Die Kinder von Brühl 18/Teil 3/Die Russen und die Neue Zeit/ Episode 1/Rosis Heimkehr und der Vollmond   0

Romane/Serien · Erinnerungen

Von:    rosmarin      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 26. Januar 2023
Bei Webstories eingestellt: 26. Januar 2023
Anzahl gesehen: 1376
Kapitel: 0, Seiten: 0

Diese Story ist die Beschreibung und Inhaltsverzeichnis einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

RosMarin



Die Kinder von Brühl 18



Teil 3



Die Russen und die Neue Zeit



Wir schreiben das Jahr 1948



Episode 1



Rosis Heimkehr und der Vollmond



Endlich kamen Else und Rosi auf dem Bahnhof in Buttstädt an. Es war schon stockdunkel. Der Bummelzug hatte seinem Namen mal wieder alle Ehre gemacht und war sogar manchmal auf offener Strecke stehen geblieben.

„Vielleicht sind die Leitungen defekt“, hatte Else es mit Humor genommen. „Wichtig ist, dass wir noch heute ankommen.“

Das war wirklich wichtig. Denn die Kinder waren allein zu Haus. Und auf Richard war auch nicht unbedingt Verlass. Wenn er von der Arbeit kam, war er müde und musste früh schlafen gehen. Damit er am nächsten Tag wieder putzmunter war. Wie Else sich ausdrückte.



*



Else und Rosi hatten das Rastenberger Tor erreicht. Im Frühjahr, als Rosi mit Karl auf Wanderschaft gegangen war, hatte es noch ziemlich mickrig ausgesehen. Davon konnte jetzt keine Rede sein. Die sattgrünen, großen Efeublätter wucherten üppig um das mittelalterliche Tor.

Das Rastenberger Tor hieß früher Töpfertor. Es ist ein Wahrzeichen der alten Stadtmauer.



„Der Efeu ist eine ganz außerordentliche Pflanze“, hatte Else mal gesagt. „Im alten Griechenland war er dem Gott Bacchus geweiht. Der Sage nach wurde er durch die schnellwachsenden Efeuranken vor den Blicken der rachsüchtigen Gattin des Zeus geschützt. Ja, ja, bedecke deinen Himmel Zeus“, hatte sie gelacht.

Rosi hatte damals nicht verstanden, was Else meinte. Für sie gab es nur einen Gott. Den Gott im Himmel, den Else und Berta und Otto und die Kinder ja dauernd himmelhoch lobten. Und auch Metzners in der wöchentlichen Bibelstunde. Zumal Else damals noch gesagt hatte, dass der Efeu auch als Symbol der Treue gilt. Weil er immer mehr wuchert und sich schlecht entfernen lässt, wenn er erstmal einen Halt gefunden hat. Und am ersten Mai sollen früher die Mädchen einen Kranz aus den Efeublättern getragen haben. Um einen Geliebten anzulocken.

„Mama“, sagte Rosi und blieb in der Mitte des Tores stehen. Wie ein Bild. Umrankt von den mythischen Efeublättern.
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„Mama. Warum gibt es noch andere Götter?“

Jetzt blieb auch Else stehen. Verwundert sah sie Rosi an. „Andere Götter?“, fragte sie. „Andere Götter gibt es nicht. In der Bibel steht doch 'Du sollst keine anderen Götter neben mir haben'.“

„Aber du hast doch selbst mal gesagt“, sagte Rosi, „dass der Efeu dem Gotte Bacchus gewidmet sei.“

„Ach so, ja“, erinnerte sich Else. „Das ist doch nur eine Sage. Die Sagen und Geschichten haben sich Menschen ausgedacht. Die müssen nicht stimmen.“

„Und warum haben sich die Menschen sie dann ausgedacht?“

„Vielleicht weil sie zu viel Zeit hatten“, lachte Else. „Nun komm schon. Wir haben keine Zeit für solche Späße. Nicht, dass du noch auf die dumme Idee kommst und die schwarzen Beeren essen willst. Die sind nämlich hochgiftig.“

„Mach ich doch nicht“, sagte Rosi beleidigt. Was Else nur immer von ihr dachte.



Das Rastenberger Tor hieß früher Töpfertor. Es ist ein Wahrzeichen der alten Stadtmauer.

Vor dem Tor, also dem Ortsausgang nach Rastenberg, waren früher die Töpfereien der Stadt. Wegen der Brandgefahr durch die Brennöfen mussten sich die Töpfer vor den Toren der Stadt ansiedeln.

In der Nähe des Tores stand ein Straßenzollhäuschen. Jeder, der in die Stadt wollte, musste eine Zollgebühr entrichten. Es gab noch so ein Zollhäuschen. Und zwar am Ortsausgang nach Niederreißen, also dem Weg nach Oberreißen zur Mühle.

Irgendwann sind beide abgerissen worden. Man brauchte sie nicht mehr. Denn man kam ohne Zollgebühr in die Stadt. Wann das war, konnte niemand sagen. Also muss es schon sehr lange her sein.



Rosi stand noch immer wie angewurzelt da. Missmutig sah sie an sich herab. Sie besaß nur, was sie am Leibe trug. Und das war nicht viel. Und viel zu klein. Schlüpfer. Rock. Bluse. Alles abgetragen. Zu kurz und zu eng. Karls Freundin hatte ihr nie Sachen gekauft. Und Karl hatte nie Geld. Er war ja ein Hungerleider. Ein brotloser Künstler. Er konnte nicht mal die Alimente für die Kinder bezahlen. Das machte ja Else immer so wütend.



„Ich habe doch gar keine Sachen zum Anziehen mit!“, schrie Rosi plötzlich los.
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„Soll ich etwa so in die Schule gehen? Da lachen mich doch alle Kinder aus.“

Verblüfft blieb Else, die schon weiter gegangen war, stehen. Mit drei Schritten war sie bei Rosi. „Na sowas aber auch“, lachte sie. „Mach schon. Wir müssen weiter.“

„Mir passt doch bestimmt nichts mehr“, bockte Rosi. „Und außerdem wird ja Jutta meine alten Sachen tragen.“

„Deine alten Sachen? Hm", überlegte Else. "Könnte sein. Immerhin warst du ja ziemlich lange weg. Aber deine Sachen passen bestimmt noch."

"Aber ich bin doch ganz schön gewachsen", sagte Rosi. "Das musst du doch zugeben."

"Das stimmt schon", gab Else zu. "Was meinst du, was in der Zwischenzeit hier alles passiert ist? Da wirst du aber staunen."

"Was ist denn passiert?", fragte Rosi neugierig.

"Das wirst du schon sehen", sagte Else. "Und, um nochmals auf deine Sachen zurückzukommen, ich nähe doch immer auf Vorrat. Das weißt du doch." Energisch rückte Else Rosis Ranzen zurecht. „Alles, was du brauchst“, sagte sie streng, „ist hier drin.“ Else klopfte auf Rosis alten Ranzen. "Alles andere wird sich finden. Und nun komm endlich.“

Else nahm wieder Rosis Hand und zog sie mit sich.

„Es waren ja sowieso nur Lumpen“, tröstete sich Rosi.

„Wieso Lumpen?“, wurde Else unwirsch. „Wie kommst du denn darauf? Ich werde euch ja wohl nicht in Lumpen rumlaufen lassen. Du immer mit deinen komischen Einfällen. Wie immer.“

„Das hat Inge gesagt“, sagte Rosi trotzig.

„Inge? Wer ist denn das schon wieder?“, fragte Else. "Inge."

„Na, Papas alte Freundin. Aus Naumburg. Aber wir mussten da weg. Weil ihr Mann aus Gefangenschaft gekommen ist. Und der hatte nur ein Bein. Wie Papa nur ein Auge hat. Mit dem er sehen kann. Und das andere Auge ist ein Glasauge. Das wurde ihm im Lazarett eingesetzt. Und deswegen war er verschwunden. So.“

Else blieb wieder stehen. Mit dieser Neuigkeit hatte sie natürlich nicht gerechnet. Für sie war und blieb Karl ein verantwortungsloser Hallodri, der ging und kam, wie er wollte, und nirgends lange blieb.

„Halt“, sagte Else. „Halt. Du immer mit deinen Gruselgeschichten.
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Du änderst dich wohl nie. Wie dein Vater.“

„Es stimmt aber“, beharrte Rosi. „Aber du glaubst mir ja nie. Auch wie immer.“

„Gut“, lenkte Else ein. „Zuhause kannst du mir alles der Reihe nach und in Ruhe erzählen. Das heißt, wenn du nicht zu müde bist. Von der langen Fahrt.“

Mit diesen Worten musste sich Rosi wohl oder übel zufrieden geben.



Endlich waren Rosi und Else am Kleffer angelangt. Es war Vollmond. Am Bahnhof war noch nichts von ihm zu sehen gewesen. Doch unter dem Tor war es schon etwas heller und man konnte sein Licht ahnen. Denn die Efeublätter hatten einen leicht goldenen Schimmer.

Jetzt tauchte der Vollmond den Brühl in ein geheimnisvolles, sanftes Licht. Ein Beschützerlicht. So, als würde er sagen: „Schau an. Ich beschütze den Brühl. Seine Menschen. Seine Geschichte. Ich werde dafür sorgen, dass sie niemals in Vergessenheit geraten.“



Rosi kämpfte mit den Tränen. Sie schaute in den dunklen Himmel, an dem der Vollmond in seiner ganzen Schönheit hing. Wie ein Lampion an einem unsichtbaren Stock. Und er schien zu lächeln.

Ein schmerzliches Gefühl in Rosis Brust ließ sie kaum atmen. Die aufsteigenden Tränen schnürten ihr die Kehle zu. Erst jetzt merkte sie, wie sehr sie den Brühl vermisst hatte. Den Brühl mit seinen alten Häusern. Dem uralten Kopfsteinpflaster. Den Menschen in ihrer Eigenart. Und besonders ihre Geschwister. Bestimmt schliefen sie schon lange. Sie wussten nichts von ihrer Rückkehr. Else hatte es nur Richard mitgeteilt. Er musste ja ausnahmsweise Bertraud Johanna und die kleine Margitta versorgen und zu Bett bringen.

„Was stehst du wie angewachsen hier rum“, riss Else Rosi aus ihren wehmütigen Gedanken. „Stehst da und starrst in den Himmel. Mach schon. Die Zeit bleibt nicht stehen.“



***



Fortsetzung folgt
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Kommentare zur Story:

  @
Frank Bao Carter, danke für den
Mutmacherkommentar. Ja, ich werde mir Mühe
geben, obwohl es mir zurzeit, in Anbetracht der
jetzigen Situation, nicht leicht fällt, über die
Vergangenheit zu schreiben.
Gruß von  
   rosmarin  -  28.01.23 13:58

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Hallo RosMarin, du hast einen so schönen und flüssigen Schreibstil, es macht mir einfach Spaß, deine Geschichten zu lesen. Hier finde ich gut, dass du Historisches verknüpfst und zudem Kinder als Protagonisten mit hinzunimmst. Ich wünsche dir viel Freude beim Weiterschreiben.  
   Frank Bao Carter  -  28.01.23 11:24

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Interessante Kommentare

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