Andacht Nr. 138 Die härteste und einsamste Entscheidung   191

Kurzgeschichten · Nachdenkliches

Von:    martin suevia      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 27. September 2019
Bei Webstories eingestellt: 27. September 2019
Anzahl gesehen: 2129
Seiten: 3

Andacht Nr. 138



Die härteste und einsamste Entscheidung





Ihr Lieben



Ich war kürzlich im Krankenhaus. Es gab einige Untersuchungen am Herzen und es wurde ein Stent gesetzt. Ich erlebte die ganze „Machtfülle der Medizin“ wozu sie bzw. ihre Apparaturen, verbunden mit dem entsprechenden Personal, fähig ist. Was früher für Menschen ein Todesurteil war, wird heute als Routineeingriff gewertet der vor oder nach der Mittagspause „erledigt“ wird. Bei mir im Zimmer lag ein Patient dem es ungleich schlechter ging. Drei Monate lang wurde er von einem ins andere ins dritte und schließlich ins vierte Krankenhaus verlegt. Der Auslöser seines Leidensweges waren ein Herzinfarkt und während der OP ein Schlaganfall. Als ob das nicht genug war, kam noch eine massive Lungenentzündung hinzu. Als diese Seele zu mir ins Zimmer geschoben wurde, sagte mir irgend etwas ganz deutlich, obwohl ich diesen Menschen noch nie sah, ihm nie begegnet war und nicht einmal sein Gesicht richtig anschauen konnte: Er sollte nicht hier sein, er sollte überhaupt nicht mehr „hier“ sein. Die Schwestern und Ärzte bemühten sich unendlich um ihn, zupften, stachen, wischten, klebten an ihm herum, sprachen zu ihm, stellten Fragen, forderten ihn zum Essen auf. Auch seine Frau versuchte buchstäblich alles um ihn zu einem Gespräch zu bewegen. Das Telefon bimmelte, die Enkelkinder aus Spanien waren per Skype für ihn zu sehen und wollten den geliebten Opa verständlicherweise auch aufmuntern. Der Zustand dieses Menschen war so, dass ihm jedes einzelne Wort das er sprechen sollte wie Folter vorgekommen sein musste. Es war mehr als deutlich auf seinem Gesicht zu erkennen, Eines Abends kam die Ärztin ins Zimmer gestürmt, erklärte diesem Patienten, warum aus ihrer Sicht nun eine spezielle Untersuchung notwendig wäre und bat ihn, gleich die Einverständniserklärung zu unterschreiben, „kurz auf dem Sprung“, sozusagen. „Danke das war´s, dann sehen wir uns also morgen , bitte nüchtern bleiben.“ und weg war sie. Am nächsten Morgen kam seine Frau die wohl kurz telefonisch über die Untersuchung informiert wurde. Er war im Untersuchungsraum und sie saß allein bei mir im Zimmer, erzählte, wie lange sein Leiden schon ging, (dieser Herzinfarkt war nicht der erste) und mittlerweile hatte er 8 Stents im Herzen.
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Dann fragte sie mich ob er denn mit mir geredet hätte. Ich verneinte. Ich selbst vermied es auch ihn zum Reden zu "animieren“, da ich deutlichst die Anstrengung sah und mitbekam wenn er bis zu fünf mal ein Wort wiederholen musste, bis man ihn verstand. Darauf fing sie zu weinen an und entgegnete: „Sehen sie, mit mir redet er auch nicht, wenn ich doch wüsste was er braucht, was er will, er schaut mich noch nicht mal an“, und es kam plötzlich wie ein Wasserfall aus ihr. Seine gesamte Familie war in den vergangenen zwei Jahren gestorben, im letzten Jahr seine Schwester, davor seine Eltern. Plötzlich waren wir auf „meiner Ebene“ gelandet. Ich fragte sie ob er denn noch Lebenswille habe und es entstand eine lange Pause. Sie antwortete, dass er immer wieder betone „nach Hause“ zu wollen. Sie, eine sehr warmherzige Frau die selbst in der Pflege arbeitet, fing an sehr verbittert über die Behandlungsweisen in Krankenhäusern zu sprechen, erzählte, was sie mit ihrem Mann während dieser dreimonatigen Odysee erleben musste.



Wir erleben die Machbarkeit der Medizin, die Intelligenz der Professor/innen und Ärzt/innen und wir erleben sie als einen Segen Gottes wenn wir sie brauchen und sie verfügbar ist und dennoch … wann verändert sich dieser Segen Gottes in einen Fluch Gottes? Auch bei mir wird dieser eine Stent voraussichtlich nicht das Ende der Fahnenstange sein und auch ich muss entscheiden wie ich auf zukünftige „Vorschläge“ der Mediziner antworte. Wenn ich einwillige und unterschreibe, für w e n tue ich das? Willige ich ein weil Ärzte und Professoren um mich stehen, ich sie nicht dadurch beleidigen will, dass ich ihre fachkundigen Ratschläge ablehne? Unterschreibe ich etwas, nur um Ruhe zu haben? Stimme ich zu weil ich denke, es macht eine andere Person glücklich, zufrieden? Wie ein Trichter münden all diese Fragen in den einen schmalen Ausgang: Was will letzten Endes mein wahres, mein wirkliches ICH? Habe ich (noch) Ziele, WILL ich noch Ziele haben. Was würde ich mit der gewonnenen Zeit tun, die ich durch eine vielleicht unangenehme Behandlung erhielte?

Bin ich verpflichtet alles in meiner Macht stehende zu tun um am Leben in dieser irdischen Ebene zu bleiben? Auch wenn in allen Religionen über das Sterben, den Tod und den Übergang gesprochen wird, so ist und bleibt es auch in diesen Kreisen ein Tabuthema.
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Man glaubt es wäre Gottesbeleidigung wenn man „frühzeitig“ aufhöre zu „kämpfen. Manch eine/r argumentiert, dass Gott dem Menschen die Intelligenz und letztlich auch die Möglichkeiten gab das Dasein zu verlängern, also ist man (geistlich) verpflichtet diese Gabe anzunehmen, egal zu welchem Preis.

In der Bibel findet sich hierzu eine interessante Stelle:



Offenbarung 9/6 Und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod begehren und nicht finden, und zu sterben verlangen und der Tod wird vor ihnen fliehen.



Ohne Zweifel, die Medizin ist heute im Stande gewaltiges zu leisten. Meine uneingeschränkte Bewunderung und mein Dank geht an all diese fleißigen, unermüdlichen Geister die daran arbeiten unser irdisches Gefäß so funktionsfähig wie möglich zu halten, gerade auch bei all diesem Blödsinn den wir damit anstellen ... Die wichtigste, die letzte Entscheidung liegt ab einem bestimmten Punkt während des Krankheitsverlaufs und während der Behandlung jedoch in einer jeden menschlichen Seele selbst. Ich habe den Eindruck ( ich könnte mich auch täuschen) dass hier nicht einmal der Allmächtige entscheidet sondern die Seele in der tiefsten Ebene ihres Selbst entscheidet, den Weg auf Erden fort zu führen oder im stillen einwilligt in den Ausspruch: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ – also den Weg des irdischen Sterbens (un)bewusst geht.



Ich wünsche uns allen die Kraft ohne Furcht zu entscheiden, wenn wir vor diese Frage gestellt werden: In diese oder jene Richtung?

Ich wünsche uns Freunden, Angehörigen sowie den Ärzt/innen und Pfleger/innen die Kraft die Entscheidung der Seele zu akzeptieren und ihr Zeit zu geben für die Entscheidung.



Für die kommende Woche wünsche ich euch Gottes Segen und Schutz!
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Kommentare zur Story:

  Erst einmal möchte ich dich ebenfalls sehr für diesen tollen Text loben. Ich lese eigentlich immer deine Stories mit großer Begeisterung, denn du hast nicht nur einen lockeren schönen Schreibstil du kannst auch sehr viel Gefühl in deine kleinen Predigten mit einfließen lassen und - was das Wichtigste mir zu sein scheint - du hast eine ungeheure Beobachtungsgabe. Klar, dass ein solch empfindsamer Mensch, wie du es bist, sich rasch von anderen herunter ziehen lassen kann, denen es - in diesem Fall dein Bettnachbar - noch schlechter geht als dir.
Hierbei möchte ich dir sagen: Gib nicht zu rasch auf. Mein Vater erkrankte z. B. mit zweiundsiebzig Jahren schwer an Krebs. Er ließ sich von mir überreden sich doch noch opperieren zu lassen. Er wurde achtunneunzig Jahre alt und hat viele glückliche Stunden gemeinsam mit uns erlebt. Ich könnte dir noch wesentlich mehr über ihn und auch andere erzählen, aber das würde zu lang werden. Deswegen lasse ich es bei diesem Beispiel und kann dir nur sagen, mache weiter, denn auch ohne Stent stirbt es sich vielleicht nicht so schnell weg, wie du womöglich denkst. Also entscheide gut. Bis dahin wünsche auch ich dir gute Besserung und dass du mit Schwung weitermachen kannst.
Die besten Grüße von  
   doska  -  29.09.19 17:26

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  Toll geschrieben!
Wenn die einzige Perspektive, die menschliche
Wesen noch haben, ihr Niedergang ist, dann ist
ihr Sterben ein Akt der Selbstbestimmung.

Manche Menschen müssen noch eine letzte
Erfahrung machen, bevor sie dahinscheiden: die
Erfahrung, bedingungslos geliebt zu werden.

Ich liebe das Leben und bejahe es. Momentan
genieße ich es sehr. Und eines Tages wird das -
wenn nichts dazwischen kommt - anders sein.

Dann wird das Wasser, was ich trinke, Teil des
Flusses sein, den ich überquere. Denn ich habe
vor, selbstbestimmt zu sterben.  
   Crazy Diamond  -  28.09.19 14:59

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  Lohnt es sich noch? Ja, so denken alle, wenn sie total erschöpft sind. Aber es besteht ja auch noch die Möglichkeit, dass man sich wieder erholt. Und siehe da, dann gibt es diese Frage nicht mehr! Das Leben verläuft in Wellen.
Mal geht es rauf und mal geht es runter. Ich wünsche dir jedenfalls ein langes glückliches Leben und dann solltest du auch so ein kleines bisschen an mich denken, denn deine wunderbaren Geschichten und Predigten würden mir sehr fehlen und ich glaube nicht nur mir.
Alles Liebe und gute Besserung auch deinem Zimmergenossen  
   Evi Apfel  -  28.09.19 14:27

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