, und die anderen Beiden folgen ihm. Er geht zielstrebig zu einem bestimmten Bereich. Dort geht es um Geschichte. Er findet den Bereich Südamerika mit seinem Unterbereich Riten. Und er entnimmt den Regalen schon die ersten Bücher. „Das da, und das hier, und das da kann nicht schaden.“ Irgendwann hat er eine ganze Menge an Büchern den Regalen entnommen und sie auf die beiden Begleiter ungleich verteilt. Zumindest hat Tobi gerade das Gefühl, die meisten der Bücher aufgebrummt bekommen zu haben. Michael lotst sie zu einem freien Tisch. Sie nehmen Platz. „Viel Spaß beim Schmökern. Solltet ihr noch weitere Hilfe benötigen, ihr wisst ja, wo ihr mich findet.
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“ Und er macht sich wieder davon.

Beide sitzen sie nun da vor einem ganzen Haufen Bücher. Tobi schaut stirnrunzelnd zu Cynthia. Sie zuckt mit ihren Achseln. „Also, dann mal los!“ Und sie entnimmt ihrem Stapel das erste Buch.

Seite um Seite werden die Bücher durchgegangen und quergelesen. Es wird nach Schlagwörtern Ausschau gehalten und nach Illustrationen, die zu dem passen könnten, was sie suchen. Während Cynthia voll bei der Sache ist, ist Tobi die ganze Sache nicht so ganz geheuer. Zuviel Neues für ihn auf einmal. Dieses irre Erlebnis auf dem Flohmarkt und jetzt in der Bibliothek rumhocken und sich durch irgendwelche Bücher quälen. Gerade möchte er eine Pause vorschlagen, als er eine Seite eines riesigen Buches vor sich umschlägt und kurz denkt, er träume wieder. Er blickt zu seiner Begleiterin rüber und ruft ihr zu: „Cynthia, schau dir das mal an!“ Sie eilt zu ihm herüber und schaut sich die Illustration in dem Buch, das sich Tobi gerade vorgenommen hat, an. Es zeigt eine Szene auf einem Markt. Aber nicht in Südamerika, es scheint eher ein Markt im europäischen Mittelalter zu sein. Ein Stand auf dem abgebildeten Markt sieht exakt so aus, wie der auf dem Markt heute, samt Rabe und Cobra und auch sonst scheint alles zu passen. Sogar der Mönchstyp ist zu sehen. „Was ist das für ein Buch?“ Cynthia schlägt es zu und schaut sich das Cover an. Sie liest den Titel laut vor: „Riten und Mythen Südamerikas im Vergleich zum europäischen Mittelalter“. Sie schlägt erneut die Seite auf und liest sich den Text durch. Es geht um die Märkte im Mittelalter und was dort alles feilgeboten wurde. Neben alltäglichen, praktischen Sachen, wie Eimer für den Haushalt oder Mistgabeln für die Feldarbeit oder Obst und Gemüse von den Feldern auf dem Land, wurden damals auch allerlei magische Dinge angeboten. Die Leute glaubten noch an solche Sachen. Es war die Zeit vor der Renaissance und noch lange vor der Aufklärung. Es war die Zeit des Aberglaubens. In dem Text wird sogar explizit berichtet, dass man sich damals auf magische Weise mit der Zeit auseinandergesetzt hat, was vor allem das Metier der Alchemisten gewesen sein soll.

Cynthia schaut ihren Begleiter an und sagt dann energisch zu ihm: „Komm, wir müssen noch einmal zu Michael. Ich denke, jetzt haben wir die richtige Spur.“ Sie gehen zurück zu ihm, zeigen ihm die Abbildung und sagen ihm, dass es das ist, was sie suchen. „Ahh“, sagt Michael daraufhin anscheinend sehr zufrieden darüber, dass er einen neuen Impuls erhalten hat, mit dem er sich beschäftigen kann.
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„Die Alchemie. Ein sehr interessantes Betätigungsfeld. Die Suche nach dem Stein der Weisen. Oder in eurem Falle wohl eher nach dem Messer der Weisen. Mir nach. Schauen wir, was wir in der Bibliothek dazu finden können.“ Kurze Zeit später sitzen Cynthia und Tobi erneut vor einem riesigen Haufen Bücher. Tobi schwitzt schon. „Oh man, wenn das so weitergeht, kommen wir hier nie wieder raus.“

„Doch doch“, sagt Cynthia. „Keine Müdigkeit vortäuschen.“ Und sie packt sich das oberste Buch ihres Stapels.

Es dauert nicht lange, und sie wird fündig. Sie findet doch tatsächlich exakt das Messer in einer Abbildung dieses Buches. Tobi kann es nicht fassen. Er wischt sich die Augen. „Das kann doch alles nur ein Traum sein. Ein Alptraum.“

„Na, dann lass uns der Sache schnell auf den Grund gehen, bevor wir aufwachen“, ruft Cynthia fast belustigt und beginnt, sich den Begleittext durchzulesen. Als sie fertig mit Lesen ist, ist auch sie etwas fassungslos. „Man, erstaunlich. Wirklich. So etwas habe ich noch nie erlebt.“

„Was denn? Nun sag schon!“ Tobi hat sich nicht die Mühe gemacht, es durchzulesen.

„Also, dieses Messer ist tatsächlich das Werk eines berühmten Alchemisten aus dem Mittelalter. Es ist ein Mythos. Die Existenz des Messers konnte bisher niemand zweifelsfrei beweisen. Ein reicher König hat es in Auftrag gegeben. Der Alchemist hat es hergestellt, wurde dann aber von seinem Assistenten verraten. Er wurde von ihm mit seinem eigenen Messer erstochen, stell dir das mal vor!“

Tobi muss tief Luft holen. „Was für ein Schurke!“

„Und ob“, bestätigt Cynthia. „Der Legende nach ist der Assistent mit dem Messer verschwunden.“

„Wohin?“, möchte nun Tobi wissen.

„In der Zeit, denke ich. Dieses Messer scheint so etwas wie eine Art Zeitmaschine zu sein. Es gibt Rituale, die man durchführen kann, um mit deren Hilfe und mit Hilfe des Messers die Zeit zu manipulieren. Auch, um so das Leben der Menschen, vielleicht sogar der gesamten Menschheit, zu verändern! Man sagt, es könne Tote zum Leben erwecken und gar leblosen Dingen das Leben einhauchen!“

„Man, ich glaub es nicht. Das ist ja ein Ding! Soll das so eine Art Frankensteinmesser sein?“

„So in der Art, vielleicht“, bestätigt Cynthia diese Vermutung.
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„Es ist ein Gegenstand der sogenannten schwarzen Magie. Das bedeutet, dass es Unheil bringt, wo es nur auftaucht.“

„Wenn es so mächtig ist, weshalb will es dieser Typ dann aber an mich abgeben? Ich meine, dieses Ding scheint doch wertvoll zu sein. Es verleiht anscheinend dem Besitzer unglaubliche Macht.“

„Tut es. Aber es bringt auch Unheil. Auch demjenigen, der es anwendet. Vergiss nicht: es ist mit der schwarzen Magie verbunden.“

Tobi schwankt böses. „Oh je, und ich habe es angenommen. Was kann ich jetzt nur tun?“

Cynthia schaut Tobi mitfühlend an. „Du musst den Packt wieder lösen.“

„Aber wie?“

„Fragen wir Michael.“ Und sie machen sich erneut zu Michael auf.
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Punktestand der Geschichte:   274
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Interessante Kommentare

Kommentar von "Simone Cyrus" zu "Zertreten"

hi rosmarin! da du dich ja schon vorab für meinen kommentar bedankt hast ;-), nicht wahr, lass ich hier jetzt auch mal meinen senf ab. wie kommt es eigentlich, dass du uns immer verwechselst? ...

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