Mission Titanic - Kapitel 2   347

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Francis Dille      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 22. Juli 2018
Bei Webstories eingestellt: 22. Juli 2018
Anzahl gesehen: 2299
Seiten: 17

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit: Die Verfügbarkeit ist eine Angabe die nur im Prologteil der Reihe zur Verfügung steht.

Diese Story wurde zwar als Teil einer Reihe definiert, eine entsprechende Prologangabe fehlt allerdings noch.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Kapitel 2 – Die letzte Nacht



Queenstown, 10. April 1912. Am selben Abend



Es war eine frostige Nacht. Ike hatte sich seine Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen, den Kragen seines Überziehers hochgestellt und marschierte mit strammen Schritten durch die dunklen Gassen. Immer wieder rieb er sich seine Hände und hauchte sie an, wobei Atemhauch sichtbar aus seinem Mund herausdrang. Hoch oben am Himmelszelt leuchteten die Sterne, sowie der Halbmond, glasklar. Ike hatte in einer Pension ein kleines Zimmer gemietet und gedachte, noch eine Kleinigkeit zu trinken, bevor er schlafen gehen wollte. Dies tat er jeden Abend, wenn er nach seiner Durchreise in einem Städtchen angekommen war und eine geeignete Unterkunft gefunden hatte.

Morgen Mittag wäre sein großer Tag, dann hätte er das erste Ziel erreicht und würde an Bord der Titanic gehen, um sich seinen Beamer von William Murdoch wiederzubeschaffen. Aber ob der Erste Schiffsoffizier der R.M.S. Titanic seinen Transmitter auch tatsächlich besaß, vermutete Ike lediglich. Falls er sich irren sollte, beabsichtigte er zu kapitulieren und sich dem UE-Geheimdienst zu stellen, denn dann wäre Eloise ohnehin verloren.

Die Segelboote, die an der Hafenmole befestigt waren, lagen völlig ruhig im Wasser. Der Sichelmond spiegelte sich klar und deutlich auf dem schwarz schimmernden Element wider.

Zeitgleich hatte die Titanic in Cherbourg abgelegt und befand sich nun auf dem Seeweg nach Irland. Die Passagiere hatten bereits zu Abend gegessen und einige unternahmen auf dem Bootsdeck noch einen letzten Spaziergang, bevor sie zu Bett gingen. Nur die hohen Herren hockten im Rauchersalon, genehmigten sich einen letzten Drink und eine Zigarre und philosophierten über Politik, Aktiengeschäfte und anderweitige Kapitalanlagen, während ihre Damen noch im Speisesaal saßen und untereinander den neusten Klatsch und Tratsch austauschten. Im Hintergrund hörten sie dezent das Orchester spielen.



Ike blickte zu einer Straßenlaterne hinauf und beobachtete während er lief, wie einige Nachtfalter um die hell erleuchtete Lampe schwirrten. Es hatte ihn seit seiner Ankunft in der vergangenen Welt immer wieder fasziniert, wie lebhaft die Natur doch eigentlich war, und das zur jeder Jahreszeit. Ganz anders als in seiner Zeitepoche, in United Europe.
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Außerhalb der 545 hermetisch abgeriegelten Kuppelstädten herrschten tagsüber sowie nachts unerträgliche Temperaturen. Nachts war es so kalt wie in der Eiszeit und am Tage, je nach Jahreszeit, war es oftmals dermaßen heiß, dass selbst die Ozeane über die Jahrhunderte verdampft waren. Außerdem wüteten stets gefährliche Wirbelstürme über die verwüsteten Länder. Die Erdatmosphäre hatte sich in den letzten Jahrhunderten rasch ausgedehnt, nachdem verheerende Kometeneinschläge die Erde heimgesucht hatten. Zudem waren die Kontinente zuvor durch den Atomkrieg radioaktiv verseucht. Muttererde war seit dem Ende des 21. Jahrhundert ein lebensfeindlicher Planet geworden, dort nicht einmal eine einzige Kakerlake überleben könnte.

Dies war seine letzte Nacht in Irland, dort er drei Jahre gemeinsam mit Eloise glücklich gelebt hatte. Falls es ihm tatsächlich gelingen sollte, seine Ehefrau vor dem Tod zu bewahren, müsste Eloise allerdings zukünftig das große Opfer hinnehmen, dass sie ihre Familie sowie ihre Freunde niemals wiedersehen wird. Nie wieder! Schließlich war sie offiziell tot und wurde längst beerdigt. Jeder der Eloise gekannt hatte wusste nun, dass sie nicht mehr lebte.

Das Hafenstädtchen Queenstown schien wie ausgestorben zu sein. Niemand hielt sich zu dieser späten Abendstunde draußen auf und man sah nur vereinzelte Lichter aus den Häusern scheinen. Allein ein einziger Nachtwächter war Ike begegnet, der die Gassen abklapperte und die Lichter der Straßenlaternen löschte.



Zielstrebig und etwas durchfroren marschierte Ike einer Hafentaverne entgegen, dessen Lichter aus den Fenstern noch leuchteten und fröhliche Gesänge bis auf die Straße zu hören waren. Er schaute wortlos hinauf auf das ovale Schild des Wirtshauses, darauf mit einem geschnörkelten Schriftzug „Old Fishbone“ geschrieben stand.

Die Wanduhr in der Taverne gongte gerade dreimal hintereinander – es war genau 21.45 Uhr – als Ike die Tür öffnete und eintrat. Die Luft war aufgrund des übermäßigen Zigarettenrauches stickig, der Qualm lag wie ein seichter Nebel im hell beleuchteten Saal und es war laut, dafür war es aber angenehm warm in der Stube. Die Holzöfen brannten auf Hochtouren.

Ike begrüßte die Herrschaften nur mit einem Nicken, wobei er sich anstaltshalber an seine Schirmmütze fasste.
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Nur wenige Männer, die ihn bemerkt hatten, erwiderten seinen freundlichen Gruß. Trotzdem wirkte Ike eher mürrisch anstand freundlich, er lächelte nicht einmal. Vorsichtig zwängte er sich durch die umherstehenden Leute und setzte sich am Tresen auf einen Barhocker, nachdem er seinen Überzieher und seine Schirmmütze abgelegt hatte. Er betrachtete sich im Spiegel des Getränkeregals, fuhr mit seiner Hand durch sein dunkles Haar und richtete seinen Scheitel. Dabei bemerkte er verwundert, dass etliche schwarz/weiße Fotografien von nackten Männern über allen Whiskeyflaschen hingen. Darauf war zu sehen, dass sie lediglich einen Bowler oder eine Schirmmütze trugen und dabei ihren Daumen im Mund hielten.

Der zwölfjährige Sohn des Kneipenbesitzers zwängte sich mit einem Tablett, darauf etliche überschäumende Biergläser platziert waren, vorsichtig durch die feiernden Gäste. Man sah es ihm an, dass ihn diese Arbeit anwiderte, zudem machte er einen ängstlichen Eindruck. Falls ihm ein Betrunkener das Tablett umstoßen würde, würde ihm eine mächtige Tracht Prügel von seinem strengen Vater bevorstehen. Als der Junge sich wieder hinter die Theke versteckte, sich hinhockte und die Arme um seine Beine schlang, nur noch vor sich hinstarrte, sprach Ike ihn an.

„Sag mal Junge, was haben all diese Fotos zu bedeuten? Wieso werden hier nackte Männer fotografiert?“ Er wankte mit dem Kopf und schmunzelte. „Wo in Gottes Namen bin ich hier nur gelandet?“

„Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Mister“, antwortete der Junge mit seiner kindlichen Stimme ernst, wobei er ihn traurig anschaute. „Verschwinden Sie ganz schnell von hier, wenn Sie nicht der nächste sein wollen, der so fotografiert wird. Die Leute hier können ganz schön gemein werden, sobald sie was getrunken haben.“



Ein bärtiger Mann tänzelte auf einem Tisch und spielte dabei enthusiastisch mit einer Ziehharmonika. Neben ihm stand ein schmächtiger Kerl, unterstützte die flotte Musik mit einer Violine und die Gäste sangen ein irisches Volkslied, wobei sie im Takt klatschten. Es wurde krakeelt und laut gelacht, weil drei Landsleute völlig betrunken im Kreis tanzten.
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Es war zwar bloß ein gewöhnlicher Mittwochabend im Jahre 1912, trotzdem herrschte in dieser Hafenkneipe ein Stimmung, als würden sie gerade Silvester feiern.

Der Mann mit der Ziehharmonika hörte plötzlich abrupt mit dem Spielen auf, sowie auch die Violine. Er zeigte mit dem Finger auf die feiernden Trunkenbolde und rief mit kräftiger Stimme in die Menge: „Feuer, Futt und Funken!“ Und die Meute antwortete ihm zugleich brüllend zurück: „Jetzt wird noch ein Bier und ein Schnaps getrunken!“ Daraufhin schallte grölendes Gelächter.

Ike bestellte sich ein Guinness und ein Glas Whiskey, diesen „Kurzen“ er sogleich abkippte, bevor er sein Bier zügig hinunterschluckte. Die letzte Etappe seiner Flucht durch das Land hatte ihn ziemlich durstig gemacht, zudem war er nun erleichtert, dass er sein Ziel, ohne von der Sicherheitszentrale dabei bemerkt zu werden, erreicht hatte. Dann bestellte er sich sogleich dieselbe Kombination noch einmal.

„Kannst du auch bezahlen, Fremder?“, fragte ihn daraufhin der Wirt in gälischer Sprache misstrauisch, wobei er ihn scharf anblickte. „Leute die ich nicht kenne, lass ich nämlich nicht anschreiben.“

Im Süden Irlands war die englische Sprache nicht sehr geläufig, aber Eloise hatte ihm etwas von der keltischen Sprache beigebracht, sodass sich Ike einigermaßen verständigen konnte. Er sah den Schankwart ausdruckslos an, griff in seine Hosentasche und hielt ihm wortlos ein beachtliches Bündel Geldscheine vor die Nase. Es waren englische Pfundnoten, daraufhin der Schankwirt nickte. Er stellte ihm dann ein weiteres frisch gezapftes Guinness auf den Tresen, das schämend überlief, und eine ungeöffnete Whiskeyflasche, nur für ihn alleine. Jetzt lächelte der Wirt.

„Lass mich raten, Kumpel. Du fährst morgen Mittag mit der Titanic und sagst dem verfluchten Irland Lebewohl. Würde ich auch machen, wenn ich diesen gottverdammten Laden hier nicht schmeißen müsste“, sagte er mit seiner knurrigen Stimme und zwinkerte ihm freundlich zu.

Ike sah ihm einen Augenblick ernst in die Augen, denn er mochte es nicht, wenn man seine Absichten erkannte. Dann grinste er, schüttelte kurz mit dem Kopf und antwortete: „Nein, Sir, falsch geraten. Ich verbringe hier nur meinen Urlaub und sehe mir morgen gemeinsam mit Kind und Kegel die wunderschöne Gegend an.
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“ Er griff in die Innentasche seiner Oberweste und holte eine Fotografie hervor.

Es war wiedermal dieselbe, mittlerweile etwas verblasste Sepiafotografie, die er sich jeden Abend ansah, wenn er in einer Kneipe gestrandet war, worauf er und Eloise vor einem Zirkuszelt zu sehen waren, damals 1909 in Belfast auf dem Frühlingsmarkt. An diesem Tag hatten sie sich gerade erst kennengelernt. Beide lachten glücklich in die Kamera und die Schäferhündin Laika, die damals noch ein Welpe war, hockte hechelnd mit ausgestreckter Zunge zwischen ihren Beinen. An ihrem Halsband war ein Luftballon geknüpft darauf scherzhaft geschrieben stand: Just married.

Während Ike sein altes Foto betrachtete, huschte ein kurzes Lächeln über seinen Mund. Als der Wirt bemerkte, dass der Fremde scheinbar keine Unterhaltung erwünschte, er sogar ein Ausländer zu sein schien, obendrein war er offenbar ein unbescholtener Familienvater, verzog er seine Mundwinkel und wandte sich seinen Stammgästen am Tresen wieder zu, mit denen er um die nächste Schnapsrunde würfelte. Solche Typen wie er brachten in der Regel kaum Umsatz und hatten hier eigentlich gar nichts zu suchen. Aber Hauptsache war, dass der fremde Kerl seine Zeche bezahlen konnte, dachte sich der Schankwirt. Dann packte er seinen Sohn am Schopf, zog ihn grob aus seiner Ecke heraus und trat ihm mächtig in den Hintern.

„Du sollst dich hier nicht ausruhen, sondern arbeiten!“, herrschte er seinen verschüchterten Sohn an. „Geh gefälligst zum Stammtisch rüber und frag nach, wer noch was zum Saufen haben will. Sag ihnen einfach, dass ich bald die Last Order ausrufe, dann werden die Vollidioten auch reichlich bestellen!“



Während Ike in Erinnerungen schwelgte und an seine verstorbene Eloise dachte, wurde er jäh aus seinen Gedanken gerissen.

„Hey du, dich kenne ich doch!“, rief jemand plötzlich aus der grölenden Meute hervor. Als Ike jedoch nicht reagierte – so gut war sein Gälisch nun auch wieder nicht –, führte der Mann mit dem abgegriffenen Zylinderhut sein Erstaunen in englischer Sprache fort.

„Ja, da laust mich doch der Affe. Sieh mal einer an, wen wir da haben. Hey du, Holländer, dich habe ich gemeint!“, blökte er rum.

Nun blickte Ike ihn kurz an, zuckte aber nur mit der Schulter und schaute wieder auf seine Fotografie.
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Wieder schallte ein tosendes Gelächter, weil die drei besoffenen Tanzbären ihr Gleichgewicht verloren hatten und nacheinander auf vollbesetzte Tische gestürzt waren, wobei sämtliche Biergläser umgestoßen wurden. Daraufhin eilte der Knabe mit einem Tablett zwischen den Saufbolden umher, die sich mit ihren schielenden Blicken langsam wieder aufrappelten, und sammelte hastig die Glasscherben auf.

Der Mann mit dem abgewetzten Zylinderhut ließ allerdings nicht locker. Er war sich ganz sicher, dass er Ike kennen würde und trat vorsichtig auf ihn zu.

„Freilich, du bist es! Du bist dieser Bastard van Broek, mein alter Vorarbeiter von Harland & Wolff! Mensch Leute, ich verrate euch mal was! Das ist der verfluchte Holländer aus Belfast, den jeder in ganz Irland fürchtet!“, brüllte er rum.

Plötzlich hörte der Bärtige mit der Ziehharmonika und der Schmächtige mit der Violine zu spielen auf, genauso abrupt verstummte das laute Gelächter, und jeder fragte sich erstaunt: Was hat Orson soeben behauptet? Der Holländer aus Belfast ist hier unter uns?

Der berüchtigte Ruf des Holländers war mittlerweile sogar bis in den tiefen Süden von Irland angelangt, und die Leute glaubten, dass Ike, genauso wie der gefürchtete Bob McMurphey und Bugsy, diese beiden Männer aber längst unter der Erde lagen, ein gewalttätiger Schläger und Verbrecher wäre. Nun herrschte eine Mucksmäuschenstille in der Kneipe und jeder blickte Ike an, wartend darauf, dass er irgendetwas sagen würde. Ike jedoch blieb einfach auf seinem Barhocker sitzen, nippte an der Whiskeyflasche, hielt sein Foto in der Hand und tat so, als hätte man ihn gar nicht gemeint.

„Jetzt habe ich es bis in den Süden ohne Aufsehen geschafft und jetzt, am Ziel angekommen, stinkt es gewaltig nach Ärger“, murmelte Ike verdrossen vor sich hin. „Verdomme aber auch.“

Jedoch durfte sich Ike keinerlei Ärger einhandeln, ansonsten könnte die Gefahr bestehen, dass die Sicherheitszentrale anhand des Satelliten eine Unruhe bemerken und möglicherweise so seinen Aufenthaltsort lokalisieren könnte. Der Mann mit dem abgewetzten Zylinderhut lächelte unheilvoll und trat mutig noch näher an ihn heran.
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„Hey du, Holländer … van Broek! Rede gefälligst mit mir!“, forderte er ihn erneut lautstark auf.

„Was? Der soll dieser Holländer sein, der mit Bob McMurphey jede Kneipe in Belfast unsicher gemacht hatte?“, fragte ein äußerst kräftiger und ziemlich großer Kerl stutzig. „Das glaube ich nicht. Du selbst hast rumerzählt, der Holländer sei zwei Meter groß und hat Hände, kräftig wie zwei Löwenpranken. Der Holländer kann mit seiner Hand sogar den Kopf eines Mannes zerquetschen, hast du behauptet. Und es wird erzählt, dass er Bugsy, der Bandenchef von den Dark Crows aus Belfast umgelegt hätte. Dieser Bursche aber ist doch bloß ein Hübscher, zwar mit ein paar beachtlichen Muckis, aber die Schönlinge sind doch allesamt nur Feiglinge.“

Ein Gemurmel raunte durch die Kneipe. Aber der Kräftige blieb auf seinem Stuhl hocken und wankte grinsend mit dem Kopf. „Ich kann und will es nicht glauben, dass dieser hübsche Schönling der berühmt berüchtigte Holländer sein soll, der alles kurz und klein schlagen kann. Schaut ihn euch doch an, Männer. Der hat doch Angst, sein weißes Hemdchen und sein schniekes Oberwestchen schmutzig zu machen.“

Daraufhin schallte ein lautes Gelächter. Wenn der Chef des Stammtisches eine Bemerkung machte, war es ratsam ihm zuzustimmen und mitzulachen, falls man zu der Kneipen-Hierarchie weiterhin dazu gehören wollte.

„Sei auf der Hut, Conner, der Holländer kann sogar Kung Fu, sage ich dir!“, warnte Orson mit erhobenem Finger. „Ich selbst habe es gesehen!“

„Ach ja, Kung Fu? Wie ein Schlitzauge kämpft der also? Tja, meine Kampfart heißt Bum-Bäng. Wenn ich will, hau ich ihm eins auf den Rüssel, dann macht der nämlich gar nichts mehr“, erwiderte Conner lächelnd. „Dieser Schönling ist nie und nimmer der Holländer“, fuhr der kahlköpfige Kraftprotz mit dem buschigen Walrossbart fort. „Der sieht doch gar nicht wie ein Käsefresser aus, sondern eher wie ein schnöseliger Engländer oder wie ein gottverdammter Kraut. Leute, ich wette mit euch, dass der Schönling bloß ein Kaiser Wilhelm ist. Mehr nicht. Hat er sich hierher etwa verlaufen, der feine hübsche Wilhelm? Oder ist er in der Tat dieser miese Holländer, dessen Furz nach abgestandenen Gouda stinkt und unser Land in Schrecken versetzt?“, fragte er spöttisch.
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Nach dieser Bemerkung rappelte die Bude endgültig. Minutenlang lachten und johlten über dreißig trinkfreudige Iren, und sie machten sich lautstark über Ike lustig. Conner setzte sein Bierglas an, schluckte es in einem Zug hinunter und wischte sich mit dem Arm den Schaum aus seinem Walrossbart.

Ike blieb auf dem Barhocker sitzen und starrte finster vor sich hin. Zwar fühlte er sich peinlich vorgeführt und sein Gemüt brodelte innerlich, aber er wusste ganz genau, dass er gegen so viele starke Männer alleine nichts ausrichten konnte, trotz dass er einige Kampfsportarten beherrschte. Es war ihm bewusst geworden, dass er wie eine lebensmüde Maus direkt in eine Löwenhöhle spaziert war, die nun für die Herrschaften tanzen sollte, falls sie nicht gefressen werden wollte. Es war ihm außerdem klar geworden, dass es ungewiss war, ob er ungeschoren wieder aus der Hafenkneipe herausgelangen würde. Also versuchte er die Gunst der Menge zu erlangen – wie damals im Nelson`s Pub –, drehte sich dem Kneipenmob entgegen und blickte auf über sechzig Augen, die ihn angriffslustig anstarrten.

Ike hielt seine Whiskeyflasche in die Höhe und rief eine Lokalrunde aus. Jeder durfte sich einen Schluck aus seiner Flasche genehmigen, woraufhin die nebenstehenden Männer ihm sofort gierig ihre Gläser entgegen hielten.

„Halt, stopp!“, brüllte daraufhin Orson, der Mann mit dem abgewetzten Zylinderhut. „Ich schwöre es euch, Männer, er ist dieser gottverdammte Holländer! Niemand wird etwas von ihm annehmen! Ich verlange hier und jetzt Gerechtigkeit!“

Der kahlköpfige Kräftige mit dem Walrossbart zog seine buschigen Augenbrauen zusammen und starrte Orson ernst an.

„Du behauptest also immer noch, dass dieser hübsche Bursche der berühmte Holländer ist? Nach seinem Ruf zufolge hatte ich ihn mir aber etwas größer, und vor allem etwas älter vorgestellt.“

„Oh doch, Leute, ich schwöre es euch! Er ist dieser Scheißkerl! Na los, schau mich an, Holländer, van Broek. Sicher erkennst du mich wieder. Mein Name ist Orson Bradbury. Ich bin ein Schreinergeselle und hatte vor zwei Jahren bei Harland & Wolff in deinem Team gearbeitet.
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Ich hatte mein Haus und Hof verkauft und war mit meiner Familie nach Belfast gezogen, um dort sesshaft zu werden, weil mir der Bau von drei Ozeanlinern einen Arbeitsplatz gesichert hätte. Aber du Mistkerl hattest mich nach fünf Monaten wieder rausgeschmissen, nur weil ich ein Protestant bin, du Katholiken-Sau! Deinetwegen bin ich jetzt arbeitslos und bankrott obendrein!“, schnauzte er.

Nach dieser Aussage erhoben sich alle Männer und blickten Ike gefährlich an. Jetzt hatte der Spaß aufgehört. Nur der kräftige Chef des Stammtisches war sitzengeblieben, grinste und starrte Ike unentwegt an. Man sah es dem kahlköpfigen Kneipenboss an, dass er die Eskalation regelrecht genoss. Conner war ein furchterregender Mann, der bisher sogar jeden Kirmesboxer in der Gegend umgenietet hatte. Vor diesen gefährlichen Kerl hatten selbst die heimischen Polizisten Respekt.

In Nordirland herrschten zurzeit gefährliche Unruhen zwischen Protestanten und Katholiken – ein sogenannter Home Rule Bill –, insbesondre in der Provinz Ulster, dort wo Ike mit Eloise gelebt hatte. England beanspruchte Nordirland für sich, einige der Bevölkerung stimmte dafür, andere dagegen verlangten ein unabhängiges, vereintes Irland. Die Katholiken und Protestanten vertraten unterschiedliche, unüberwindbare Meinungen und führten im Norden diesen Disput nun in blutigen Straßenkämpfen fort. Es schien im Jahre 1912, dass sich mitten in Belfast ein Bürgerkrieg entfachen würde. Ike war am diesen Abend ausgerechnet arglos in eine Taverne spaziert, die ausschließlich von Protestanten besucht wurde. Ein böser Fehler also, weil der berühmt berüchtigte Holländer als ein Katholik bekannt war.



Ike steckte das Foto in die Innentasche seiner Oberweste, blickte den Mann mit dem Zylinderhut gelangweilt an und musterte ihn. Dann nickte er zögerlich und genehmigte sich noch einen Schluck aus seiner Whiskeyflasche.

„Jetzt erinnere ich mich an dich, Bradbury. Aber ich muss da was klarstellen, Freundchen. Ich hatte dir damals nicht aufgrund deiner Konfession gekündigt, denn die Schiffswerft Harland & Wolff ist diesbezüglich neutral. Ich hatte dich rausgeschmissen, weil du ein fauler Sack warst und nichts getaugt hattest … Deswegen“, antwortete Ike mit einem ernsten Gesichtsausdruck. „Du bist dreimal unentschuldigt nicht zur Arbeit gekommen, außerdem hattest du mangelhaft gearbeitet.
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Zudem warst du zur Nachtschicht generell betrunken erschienen. Ich war mit dir nicht zufrieden gewesen, nur deshalb hatte ich dich rausgeworfen. Deine momentane Situation hast du dir demnach selbst zuzuschreiben. Außerdem, so schlecht wie du behauptest, scheint es dir ja nicht zu ergehen, wenn du dir mitten in der Woche einen Kneipenbesuch leisten kannst und dich volllaufen lässt, während deine Frau brav zuhause hockt und deine Kinder betreut. Also, meckere nicht und geh mir bitte nicht auf den Wecker“, erwiderte Ike, setzte sich wieder auf den Barhocker und genehmigte sich einen kräftigen Schluck aus seinem Bierglas. Doch der Ire mit dem rötlichen Bart und Zylinderhut wollte diese ungeheuerliche Anschuldigung nicht auf sich sitzen lassen. Nicht hier und jetzt, nicht vor seinen Kneipenfreunden und vor allem wollte er sich nicht von einem Katholiken dermaßen beleidigen lassen.

„Was hast du da eben behauptet, Holländer? Unentschuldigt? Ich war unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen? Sag mal, tickst du noch richtig?“, empörte sich Orson und warf wütend sein Bierglas auf den Boden, wobei er nun das zornige Gemüt des letzten Feiglings ebenfalls entfacht hatte. Nun war selbst der letzte, sitzende Kneipengast empört von seinem Stuhl aufgestanden. Selbst der Chef des Stammtisches. Schließlich war Orson ein beliebter Kerl, weil Orson, sobald er vollgetankt war, des Öftern großzügig eine Lokalrunde schmiss.

„Ich hatte dir, Mister van Broek, wie ich dich damals ja nur nennen durfte erklärt, dass ich grad mal eine Minute zu spät kam, aber die Pförtner hatten das Gittertor verschlossen und mich nicht auf das Werftgelände hinein gelassen. Nur wegen einer Minute Verspätung, da hättest du ein Auge zudrücken können und dieses Vergehen nicht bei der Geschäftsleitung melden müssen. Du bist ein Vorarbeiter, du hättest es regeln können! Außerdem war ich nie betrunken zur Arbeit erschienen …“ – einen Augenblick starrte er Ike wütend an, bevor er weitersprach. „Na gut, ich gebe es zu“, lenkte er ein. „Allerhöchstens war ich ein paar Mal etwas angeheitert gewesen, aber was macht das schon? Jetzt bin ich arbeitslos, hier im Süden findet man sowieso keine Arbeitsstelle und meine Ersparnisse sind bereits aufgebraucht.
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Jetzt bin ich pleite und habe mein Haus und Hof verloren, nur wegen dir, Holländer.“ Zornig zeigte er mit dem Finger auf ihn. „Und du, ehrenwerter Mister van Broek, hattest mir nur gekündigt, weil ich ein Protestant bin. Davon bin ich überzeugt! Jawohl Leute, dieses verdammte Katholiken-Schwein hat mir meine Zukunft versaut!“, hetzte er der den ohnehin bereits zornig gewordenen Kneipenmob weiter auf.

Ein reges Palaver war entstanden; Ike erntete rundherum Missmut, wütende Blicke und Morddrohungen und wusste aus Erfahrung, dass diese Urväter sehr gläubig waren und sich nach der Regel des Alten Testaments hielten: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Man muss sich das einfach so vorstellen, in welcher Zeitepoche sich Ike gerade aufhielt. Es war ungefähr vergleichbar wie bei Asterix & Obelix. Da sagt jemand nur unbedacht: Dein Fisch stinkt, und schon eskaliert die Situation und es fliegen die Fetzen. Aber dies durfte keineswegs geschehen, denn falls Anwohner irgendwie die Polizei alarmieren würden, hätte die Sicherheitszentrale zugleich einen vagen Hinweis, wo sich Ike eventuell aufhalten könnte.

„Nein, du missverstehst mich“, versuchte Ike zu schlichten. „Mir persönlich ist es völlig egal, zu welcher Konfession jemand gehört. Ich erkläre es dir jetzt ein letztes Mal: Ich hatte dir nur gekündigt, weil du für das Unternehmen nicht weiter tragbar warst. Es war unwirtschaftlich, dich weiterhin zu beschäftigen. Es war also sogar meine Pflicht gewesen, dich rauszuwerfen. Übrigens arbeite ich nicht mehr bei Harland & Wolff. Also, lass uns diese unangenehme Geschichte einfach vergessen. Ich spendiere dir einen, was hältst du davon?“

Orson Bradbury entwich ein abfälliger Lacher.

„Pah, von einem Katholiken würde ich niemals was annehmen. Und überhaupt, was faselst du da für ein Zeug? Nicht tragbar? Unwirtschaftlich? Drück dich gefälligst nicht so hochgestochen wie diese verfluchten Engländer aus! Du befindest dich hier nicht im Hauptquartier von Harland & Wolff, sondern im Old Fishbone! Also, sprich gefälligst Klartext, so, dass es jeder versteht!“, wies Orson ihn zurecht.

„Bradbury, halt einfach nur deine dämliche Schnauze. Ich verstehe unseren gebildeten Hübschen nämlich ganz genau.
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Holländer, du behauptet also, dass mein bester Freund ein Faulenzer ist?“, fragte der bullige Conner grinsend.

Ike nickte: „Ja, Sir. So ist es. Das ist nun mal die bittere Wahrheit.“

„Hört, hört. Was für ein anständiger Bursche der Holländer doch eigentlich ist. Sir nennt unser Hübscher mich“, erwiderte der Chef des Stammtisches ironisch, wobei er erheblich lächelte und zugleich schäbiges Gelächter aus den Mündern seiner Untertanen erklang.

„Sir Conner!“, rief jemand aus der hintersten Ecke, und wieder schallte lautes Gelächter.

„Pass mal auf, Bürschlein. Wir regeln das jetzt wie echte Männer untereinander. Oh nein, nicht wie du grad vielleicht denkst, dass wir uns jetzt gegenseitig die Köpfe einschlagen. Wir sind hier schließlich nicht im Norden, bei diesen barbarischen Engländern, die alles mit Gewalt an sich reißen und die ganze Welt beherrschen wollen. Wir im Süden sind die wahren Iren und kämpfen nur fair! Mann gegen Mann, ohne dabei Blut zu vergießen. Was sagst du dazu, Holländer?“

Der beleibte Stammtischmeister ging gemächlich auf Ike zu und rückte ihm bedrohlich auf die Pelle. Ike schluckte unauffällig, denn Conner war ein beachtlicher Kraftprotz und sogar einen halben Kopf größer als er selbst, wie er feststellte. Eine verwachsene Narbe verzierte seine linke Wange und seine breit geschlagene Boxernase verriet, dass er kampferprobt war und schon etliche Kneipenschlägereien in seinem Lebenslauf nachweisen konnte. Sein kurzärmliges Unterhemd war von Bierspritzer befleckt und verschwitzt. Conner, der bullige Kahlköpfige war ihm so nahe, dass Ike seinen Atem spüren konnte, wobei er zögerlich seine Nase rümpfte. Mann, was für ein widerlicher Stinkbock, dachte sich Ike insgeheim.

Conner steckte seine Daumen unter seine Hosenträger, zog daran und ließ sie auf seinen speckigen Oberkörper schnalzen.

„Holländer hin oder her. Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt, glaubst du in der Tat, dass ich vor so einem Kerlchen wie du Angst habe?“, fragte er, wobei er seine buschigen Augenbrauen hochzog und ihn gefährlich anstarrte. Ike verzog sein Gesicht und drehte seinen Kopf beiseite, weil er seinen schlechten Atem nicht weiter ertragen konnte.

„Nein, Conner.
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Sicherlich nicht“, antwortete Ike gelangweilt.

Der Kahlkopf mit dem Walrossbart grinste und klopfte ihm kräftig auf die Schulter, sodass Ike vom Barhocker stolperte.

„Pass mal auf, Holländer, jetzt wollen wir doch mal alle sehen, was wirklich in dir steckt, ob du tatsächlich dieser unbesiegbare Kerl bist, wie man behauptet. Wir zwei, du und ich, machen jetzt gemeinsam Armdrücken. Wie findest du das? Wenn du gewinnst, lassen wir dich laufen. Niemand wird dich anrühren, dafür garantiere ich persönlich. Solltest du aber verlieren, werden wir dich nackig ausziehen und auf den Tresen stellen. Unser ehrenwerter Schankwart besitzt einen Fotoapparat, dann machen wir ein hübsches Bildchen von dir und hängen es dort zu den anderen Fotos auf“, sagte er und zeigte über dem Whiskeyregal. „Zudem werden wir dein Geld abnehmen und alles versaufen, natürlich nur auf dein Wohl. Selbstverständlich wirst auch du, während wir dich fotografieren, deinen Daumen in den Mund stecken müssen … wie ein kleines Baby. Sieh dir all die harten Kerle an, die hier reinmarschiert sind und sich mit mir angelegt hatten“, grinste er. „Nun kann man sie nackt, wie der Herrgott sie erschaffen hatte, bei uns im guten alten Old Fishbone bestaunen. Jeder der Old Fishbone besucht wird dann sehen, was wir mit dem gemeingefährlichen Holländer gemacht haben.“

Daraufhin johlten die Kneipengäste, alle trommelten mit ihren Fäusten auf die Tische und brüllten im Takt: „Ausziehen! Ausziehen! Ausziehen! Ausziehen! Ausziehen!“



Dies wäre das bittere Ende einer gefährlichen Legende, die die Kneipen unsicher gemacht hatte. Dies wäre eine unbeschreibliche Niederlage und eine abgrundtiefe Scham für Ike, die sein Selbstvertrauen zerstören und seine eigene Mission Eloise zu retten, endgültig zunichtemachen würde. Vielleicht würde diese Fotografie letztendlich sogar im Archiv gespeichert sein, woraufhin sein Erzfeind Marko Rijken ihn in seiner Gegenwart fix und fertig machen würde. Außerdem bestand nun die akute Gefahr, dass seine Taschenuhr abermals in die Hände der Akteuren geraten würde. Äußerlich sah sie zwar wie eine gewöhnliche Taschenuhr aus, aber diese Uhr wurde modifiziert und hauptsächlich dazu da, um zu kommunizieren, zu fotografieren und vieles mehr.
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Außerdem beinhaltete sie holgrammische Missionsbefehle und diente zudem als sein Agentenausweis. Diese Technologie durfte keinesfalls einem Akteur in die Hände gelangen, das war ihm sehr wohl bewusst.

Was sich nur nach einem derben Scherz anhörte, schien den Herrschaften jedoch bitterer Ernst zu sein. Ike blieb also nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen, denn mittlerweile hatten einige Männer mit verschränkten Armen die Ausgangstür blockiert. Ein Entkommen war absolut nicht möglich. Eventuell ein Sprung durch das geschlossene Fenster, aber die Verletzungen könnten erheblich werden und Ike beabsichtigte sowieso nicht zu flüchten, denn das Armdrücken hielt er für einen fairen Kampf und diese Urväter mochten ja sein wie sie waren, dennoch waren sie Männer, die stets zu ihrem Wort standen.

In Windeseile hüpften die Musiker vom Tisch runter, diesen sie in die Mitte des Saals rückten. Dann wurden zwei Stühle jeweils gegenüber platziert. Jeder machte ihnen Platz, sodass sie um den Tisch einen Kreis bildeten, und die hintersten Kneipengäste stiegen auf die Tische und schauten gespannt zu. Nun wurden insgeheim Wetten untereinander abgeschlossen. Es stand fifty-fifty; einige waren davon überzeugt, dass Conner gewinnen würde, weil er im Armdrücken immer gewann, andere dagegen ließen sich vom Ruf des berüchtigten Holländers beeinflussen und wetteten somit für ihn. Nur der zwölfjährige Junge stand wirklich überzeugt hinter ihm und feuerte ihn lautstark an.



Der Kahlköpfige mit dem Walrossbart stieß seinen speckigen Ellenbogen wuchtig auf die Tischplatte, sodass die Kippen aus dem überfüllten Aschenbecher purzelten. Auf seinem Oberarm war ein Schiffsanker tätowiert, und auf seinem Unterarm eine Meerjungfrau. Ike setzte sich, dann klatschten ihre Hände wuchtig zusammen.

Ike drückte zuerst nur sachte dagegen und blickte ihm dabei streng in die Augen. Dann drückte er fester, doch Conner lächelte nur und zuckte provokativ mit seinen buschigen Augenbrauen. Ihre Finger waren umschlungen – Ike konzentrierte sich allein auf den Händedruck; der Kahlköpfige nutzte diese Gelegenheit der Unachtsamkeit aus und wuchtete ihre verkeilten Fäuste mitten in Ikes Gesicht.
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Seine Nase blutete, doch Ike blieb unbeeindruckt, starrte den Kontrahenten mit seinen blauen Augen kämpferisch an und wartete das Startsignal ab.

„Dass du dich mit mir im Armdrücken messen willst, war schon dein erster Fehler. Es wäre für dich schmerzfreier gewesen, hättest du dich freiwillig nackt ausgezogen“, grinste Conner. „Wir werden es jetzt etwas interessanter machen, Holländer. Einfach ist schließlich langweilig.“

Orson Bradbury zündete nacheinander zwei Zigarren an und paffte daran abwechselnd heftig, bis beide Gluten richtig heiß wurden. Dann legte er die glühenden Zigarren zwischen beiden Männer auf den Tisch. Der Kahlköpfige lächelte und sagte: „Der Verlierer wird nämlich warme Fingerchen bekommen.“

Der Mann mit dem Walrossbart trank gemütlich sein Bier, während Ike allmählich fester gegen seine Hand drückte. Direkt in greifbarer Nähe stand seine Whiskeyflasche.

„Es beginnt … JETZT!“, rief Orson, woraufhin der Kahlköpfige mit dem Walrossbart gnadenlos zudrückte.

Seine Kraft war so gewaltig, sodass Ike beinahe vom Stuhl gerissen wurde, und um Haaresbreite hätte er innerhalb einer Sekunde verloren, denn seine Hand berührte schon fast die glühende Zigarre. Doch er hielt verbissen dagegen und es gelang ihm sogar, Conners Hand langsam wieder in die Vertikale zu drücken. Ike fletschte die Zähne, kniff dabei seine Augen zusammen und versuchte weiter zu kontern. Sein Bizeps war völlig angespannt, dass seine Adern hervordrangen und sein hochgekrempeltes Hemd zu zerplatzen drohte. Doch es kam ihm vor, als würde er gegen einen Betonpfeiler drücken. Immer wieder öffnete Ike seine gekniffenen Augen und erblickte Conner, wie er schäbig grinste.

„Ich bin sehr gespannt, wie so ein Käsearsch in natura aussieht“, witzelte der Walrossmann.



Die buschigen Augenbrauen zuckten bei dem Kahlköpfigen, seine Augen waren weit geöffnet, denn der Zweiundfünfzigjährige war unglaublich stark und drückte Ikes Hand wieder allmählich gegen die Tischplatte. Ike versuchte krampfhaft dagegen zu halten, doch seine Hand wurde ganz langsam entgegen der glühenden Zigarre gedrückt.

Der Walrossbart des Kahlköpfigen verzierte sich leicht zu einem Lächeln, weil er sich siegesbewusst war.
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Doch auch ihm sah man die Anspannung an, denn der Schweiß lief ihm über das Gesicht und sein Kahlkopf glänzte. Ike versuchte nun seine allerletzte Kraft zu sammeln, diese auf seinen Arm zu fokussieren, weil, er spürte bereits die beißende Hitze der Glut. Es fehlten nur noch wenige Zentimeter, dann wäre er besiegt und obendrein würde seine Hand eine äußerst schlimme Bandverletzung erleiden.

Ike fletschte mit gekniffenen Augen weiterhin die Zähne, sein Gesicht war vor Kraftanspannung verzerrt. Er war zwar so gut wie geschlagen, trotzdem wollte er nicht einfach so aufgeben, schließlich drohte ihm eine schmerzhafte Verbrennung. Aber die unerträgliche Hitze an seiner Hand zwang ihn fast zur Kapitulation. Schmerzerfüllt stieß Ike einen kurzen Schrei auf und versuchte mit allerletzter Kraft eine Brandwunde zu verhindern, indem er weiterhin beharrlich dagegen hielt. Aber es war zwecklos. Der zweiundfünfzigjährige Kneipenboss war einfach zu stark und drückte seine Hand gnadenlos auf die glühende Zigarre. Ike schrie vor Schmerzen laut auf und bekundete augenblicklich, dass er kapituliert. Conner hatte also gewonnen, doch dieser grinste nur, hielt Ikes Hand immer noch auf die brennende Zigarre und drückte sie sogar darauf aus. Genüsslich sah er zu, wie Ike seinen unglaublichen Schmerz ausschrie.

„Aaaah, es ist genug! Du hast ja gewonnen! Du hast gewonnen, Conner!“, schrie Ike, aber der Kahlköpfige ließ nicht locker, sondern drückte immer weiter zu.

„Und du hast verloren, Holländer. Nun werden wir dich nackig machen und …“

Der Chef des Stammtisches konnte nicht mehr weitersprechen, denn Ike schlug ihm mit seiner linken Faust wuchtig ins Gesicht, woraufhin Conner sich aber nur schüttelte und ihn bösartig mit seinen buschigen Augenbrauen verdutzt anschaute. Trotzdem hielt er Ikes Hand immer noch auf die Glut.

Jetzt wurde Ike richtig wütend, weil der Kraftprotz seine geschwenkte weiße Fahne einfach ignorierte. Blitzschnell schnappte er sich die Whiskeyflasche und zerschmetterte sie auf seinen Kopf, daraufhin der Kneipenboss samt Stuhl rücklinks zu Boden fiel. Blutüberströmt hielt Conner sich ächzend seinen Kahlkopf und blickte den Holländer völlig überrascht an.

Nun war Ike im Blutrausch und war bereit jeden zu killen, der ihm in die Quere kam.
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Er zog aus seinem hinteren Hosenbund seine EM23 heraus, seine silberne Schnellfeuerwaffe, und hielt sie dem verdutzten Orson Bradbury an die Schläfe.

„Keiner rührt sich … Sonst schieß ich ihm das Hirn raus! Ich meine es ernst!“, brüllte er dem erschrockenen Kneipenmob zu. Daraufhin herrschte absolute Stille im Old Fishbone. Um seine Absicht zu bekräftigen, schoss Ike auf die hölzerne Wanduhr. Es drang aus dem Mündungslauf aufgrund des Schalldämpfers zwar nur ein beinahe lautloses Zischen heraus, dennoch zersplitterte die Wanduhr explosionsartig und löste sich praktisch in Staub auf. Dann zog er hektisch das Magazin aus dem Pistolengriff, tippte auf das grüne LED Lämpchen und ließ das Magazin wieder einrasten. Nun war der Betäubungsschuss seiner EM23 aktiviert, schließlich beabsichtigte er, niemanden zu töten. Ike packte Orson grob am Kragen, hielt ihm die Waffe erneut an die Schläfe und zog ihn gewaltsam zur Ausgangstür.

„Wenn ihr mich verfolgt, knall ich ihn ab! Wenn ihr mich an die Bullen verpfeift, dann komme ich zurück und werde euch alle abknallen! Habt ihr Schwachköpfe das soweit kapiert?!“, brüllte Ike wütend in Menge. Alle schauten ihn nur wortlos an. Dann richtete Ike die Schusswaffe auf den ebenfalls verdutzten Schankwart.

„Und du, du behandelst deinen tüchtigen Sohn ab sofort anständig. Schick den Bengel gefälligst in die Schule, wo er hingehört. Hast du das verstanden?! Sonst verbringe ich hier demnächst wieder meinen Urlaub!“, ermahnte er ihn.

Der Schankwart starrte ihn einen Augenblick entsetzt an, schließlich nickte er.

„Ja, Sir. Das verspreche ich Ihnen, Mister van Broek. Ich werde meinen Sohn gleich morgen früh zur Schule schicken.“

Absolute Stille herrschte in der Hafenkneipe. Bis auf den Stammtischboss, der stöhnend auf dem Boden kauerte. Ike ließ den verängstigten Orson einfach los. Dann nahm er seinen Überzieher und seine Schirmmütze und blickte die Herrschaften gefährlich an – insbesondre den Chef des Stammtisches, der immer noch auf dem Boden hockte und sich seinen blutenden Schädel hielt.

„Der Holländer ist unbesiegbar, lass dir das gesagt sein, Conner.
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Und das gilt für euch alle!“, belehrte er die Kneipengäste, wobei er mit seiner technologischen Pistole abwechselnd auf jeden deutete. Dann fasste er sich an seine Schirmmütze und verabschiedete sich vom Old Fishbone.

„Meine Herren, es war nett bei euch. Ich werde dieses Lokal weiterempfehlen. Gute Nacht allerseits.“



Während Ike zu seiner Pension schlenderte, zog er sich seine Schirmmütze tief ins Gesicht, richtet den Kragen seines Überziehers hoch und hielt sich schmerzverzehrt seine Hand. Die Zigarrenglut hatte ihm eine hässliche Brandwunde beschert, möglicherweise war sogar seine Nase gebrochen. Jedenfalls spürte er eine Taubheit in seinem Gesicht, aber zum Glück hatte die Blutung aufgehört. Aber ein spezielles Pflaster aus seinem Medikit würde seine Nase wieder heilen. Er rubbelte vorsichtig seine Hände und hauchte sie an. Atemhauch entwich aus seinem Mund. Es war eine sehr frostige Aprilnacht im Jahre 1912.
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Kommentar von "Nathanahel Compte de Lampeé" zu "Manchesmal"

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