Hetzjagd - Linie 27 (Überarbeitet)   256

Schauriges · Kurzgeschichten

Von:    Benjamin Reuter      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 21. Dezember 2001
Bei Webstories eingestellt: 21. Dezember 2001
Anzahl gesehen: 3417
Seiten: 5

Die Straßen waren leer, die meisten Ampeln abgschaltet, gelbes Blinklicht an fast jeder Kreuzung. Die Anzeige der Digitaluhr unter dem Tacho zeigte 3 Uhr morgens.

Markus wunderte sich, wie Kassel als tagsüber so lebhafte Stadt morgens um drei kaum mehr zu bieten hatte wie ein Friedhof. Die Frankfurter Straße, durch die er nun fuhr war menschenleer. Nur die überall an den Seiten abgestellten Autos.

Gleich würde er zuhause sein, einen Parkplatz am Gehsteig suchen, den Golf abstellen und dann nichts wie ins Bett.



Er gähnte müde. Die Halloween-Party bei Janin war vielleicht doch zuviel des Guten gewesen, obwohl es ihm gefallen hatte. Wie dem auch sei, heute könnte er sich ausschlafen. Der Golf passierte die große Krezung am Auestadion. Die Ampel zeigte grün, auf der rechten Seite von der Ludwig Mond Straße her kommend wartete ein einsames Taxi. Vielleicht hätte er das Auto auch besser bei Janin stehen gelassen, und sich eine Taxe gerufen. Wieder gähnte er mit weit offenem Mund, die Augen tränten ihm.



Hinter ihm tauchten Scheinwerfer auf, ganz plötzlich.

Sie waren aufgeblendet, ihre Lichtkegel reflektierten sich im Innenspiegel und blendete Markus ins Gesicht.



"Hey!" knurrte er ärgelich und drehte den Innenspiegel etwas zur Seite. Das innere Des Golf wurde wie von einem Flutlicht ausgeleuchtet. Grell stach der Schatten seiner Hände am Steuer auf das Armaturenbrett.



"Junge, du hast Nerven!" Markus dachte an das Taxi, das an der Kreuzung hatte warten müssen. Nun blendete der Hintermann endlich sein Fernlicht ab.



Er drehte sich um und sah plötzlich die Frontpartie eines Linienbusses durch die Heckscheibe.



Ein blauer Neoplan Niederflurbus der Kasseler Verkehrsgesellschaft.



Über der Frontscheibe prangte die grünlich leuchtende Anzeigematrix.



"27 Auestadion"



"Nanu?" schoss es ihm durch den Kopf. Das Auestadion lag doch nun schon weit hinter ihm.



Der Bus fuhr immer dichter auf. Riesig türmte sich die Bugpartie des Busses im Innenspiegel auf.



"Blödmann, hör auf zu drängeln!"



Markus trat etwas stärker aufs Gas.
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Der Bus kam immer dichter, fuhr immer näher auf das Heck des Golf auf.



Markus wurde mulmig im Bauch.



"Hey Mann, hast du deinen Führerschein im Lotto gewonnen?"



Er drehte die Musik leise.



Nun hörte er das hämmernden, rasselnden Motor des Busses von hinten, so laut das es den Motor des Golf völlig übertönte.



"Das gibt´s doch nicht, hat der Tomaten auf den Augen?"



Der Bus war innen düster beleuchtet, und anscheinend leer.

Am Steuer sah er nur einen dunklen Schatten.



Markus trat das Gaspedal bis zur Fussmatte durch.



Die Tachonadel seines Golfs zeigte 70, und der Bus schob sich noch immer immer dichter an seine Heckstoßstange heran.



Das Motorengeräusch des Busses war in ein Heulen übergegangen. Markus hörte, wie der Bus schaltete, das Heulen wieder abgeschwoll und von von der Tonlage immer kreischender wurde.



Die Tachonadel des Golfs wanderte über die 90 KmH - Marke, 110, 120.

Der Bus kam immer dichter.



"So schnell können die doch gar nicht fahren!" schoss es ihm schlagartig in den Kopf. Markus blickte wieder nach vorn. Er war schon längst am Kinderkrankenhaus Park Schönfeld vorbei, passierte nun die Eisenbahnbrücke am Bahnhof Niederzwehren.



Markus spürte plötzlich eine Angst in sich aufsteigen.



Das ging doch technisch gar nicht. Er hatte keine Ahnung von Linienbussen, nahm auch nur selten die Dienste der KVG in Anspruch. Aber eine Stimme in seinem Kopf sagte ihm, das ein Linienbus niemals 120 auf gerader Strecke schaffen würde.



Markus dachte daran auszuweichen, das Lenkrad herumzureißen.

Aber dazu war er zu schnell, und bremsen durfte er jetzt auch nicht, der Bus würde ihn zermalmen.



Vielleicht hatter er ja auch genau das vor, schoss es ihm durch den Kopf.



Die Beute hetzen und...



Warum macht er das? Was habe ich ihm getan?



"Das ist nur ein Linienbus.
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Das ist nur ein Linienbus!" schrie er plötzlich.



Vielleicht hatte er doch etwas zu viel getrunken auf der Party, vielleicht war er nur müde und sah jetzt statt weißen Mäusen blaue Linienbusse mit weißen Streifen.

Abwegig zwar, aber möglich, das ihn nur eine wahnhafte Fantasie mit beinahe 130 durch Kassel - Niederzwehren hetzte.



Und plötzlich bekam der Golf von hinten einen Stoß.

Markus spürte, wie er nach vorn geschleudert wurde, wie ihn der Gurt an der Schulter und am Hals ins Fleisch schnitt.



Das Getriebe des Busses schaltete wieder einen Gang herunter, der Bus fiel etwas an Distanz zurück.

Der Motorsound wurde zu einem mahlenden Kreischen, es überdröhnte alles. Scheinbar Schwerelos glitt der Golf nun über die Straße, alle Anstrengung galt nun dem Bus. Wieder hörte er dessen Getriebe aufschalten, und spürte schon einen leichten Stoß, hörte das Scharren von Metall auf Metall.



Verzweifelt warf Markus immer wieder einen Blick auf den Bus durch den Innenspiegel, der vollständig von dessen riesenhaft wirkender Frontscheibe ausgefült wurde.



Am Steuer saß eine schwarze Gestalt, die mit beiden Händen das Lenkrad umfasste. Die Beleuchtung im Bus war düster, bei jeder Bodenwelle wippte die Gestalt auf und ab, die Gummischlaufen an den Griffstangen baumelten hin und her.



Wieder stieß der Bus gegen den Golf.



Markus sah wieder nach vorn auf die Straße. Bogenlampen warfen mattes Licht auf den nassen Asphalt, jetzt ging die Strecke bergab, gleich würden sie die Kreuzung zur Dennhäuser Straße erreichen, wo er nach links abbiegen musste.

Wie sollte er das schaffen bei dem Tempo? Markus schien, als würde es der Bus darauf anlegen, ihn zu erwischen.



Markus drehte sich um und wartete, bis sie unter einer der Straßenlampen durchkamen, bis der Lichtschein das Gesicht des Faheres zeigte. Er wollte denjenigen sehen, der ihm das antat.



Und dann sah er im für Sekunden über die Frontscheibe huschenden Licht, das der Fahrer kein Gesicht hatte.



Ein halb verwester Schädel ragte aus dem Kragen eines zerissenen Blauen Hemds, spitze Zähne, die wie halb eingesunkende Grabsteine aus dem verfaulten Zahnfleisch ragten, die leeren Augenhöhlen, Stücke von Kopfhaut, aus der ein paar schwarze Locken empor standen, die Zimtfarbenen Knochenhände, die das Lenkrad beidseitig umkrallten, diese düsteren Augenhöhlen, fast schein es Markus, als glomm in ihnen eine rötliche Glut.
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Im selben Moment waren sie auch schon unter der Laterne hindurch, nur noch die düsteren Umrisse dieser grausigen Gestalt.



Er klatschte sich mit der rechten Hand ins Gesicht, und als der Schmerz verzogen war, spürte er wieder einen heftigen Ruck von hinten. Der Bus war noch immer da, mit dem was auch immer dort am Steuer. Trieb man einen bitterbösen Halloweenscherz mit ihm?



Doch mit jedem Stoß, den der Bus dem Golf von hinten verpasste ahnte Markus immer stärker, wie es kein Scherz sein konnte.



Verzweifelt sah er sich im Auto um, seine blicke gehetzt. Alles lief wie in Zeitlupe.



Das Handy auf dem Beifahrersitz.

Er griff es mit zitternder Hand und wählte die 110. Der letzte Funken Hoffnung.



"Mach schon, du Arsch!"

Wahlton.

Der Bus rammte wieder von hinten, Blech knirschte, er hörte wie Glas zerbarst. Die Heckscheibe zeigte immer größer werdene Sprünge.



Wahlton.

"Polizeinotruf!"



Wieder ein heftiger Stoß. Wieder klirrte Glas, der Kofferraum war aufgegangen und schnappte bei jedem Buckel in der Fahrbahndecke wie das Maul eines Krokodils auf und zu.



"Bitte helfen sie mir, bitte! Ich werde von einem Linienbus verfolgt! Hilfe! Ich fahre durch die Frankfurter Straße! Bitte helfen sie mir!" presste er ins Telefon.



Der Bus war ein Stück zurückgefallen, Markus sah im Rückspiegel wieder seine Scheinwerfer. Sie schienen förmlich zu glühen.



Die Abzweigung! Ich muss diesen, diesen Bus.... Abschütteln!

Markus riss das Lenkrad herum, der Golf rutschte mit fauchenden Rädern über den nass glänzenden Asphalt, der Heck schlingerte herum, das Handy flog ihm aus der Hand.
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Und dann hörte Maruks einen Motor brüllen , der Bus stieß mit seiner Stoßstange mit voller Wucht seitlich in das Heck des Golfs, Markus flog gegen das Lenkrad, der Gurt tat höllisch weh, dann ein lauter Knall, als der Airbag auslöste. Sein Kopf wurde hin und her gerissen, er spürte nur noch einen alle Sinne lähmdenden, dauerhaften Schmerz, der ihm fast den Schädel zu sprengen drohte.



"Hallo?" kam aus dem Mobiltelefon, da lag es auch schon neben seinem Fuß am Kupplungspedal. Unereichbar.



Der Golf rutschte unkontrollierbar mehrmals um seine eigene Achse, und schlidderte dabei von der Straße, stieß schließlich in einen geparkten BMW seitlich hinein. Die Radkappen flogen von den Felgen und rollten wie Münzen kullernd die Straße hinab.



Die Motorbremse des Linienbusses wummerte, dann kreischten die Radbremsen, der Bus rutschte mit blockierten Reifen über den nassen Asphalt, radierten eine dicke Schicht Gummi auf die Fahrbahn.



Dann stand er im Schatten zwischen zwei Laternen, ein ganzes Stück vom Unfallort entfernt, der Motor lief leise hämmernd im Standgas, die Knochenhände der Leiche legten den Hebel der Feststellbremse um, von dem Bus her war ein lautes Zischen zu vernehmen.



Der Golf hatte den geparkten BMW seitlich erfasst und ihn mit aller Wucht des Aufpralls aus der Parklücke heraus gegen die Hauswand gedrückt.



Aus der aufgerissenen, eingedellten Motorhaube stieg Dampf aus dem geborstenen Kühler, knackende Geräusche des vor Hitze stehenden Metalls.



Markus kam wieder zu sich, alles tat ihm weh, er schmeckte Blut in seinem Mund, fühlte, wie etwas warmes aus seinem linken Nasenloch tropfte, wie ihm auch etwas warmes über die rechte Wange lief. Sein Kopf ein einziger Schmerz, sein linker Arm hing ihm seltsam verdreht vom Körper ab, als gehöre er gar nicht dazu.



Er löste wie in Trance den Gurt, öffnete die Tür und fiel seitlich auf den harten Asphalt. Mit letzter Kraft bäumte er sich auf, seine Augen fixierten die roten Heckleuchten des Linienbusses weiter die Straße hinab, die grün schimmernde "27" über der Heckscheibe.
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"Ba...Ba...Bastard!" keuchte er, während sein Blut aus dem Mund auf den nassen Fahrbahnbelag herab troff.



Er hörte ein dumpfes Zischen,als die Knochenhand die Feststellbremse löste, der Motor wurde wieder lauter, der Bus fuhr ruckartig an, drehte sich einmal um 180 grad und kam wieder die Straße herauf.



Markus spürte eine lähmende Angst in sich aufsteigen. Wollte er jetzt die Sache zu Ende bringen?



"Bitte..... Bitte!" Es tat ihm beim Sprechen ungemein weh, sein ganzer Bustkorb ein einziger Schmerz.



Doch der Bus fuhr langsam an ihm vorrüber, wobei er eine stinkende Abgasfahne hinter sich her zog, Markus sah seine düster beleuchtete Heckscheibe hinter der Kuppe verschwinden, sah die grünlich schimmernde "27" in dem kleinen Anzeigefeld.



Der Bus fuhr weiter langsam den ganzen Weg zurück.



Auf der Suche nach dem nächsten Opfer.
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Punktestand der Geschichte:   256
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Kommentare zur Story:

  Ha.... da ich den 27er inzwischen ja schon kenne, fällt dieser Kritikpunkt bei mir nicht mehr ins Gewicht. Insofern habe ich es besser als meine Vorposter.
5 Punkte. Weitermachen.  
Gwenhwyfar  -  05.06.02 13:29

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  Kann mich "Wolzenburg" nur anschließen. Es fehlt eine Erklärung. Daher schreit die Story geradezu nach einer Fortsetzung. Ansonsten: Sehr spannend.  
Stefan Steinmetz  -  04.01.02 12:31

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  Langsam steigert sich die Spannung,immer schneller lesend kommt das Ende dieser Horrorgeschichte,bis hier genau mein Geschmack.
Doch was fehlt ist eine Erklärung und sei sie noch so unwahrscheinlich.
Trotzdem gebe ich noch Punkte,wenn es auch nur 3 sind.  
Wolzenburg-grubnezloW  -  31.12.01 11:48

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  Die Geschichte war recht gut!Nur hätte ich nicht so genau die Autoteile beschrieben;ansonsten gut gelungen  
Tina  -  23.12.01 16:25

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Interessante Kommentare

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Kommentar von "axel" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Toll recherchiert oder boxt du selber? Jedenfalls war das Ganze wieder sehr spannend und lebensnah. Ich staune immer wieder über deinen lebendigen Schreibstil. Ein mitreißender Roman.

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