De Ding aus einer annern Welt   315

Kurzgeschichten · Amüsantes/Satirisches

Von:    ThiloS      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 9. August 2017
Bei Webstories eingestellt: 9. August 2017
Anzahl gesehen: 2633
Seiten: 3

Ich sitze gerade gemütlich vorm EDK beim schnellen Mittagessen mit Hähnchenschlegeln, einer Cola und einer guten Laune, als mir irgendjemand mit voller Wucht auf den Rücken haut und mich „NA, HAMMER MITTACH!!??“ anbrüllt. Ja, hammer und eigentlich will ich in Ruhe gelassen werden und mich irgendeinem dümmlichen Bento-Artikel („Wie ich es einmal mit meinen Putzgeräten trieb“) widmen, aber Henry, den alle seine Freunde Henry nennen, hat gerade blöderweise Zeit und hockt sich ungefragt zu mir.



„NA, SCHMECKTS?“ will er laut wissen und ich sage brav „geht so“, weil es doch der EDK ist und der bei Hähnchenschlegeln für kleines Geld nicht gerade ein 4-Sterne Tempel ist und alles Andere gelogen wäre. „ICH WÄÄSS, WO MER GUT ISST“, verkündet Henry quer über die Gasse und fügt dann hinzu „UNNE BEIM DING!“.



Ich werde hellhörig. Gutes Essen? Wo? „UNNE BEIM DING“ ist als Information zwar laut, aber zu wenig. Also hake ich nach. „Wo genau?“ „Na, da unne…“ sagt Henry merklich leiser, gestikuliert in Richtung Italien und legt die Stirne kraus, „wennde die Ding nunnerfährst, da am… na, wo der Fahrradlade ist… wie hässten des jedzz…“.



Ich kann förmlich hören, wie die Mechanik in Henrys Hirn knirscht, als er sein geistiges Google-Maps hochlädt. „Wennde vom Schloss aus…“ sagt er und hält inne, da ihm anscheinend der Weg vom Schloss zum Ding doch zu kompliziert erscheint. „Annerster!“ sagt er und hebt an: „Wennde unne am Määä…“, dann stoppt er wieder. Auch das scheint die falsche Route zu sein und ich überlege fieberhaft, wo ein „Fahrradlade“ in der Nähe unseres Schlosses sein könnte. Aber mir fällt nichts ein.



Henry stützt seine Stirn auf die Hände und versinkt in Verzweiflung. „Wenn Du obbe am Rathaus stehst…“ holt er erneut aus, ganz langsam, ohne mich anzusehen „…un dann nunner am Ding vorbei gehst…“. Ich habe meinen teuflischen Tag: „An welchem Ding gehe ich vorbei?“. „Ei unne, der Ding, wo immer die Würscht macht…“ erklärt er. „An der Metzgerei?“, helfe ich nach. Henry, erleichtert, „ja genau, Du gehst annde Metzgerei vorbei… aber wadde mal… der is doch fort, da is jedzz en Annerne drin…“. Oha, es wird gefährlich. Wenn Henry jetzt noch darüber nachdenkt, was der Nachfolger der Metzgerei Semmelmann („Qualität seit 1926“) jetzt herstellt, sitzen wir morgen früh noch.
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Ich helfe nach: „Egal, ich gehe an der ehemaligen Metzgerei vorbei…“ – „Ja genau, annde Metzgerei vorbei…“ echot Henry „und dann dadenach nach links… Nä, nach rechts…“ und er versinkt wieder in tiefes Grübeln. Ich stehe geistig vor der ehemaligen Metzgerei, in deren 70er-jahre gekachelten Wurstverkaufsraum sich heute ein Tattoo-Studio befindet und dessen wenig vertrauenserweckend aussehenden Besitzer sich rauchend öfter vor als im Laden befinden und weiß nicht, wohin ich nun muss. Und meine Mittagspause nähert sich dem Ende.



Ich versuche es mit raten: „Meinst Du den Griechen, drei Häuser weiter?“ Aber Henry schüttelt den Kopf. „Nä, den mään ich nit“, sagt er traurig. Gut, der Versuch war es wert. Ich versuche, Henrys Empfehlung einzukreisen. „Was hat der Laden denn für eine Küche?“, frage ich vorsichtig. Henry interpretiert die Frage aber falsch. „Des macht der Ding, der hat früher aach den Lade in Darmstadt gehabt. Herrgott, wie häässt denn der…“. Na prima. Meine harmlose Frage hat einen Nebenkriegsschauplatz aufgemacht, Henry weiß nicht nur, wie der Laden nicht heißt, sondern auch nicht, wer ihn nicht betreibt und wie ich auf jeden Fall nicht hinkomme. „Ganz bekannte Name…“ schiebt er brummelnd hinterher. Leider nicht bekannt genug, als dass er oder ich mich daran erinnern könnten.



Ich ändere die Taktik: „Du meinst aber nicht den Ding, der da in der Nähe von der Fußgängerzone…“ werfe ich ihm als Appetit-Häppchen hin. Henry schaut mich an, als hätte ich den Verstand verloren. „DER ITALIENER? UNNE AN DER KÖNISCHLUDDPOLLDSTRASSE? DER WO DES „BASILICO E POMODORE DA LEONARDO DA VINCI IN EXCELSIS DEO“ HAT UNN IN UNNERAFFERBACH WOHNT? DER MIT DERRE FISCHBLADDE WO DEN ESSELLKA FÄHRT? ICH HAB VON GUUUUUTEM ESSE GESPROCHE!!!!“ belehrt er mich laut brüllend und bemerkt gar nicht meine Verblüffung über sein plötzlich detailliertes Erinnerungsvermögen. „NÄ, ICH MÄÄN BEIM DING…“ und dann sackt Henry in sich zusammen, als hätte man ihm den Stecker gezogen, zurück in die Nachtschwärze seines Gehirns. An einen Ort, an den ihm niemand folgen kann. Nicht einmal er selbst. Links oder rechts an der ehemaligen Metzgerei vorbei.



Unerbittlich tickt die Uhr.



„Henry, sei mir nicht böse…“ sage ich zaghaft, weil ich gerne weg möchte und sicher irgendwann versehentlich DE DING besuchen werde oder auch nicht, aber Henry lässt nicht locker.
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Ich will aufstehen, aber Henry hält mich am Arm fest und sieht mir direkt in die Augen. „WÄÄSTE WAS? MIR TREFFE UNS HEUT AWEND UND DANN GEHN MER DA HIII“ schlägt er vor, aber ich habe heute Abend, ehm, schon irgendetwas Wichtiges plötzlich vor und kann nicht und will auch nicht im Freien übernachten, wenn Henry sich in der Altstadt verläuft und sage deswegen, dass ich etwas Wichtiges heute Abend vorhabe und das leider nicht geht.



Ich verabschiede mich von Henry und höre ihn im Weggehen noch „de Ding, de Ding“ wimmern und irgendwie tut er mir auch leid, aber ich muss jetzt echt wirklich…



Ein paar Tage später stehe ich unten am Main, in der Nähe des Fahrradladens und greife mir ans Herz, von dem ich fürchte, dass es stehen bleibt. Vor einer nagelneuen Kneipe hängt ein nagelneues Schild. „DAS DING“ nennt sich der nette Laden mit der netten Speisekarte. Und ich bin Henry jetzt ein verdammtes Essen schuldig!
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Punktestand der Geschichte:   315
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Kommentare zur Story:

  Ich habe mehrfach geschmunzelt. Vor allem der Absatz mit dem, was alles nicht ist, hat mir ausgesprochen gefallen. Manches Mal hatte ich Bilder einer Flensburger-Reklame vor Augen. Du bist aber viel humorvoller. Sehr schön.  
   Frank Bao Carter  -  12.08.17 14:03

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  Wieder mal hast du perfekt eine dieser Situationen im Leben beschrieben, die man lieber NICHT erleben möchte.
Oh Mann! Diese Quälgeister sind unter uns! Ich schätze ihren Anteil auf nahezu zehn Prozent. Meistens sind sie besoffen, wenn sie uns regelrecht anfallen und an einem hängen wie eine zugeschnappte Bärenfalle. Es gibt kein Entkommen! Wenn ich jeden, bei dem ich beinahe so weit war, umgebracht hätte, der mir so gekommen ist, hätte ich rund fünfzigmal "Lebenslänglich" zusammenbekommen in meinem Leben.
Köstlich geschrieben, auch wenn das Lesen leisen Ärger weckt.  
   Stefan Steinmetz  -  12.08.17 13:38

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  Köstlich, da muss man einfach grinsen, ob man nun will oder nicht.  
   axel  -  10.08.17 16:59

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Interessante Kommentare

Kommentar von "weltuntergang" zu "Abschied nehmen"

Schweres und schönes Gedicht. Gefällt mir sehr total. Ganz liebe Grüße

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