Kurzgeschichten · Nachdenkliches

Von:    Thomas Schwarz      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 20. Oktober 2018
Bei Webstories eingestellt: 20. Oktober 2018
Anzahl gesehen: 2045
Seiten: 5

Ich hasse dich!



Du willst wissen warum ich dich hasse? – Nun gut, ich werde versuchen es dir zu erklären.

Du erinnerst dich an jenen Tag im Sommer? Wir wollten von A. nach B. wandern um deinen Freund C. zu besuchen. Als wir aufbrachen war es angenehm kühl; die Sonne hatte sich gerade über dem Horizont erhoben. Ich schlug eine Abkürzung vor die uns durch ein Feld mit Sonnenblumen führte. Hoch gewachsen in voller Blüte umgaben sie uns, ihre Köpfe beugten sich herab und lachten uns an . Du dachtest sie lachen dich aus, gerietest in Panik, hast mich angeschrien und unfähig und dumm gescholten. Wir schafften es aus dem Feld heraus, durchquerten die Wiesen und gelangten an den Waldrand.Übervoll hingen die Brombeeren an den Büschen. Ich wusste, wir kämen an diesen Sträuchern vorbei und brachte vorsorglich eine Dose mit. Du hieltest es für Platzverschwendung und überflüssig auch nur eine kleine Schüssel in den Rucksack einzupacken. „An dem Gesträuch sticht und kratzt man sich nur“, meintest du. Bald mussten wir nach links abbiegen und betraten den Wald. Die hohen Buchen mit ihrem dichten Blattwerk sowie die massigen Eichen wehrten die mittlerweile stechend heißen Sonnenstrahlen ab, spielten mit dem Licht, ließen es bis auf den Boden hinab und zwischen den Baumstämmen leuchten, dann bewegte der Wind die Baumkronen und verstreute die Strahlen. Dunkel und schattig wurde es wo ´s vorher hell und heiß war. Du starrtest auf den Weg vor uns und auch mir fiel er auf. Einer Riesenschlange gleich wand er sich, führte mal nach links um sich bald darauf zur rechten Seite zu winden, der breite schimmernde Rücken mit Lichtflecken hob und senkte sich. Die mächtige Schlange zog an einer Waldlichtung vorbei. Du warst ungehalten und murrtest weil ich dich am Arm ergriff und auf eine Bewegung hinter den Büschen aufmerksam machte. Ein kleines Füchslein beobachtete uns neugierig. Es war sich nicht sicher ob zwei Spielkameraden vor seiner Nase auftauchten oder ob sie Feinde waren. Keine Mutter, keine Brüder und Schwestern weit und breit, nur das verlassene Füchslein und wir, die auf dem braunen, breiten Schlangenrücken gingen. Du erinnerst dich an den schmalen Bach der links neben der Schlange floss, wie er von Zeit zu Zeit gluckste und die Sonnenstrahlen zurückwarf.

Wie zynisch du warst als ich vorschlug wir sollten eine Pause einlegen und unsere Füße ins Wasser tauchen.
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„Wenn du tot bist können deine Füße ewig im Wasser liegen. Wir haben ´s eilig. Es ist noch ein weiter Weg nach B.“ Warum nur verbandest du lebendiges, fließendes Wasser mit dem Tod? Ach ja, du sagtest du wolltest dich verbrennen und deine Asche in einen Fluss streuen lassen weil es praktisch, platzsparend und kostengünstig sei.

Wir stiegen vom Rücken der riesigen, braunen Schlange herab, traten aus dem dunklen Wald ins helle Sonnenlicht und gelangten in einen Park, einen Schlosspark. Ein eindrucksvolles, weites Gelände. Etwa ein Kilometer vor unseren Augen leuchtete das Schloss in der Sonne, aus rötlich, braunem Gestein erbaut um 1785, niedergebrannt und wieder errichtet mit verspielten Türmchen und Zinnen. Das lieblichste jedoch - es nahm mein Herz und die Augen sofort gefangen - war ein kleines chinesisches Teehaus, zur linken Seite, das anmutig und doch bescheiden, ja schüchtern, dem Schloss gegenüber auf einer Anhöhe stand. Die Herrscher von damals wussten es sich gut gehen zu lassen. Ein grün – weißer Rundbau aus Holz und Glas, verschnörkelt, mit einer verspielten Treppe. Zwei Pfaue, stolz, würdevoll und gelassen schritten im Gras umher. Es sind herrliche Geschöpfe. Allein ihr Anblick, ihre Gegenwart sorgen für Schönheit und Eleganz, Bewunderung und stillen Neid.

Wir wurden versetzt in eine andere Zeit, eine andere Welt. „Kann man hier denn nicht abkürzen“, fragtest du, „wir müssen heute noch nach B. kommen, C wartet schließlich.“ Du verscheuchtest die Pfaue, stampftest durch ´s Gras um schnellstmöglich auf der anderen Seite des Parkgeländes anzukommen. Dort führte eine breite Straße mit Gehwegen nach B. Keine Bäume am Straßenrand; aus Sicherheitsgründen entfernt, wie es hieß. Die kahle, graue, Straße durchschnitt die Landschaft und führte rasch, ohne Verzögerung direkt nach. B. hinein.

Du warst gereizt als wir klingelten und es ein wenig dauerte bis sich die Türe öffnete. Eine ältere Frau im weißen Arbeitskittel empfing uns. Es war die Haushälterin deines Freundes. Du ergriffst nicht ihre entgegen gestreckte Hand zum Gruß, nicktest nur stumm und stürmtest an ihr vorbei in die Wohnung hinein als wären wir zwei Kriminalbeamte mit einem Vollstreckungsbescheid um einen Gesetzesbrecher gefangen zu nehmen.
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Ohne zu klopfen betratest du das Schlafzimmer von C.

Dort lag er, im Bett. Schwach, hilflos, verstört. Erschrocken vom Gepolter deiner klobigen Schuhe bäumte er sich auf als erwarte er seinen Henker. „Wer ist ´s?“, rief er schwach. „Wer wohl“, raunztest du. Ein Lächeln erhellte sein Gesicht, doch lag kein Glanz in seinen Augen. Obwohl du direkt vor ihm standest, blickte dein Freund an dir vorbei auf mich. Verlegen stand ich im Türrahmen und kam mir vor wie ein Eindringling. Sein toter Blick durchbohrte mich. „Ist außer uns noch jemand im Zimmer“, fragte er und jetzt sah ich es, Dein Freund war blind. Ich wollte mich vorstellen doch du kamst mir zuvor: „Ein Bekannter hat mich begleitet. Wir waren den ganzen Tag unterwegs um hierher zu kommen in dieses trostlose Kaff.“ „Ihr seid den ganzen Tag unterwegs gewesen?“, fragte C. Erwartung und Neugier lagen in seiner Stimme. Erzähl, erzähl!“, forderte er dich erregt auf, „was habt ihr erlebt und gesehen, es war ja doch ein weiter Weg und das alles um mich zu besuchen, deinen alten, blinden Freund. Lass mich hören“, forderte er dich auf, ungeduldig, wie ein Kind. „Erlebt?“, poltertest du, „nichts haben wir erlebt, gar nichts. Gelaufen sind wir, einfach nur gelaufen, was sollen wir auch erlebt haben auf dem Weg hierher. Es gibt ja nichts zwischen A. und B. Du weißt es doch. Wieso fragst du?“ Eine harte, eine kalte, eine peinliche Stille füllte den Raum in dem der gemaßregelte Blinde lag. Die Haushälterin zupfte mich am Ärmel und bedeutete mir dass ich mich im Badezimmer frisch machen könne von der langen Wanderung. In der Küche hatte sie Most, Brot, Käse und Wurst für uns aufgetischt, die liebe Frau. Ich ging also ins Bad, wusch mir Tränen und Staub vom Gesicht, reinigte die Hände, ging anschließend in die Küche und ließ euch beide allein.

Der Most schmeckte süß und hinterließ einen bitteren Geschmack im Mund weswegen ich dankbar war für die Wurst und das deftige Brot. Während ich aß, hörte ich euch zu. Die Wanderung war eine reine Strapaze für dich. Kein halbwegs vernünftiger Mensch täte sich solch eine Dummheit an wenn es doch Busse und Bahnen gab.
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In Wahrheit wolltest du mir eine Freude machen, dem Träumer, dem Fantasten, dem Sonderling, untauglich zum Leben. Dein Geschenk für C hattest du zu Hause vergessen. Deswegen wärst du mit leeren Händen gekommen.

Du kamst zu mir in die Küche, setztest dich und nahmst von dem Most, dem Brot und der Wurst, schautest an mir vorbei auf die Uhr die an der Wand über mir tickte. Ich stand auf, ging in Cs Zimmer und setzte mich an sein Bett. Still lag er da, ergeben, schweigend. Die toten Augen starrten hoch zur Decke, an die gegenüberliegende Wand und schließlich drehte sich der bleiche, kahle, schmale Kopf urverwandt zu mir. „Es ist jemand im Zimmer“, bemerkte C leise. Ich stellte mich vor und nannte meinen Namen. „Es tut mir leid, dass ihr beide meinetwegen diese Strapazen auf euch nahmt, Ihr könntet wirklich mit dem Zug zurückfahren. Nehmen sie einmal meinen Geldbeutel aus dem Nachttisch. Er müsste in der Schublade sein.“ „Oh nein“, wehrte ich entschieden ab, „ich gehe gern den gleichen Weg zurück. Vielleicht sitzt das kleine Füchslein noch hinter dem Busch.“

„Einen Fuchs habt ihr gesehen“?, rief dein Freund überrascht und Leben huschte ihm über ´s Gesicht und es war als streifte es auch seine Augen für einen Moment. „Ja, und mit etwas Glück sehe ich noch einmal die zwei Pfaue im Schlosspark.“ Nun lächelte C. Er war offensichtlich berührt. „Erzählen sie mir bitte davon. Bestimmt habt ihr etwas erlebt auf dem Weg hierher.“ Er setzte sich auf. „Erzählen sie mir von den Pfauen.“ Das tat ich und ich erzählte nicht nur von den Pfauen, auch von der riesigen, braunen Schlange, auf deren Rücken wir den Wald durchquerten und auch die übervollen Brombeerbüsche erwähnte ich. „Wie gern hätte ich welche gegessen“, seufzte dein C und lachte gleich darauf verschmitzt. Ich kramte in meinem Rucksack, holte die Schüssel mit den Beeren hervor und reichte sie ihm. „Sie müssen mich nicht bedauern“, sagte er als würde er meinen Blick auf seinem Gesicht bemerken, „ich weiß wie Pfaue aussehen, auch Füchse habe ich gesehen und das Schloss, an dem ihr vorbei gekommen seid, dort habe ich die Gemälde an den Wänden des Speisesaales restauriert, damals vor etwas mehr als zehn Jahren, bevor das mit den Augen los ging ...“



Die Augen deines Freundes sind tot.
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Er liegt in Finsternis, tagaus, tagein.

Deine Augen waren lebendig. Du hattest die Möglichkeit, ihm ein überaus wertvolles Geschenk mitzubringen. Du hattest es doch bei dir.



Und darum hasse ich dich. Dafür, dass du deinem Freund das Geschenk verweigertest welches du dabei hattest.

Und jetzt ... verflucht seist du!

Du sollst nie wieder in einem Sonnenblumenfeld stehen, die Brombeerbüsche an denen du vorbei kommst sollen dir Dornen ins Fleisch treiben und dir ihre Früchte verweigern. Nie wieder sollst du irgendwelche Früchte sammeln Du sollst auf grauem, seelenlosen Beton gehen bis zum Ende deiner Tage, deine Asche soll in einem vertrockneten Flussbett ausgestreut und von welken, vertrockneten, toten Blättern bedeckt sein und die Sonne, den Wind und den Regen sollst du nicht wieder auf deiner Haut spüren und den Himmel sollst du nicht mehr schauen, auch nicht die grauen, schweren Wolken die Regen und Schnee über ´s Land treiben sollen deine Augen nicht mehr sehen, denn du bist ihrer nicht wert, ganz zu schweigen von den Tieren des Waldes, des Feldes und des Himmels.

Dein Freund kann nicht sehen, du aber willst nicht sehen und achtest gering was vor deinen Augen ist.



Abgesehen davon vergebe ich dir, dass du mich für einen Träumer, einen Fantasten, einen Sonderling, einen dummen Menschen und untauglich zum Leben hältst.







Ende
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Hallo, sehr schöne, wahre Gedankengänge! 5 Punkte von mir. lg Sabine

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