Kurzgeschichten · Amüsantes/Satirisches

Von:    Ingrid Alias I      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 19. Februar 2020
Bei Webstories eingestellt: 19. Februar 2020
Anzahl gesehen: 2184
Seiten: 2

Am Anfang war unser Verhältnis nicht so gut, aber jetzt hat er mich am Haken, ich erfülle ihm jeden Wunsch, ich behüte seinen Schlaf, besänftige seine Träume, ich spiele mit ihm, erfülle all seine Gelüste, und ich genieße die seltenen Zärtlichkeiten, die er mir gewährt.

Da ist aber etwas, das mich beunruhigt: Diese Verletzungen, die er sich zufügt, warum tut er das? Ich kann das nicht mit ansehen, das Blut, die Wunden, sie werden sich vielleicht entzünden ... Also habe ich einen Entschluss gefasst. Ein Psychologe muss her, auch wenn mein Geliebter das nicht will.



Das „Gespräch“ zwischen den beiden lief nicht gut, ist klar, ich hab nie richtig dran geglaubt, dass Psychologen alles richten können. Rausgeschmissenes Geld, aber was tut man nicht alles für seinen Geliebten ... Hier der Bericht des Psychologen:

________________________

Praxis Psychologie Klicker

Betrifft Behandlungsprotokoll/Herr Tigger:



Herr Tigger legte sich zögernd auf die Behandlungscouch und warf mir einen misstrauischen Blick zu.

„Ich hörte, dass Sie ziemliche Probleme haben“, sagte ich.

Herr Tigger schaute mit starrem Gesichtsausdruck aus dem Fenster und ignorierte mich einfach.

„Gut, fangen wir mit den einfacheren Sachen an. Manchmal, wenn etwas Ihren Unwillen erweckt, dann fangen Sie an zu schreien und geben Laute von sich, die erschreckend wirken.“

Herr Tigger lümmelte sich lustlos und schweigend auf meiner Behandlungscouch herum.

„Gut, ich verstehe. Also versuche ich selber Ihr Problem zu interpretieren, denn Sie haben ein Problem, ein großes Problem ...“

Herrn Tiggers bezaubernde Mundwinkel - sogar ich als Psychologe verfiel allmählich deren Schönheit, obwohl man mich davor gewarnt hatte - senkten sich missbilligend herab.

„Sie haben anscheinend ein Defizit an Liebe in der Kindheit erfahren, und deswegen suchen Sie Anerkennung und vor allem Wertschätzung. Sie mischen sich in jedes Gespräch ein und geben ihren Senf dazu, sie wollen alles haben, was ihre Mitbewohner haben. Dazu gehören zum Beispiel auch die Insulinspritzen, die jemand in ihrer Familie dringend benötigt ... Tatsächlich fühlen Sie sich immer benachteiligt und reagieren manchmal sehr seltsam darauf.
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Herr Tigger betrachtete nervös sein linkes Bein.

„Man hat mir erzählt, dass Sie Beine hassen, sogar Ihre eigenen - und dass Sie öfter versuchen, Beine von anderen Leuten zu attackieren, einfach so und ohne erkennbaren Grund.“

Herr Tigger betrachtete immer noch sein Bein, welches auf einmal verdächtig zuckte.

„Alle Leute sind irritiert deswegen, denn man weiß nicht, womit man Ihr Missfallen erregt hat.“

Herr Tigger hörte mir nicht zu, er war nur auf sein Bein fixiert, das gerade ein furchtbares Eigenleben entwickelte und ihm mitten ins Gesicht stieß und kratzte. Herr Tigger gab einen erstickten Laut von sich und stürzte sich auf dieses Bein. Ein grimmiger Kampf entbrannte, Herr Tigger und sein Bein wältzten sich zu einem Knäuel verkeilt auf meiner Couch herum, und Herr Tigger biss knurrend immer und immer wieder in das vermaledeite böse Bein!

Ich schaute fassungslos zu, so etwas hatte ich noch nie gesehen, meine Fassungslosigkeit schlug in Entsetzen um, als Herr Tigger von der Couch heruntersprang und dabei dicke Blutstropfen über meinen wunderschönen beigen Teppichboden verstreute. Das war doch alles nicht wahr!

„Mein schöner Teppich! Verschwinden Sie bloß aus meiner Praxis, Sie ... Sie blutendes Untier!“

Mit drohenden Augen blickte Herr Tigger mich an, und ich konnte mein rechtes Bein nur durch einen gewagten Sprung auf den Tisch in Sicherheit bringen.



Was ich damit zum Ausdruck bringen will ist: Wir schaffen das, ein paar Sitzungen, ein bisschen Klicker-Trainingseinheiten, und er wird sich normal verhalten. Und ich hoffe, Sie haben eine Haftpflichtversicherung, der beige Teppichboden ist ja total ruiniert!

________________________

Man kann nichts für seine Gefühle. Manchmal kommen sie einfach, und man fühlt sich hilflos deswegen. Aber was soll ich tun? Ich muss nur genug seinen Schlaf behüten, dann wird er mich eines Tages genauso lieben, wie ich ihn liebe, den verrückten Kater. Scheiß auf den Katzenpsychologen mit seinen blöden Versprechungen! Und Scheiß auch auf seinen beigen Teppich!
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Kommentare zur Story:

  Doch, Katzen-und Hundepsychologen gibt es wirklich ;-) aber das ändert nichts an meiner Trauer für den Herrn Tigger. Er war einmalig, intelligent, psychopathisch wie ein Mensch - aber viel hübscher. ;-) Ich denke jeden Tag an ihn.  
   Ingrid Alias I  -  20.02.20 15:34

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Hallo liebe Ingrid, Deine Art der
Trauerbewältigung. Ja, kann ich nachvollziehen.
Aber in Ernst- gibt es wirklich Katzenpsychologen?
Gruß von  
   rosmarin  -  20.02.20 14:05

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