Kopfbahnhöfe, Teil 5 - NEUE WIRKLICHKEIT -*-*- ERINNERUNGEN   363

Kurzgeschichten · Nachdenkliches

Von:    Ingrid Alias I      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 13. März 2022
Bei Webstories eingestellt: 13. März 2022
Anzahl gesehen: 2231
Seiten: 8

Ich muss immer noch an Reginas furchtbare Geschichte denken, krieg sie nicht aus meinem Kopf heraus.

Doch kurz darauf bricht eine neue Wirklichkeit über mich herein. Es ist an einem Montag im Januar und die ersten richtigen Wintertage haben gerade begonnen. Ich bin im Büro, das Telefon klingelt penetrant vor sich hin. Ich habe eigentlich schon Feierabend, arbeite ja nur fünf Stunden am Tag und will einfach nur nach Hause. Immer noch das Klingeln ... Ich muss wohl dran gehen.

Es ist mein Vater und seine Stimme hört sich anders an als sonst, nämlich furchtsam und zittrig. „Tony, oh Gott, es ist etwas Schreckliches passiert!“

„Was ist denn los, Daddy?“ Ich liebe meinen Vater, obwohl er mich irgendwann meiner Mutter überlassen hat, damit die mich bestrafen konnte für jeden noch so kleinen Mist - oder für gar nichts.

„Deine Mutter liegt im Krankenhaus“, seine Stimme hört sich gequält an. „Sie hat Krebs, es ist die Bauchspeicheldrüse“, und nach einer Pause: „Es wurde viel zu spät entdeckt Aber auch vorher hätte man kaum etwas machen können, haben die Ärzte mir gesagt. Für eine Chemotherapie war sie viel zu schwach. Sie hat nur noch Bluttransfusionen bekommen.“ Er macht eine lange Pause, bevor er weiter spricht mit dieser zittrigen Stimme: „Es ist vorbei, niemand kann ihr mehr helfen. Sie ist im Endstadium, sie wird sterben und ich habe Angst!“

„Oh!“ Was soll ich sagen? Ich fühle mich vollkommen leer, obwohl ich doch eigentlich entsetzt und bestürzt sein müsste. Stattdessen muss ich an die Schläge denken und an die Demütigungen...

„Du solltest herkommen, Tony“, sagt mein Vater gerade, „es kann nicht mehr lange dauern ...“

Ich sehe ihn deutlich vor mir, er ist sehr attraktiv mit seinen scharfen männlichen Gesichtszügen, die für viele Frauen bestimmt anziehend waren - und es bestimmt immer noch sind.

„Ich werde sehen“, sage ich vage, ja, ich werde sehen ... Ich bin wie betäubt, kann das alles nicht realisieren und fühle im gleichen Augenblick, wie eine große Last mich überkommt. Meine Mutter liebt mich nicht, hat mich nie geliebt und wird mich auch nicht brauchen. Denn man braucht nur diejenigen, die man liebt. Also was soll ich dort?

Ich reiße mich zusammen, muss jetzt überlegen, gut überlegen .
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.. Doch nach einer Weile verstehe ich es: Mein Freund Ralf hat es mir vor Wochen gesagt, nämlich: „Komm mit Hardy ins Reine und mit deiner Mutter auch. Erst danach wirst du richtig gut und du selbst sein können.“

Ja, es muss wohl stimmen, es ist meine letzte Chance, mit meiner Mutter ins Reine zu kommen, egal, wie sie mich behandelt hat. Denn sie ist meine Mutter. Ich habe sie einmal geliebt und sie mich vielleicht auch.

„Wie ist ihr Zustand? Wie geht es ihr?“, frage ich Daddy und gebe meiner Stimme einen nüchternen Klang, obwohl ich innerlich bebe.

„Ganz schlecht! Die Ärzte geben ihr nur noch ein paar Tage. Sie hat eine Gelbsucht bekommen, es ist wohl ihre Leber, die stellt den Betrieb ein und die anderen Organe mittlerweile auch.“

„Das ist nicht gut!“ Ich bin fassungslos. Sie wird sterben, nein, das geht gar nicht! Ich muss mich jetzt zusammen reißen.

„Meinst du, sie wird sich freuen, wenn ich komme?“, frage ich zaghaft.

„Tony, bitte komm, sie spricht nur noch von dir, wenn sie denn mal wach ist ...“

„Dann werde ich wohl kommen müssen.“ Wir verabschieden uns, nachdem mein Vater mir noch die Adresse des Krankenhauses genannt hat. Dort wo meine Mutter behandelt wird - oder gerade stirbt. Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich verspreche Daddy, so bald wie möglich loszufahren. Wir wollen uns dann im Krankenhaus treffen - und falls das schief geht, dann gibt immer noch Verwandte, die einen Schlüssel zu meinem Elternhaus haben.

Ich gebe meinem Chef Bescheid, sage, dass es vielleicht länger dauern könnte. Er hat vollstes Verständnis dafür.

Und ich? Es fällt mir schwer, aber ich muss es wohl tun. Ich packe zuhause ein paar Kleidungsstücke zusammen, eine warme schwarze Jacke und gefütterte Stiefel, denn in Daarau ist es im Winter sehr kalt. Zwei schwarze Hoodies mit Kapuze, Unterwäsche, warme Socken, Pantoffeln, Cremes, Zahnbürste. Das sollte reichen. Falls nicht, kann ich mir in der Kleinstadt was kaufen. Schön, dass man sich damit ablenken kann vom eigentlichen Thema.

Hardy kommt gerade herein und sieht mich. „Was ist los, meine Süße?“ Er hat natürlich erkannt, dass bei mir einiges im Argen liegt.

„Ich muss wohl für ein paar Tage verreisen.
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Meine Mutter stirbt gerade.“ Bei diesen Worten kommen mir die Tränen. Wer hätte je gedacht, dass ich um meine Mutter Tränen vergießen würde. Sie war ja diejenige, die bei mir die Tränen versiegen ließ. Aber jetzt ist das alles egal, denn sie stirbt gerade.

„Ich kann leider nicht mitkommen“, sagt Hardy.

„Ja, ich weiß. Aber ich schaff das schon alleine. Es wird vielleicht länger dauern und du musst hier die Katzen versorgen.“ Ich lehne mich an ihn, er umarmt mich und küsst mich auf die Stirn.

„Hardy, es fällt mir schwer, ich habe sie nicht besonders geliebt, aber sie ist meine Mutter.“

„Ich werde die Katzen gut versorgen“, sagt Hardy. „Und ich warte auf dich, egal wie lang es dauern sollte.“

Hardy, mein Psy San, was sollte ich ohne dich machen? Ich schmiege mich eng ihn und fange wieder an zu weinen. Aber Hardy hält mich fest. Und er fragt auch nicht nach, warum ich meine Mutter nicht besonders geliebt habe.

Ich rufe meine Schwester an und erzähle ihr das Wichtigste, frage, ob sie mitkommen will. Sie kann nicht, oder will sie es nicht? Okay, sie hatte auch einiges von Mutter auszuhalten. Also werde ich alleine fahren müssen.

Ich gebe Hardy die Telefonnummer und die Adresse von meinen Eltern: „Ich melde mich, hoffe aber immer noch, dass es nicht so schlimm kommt.“ Ich küsse Hardy beim Abschied so lang und so innig wie noch nie zuvor. Ich habe ihn lieb, wie ich noch keinen anderen Mann lieb gehabt habe, alle anderen sind verblasste Schemen im Vergleich zu ihm.

-*-*-

Um halb fünf bin ich dann auf dem dunklen Weg in die Heimat. Die normalerweise zweistündige Fahrt nach Daarau dauert an die drei Stunden, weil ich voll in den Feierabendverkehr rassele. Und als ich endlich auf der freien Autobahn fahren kann, da behindert mich der langsame Karmann, weil ich mit dem kaum andere Autos überholen kann.

Will ich denn schnell mein Ziel erreichen? Nein, ich habe Angst davor. Ich muss an so viele Dinge denken ... An alles was Daarau für mich bedeutet, an alles, was meine Kindheit und meine Jugend ausgemacht hat.

Irgendwann und vor allem furchtsam erreiche ich die Kleinstadt, in der das Krankenhaus liegt. Ich überlege, ob ich erst zu Daddy fahren soll. Nein, besser nicht. Ich will meine Mutter ganz alleine sehen, obwohl es mir schwer fallen wird.
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Ich gebe mich im Krankenhaus als ihre Tochter zu erkennen - taste mich durch diese endlosen Korridore hindurch mit ihrem hellgrünen Anstrich, der wohl Antiseptisches vortäuschen soll. Oder Hoffnung? Und erreiche das Zimmer meiner Mutter ohne Probleme. Zu schnell. Ich hätte viel mehr an Zeit gebraucht ...

Zögernd trete ich in das Zimmer ein, ich bin auf alles gefasst. Nein, bin ich überhaupt nicht.

Es ist ein Zweibettzimmer, die andere Person ist nicht da, doch meine Mutter schon ... Sie liegt bewegungslos in ihrem schmalen Krankenhausbett an Schläuche gefesselt, Zulauf, Ablauf, gefüllte Beutel für den Zulauf, Schläuche für den Ablauf.

Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich trete still an das Bett heran und betrachte sie. Sie scheint zu schlafen, und sie sieht nicht so elend aus, wie ich es mir vorgestellt habe. Liegt es an den Medikamenten? Am Cortison, das ihr Gesicht so jung aussehen lässt, so ausgefüllt? Sah sie in ihrer Jugend so aus, als mein Vater sich in sie verliebte? Und sie ist doch gar nicht krank, sie ist doch erst fünfzig Jahre alt.

„Mama“, sage ich zaghaft. Und weiß nicht, was ich erwarte.

Meine Mutter öffnet quälend langsam ihre Augen, und die sehen so braungelb aus ... Ich bin geschockt, ich kenne das nämlich von einem Kater, der die gleichen Augen hatte. Und er ist tot.

„Mama, ich bin hier“, sage ich mühsam und nehme ihre Hand in meine.

„Das ist schön, mein Kind.“ Ihre Stimme ist kaum zu hören.

Ich überwinde mich, ich will alles vergessen, was je an Schlechtem zwischen uns passiert ist, denn sie sieht so furchtbar hilflos aus und das kann ich nicht ertragen.

„Mama, wir hatten unsere Probleme, aber du bist meine Mutter und das wirst du auch immer bleiben.“

Ganz leise füge ich hinzu: „Ich verzeihe dir. Und ich hoffe, du verzeihst mir auch.“ Ich weiß nicht, ob sie mich versteht.

Sie drückt zwar meine Hand, aber ihre Hand hat kaum Kraft. Hat sie mich verstanden? Ich habe ihr verziehen und ich hoffe, sie verzeiht mir auch. Nämlich meinen Eigensinn und meine sture Unbeugsamkeit.

„Jetzt kann ich in Ruhe sterben, mein Kind. Ich habe auf dich gewartet. Nun bist du endlich da“, sagt sie mühsam und stockend leise.
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Ich fange an zu weinen, sage: „Ach komm schon, Mama, du wirst doch jetzt nicht schlappmachen!“ Aber sie hat sich schon zur Seite gewandt. Ich fühle mich hilflos. Sollte ich eine Schwester rufen? Ich weiß nicht, was ich mit den Notrufknöpfen anfangen soll und es ist vielleicht besser so. Sie will vielleicht sterben und niemand wird sie daran hindern können.



-*-*- ERINNERUNGEN



Ich sitze an ihrem Krankenhausbett und weine immer noch.

Ich denke an die vielen Sommer, die ich als Kind in Daarau erlebte. Ich war so froh, bei meiner Oma väterlicherseits dort die Ferien verbringen zu dürfen, war so froh, meiner Mutter für ein paar Wochen nicht ausgeliefert zu sein. Vieles hat sich seitdem in Daarau verändert, aber manches gar nicht.

Daarau ist ein Dorf der Teiche. Und alle drei Teiche werden von einem Bächlein gespeist, das den unpoetischen Namen ‚Strulle’ trägt und direkt aus dem Wald kommt, das letzte Stück unterirdisch. Es sammelt sich zuerst in einem kleinen gemauerten Becken, bevor es die drei Teiche mit Wasser versorgt. Das Wasser ist so klar und gut, dass man es bedenkenlos trinken kann. Und an den wenigen heißen Tagen - davon gibt es nicht viele in Daarau - kann man die Füße wunderbar darin kühlen. Das ist okay, denn das Wasser wird schnell fortgetragen.

Wenn man in Daarau ankommt, sieht man sofort den Oberen Teich und hinter ihm das Herrenhaus, ein Relikt aus alten Zeiten. Mittlerweile leben die Barone von Daarau in Südfrankreich, und deren alter Besitz gehört nun der Gemeinde.

Hinter dem Herrenhaus gibt es einen breiten Pfad, er führt an einer Backsteinmauer entlang, von der Efeu und wilder Wein herunterranken. Man kommt an Bauerngärten vorbei, in denen Dahlien, Astern und steife Gladiolen buntsommerlich blühen – und sogar das vorherrschende Gemüse sieht prächtig aus. Ab und zu erhascht man einen Blick auf den Mittleren Teich, der mit Entengrütze bedeckt ist und auf dem Schwäne schwimmen. Dann ist der Teich zu Ende und man muss eine Brücke überqueren. Unter der Brücke fließt der Bach weiter. Ärmliche Häuser gibt auf der anderen Seite der Straße, doch ihre abenteuerlichen Anbauten machen sie viel anziehender als die reichen Bauerngehöfte im Oberen Dorf.
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Dann ist endlich der Untere Teich sehen. Er ist lang gezogen, von Weiden gesäumt, Enten und Schwäne schwimmen auf ihm. Und vor allem in der Abenddämmerung ist es dort wunderschön, Frösche quaken in die Stille hinein. Nebel legt sich langsam auf den Teich und alles sieht wie verzaubert aus. Die Weiden, die nur noch schemenhaft zu erkennen sind, setzen sich in einer geschlängelten Reihe fort, und an ihnen kann man den Lauf des Baches erkennen. Er fließt nun dem Nachbardorf entgegen.

Mein zweiter Lieblingsweg ist der in den Wald. Zuerst geht es leicht bergauf durch ein paar abgeernte Kornfelder, auf denen immer noch Klatschmohn und Kornblumen blühen, später erscheinen sporadisch Birken und Heidepflanzen, bevor es endgültig in den Nadelwald geht. Das ist mein Wald! Mein finsterer Tann und ich liebe ihn.

Es gibt mitten im Wald eine große Lichtung, eine natürliche Wiese, umsummt von allerlei Insekten. Ich klettere auf den Hochsitz am Rande dieser Lichtung, es ist eine altersschwache Kiste, und man sollte es vorsichtig tun, aber wenn man es geschafft hat und sich eine Weile still verhält, dann kommen Rehe auf die Lichtung, um dort zu äsen. Und es ist gut, so gut.

Wenn die Ferien endgültig vorbei sind und ich zurück in die Großstadt muss, mache ich einen Abendrundgang. Wie alt bin ich da? Vermutlich neun bis zwölf Jahre. Ich schlendere am Herrenhaus vorbei, biege an der kleinen Kirche ab und spaziere durch die Gemeindegärten in Richtung Wald. Und wenn ich dann endlich dort bin und mich die vollkommene Ruhe des dunklen Walds umfängt, ich auf einem Teppich von Nadeln gehe, dort wo kein Vogel mehr singt und der Himmel sich vor den Fichten versteckt, dann bin ich einfach nur glücklich.

Denn ich habe das Gefühl, dass jemand rechts neben mir geht. Ich schaue nach rechts, aber da ist nur eine Art Nebel. Könnte es ein Mann sein? Ich kann das Gesicht nicht erkennen, es verschwimmt immer, wenn ich genauer darauf schauen will. Also lasse ich es sein, ich muss doch wieder zurück in die Großstadt, muss zurück zu Mutter, die mich schlagen und dadurch demütigen wird. Aber noch habe ich Hoffnung. Diese unbestimmte Gestalt erweckt unbekannte Sehnsüchte in mir. Vielleicht ist es ein Gefühl aus der Zukunft, vielleicht ist mein Geliebter aus der Zukunft. Jedenfalls bin ich dann immer so traumhaft glücklich, dass es mir nicht mehr so schlimm vorkommt, wieder in die Stadt und zu Mutter zurückkehren zu müssen.
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-*-*-

Leider wurde nichts aus all diesen Hoffnungen und Träumen. Ich musste erbarmungslos zurück zu meiner Mutter, die mich wohl hasste. Sie machte mich für alles in ihrem Leben verantwortlich, unter anderem, dass sie seit meiner Geburt dick geworden war. Himmel, ich habe nicht darum gebeten, von ihr geboren zu sein.

Und nun sitze ich an ihrem Krankenbett und fühle mich verzweifelt. Und den unbekannten Geliebten aus meinen Kindertagträumen werde ich wohl nie kennenlernen. Quatsch, ich habe Hardy gefunden, Hardy ist der Mann, den ich so lieb habe, dass es fast schon weh tut. Und Liebe soll doch nicht weh tun.

Ich wache aus meinen Gedanken auf, denn es ist noch ein anderer Besucher ins Zimmer gekommen. Er sieht gut aus - und ich kenne ihn. Wie heißt er noch mal? Mit ihm habe ich mich unschuldig auf einer Wiese herumgewälzt, er hat mich geküsst und dann angespuckt. Er hat meinen Karmann zum Laufen gebracht, und da war auch was mit einem Fußballspiel, als ich ihm wieder begegnete. Und vor ein paar Monaten bei der Familienfeier in Daarau hat er sich zu mir gesetzt und mich angesprochen. Damals war ich allerdings furchtbar durcheinander. Ich hatte gerade erst erkannt, dass ich viel für Hardy empfand und dass ich kurz davor war, ihn für immer zu verlieren.

Und jetzt fällt es mir wieder ein: Georg, so heißt der Besucher.

„Wie geht es dir, Tony?“, fragt er mich.

„Wie soll es mir schon gehen, Georg?“, frage ich zurück und unterdrücke mühsam meine Tränen. „Ich weiß es nicht, ich glaube, sie stirbt. Und ich hoffe, es tut ihr nicht weh.“

„Das hoffen wir doch alle, Tony! Der Tod kann eine Erlösung sein, er ist unvermeidbar und das Sterben kann grausam sein. Aber die Zeit dazwischen ist unendlich kostbar.“

„Ich wusste bis eben deinen Namen nicht mehr, obwohl ich auf der Hinfahrt an dich gedacht habe. Weiß auch nicht, warum ...“

„Ja, ich Georg!“, lacht er. „Ich bin weder Märtyrer, noch edler Ritter. Ich wurde hier geboren, habe hier nicht geheiratet, habe hoffentlich keine Kinder und wurde hier auch nicht geschieden.“

Stimmt ja, bei diesem Fußballspiel hatte er seine Hände auf die Rückenlehne meines Stuhls gelegt, und ich fand es elektrisierend.
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Was hat er mir nebenbei erzählt? Genau das: Ich bin der geborene Junggeselle, im Unterschied zu vielen anderen Kerlen, die viel zu früh geheiratet haben.

Jetzt herrscht aber die Gegenwart. Trotzdem schaue ich Georg fasziniert an - für einen Dorfbewohner weiß er viel, das erstaunt mich. Aber es stimmt, die Leute heiraten hier sehr früh, es muss an der Stille und der vollkommenen Dunkelheit in der Nacht liegen, wie ich selber schon erfahren habe. Ist ja nur ein paar Wochen her, als ich in diesem Bett über der Gastwirtschaft meiner Eltern lag und an Hardy denken musste. Und dass ich mich an ihn schmiegen wollte, um ihn zu fühlen und um nicht einsam zu sein.

Aber Georg hat sich von dieser Stille und Lautlosigkeit nicht beeinflussen lassen. Knallharter Typ irgendwie.

„Du hältst dich gut, Georg! Ich weiß nicht, ob ich dieser Heiratssache widerstanden hätte, mit all dieser Dunkelheit und Stille, die treibt die Leute ja geradezu in die Heirat oder in den Wahnsinn. Was vermutlich das gleiche ist.“

Er muss lachen. „Du hast es verstanden. Aber trotzdem suche ich immer noch nach der einen, nach der einzigen ...“

„Ja, ist klar“, sage ich spöttisch - und nach einer kurzen Pause: „Aber was hast du mit meiner Mutter zu tun?“

„Ich bin mit deinem Vater eng befreundet, wir trainieren die Fußballjugend von Daarau. Und deine Mutter hat mich gemocht. Sie wollte selber einen Sohn haben, hat ihn aber nie bekommen.“

„Ach ja?“, sage ich bitter. „Mich hat sie als Tochter nie gemocht. Und deswegen bin ich so geworden, wie ich bin.“ Erschrocken höre ich auf zu sprechen. dieser Georg weiß doch gar nicht, wie ich jetzt bin oder wie ich einst war.



Zu Teil 6: - SELTSAME GESPRÄCHE -*-*- FORMALITÄTEN

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Kommentare zur Story:

  Hallo liebe Ingrid, ein sehr schönes zu Herzen
gehendes trauriges, aber auch poetisches Kapitel.
Gruß von  
   rosmarin  -  13.03.22 21:48

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Kommentar von "weltuntergang" zu "Abschied nehmen"

Schweres und schönes Gedicht. Gefällt mir sehr total. Ganz liebe Grüße

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