All inclusive. Ein Träummchen.   178

Kurzgeschichten · Amüsantes/Satirisches

Von:    Waldkind      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 25. September 2016
Bei Webstories eingestellt: 25. September 2016
Anzahl gesehen: 2234
Seiten: 5

Wir kennen alle die Fantasie eines perfekten All Inclusive Urlaubes.

Entspannung Pur.

Keiner muss was machen und keiner meckert außer den zahllosen Ziegen die sich außerhalb der Hotelanlage auf einem stinkigen Berg tummeln.

Ich frage mich am Buffet immer, wie die genau die Menge an Gestank in diesen göttlichen Käse bekommen, die es mir noch erlaubt ihn mit Genuss zu essen, aber mir dennoch verrät, dass es sich um Ziegenkäse handelt.

Man kann tun und lassen, was auch immer man will und überhaupt geht es allen anwesenden Personen, inclusive des Personals gut.

Allerdings grunzt der Oberkellner verächtlich vor sich hin, wenn wir all zu pünktlich auf der Sonnenterasse des Speisesaals aufschlagen, um auch wirklich die allerersten zu sein.

Jeder außer ihm trägt ein wie von zu vielen Tschernobylreisen verstrahltes Lächeln zur Schau und die Menschen sehen irgendwie attraktiv aus.

Natürlich aus meiner Sicht heraus nie so attraktiv, wie ich selbst, denn das wäre nicht gut für mein Ego.



Vor mir zum Beispiel sitzt eine dieser krebsrotgerösteten Engländerinnen. Wenn ich mir ihre massigen Rückenansicht betrachte, komme ich nicht umhin mir auszumalen, wie sie ihren Job als Frauenknastschließerin in Dartmoor ausübt. Oder die Freundin eines glatzköpfigen, tätowierten und sicherlich äußerst aggressiven Hooligans ist. Fischmarkt, schießt es mir in den Kopf. Fischausnehmerin auf dem Billingsgater Fischmarkt wäre DIE! Möglichkeit. Schwitzig, ja, sorry, wahrscheinlich extrem stinkend und mit einer dieser schweren weiß speckigen Schürzen, an denen der Brei aus Fischinnereien und muffigem Blut herunterfließt. Als ich allerdings den dazugehörigen Mann neben ihr Platz nehmen sehe, drängt es mich zurück zu meiner Annahme Nummer zwei. Hooligans. Er trägt nämlich eine Glatze und nur relativ eindeutige, weil ewig mäandernd wie ein Ölteppich nach der Havarie eines Tankers, Tattoos.

Am Abend zuvor hatte ich speziell diese noch nicht bemerken können, weil das Britenpärchen zwar nicht ordentlich, aber immerhin bekleidet gewesen war und es gibt ja schließlich mehr als einen Grund für einen Mann, Glatze zu tragen. Von altersbedingtem Haarausfall ganz zu schweigen.



Meine Wahrnehmung an diesem Abend war etwas von der Show abgelenkt gewesen, die er vor der zarten dunkelhaarigen Kellnerin mit den großen braunen Rehaugen aufführte, weil die ihm erklären musste, dass Tonic nicht Bestandteil des All Inclusive Programms sei und er sich doch bitte seinen nicht gerade zaghaft dargebrachten Wunsch in den Allerwertesten schieben sollte.
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Dabei war sie wirklich äußerst charmant gewesen.



Nun ja, genug von den Engländern.... Nur soviel, es gibt sie hier zuhauf und in allen Altersklassen.



Very british people. All inclusive. Sogar after eight.



Weg von dem hummerroten Rücken schweift mein Blick über den blauen Pool in dem sich gerade eine Horde wild gebärender und animalisch stöhnender Frauen mit bunten, störrischen Schwimmnudeln um eine Animateurin mit perfekter Figur und nahtloser Bräune tummelt. Mit viel Enthusiasmus versuchen sie dabei mehr Wasser im Pool zu verdrängen, als es ein Pottwal mit seiner aufs Wasser aufschlagenden Schwanzflosse schafft. Nur, warum tun die das? Ihr verbissen anvisiertes Endziel ist (Dreifachtusch!) die perfekte Figur der Animateurin. Das einzige was die schwergewichtigen Amazonen bei all dem guten Essen in diesem Urlaub aber noch erreichen könnten, wäre deren nahtlose Bräune. Aber bitte, BITTE!!! mögen die das bloß nicht erkennen und brav angezogen bleiben.



Figurneid. All inclusive.



Eine zarte Blonde guckt sich neben mir grinsend ebenso die Walperformance an und scheint mit ihrer elfengleichen und ätherischen Erscheinung auf den ersten Blick eine dieser perfekten, schlanken Figuren zu haben, wie die auch immer von Models auf den unzähligen Stöckelstegen der Modewelt präsentiert werden. Ihre Erscheinung hält meinem kritischen Blick aber nicht bis ins letzte Detail stand. Bauch. Sie hat eine Wampe. Vielmehr lässt sie ihren eigentlich nicht vorhandenen Bauchranzen mangels guter Haltung einfach hängen und steht in einer ungesunden Hohlkreuzhaltung da. Ich mutmaße, dass sie die von einem der klischeehaften und schlecht synchronisierten Pornos abgeguckt hat, die ihr Basecap tragender Freund, der die komplette Zeit ins Handy glotzt, ihr zu Fortbildungsmaßnahmen an die Hand gibt. Muss ja nichts dran sein aber meine wirklich sehr bildhafte Fantasie treibt mir ein breites Grinsen ins Gesicht.



Innerliches Lästern. All inclusive.



Vorne an der Bühne zetern jetzt die Animateure mit Headsets auf der Bühne herum und ich meine gleich müsse eine Michael Jackson Gedächtnissschow auf die Beine gestellt werden, doch die bunte Hampeltruppe verkündet nur, dass das Mittagsbuffet eröffnet ist.
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In Folge dieser Verkündigung machen sich die Walmasse aus dem Pool, alle stolz das royale purpur tragenden Engländer und die hängebäuchige Elfe mitsamt ihrem Basecappornorallefreund prompt auf, um am Kreuzzug zum geheiligten Buffet mitzumachen. Diesem Tross schließen sich auch gleich die Ehemänner der Aquafitnessxenas und Gabrielles in banger Erwartung des Heiligen Grals und der Unsterblichkeit ihrer Frauen an. Sie müssen da mitziehen, ob sie wollen oder nicht.

Ich grinse in mich hinein, denn meine bunte und lustige (für mich!) Gedankenwelt lässt mich auch nach außen breit grinsen, was mich glücklich macht. In dieser seligen Stimmung kann ich selbst die langsameren und etwas hilflos wirkenden Senioren, die sich hinten an die Kriegsmaschinerie angeschlossen haben, mit liebevollem Humor betrachten und den ein oder anderen sogar in mein Herz schließen. Denn genau unter diesen Herrschaften gibt es sie, die Gentlemans, die ihren Frauen Besteck und Servietten hinterhertragen, wenn die das vergessen haben und Paare, die gemeinsam den von der Krankenkasse gesponserten Rollator als Servierwägelchen entfremden und sich liebevoll anblicken, während sie sorgsam und im Schneckentempo die anderen in der Schlange zum Wahnsinn treiben.



Kriegsschauplätze besichtigen. All inclusive.



Während ich so sinniere, fällt mir auf, dass ich immer noch warte. Auf den heißen Typen mit dem ich meinen Urlaub verbringe und auf meinen Mann. Wir werden deshalb zu spät zum Buffet kommen. Wo ist er nur wieder abgeblieben? Ich habe Huuuunger! Großen. Langsam beginne ich wegen der einsetzenden Unterzuckerung nervös zu werden und springe so hektisch auf, dass ich hinter mir einen erfolgreichen Buffeteroberer mitsamt seinem Teller, der voller ist als Harald Juhnke zu seinen Besten Zeiten, umgestoßen habe. Naja, ein wenig Schwund ist ja immer. Runde um Runde begehe ich alsdann den Beckenrand des Pool und suche die Wasseroberfläche schematisch nach kleinen kräuselnden Wasserbewegungen ab. Ich fürchte, Heribert hat sich wieder mit seinem Schnorchel unter Wasser versteckt, weil der die ewige geschmacksverirrte Animationsmusik nicht ertragen kann und davon Tinnitus bekommt. Sagt er. Aber wahrscheinlich übertreibt er wie immer maßlos. Meine Muskeln beginnen wegen des einsetzenden Schocks (wegen der Unterzuckerung) zu zittern.
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Und mein Körper beginnt nun, dezent die Kontrolle zu verlieren. Der glitschige Beckenrand tut sein übriges und während ich einen weiteren suchenden Schritt mache, verliere ich völlig die Kontrolle und falle in Richtung Pool. Unter Wasser fällt mir zwar noch meine klare Sicht komisch auf und dass mir die Augen nicht wie sonst wegen der Unmengen von in die Visage geschmierten und nicht auf Gesichtstauglichkeit überprüften Sonnenmilch brennen, aber ich denke mir nichts weiter. Ich sinke an Heribert vorbei, der wie erwartet mit seinem rießigen schwarzen Schnorchel im Mund unter Wasser kauert und sich völlig überflüssigerweise die Hände auf die vom Wasser ohnehin schon verschlossenen Ohren presst. Heribert sieht komisch aus. Aus seinem linken Nasenloch perlt Plopp! Plopp! Plopp! immer wieder ein kleines Luftbläschen. Rechts kommen kleine bunte Ballons heraus. Ich weiß nicht, wie er das macht, aber es ist jetzt eigentlich auch egal. Viel schlimmer ist die Geschmacksverirrung an Badehose, die er trägt. Hellblau, knalleng und mit weißen Rüschen am unteren Beinabschluss. Als ich die fette goldene Gürtelschnalle erblicke und sich Sonnenkönig Louis Bild über Heribert legt, bildet sich ein Strahlenkranz um ihn, der den Pool in goldenen Schimmer taucht. Mein kleiner, dicker und verängstigter Heribert in Embryonalhaltung. Die kleinen Luftballons und das monotone Plopp! Plopp! Plopp! der rießenhafte Schnorchel und die LouisXIVhomagebadeshorts sind zu viel für mich. Ich kann meinen Atem nicht mehr anhalten und will an die Wasseroberfläche. Dort kann ich aber nicht hin, weil mir meine Muskeln wegen des Schüttelns so gar nicht mehr gehorchen wollen. Beständig weiter sinkend, falle ich in einen tiefen Schlaf. Und während die kleinen zauberhaften Glöckchen im Pool "My Way" anstimmen, muss ich wohl einfach so hinüber gegangen sein. Also tot.



Wahnsinniges Vergnügen. All inclusive.



"Nicole, Nicohol!" Unsanft aus was auch immer gerissen und völlig verwirrt, weiß ich nicht, wo ich bin. Ich nehme einen Lichttunnel wahr in dem ich sitze und blicke an mir hinab. Eine rote zähe Flüssigkeit perlt langsam von meiner linken Brust in meinen Schoß. Ertrunken! Ich bin doch ertrunken, denke ich und dann denke ich: Blut?

"Nicole, um Himmels Willen!".

"Heribert?", flüstere ich und "du dürftest gar nicht hier sein, wegen des rießigen schwarzen Schnorchels den du in deinem Mund.
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..."

Mit beiden Händen versuche ich theatralisch stöhnend wie eine jüdische Mutter die Blutung an meinem wunden Herzen zu stoppen. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich könnte dem soeben erlittenen Tod noch einmal entrinnen.

"Servietten, ich brauche Servietten! Ach, was ist denn mit dir los?", tönt Heribert, ähhh Heribert? Was oder wer war noch gleich ein Heribert? neben mir nun genervt. Versucht es mich zu retten, dieses Heribert? Ich wende meine Augen vom Lichttunnel ab und drehe meinen Kopf nach links. Ich bin fassungslos. Links neben mir sitzt kein Heribert. Links neben mir guckt mich der Mann meines Herzens, der so ganz und gar nicht Heribert heißt, besorgt durch seine runde Brille an, während er krampfhaft versucht den glibberigen Tomatensaft, den ich wohl im Schlaf von dem kleinen Tischchen gerissen habe aus meinem Sommerkleid zu tupfen. Ich erwähne jetzt mit keinem Wort, dass es ihm nicht gelingt. Aber er ist rührend um mich bemüht und trägt keine komische Badehose, sondern cremefarbenes Leinen. Mir geht es gut. Meinem Sommerkleid nicht. Ich sitze im Flugzeug. Wir fliegen gerade über die Biscaya und es ist friedlich und fast still.

In zwei Stunden sind wir da.

In unserem All inclusive Paradies.
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Punktestand der Geschichte:   178
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einfach toll, dieses frühlingsgedicht. du findest in deinen gedichten häufig ganz eigene, besondere bilder. wunderschön, ohne kitschig zu sein.

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