Der Mörser (1.Steinzeitgeschichte)   275

Kurzgeschichten · Fantastisches · Herbst/Halloween

Von:    doska      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 22. Oktober 2017
Bei Webstories eingestellt: 22. Oktober 2017
Anzahl gesehen: 2190
Seiten: 18

Der Mörser

„Nanu, was haben wir denn da?“, Professor Hamart hebt den kleinen schalenförmigen Mörser hoch und dreht und wendet ihn im Sonnenlicht. Er pustet den Sand aus den in Stein gehauenen Verzierungen des Kruges. Dann nimmt er einen feinen Pinsel und fegt die festeren Bestandteile damit ab.. „So, sieht er schon besser aus!“, murmelt er leise. Aber er hat einige Schadstellen, die restauriert werden müssten.“

„Ein Prachtstück!“, bemerkt Anna, seine Gehilfin, die dicht neben ihm steht. Anna befindet sich im letzten Semester für Archäologie, durfte aber schon den berühmten Professor – eine Kapazität , besonders auf dem Gebiet der Bronzezeit - auf seiner Reise durch Mecklenburg Vorpommern begleiten.

„Nein, eigentlich enttäuschend!“, antwortet Hamart gedehnt, „ denn solche Teile findet man recht häufig in diesem Umkreis und das ist nun schon der vierte Mörser, den meine Leute in dieser Gegend ausgegraben haben!“

Tja, das haben wir bereits bei den übrigen Fundstücken, die Bauer Ratzeburg hier beim Umflügen endeckt hat, festgestellt. Er hat mächtig übertrieben!“, resumiert Anna.

„Das ist oft so. Wir Menschen haben und hatten wohl schon immer die Neigung uns in den Vordergrund zu spielen, ganz gleich mit welchen Dingen! Es lohnt nicht ihn zu restaurieren. Wollen sie ihn haben?“

„Gerne, wieso eigentlich ist dieser Mörser für Sie so bedeutungslos?“, erkundigt sich Anna dennoch weiter. „Er hat ja sogar noch seinen Schlegel zum Zerreiben der Kräuter!“

„Ach Anna, zu diesen Zeiten um 1300 v. Chr. besaß eben fast jeder kleine Haushalt einen Mörser, der für die Zerreibung von Körnern oder Pflanzen wichtig war.“

„Schade…“, Anna mustert den Mörser in ihren Händen Gedanken versunken. „Und seltsam …!“, murmelt sie plötzlich verwirrt. „Er kommt mir so vertraut vor? Mir ist, als hätte ich ihn selber zu jener Zeit benutzt und daraufhin geschah etwas Gewaltiges …irgendwie Aufsehen Erregendes ….eigentlich Hochgefährliches…etwas Tödliches!“

„Herbeigeführt durch diesen Mörser?“, grinst der Professor.

Anna nickt aufgeregt. „Es war sehr traurig!“

„Frau Tragon, ich glaube Sie haben zu lange im Sonnenlicht herumgestanden! Und wie eine Mumie längst vergangener Zeiten sehen Sie überhaupt nicht aus.
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“ Er betrachtet schmunzelnd ihr hübsches sommersprossiges Gesicht und dann fällt sein Blick auf ihre langen kupferfarbenen Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden trägt.

„Und wenn ich in Wahrheit eine wäre?“ Anna reibt sich nervös die hohe Stirn, während sie den Mörser noch immer mit einer Hand festhält und weiterhin begutachtet. „Welche seltsamen Gravuren…?“

„Kommen Sie…“, Bernd Hamart nimmt Anna zart beim Ellenbogen und führt sie zum Zeltlager zurück.

„Ich bin tatsächlich ein wenig benommen …! , stellt Anna fest. „Sie haben recht. Ich werde mich in mein Zelt begeben und einen Schluck Kaffee zur Ermunterung aus meiner Thermoskanne nehmen.“

„Na, das ist doch ganz das Richtige!“, meint Hamart. „Ich bin auch ein wenig müde, kommt wohl wegen der ewigen Erfolglosigkeit, denn irgendwo müssen diese Gräber ja sein, von denen ich gehört habe. Oder gebe ich mich nur einem Traum hin und die haben gar nicht existiert? Hier tief unter dieser Erde in der Nähe der Oder müsste es auch noch Überreste eines damals sehr bekannten Dorfes aus der Bronzezeit geben. Ach egal, ich weiß, ich rede immer wieder das Gleiche, ist eben eine fixe Idee von mir. Ich werde ein kleines Nickerchen halten! Ist ja auch verdammt heiß heute!“ Er wendet sich, ein Liedchen pfeifend, um und geht in Gedanken versunken den langen Sandweg zurück.

Ganz vorsichtig, fast zärtlich stellt Anna später den kleinen Mörser auf den Fußboden ihres Zeltes. Die restlichen Sandkrümel des Kruges fallen dabei auf die Gummimatte. Anna sieht, wenn auch nur angedeutet, ein kleines kreuzförmiges Zeichen an der rechten Seiten des Kruges, an der linken ist eine Art Baum zu erkennen, dessen Wurzeln sich mit den Zweigen verbinden. Ein Lebensbaum?“, denkt Anna verwundert. Das Zeichen des Kreuzes hat in der Mitte eine tropfenförmige Schlaufe. Ein Symbol für Ankh!“, denkt sie. „Merkwürdig, wie kommt ein altägyptisches Symbol nach Mecklenburg-Vorpommern?

Beide Symbole sind leider schon stark verwittert und da …an der Rückseite befindet sich eine runde Einkerbung … etwa eine Schlange, die sich kringelt? Es scheint so, als hielte sie ihren Schwanz mit dem Maul fest.
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Ebenfalls ägyptisch.

Erstaunliche Ornamente, die sie vielleicht nur als solche ansah, denn man konnte ja kaum etwas erkennen. Nur ein Hauch ihrer Ursprünglichkeit war an diesem Mörser zu sehen.

Wozu man ihn wohl gebraucht hatte? Mörser wurden nicht nur zum Zermahlen von Getreide eingesetzt. Man nutzte sie auch als Türstopper, Trinkgefäß und … diente dieser Mörser etwa auch als Opferschale für Menschenblut? Anna bekommt bei diesem Gedanken eine Gänsehaut. Irgendwie ist das auch gruselig, denn zu diesen Zeiten wurden bei besonderen Festlichkeiten besonders Frauen und Kinder zu Ehren der Sonnengöttin Sol oder des Gottes Dagr geopfert.“

Sie schüttelt verwirrt den Kopf und kramt in ihrem Rucksack, sucht nach der Thermosflasche und kraust dabei nachdenklich ihre Stirn. „Aber Moment mal, Ankh ist ein Symbol für das ewige Leben, der Baum könnte Ähnliches bedeuten, genauso die Schlange ein Zeichen sein für die Wiedergeburt.“

Ach was, sie wird sich keine weiteren Gedanken darüber machen. Nein, sie will nicht so verrückt werden, wie der Prof., denn der kennt inzwischen keinen weiteren Gedanken, als die Entdeckung des Dorfes Iljok.

Hier in der Nähe sollte es einen großen Stamm gegeben haben, Jinga geheißen. Sie wird sich nicht darum kümmern, sondern nur den Mörser nach Hause mitnehmen und auf ihre antike Kommode stellen, die sie irgendwo auf einem Rumpelbasar in Berlin ergattert hatte. Er würde als Vase dienen und sich bestimmt dort gut machen.

Endlich hat sie die Thermosflasche unter ihrer Weste, die sie ebenfalls im Rucksack verstaut hatte, gefunden. Als sie einen Schluck nimmt, schaut sie sich nach dem Mörser um. Merkwürdig, er sieht plötzlich wie neu aus, die Symbole kommen voll zur Geltung, die tiefen Rillen im Gestein sind rot gefärbt und er steht auf einer gelb- schwarz gemusterten Decke.

Sie schraubt die Thermoskanne verblüfft zu und verstaut sie wieder im Rucksack. `Decke?` fragt sie sich vorsichtig. `Wieso steht der Mörser plötzlich auf diesem seltsamen Läufer oder was es auch immer für ein Dingens ist?

Niemand kann durch den offenen Zelteingang hereingekommen sein, um diese Steinschale auf solch eine prächtige Decke zu stellen. Ich hätte das ganz bestimmt gehört.
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` Sie zuckt hilflos die Schultern, schließt die Augen, um sich zu beruhigen. Zu wenig Schlaf, denkt sie. Licht und Schatten der Bäume von draußen waren wohl die eigentliche Ursache für diesen sonderbaren Eindruck. Dennoch ist das Ganze sehr unheimlich.

Anna atmet tief durch, ehe sie ihre Augen noch einmal zum Mörser wandern lässt. Verrückt, aber das Bild bleibt, die Decke ist wirklich zu bunt, um nur ein Lichtspiel zu sein und auch der Krug, mit den roten Gravuren im grauen Gestein, zeigt sich immer noch in dieser tadellosen Verfassung.

Anna schleicht also näher, so, als hätte sie plötzlich etwas Gefährliches, etwas sehr Seltsames vor sich, doch je näher sie kommt, je vertrauter wird ihr das Ganze.

Es war für ihre zierlichen Finger sehr schwer gewesen, den Tugbaum in das Gestein zu meißeln, lange hat sie daran gesessen, das Kreuz des Hum ging etwas leichter, schwierig war auch Bantra die Schlange fertig zu stellen, denn sie sollte sich wirklich kreisrund schlängeln und nicht irgendwelche Ecken und Kanten haben.

Bei Hrimfaxi und Nott, war ihr zum ersten Male auch das schwierige Rautenmuster in diesen Läufer einzuweben richtig gut gelungen. ´Haha, bin ich blöd`, denkt sie wiederum, das alles hätte ich doch längst meinem Prof sagen können.

Zwar fühlt sie sich so, als wäre sie plötzlich verrückt geworden, aber ihre Gedanken machen einfach von alleine weiter. Mutter hat mich gestern doch noch ganz besonders gelobt wegen meines handwerklichen und auch künstlerischen Könnens, denkt sie mit pochendem Herzen. Den Mörser habe ich ein paar Monate zuvor, noch zurecht gehämmert, aber das ist eigentlich Männerarbeit, einen kleinen Felsbrocken so geschickt zu behauen und auszuhölen, das dauert ewig. Mama sieht es nicht so gern, wenn ich Männerarbeit mache. Ich soll ihr lieber im Haushalt helfen.

Sie wundert sich schließlich keine Sekunde mehr über sich selbst, als sie hinaustritt und ist gar nicht überrascht, über das was sie draußen vorfindet.

Ganz im Gegenteil, sie blickt sich sehr zufrieden um. Überall Holzhütten, so wie sie die schon ewig kennt, einige Fahlbauten und Plankenboote im Wasser.

Ein paar Bekannte winken ihr aus der Ferne zu, die ihr ebenso vertraut sind.
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Sie weiß, das sind ihre Studienkollegen, die jetzt nur ein wenig anders aussehen. Sie wundert sich auch nicht darüber,als ihr Naro mit einem großen Netz voller Fische über der Schulter entgegenkommt.

„Na, Schwesterchen….!“ , sagt er kess und legt dabei seinen freien Arm um ihre Schulter. „Bist du etwa wieder beim Weben eingepennt und hast nichts geschafft? “

Sie weiß zwar, dass er gerade in einer recht merkwürdigen Sprache mit ihr redet, doch ist ihr jedes Wort vertraut. „Nein, Naro,“ erwidert sie genau in dieser Sprache. „Der Läufer ist nun endlich fertig. Ich hatte gerade meinen Mörser daraufgestellt und unsere Hütte geöffnet, damit beides vom Sonnenlicht bestrahlt wird! Es sieht so schön aus!“

„Ach Andra, du willst doch nur, dass alle im Dorf sehen, was du da gemacht hast! Wer angibt habt eben mehr vom Leben!“ Er schiebt sich eine seiner rostroten Haarlocken aus der Stirn, grinst und zeigt dabei eine Zahnlücke. Sofort fällt ihr dabei ein, dass er diesen Zahn beim letzten Faustkampf mit Hnjuni, dem Sohn des Nachbars, verloren hat. „Und besonders Bent soll das alles sehen, richtig?“, hakt er nach.

Automatisch spürt Anna, wie sie errötet. „Ich schwärme doch nicht für Bent, spinnst du!“ Sie knufft ihn scherzhaft in die Seite, obwohl ihr Herz verräterisch pocht.

Er zieht kichernd den Mantel aus gewebtem Hanf über die Schulter, damit er nicht noch mehr Knuffis auf seinen nackten Oberkörper erhält. „In Ordnung Andra. Bent Hamaron ist auch nichts für dich. Schließlich ist er der Sohn Algots unseres Stammesfürsten und bereits Gaska Kojala versprochen. Du weißt das ist ….“

„Ja, ja, das ist diese vornehme eingebildete Fürstentochter aus Azawa, aus dem dem Norden.“, fällt Anna ihm ins Wort. „Ich bin doch nicht blöd!“ Sie versucht mit einem kleinen Lächeln ihre aufkeimende Traurigkeit unkenntlich zu machen. „Hilfst du mir den Mörser zum Langhaus zu bringen? Alleine traue ich mich nicht!“

„Mit den Fischen auf dem Rücken? Nein, meine Liebe! Die bringe ich erstmal Mutter. Sie ist wieder bei Burbak, aber der kann ihr ja doch nicht helfen. Die wird sich freuen, wenn sie die Fische sieht. Die werden wir zu Ehren Dagrs heute noch auf der großen Festwiese räuchern.
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Weißt du, dass wir am zweiten Tag des Festes sogar einen berühmten Besuch haben werden? Wie immer bleibt das ein Geheimnis, bis es an diesem Tage gelüftet wird.“

„Interessiert mich jetzt nicht, Naro!“

„Bei Nott und Hrimfaxi, bist du heute stur! Naja, vielleicht kriegst du ja von anderer Seite Unterstützung. Ich ahne schon, wer das sein wird. Aber ich sage dir, du wirst trotzdem bei diesem Wettbewerb nicht gewinnen! Da haben die besten Männer und Frauen mitgemacht und die sind wesentlich älter als du und verstehen ihr Handwerk, einen hervorragenden Mörser herzustellen!“

„Ich kann das auch und du weißt, dass unsere Mutter die sieben Bernsteinstücke, die als Preis ausgesetzt worden sind, dringend nötig hat, für die lange Reise nach Holozin!“

„Ach Unsinn Burbak unser Druide ist genauso gut, wie dieser nordische Daginja aus Holozin!“

„Aber sie hat Schmerzen, die noch stärker geworden sind, seit ihr Burbak das gebrochene Bein geschient hat. Sie braucht einen besseren Arzt. Ach, ich wünschte Vater lebte noch. Er hätte sie längst gesund gemacht.Vater war nicht nur ein hervorragender Heiler. Er war auch ein gütiger, weiser Priester. Er hat nicht die Menschenopfer eingeführt, wie jetzt Burbak. Manchmal denke ich, Burbak hat unseren Vater vergiftet, nur um selber mehr Macht zu haben.“

„Aber Andra, das ist doch nur eine Vermutung von dir. Das kannst du nicht belegen. Also, sei still, sonst musst du ein Gottesurteil über dich ergehen lassen und ich komme durch dich auch in Verruf.“

„Ich sage ja auch nichts. Tot ist tot, dadurch wird er auch nicht mehr lebendig. Aber ich habe alle Symbole für meinen Mörser verwendet, die er immer so geliebt hat.“

„Ja ,Vater war schon eine verrücktes Huhn, behauptete immer weit gereist zu sein.“

„Egal, wir müssen jetzt ohne ihn klar kommen, verstehst du! Daher ist es unbedingt wichtig, dass ich gewinne, damit Mutter die hohen Reisekosten bezahlen kann!“

„Das wirst du nie.“

„Dann schau ihn dir doch an, meinen Mörser!“

„Also gut, was tut man nicht alles für seine Schwester. Naro stampft mit unlustigen Schritten in die Hütte, bückt sich betrachtet den kleinen Krug geringschätzig. „Vaters Baum, sein Kreuz, seine Schlange…“, murmelt er.
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„Warum musstest du ausgerechnet seine Symbole benutzen und wie bist du auf diese Idee gekommen?“

„Ich habe von ihm geträumt und er zeigte sie mir!“

„Geträumt, hähä! Sehen nicht besonders gut aus und du weißt der beste Mörser wird Burbak gehören. Er wird sie auch als Opferschale benutzen, denn wir haben Gefangene gemacht, die…“

„Ich weiß, die Frau mit ihren zwei Kindern, diese sonderbaren Leute mit den langen dunklen Haaren aus dem Süden, die ihr überfallen habt. Für diese habe ich die drei Tonfiguren hier gebastelt!“

„Bei Dagr und Nott, die haben ja Haare aus schwarzen Wurzeln!“

„Diese Figuren sind Symbole unserer schwarzen Gedanken!“

„Aber was willst du damit?

„Vater wollte keine Menschenopfer. Statt der drei Gefangenen könnte Burbak diese Figuren den Göttern opfern und …“

„Du spinnst wohl. Das macht man vielleicht auf kleineren Festen, aber diese Feier hier dient gleich vier großen Gottheiten: Sol, Nott, Dagr und Hrimfaxi. Da muss schon Blut fließen.“,faucht er kaltherzig und nimmt den alten Gesprächsfaden wieder auf. „Tja, die Figuren sind vielleicht ganz passabel, aber dafür gibt es keinen Wettbewerb und der Mörser, der sieht nur mittelmäßig aus. Auch die selbst gewebte Decke aus Brennesseln und Schafswolle ist nichts Besonderes. Die Leute sind Besseres gewohnt!“

„Nimm mir nicht den Schwung, Naro!“ Anna hat Tränen in den Augen, weil Naro die Hütte ohne einen weiteren Blick einfach wieder verlässt. „Kein Jammern, Schwesterlein, es ist nun mal so!“, ruft er ihr noch zu und dann ist er auch schon fort.

Anna wischt sich eine Träne von der Wange, nimmt den Mörser und die Decke und verstaut Beides in ihrem Beutel aus geflochtenem Schilf . „Und doch sind meine Sachen ganz besonders schön.“, bringt sie Zähne knirschend hervor.

Sie streift den Trageriemen des Schilfbeutels über ihre Schulter. Zur Feier des Tages trägt sie einen knielangen Kittel aus Leinen und darüber einen Rock, gewebt aus feinem Ziegenhaar. Der Rock ist ihr eigentlich viel zu weit und darum hat sie ihn mit einem Ziegenledergürtel in großen Falten zusammengebunden. Gerade als sie sich umwenden will, bemerkt sie, wie ein großer Schatten zur Tür hereinfällt.
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Ihr Herz pocht schneller, denn an der geschmeidigen Art wie sich der Schatten bewegt, erkennt sie, dass es nur einer sein kann und zwar Bent Hamaront.

Sie wendet sich langsam zu ihm herum und errötet, als sie direkt in seine graublauen Augen blickt, die nun über ihre schlanke Gestalt huschen. Bent scheint von ihrem neuen Äußeren angenehm überrascht zu sein, denn die alten Schilfgraslumpen sind verschwunden. Er weiß zwar, dass es die Kleidung ihrer verstorbenen Großmutter ist, die Anna heute trägt, aber die steht ihr gut. So festlich gekleidet hat er sie noch nie gesehen. Er entdeckt sogar einen Armreifen aus Bronze und zwei aus Kupfer an ihren Unterarmen. Die alten Schuhe aus Ziegenleder hat sie repariert und jeden mit zwei Sternen hübsch bestickt. Ihr Haar ist frisch gewaschen. Ein Blumenkranz schmückt die flachsroten Strähnen.

Auch Bent hat sich feingemacht. Er trägt zu diesem Festtag sein weizenblondes langes Haar in mehreren Zöpfen zur rechten Kopfseite geflochten. Eine Kriegerfrisur also, zum Zeichen, dass er gegen Schwerthiebe gut gepolstert ist, weil heute gleich drei Kampfspiele angesagt sind, und um die Hüften trägt er den Gürtel mit der prächtigen Bronzeschnalle, die Andra an ihm so mag. An seiner linken Seite hängt ein stumpfes Schwert, mit dem heute gekämpft werden soll.

´Bei Dagr` , denkt Anna, Bent sieht wirklich heute ganz besonders aus. Die Seitenfrisur lässt sein edles Profil mit der geraden Nase und dem fein geschnittenen Mund voll zur Geltung kommen. Seine breite Brust ist wie immer nackt und sonnengebräunt. Ohne dass es Anna will, gleitet ihr Blick zu seinem kurzen Lederrock und dann ein wenig tiefer, zu seinen festen Schenkeln. Doch sofort reißt sie ihre Augen wieder hoch.

„Ich…“, stottert Anna verlegen. „….werde diesmal mitmachen beim großen Mörser-wettbewerb!“

Da hört sie ihren Bruder in der Ferne lachen, der nun ohne Fische wiederkommen ist. Naros Blick fällt auf den Beutel, den Anna über ihre Schulter gehängt hat. Ihm scheint das Vorhaben seiner Schwester ziemlich peinlich zu sein. Bent dagegen bleibt völlig ruhig. „Ja, und?“, sagt er mit fester Stimme. „Andra, du bist zwar noch sehr jung und außerdem eine Frau, dennoch glaube ich an deine Handwerkskunst!“

Anna ist derart glücklich über diese Bemerkung, dass sie Bent Hamaront schon allein deswegen umarmt hätte.
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Noch im letzten Moment kann sie sich bremsen. Darum taumelt sie etwas, als sie an ihm vorbei geht. Erst aus sicherer Entfernung wendet sie sich zu Bent herum. „Kommst du mit?“, fragt sie mit scheuem Blick. Er sieht in diese rehbraunen Augen und dann huscht sein Blick über ihre kleine feste Oberweite. ´Andra ist wunderschön!`, denkt er. Ich begreife nicht weshalb mein Vater es nicht einsehen kann, dass es Blödsinn ist, durch eine Heirat die Stämme Jinga und Himru fester miteinander zu verbinden. Mir genügt das was wir haben. Schließlich soll ich allein, das Ganze einmal erben`.

Da es so wirkt, als habe Bent nicht zugehört, wiederholt Anna noch einmal ihre Frage und fügt leise hinzu: „Ich traue mich nämlich nicht alleine in dieses große Haus. Die Gäste sind meistenteils wohlhabende Leute und Ontan unser Dorfältester ist immer so streng mit Frauen."

„Ich komme mit dir, Andra.“, sagt Bent mit fester Stimme.

Über Annas Gesicht huscht ein Strahlen, das Bent schon alleine genügt hätte, sie zu küssen.

„Oh, wunderbar, ich danke dir! “, bringt sie schließlich hervor. Wieder hätte sie in ihrem Temperament am liebsten ihre Arme um seinen Hals geschlungen, stattdessen wendet sie sich mit einer schwungvollen Bewegung herum und Bent sieht, wie die lange flachsrote Mähne dabei weht. Anna hat eine stolze, gerade Haltung

Dieser entschlossene Gang, denkt er bewundernd. Ich weiß, sie ist kein Mädchen das zögernd und zaudernd handelt und dennoch ist das was sie tut, wohlüberlegt. Sie ist wie geschaffen dafür, die Frau an der Seite eines Stammesfürsten zu sein, denn sie würde ihr Volk gut behandeln. Er räuspert sich verlegen und seine Stimme klingt etwas quietschig als er nachfragt: „Und du Naro, kommst du auch mit ?“

„Ach, ihr Turteltäubchen.“, feixt Naro. „Jeder Blinde muss merken, was mit euch Beiden los ist. Aber gut, ich begleite euch, damit es nicht zu albern wirkt, wie der große Häuptlingssohn meiner Schwester hinterher hechelt!“

Als sie vor dem großen Gemeinschaftshaus stehen, sehen sie, dass schon viele Leute ihre Mörser ausgestellt haben.
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Jeder hatte zuvor eine bunte Decke unter den Krug gelegt, so wie jetzt auch Anna und zu allerunterst benutzt man eine zwanzig Zentimeter dicke Baumscheiben als Unterlage.

Nicht nur die Leute aus Iljak, dem etwa neunundvierzig Seelen zählenden Heimatdorf Annas, sind zu diesem Sommerfest gekommen, auch jene aus den vielen kleinen Siedlungen entlang des Flusses. Fremdartig gekleidete Gesellen mit dichten roten Bärten und langem Kraushaar gibt es ebenfalls zu sehen. Sie alle sind auch in ihren Plankenbooten über den Fluss Odinge angereist und einige von ihnen kommen sogar von ganz weit her, vom großen Wasser. Ein paar dieser Leute haben ebenfalls Mörser und schöne Decken mitgebracht. Andere wiederum sind Tage lang mit ihren Ochsenkarren durch das unwegsame Land unterwegs gewesen. Sie stammen aus den weiter entfernten Dörfern. Manche Leute des Flussvolks sind wohlhabende Händler. Das sieht man an den prächtig gearbeiteten Stoffen ihrer Kleider, den Gürteln, Fibeln und Schnallen. Besonders deren Frauen sind elegant angezogen. Stolz tragen sie den gesamten Familienschmuck an ihren Armen und um den Hals. Ein wenig hochnäsig laufen einige von ihnen nun an Anna vorbei, die nur wenig Schmuck trägt. Andere Damen wiederum halten inne und betrachten miteinander tuschelnd Annas Mörser und manch eine von ihnen mustert dabei sogar kritisch die schön gewebte Decke.

„Andra, dein Mörser ist der Schönste!“, wispert ihr Bent im Vorrübergehen zu.

„Dem darfst du nichts glauben!“, nuschelt Naro, dicht hinter ihm „Liebe kann ja soooo blind machen!“

Das Gremium dieses Wettbewerbs besteht aus vier Dorfältesten und drei Druiden. Alle nicht unbedingt aus Iljak, auch aus den weiter entfernten Siedlungen.

Nur eine knappe Stunde später muss Anna zu ihrem Leidwesen feststellen, dass die Tochter des reichen Tuchhändlers Obo Harge den Sieg davon trägt. Nicht einmal den dritten Platz bekommt sie. Mit Tränen in den Augen springt sie schließlich auf, packt ihre Sachen und läuft davon. Sie hat keine Augen mehr für all den großen Spaß auf der Festwiese und setzt sich ins Gras, versteckt sich hinter einem Busch am Ufer des Odinge. Für etwa eine halbe Stunde ist sie sogar so betrübt, dass sie nicht einmal bemerkt, dass Bent zu ihr geschlichen kommt.
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„Was machst du denn hier so allein und kommst nicht zum Fest?“, fragte er.

Erschreckt und überrascht schaut sie zu ihm auf.

Er lächelt sie an und lässt dabei zwei Reihen schneeweißer Zähne aufblitzen. „Gerade wurden lecker gebratene Wildschweinstücke aus der Keule herum gereicht und gleich spielt die Musik zum Tanz auf. Hörst du die Trommeln und Flöten?“ Aber sie reagiert nicht.

Da setzt er sich zu ihr ins Gras. „Ach, feiere doch mit! “, bettelt er und will ihre Hände streicheln, die noch immer den Mörser im Schoß halten.

„Der ganze Trubel kann mich nicht mehr locken, Bent!“, entgegnet Anna und kämpft tapfer mit den Tränen. Mein Mörser hat nur den vierten Platz gemacht. Die ersten drei Preise haben wohlhabende Leute bekommen, die vielleicht noch nicht einmal ihre Stücke selber gemacht haben. Mutter wird also ihr schlimmes Bein behalten und vielleicht noch daran sterben.“ Die letzten Worte hat Anna nun doch aus sich heraus geschluchzt. Sie ist so wütend über sich selbst, die Beherrschung verloren zu haben, dass sie aufspringt und den Mörser in den Fluss werfen will.

„Nein, das darfst du nicht tun!“, Bent ist noch rechtzeitig auf den Beinen und hält ihre Hände fest, ehe das Gefäß ins Wasser fallen kann. „„…denn für mich ist das der schönste Mörser, den ich je gesehen habe.“ Er packt sie bei den Schultern und dreht sie zu sich herum. „Andra, ich möchte ihn dir abkaufen! Sind dir sechs mittelgroße Bernsteinstücke recht? Die habe ich nämlich gerade im Kampf gegen Ilogard gewonnen.“

„Bent, du bist so lieb, dass du gleich deinen ganzen Gewinn für mich einsetzen möchtest“, schluchzt sie gerührt aus sich heraus. „Aber das kann und will ich nicht annehmen! Dennoch Danke!“

„Nein, das musst du!“, beharrt er. „Ich bestehe darauf!“

Annas gute Vorsätze sind plötzlich vergessen, denn sie küsst heiß und innig – allerdings nur seine Wange. „Oh“, stellt sie dabei fest. „Du bist ja am Hals verletzt? Das Haar hat wohl doch nicht so ganz gegen die Schwerthiebe geschützt!“

„Besonders als die Hiebe von der anderen Seite kamen!“, lacht Bent, seine Verwirrtheit weg.
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Anna lacht mit ihm und für einen kurzen Moment sind sie miteinander glücklich. Bei Hrimfaxi, denkt Anna. Ich mag sein Lachen so sehr, dass ich schon allein deswegen sämtliche Probleme vergessen kann. Aber die Sorge um Bents Verletzung geht vor. „Zeige mir die andere Seite!“, verlangt sie.

Ungern präsentiert er ihr die tiefe Wunde in dieser Halsbeuge. „Ilogards Schwert scheint doch nicht so stumpf gewesen zu sein, wie meins, dennoch hat er den Kampf verloren!“, fügt er stolz hinzu.

„Bent, dieser Schnitt muss verarztet werden!“, keucht sie aufgeregt.

„Bei Dagr, ehe ich mich Burbak hingebe, der Tage mit seinen Kräuterpackungen braucht, hilft sich mein Körper lieber selbst!“ , wehrt er lässig ab.

„Oh, ich höre Stimmen in der Nähe.“, wispert Anna plötzlich aufgeregt. „Bent, du musst sofort von hier verschwinden, denn sonst …wenn man uns beide so zusammen sieht…?“

Nicht nur Anna errötet, auch Bent schlägt bei dieser Vorstellung verlegen die Augen nieder.

„Leider hast du recht, Andra, ich sollte meinem Vater gehorchen,“ Er hält für einen Moment inne ehe er fortfährt, „aber ich muss es nicht tun! Ich will dich!“ Er packt sie bei den Schultern und dreht sie ganz zu sich herum. Er schaut ihr fest in die Augen. „Die Wälder sind groß! Lass uns fliehen! Heute noch!“

„D…das darfst du nicht sagen!“ Sie legt entsetzt ihren Zeigefinger auf seine Lippen. „Es ist eine Sünde ungehorsam seinen Eltern gegenüber zu sein und es ist, seit unsere Väter und deren Väter und wiederum deren Väter zurück denken können, üblich seine Kinder für eine spätere Ehe einander zu versprechen. Verstehst du, wir dürfen nichts dagegen tun, was schon seit Ewigkeiten so ist. Es muss so bleiben, sonst werden uns die Götter ganz bestimmt grausam dafür bestrafen.“

Traurig lässt er sie los und senkt den Kopf. „Ich weiß, es wäre undenkbar, wenn ich nicht meinem Vater gehorchen würde, denn ich würde damit die ganze Sippe blamieren. Man würde nach mir suchen. Ein solcher Ungehorsam würde mein Todesurteil zur Folge haben. Ich würde kein Ehrengrab bekommen. Man würde mich nur irgendwo verscharren wie einen Hund und …!“

„Zähle nicht noch mehr auf, Bent.
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“ Annas Augen sind weit aufgerissen und ihre trockenen Lippen zittern. „Lieber sehe ich dich in den Armen einer Anderen, als tot!“ Anna muss schlucken, denn ein Klos sitzt ihr bei dieser Vorstellung im Halse.

Bent lässt seine Arme kraftlos hängen, sein Oberkörper ist nach vorne übergebeugt, doch dann strafft er sich plötzlich. „Andra“, beginnt er erneut mit entschlossener Stimme, „aber eines ist sicher, die Götter werden mich nicht dafür bestrafen, wenn ich dir, meinen Gewinn, die sechs Bernsteine um den Hals lege. Ich bitte dich, nimm endlich diese Kette an. Helfe deiner Mutter. Auch ich habe sie gesehen und weiß, wie krank sie ist. Besorge dir mit diesem Geld eine kleine Karawane, zu deinem Schutze und einen Ochsenkarren. Außerdem hast du einen sehr zuverlässigen Krieger an deiner Seite, denn der bin ich. Oder willst du etwa behaupten, dass ich nicht kämpfen kann, falls es Überfälle gibt?“

Anna schaut ihm dankbar ins Gesicht. „Du bist so gut zu mir! Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.“ Sie streichelt ihm die Wange. „Also einverstanden, ich werde sowohl deine Hilfe als auch dein Geschenk annehmen.“

„Damit machst du mir eine sehr große Freude, Andra.“ Währenddessen legt er ihr voller Zärtlichkeit die Kette um den Hals. „Schade, dass du diese Steine bald wieder los bist…“, Er tritt dabei einen Schritt vor ihr zurück und betrachtet sie mit anerkennender Miene.“ ….denn sie stehen dir wirklich gut.“ Dann macht er wieder eine kurze Pause, so als würde er genau über die folgenden Worte nachdenken. „Vielleicht will ja dein Bruder auch mitkommen, denn ich kann dich nicht den ganzen Weg begleiten.“, wieder hält er inne, denn es fällt ihm schwer weiter zu sprechen.“ … denn ich ….ich muss bald wieder umkehren.“

„Ach ja?“ ruft sie verwundert und versucht die tiefe Enttäuschung aus ihrer Stimme zu verbannen.

„Ja, leider. Ich wäre gerne den ganzen Weg mit dir gekommen. Du weißt, wenn es sein muss, bis an das Ende der Welt. Aber mein Vater…“ Er bricht ab und kaut dabei auf seiner Unterlippe. „Sagen wir es so,“ beginnt er von neuem. „Der Zufall will es, dass wir den gleichen Weg haben werden, denn …. nun verrate ich doch die Überraschung ….
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meine zukünftige Braut …“ Er holt für einen Moment Atem. „ … eigentlich eher, ihre Eltern haben dieses besondere Fest zum Anlass genommen, dass sie mich besuchen soll. Mein Vater hat mich beauftragt, dass ich ihr entgegen kommen und sie und ihre engsten Vertrauten in unser Dorf geleiten soll. Derweil wirst du alleine weiterziehen und ich hoffe für dich und deine Mutter, dass dieser Druide wegen dem ihr reist, geschickter sein wird, als der unsrige.“

Anna schluckt bei dem Gedanken, dass Bent wohl schon jetzt, seine Braut bei sich haben wird, aber, wie immer ist sie tapfer und schiebt ihre tiefe Trauer von sich fort. „Das bedeutet, dass sich Mutter wann fertigmachen soll?“, fragt sie stattdessen.

„Schon morgen in der Frühe werden wir aufbrechen, denn was Fest des Sol und Notts und Dagrs und Hrimfaxi dauert fünf Monde. Am Ende dieses Festes werden die seltsame Frau mit den schwarzen Haaren und ihre Kinder den Göttern geopfert. Meine versprochene Braut soll daran Teil haben, dabei sein, wenn die Götter ihr Opfer annehmen. Wenn ich mich beeile, wird sie auch noch etwas von den übrigen Feierlichkeiten des großen Festes haben. Aber eigentlich ist sie selbst oder ihre Eltern Schuld, dass sie so spät kommt.“

„In Ordnung, aber ich glaube nicht, dass mein Bruder mitkommen wird.“ Auch Anna macht nun eine nachdenkliche Pause. „Er mag mich nicht so besonders!“

„Ach Unsinn, das redest du dir ein! Du bist seine Schwester. Naro wird dich begleiten. Ganz bestimmt lässt er dich nicht in Stich. Wenn nicht, werde ich ihn dazu überreden!“

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„Bei Hrimfaxi!“, Anna wischt sich mit den Fingern den Schweiß von der Stirn. „Obwohl die Götter die Bäume erst blühen lassen, ist es schon ganz schön heiß!“

„Das ist wahr Schwesterchen.“, bestätigt Naro der dicht neben ihr läuft, „Und nun sind wir schon einen ganzen Tag lang unterwegs und noch immer sehen wir nicht die Hütten von Tamju, jener Siedlung die uns am nächsten ist.“

Anna nickt ihrem Bruder zu. Sie ist ihm ja so dankbar, dass er sich von Bent doch noch hatte überreden lassen, ruhig das Fest zu verlassen. „Es ist schon eine ganze Strecke, die wir laufen müssen.
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Wenngleich meine Füße nichts anderes gewohnt sind, als dass die dünnen Ziegenlederschuhe wiedermal zerrissen sind und ich eine dicke Hornhaut habe, schmerzt mir doch die Ferse und der große Zeh.“

„Zeig`mal, bei Nott, da sickert ja sogar schon Blut, durch deine Stroh gefüllten Schuhe.“, ruft Naro überrascht aus.

„Muss ich eben aushalten!“, sagt sie.

„Moment, musst du nicht!“, mischt sich Bent ein, der mit einer langen Peitsche bewaffnet, vorne auf dem Ochsenkarren sitzt. „Deine Mutter kann ein wenig beiseite rücken und dann nimmst du neben ihr Platz, bis sich dein Fuß einigermaßen erholt hat.“

„Vielleischt kanen isch ja die Stelle verbinden!“, schlägt Juka, die Frau mit den langen schwarzen Haaren, jene die aus dem Süden kam, vor. Neben ihr gehen die beiden Knaben. Alle drei sind nicht mehr gefesselt. Sie laufen völlig frei neben dem Ochsenkarren her.

Noch bevor sie im Morgengrauen aufgestanden waren, war nämlich Anna mit einer Bitte an Bent herangetreten. Bent hatte daraufhin die drei Tonfiguren Annas an den Fahl gebunden an welchem zuvor Juka mit ihren Kindern gefesselt gewesen war. Niemand hatte darauf geachtet. Alle schliefen ihren Rausch aus. Man rechnete überhaupt nicht mir dieser ungeheuer frevlerischen Tat.

Anna lässt sich helfen, denn Juka ist sehr geschickt. Auch sie hatte einen Druiden als Vater aber anders als Anna hatte sie sein Handwerk erlernt. Anna kommt der Gedanke, dass Juka vielleicht auch ihre Mutter heilen könnte, aber sie verwirft diese Möglichkeit wieder, denn sie hat nur Bestes über den Daginja von Holozin gehört. Zum Dank, dass Juka Andra so gut geholfen hat, lässt Bent sie später mitsamt ihren Kindern in einem der Wälder verschwinden.

Als es Nacht wird und sich die kleine Reisegruppe um das Lagerfeuer herum gescharrt hat, jammert Annas Mutter darüber, dass es nichts mehr zu trinken gibt. Da schlägt Anna vor, noch etwas Wasser aus dem Fluss zu holen. „Ich werde meinen Mörser dazu benutzen!“, meint sie stolz.

„Nein, du gehst nicht ohne mich !“ Bent springt auf. „Außerdem ist dein Fuß noch nicht verheilt. Du sollst ihn schonen, hat Juka gesagt. Lass mich das lieber tun!“

Aber Anna ist schon im Dunkel der Nacht verschwunden.
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Doch kann er ihre Schritte hören und folgt ihr.

„Ach, ihr beiden Turteltäubchen, ihr sucht ja nur einen Grund um …Na, ich sage lieber nichts weiter!“, meint Naro und schleicht ihnen, allerdings im großen Abstand, nachdenklich hinterher.

Die Lastenträger, eine Küchenmagd Bents, ein treuer Knecht, ein weiterer ebenso verlässlicher Krieger und zwei Händler mit einem weiteren Ochsenkarren, die erst zu ihnen gestoßen sind nachdem Juka verschwunden war, bleiben erstaunt zurück. Bulga, die Mutter von Anna liegt indes im Ochsenkarren. Sie wurde mit einer Decke zugedeckt und ist schon wieder beim Eindämmern.

Bent hat einen brennenden Holzscheit in der Hand, um Licht zu haben, als er Anna folgt.

„Du bist unvernünftig und wirst noch ins Wasser fallen!“, ruft er ihr hinterher.

„Werde ich nicht, ich richte mich nach meinem Gehör!“

Plötzlich springen zwei Männer aus dem Gebüsch hervor. Anna schreit entsetzt auf, als sie die Schatten sieht, aber sie haben es nicht auf sie abgesehen, sondern wenden sich Bent zu, der gut beleuchtet mitten im Wald steht. „Bent, gib acht!“, kann sie ihm noch zurufen, doch zu spät. Der eine der beiden Kerle entreißt ihm die Fackel, fast gleichzeitig sticht der andere mit einem langen Messer auf ihn ein. Anna schreit entsetzt auf und ihr gellender Schrei vermischt sich mit Bents überraschtem Stöhnen. Bent ist ohnehin geschwächt durch seine tiefe Verletzung am Hals. Er reagiert nicht so gut, wie sonst und begreift nur langsam. Stich um Stich erfolgt. Er ist derart geschockt, dass er keinen Schmerz empfindet und für einige Sekundenbruchteile wie gelähmt ist. Als er schließlich sein Schwert zieht, ist er schon so erschöpft, durch den hohen Blutverlust, dass er sich kaum auf den Beinen halten kann. „Warum?“, ruft er fassungslos, als er nach vielen erfolglosen Hieben in Richtung seiner Feinde in die Knie sackt.

Hohngelächter ertönt und dann kommt die Antwort: „Weil Gaska Kojala, die Tochter unseres Stammesfürsten aus Azawa, meine Frau, die Frau des Turik Balku sein wird, wenn es dich nicht mehr gibt. Ich bin ihr nächster Verwandter und ich werde das alles so aussehen lassen, als wären es irgendwelche Wegelagerer gewesen, die dich überfallen und getötet haben.“

„Aber Turik habe Erbarmen mit mir…“, bringt Bent nur mühsam hinter den Blut verschmierten Lippen hervor, „Stich nicht weiter zu.
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Wir …wir waren einst Freunde. Ich will ...will ja gar nicht Gaska. Meine große Liebe gilt... Andra!“

Nun halten die wutentbrannten Messerstecher doch inne. Annas Knie zittern, doch sie tritt mit dem Mörser in der Hand Turik entgegen.

„Und ich liebe ihn auch!“, schreit sie ins Dunkel der Nacht. „Ihr Idioten, warum habt ihr das getan? Seht ihr diesen Mörser hier? Wir werden leben, auch wenn wir vielleicht schon heute tot sind! “

Da springt Annas Bruder aus dem Gebüsch hervor, doch Turik ist gewappnet.

Ein Schwertkampf ist die Folge. Anna ruft um Hilfe, doch hält der Reisetross ihr Rufen aus dieser Entfernung eher für das Heulen eines Wolfes.

Als sie sieht, dass auch ihr Bruder verliert, zieht Anna ihr Messer und greift in den Kampf ein.

Doch nicht nur Turik auch dessen Begleitung ist ein hervorragender Krieger. Er hat große Erfahrung im Kampf.

Andra muss erleben, wie sich ihr Bruder schließlich mit einem überraschten Schrei die Halsschlagader hält, aus der nur so Blut schießt, gleichzeitig spürt Anna wie etwas Hartes ihren Brustkorb durchbohrt. Das kleine Messer, das sie immer bei sich getragen hat, fällt zu Boden. Sie fühlt sich plötzlich unendlich kraftlos und stolpert über Bent, der bereits im Blut durchtränkten Gras liegt. „Bent, ich liebe dich!“ stöhnt sie. „Eines Tages werden wir zusammen sein. Wenn nicht heute so doch morgen. Denke an die Bilder auf dem Mörser“, flüstert sie und sie küsst ihn auf den Mund, während sie stirbt.

Juka, die Frau mit den seltsamen schwarzen Haaren, hat all das Geschehnis mit verfolgt, aber sich nicht aus dem Gebüsch hervorgetraut. Sie greift nach Turiks Kette, die der Fürstensohn im Kampf verloren hat. Sein Symbol ziert diese Kette, jeder kennt es.

Mit einem Aufschrei wird Anna wach. Ist sie doch tatsächlich eingeschlafen. Verwirrt blickt sie um sich. Sie liegt ja noch immer im Zelt? Aber wo ist der Mörser? Bernd steht in der Tür und hält ihn in der Hand. „Weißt du Andra“, sagt er gedehnt. „Ich bin vorhin auch eingeschlafen und hatte einen merkwürdigen Traum. Er handelte seltsamerweise von diesem Mörser.
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Die Gefangene mit Namen Juka fand nicht nur Turiks Kette. Als die Mörder verschwunden waren, nahm sie auch deinen Krug mit. Sie erzählte, alles jenen, die mitgereist waren und Juka hatte schließlich sogar den Mut zu diesem Stamm zurück zu kehren, der sie eigentlich hatte opfern wollen. Die Wahrheit kam heraus.

Turik heiratete dennoch wenig später Gaska. Doch die beiden Stämme bekämpften sich noch Jahrzehnte lang. Ich bekam ein wunderbares Grab und du wurdest mir zur Seite gelegt. Auch dein Bruder wurde in allen Ehren begraben. Juka lebte in unserem Stamm mit ihren Kindern sehr glücklich und noch viele Jahre. Menschenopfer waren nicht mehr üblich. Stattdessen wurden Tonfiguren verbrannt.“ Er lacht plötzlich los. „Ist das nicht alles ein Quatsch? Wirklich so etwas kann ich niemandem erzählen, außer dir! Tja, so ist es, wenn man sich derart intensiv mit der Bronzezeit befasst, dass man solche verrückten Sachen träumt! Du wohl auch, nicht wahr?“ Er kommt ihr nun ganz nahe und ergreift ihre Hand. „Aber da ich nicht verheiratet bin und auch, soviel ich weiß, niemandem versprochen wurde, möchte ich dir heute Folgendes sagen: Andra, willst du Bent Hamaron den Stammesfürsten der Jingas heiraten?“ Und dann holt er ein uraltes wunderschön geflochtenes Band hervor und legt es um ihrer beider Handgelenke."Das da habe ich immer bei mir getragen, um eines Tages die Frau zu finden, die meine wirren Gedanken versteht."

„Bent“, meint sie leise und zärtlich. „Ja, ich will und sollte es uns auch diesmal nicht gelingen zusammen zu sein, dann weiß ich ja, dass wir immer wieder eine neue Chance bekommen werden.“

Licht fällt durch den offenen Zelteingang auf zwei Schatten, die sich innig küssen und dann auf den kleinen Mörser und die drei Symbole sind für einen Moment ganz deutlich zu sehen.



Ende
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