Tante Anke und die Wahrheit   234

Kurzgeschichten · Amüsantes/Satirisches

Von:    ThiloS      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 13. Februar 2015
Bei Webstories eingestellt: 13. Februar 2015
Anzahl gesehen: 2338
Seiten: 4

So mit sechs-sieben Jahren, da fand ich Tante Anke ziemlich cool. Das war Anfang der 70er, Tante Anke war 23 Jahre jung, schwarzhaarig, hatte eine ziemlich verrückt eingerichtete Wohnung und roch immer leicht süßlich, aber gut, und war so ziemlich das schwarzhaarigste Schaf der Familie.



Sehr viel später erkannte ich den süßlichen Geruch wieder, als vor meiner mündlichen Prüfung eine Kippe herumging, die bei uns Azubis eine Viertelstunde später zu einer recht gelassenen und ausgelassenen Stimmung in der Prüfung führte.



Tante Anke, soviel wusste ich noch, machte beruflich "irgendwas Soziales" und ich kann mich bis heute nicht restlos des Verdachts erledigen, dass sie eine sehr persönliche und sehr serviceorientierte Art von "Altenpflege" im Frankfurter Bahnhofsviertel praktizierte...



Wie auch immer, man hat sich irgendwann mal aus den Augen verloren, Tante Anke heiratete, liess sich scheiden und heiratete noch einmal, einen farblosen Buchhalter, nett, aber unbedeutend und bekam zwei Kinder. Gelegentlich sah man sich auf größeren Familienfesten, dann war sie mal ziemlich böse krank und heute sitzen wir auf der Hochzeit meines anderen Neffen (kein Kind von ihr) zusammen und wie der Zufall es will, sitzt sie neben mir.



"Na, und? Wie geht es Dir?" fragt sie. Danke, es geht mir gut, das Geschäft läuft flott, meine Kinder sind weder krank noch behämmert und wir sind gesund. So, wie es sein soll.



"Ist das Dein Auto, der Schwarze da draußen?" Ja, ist es. "Ganz schön protzig" findet sie.



Und hätte ich gewusst, wie sich dieses Gespräch weiter entwickelt und wäre ich vielleicht auch etwas intelligenter und diplomatischer, dann hätte ich mich jetzt dafür entschuldigt und mich woanders hingesetzt. Aber ich habe es verbockt, für mich war Tante Anke immer cool.



Stattdessen antworte ich Idiot: "Mag sein. Aber ich kanns mir leisten".



Ich hätte jetzt gedacht, Anke lacht, weil sie mich ja immerhin seit ein paarundvierzig Jahren mehr oder weniger kennt.



Falsch gedacht.



"Ziemlich arrogant" sagt sie. Und "wegen Leuten wie Dir stirbt die Ozonschicht" sagt sie auch.
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Ganz offen gesagt hat mein Diesel einen Russpartikelfilter neuester Bauart, während ihr abgefuckter 3er Golf bestenfalls einen nicht funktionierenden Katalysator hat. Und ich sage Ihr das mit dem Russpartikelfilter, den Teil mit dem abgefuckten Golf lasse ich weg.



"Ich bräuchte so ein großes Auto nicht, um glücklich zu sein" reibt sie mir als Antwort unter die Nase.



Alter Verwalter.



Ich brauche das verdammte Auto auch nicht, um glücklich zu sein, aber ich finde es geil, die Karre zu haben und außerdem ist es mir scheissegal, was Tante Anke braucht, um glücklich zu sein.



"Dir gehört es ja auch nicht" gebe ich immer noch freundlich zurück und stelle voll Entsetzen fest, dass ich mich mit "es ist halt einfach schön, mit dem Teil in den Urlaub zu fahren, weil wir da eben Platz für die Familie haben" zu allem Überfluss auch noch rechtfertige.



"Ach Ausreden" putzt sie mich ab "was muss man denn überhaupt mit dem Auto in den Urlaub fahren? Das geht auch mit der Bahn und ICH kann es mir auch zu Hause gemütlich machen. Dazu brauche ich nicht weg."



Aha.



Doch, ich muss im Urlaub weg, um die Tante Ankes dieser Welt hinter mir zu lassen, aber das kann ich nicht sagen, weil es doch eine Familienfeier und alles so schön harmonisch ist und Tante Anke doch mal so eine coole Sau war.



Stattdessen sage ich entschuldigend "naja, wir fahren ja nicht sooo weit, mal in die Berge oder an die Ostsee..." "Ostsee?" unterbricht sie mich "Was will man denn DA? Da ist doch nichts."



Mittlerweile habe ich mein drittes Glas Wein hinter mir. Ich bin ein paarundvierzig Jahre alt, habe keine Drogen genommen und nicht meine Mumu jubeln lassen. Ich habe einen guten Job, ein nettes Geschäft mit netten Mitarbeitern, Einnahmen, die deutlich über der Beitragsbemessungsgrenze liegen und absolut keine Lust und keinen Bedarf, mich von einer Ex-Dope-Nutte mit Haarausfall und einem verpfuschten Leben belehren zu lassen. Zumal sie die Ostsee ja wohl nur von der heimischen Couch aus kennt, weil sie da ja so glücklich ist, die dumme Nuss.
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"Doch" sage ich "da ist es sehr schön. Rostock zum Beispiel, ein wunderschönes Hafenstädtchen..." "...voller Neonazis" packt sie dazu.



Ja klar. Ich fahre mit der Familie nach Rostock wegen der Neonazis, die ich da besichtigen kann, Du dämliche Flanschkuh.



"Nein, im Ernst. Uns gefällt es da. Und ich habe da auch noch keine Neonazis gesehen." "Ja, weil Du nicht mit offenen Augen durch die Welt gehst. Aber naja, wenn Du meinst, ich brauch das nicht."



Nein, Tante Anke braucht eigentlich einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf, denke ich mir und nehme Wein Nummer 5 in Angriff.



"Du hast auch ganz schön zugelegt" teilt sie mir zusammenhanglos mit.



Ja, habe ich, deswegen habe ich im Gesicht auch nur halb so viel Falten wie sie an ihrem runzligen Arsch, aber ich darf das nicht sagen und muss nett sein. Ich halte einfach die Klappe und kippe Wein Nummer sieben. Und acht.



Aber Tante Anke lässt nicht locker.



"Zuviel Essen ist ungesund und Du kannst davon krank werden. Herzkrankheiten, Gefässkrankheiten, Herzinfarkt..."



...und ich höre mich mit schwerer Zunge sagen: "ich bin hier bei einer Hochzeit und nicht auf einem medizinischen Symposium. Und ich frage mich, wie scheisse eigentlich ein Leben gelaufen sein muss, das einen Menschen dazu bringt, andere permanent zu bewerten, zu belehren, zu beschnuddeln und zu bevormunden. Du warst einmal eine hübsche junge Frau und ich fand Dich schon mit sieben sexy und heiss und total cool. Es mag sein, dass Dir das Leben nichts geschenkt hat, aber Du hast dem Leben auch nichts geschenkt und ihr seid quitt, Du und das Leben. Du bist heute nur noch eine vertrocknete alte Kuh, voller Bitterkeit und Neid auf andere, die sowohl die Kontrolle über ihre Geschlechtsteile als auch über ihr Leben hatten. Es ist mir sowas von völlig scheissegal, ob Du auf Deiner 80er-Jahre-Couch die glücklichste Fernsehzuschauerin der Welt bist und es ist mir wurstegal, ob Dir mein Auto oder meine Urlaubsziele gefallen. Du bist der erste Mensch, den ich persönlich kenne, der zwar schon tot, aber noch nicht beerdigt ist. Was ist los mit Dir? Wann hast Du beim Rettungsring dicht daneben gegriffen?"



Sie schaut mich entsetzt an: "Du bist betrunken".
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"Mag sein - aber ich habe Dich nie nüchterner gesehen" gebe ich zurück.



Sie springt auf, schnappt sich ihre Handtasche und verschwindet auf der Toilette. Ich nutze die Gelegenheit, packe Frau und Kinder zusammen, murmle dem Hochzeitspaar eine fadenscheinige Entschuldigung zu und haue in meinem protzigen rußpartikelgefilterten Ostseetaxi ab.



Ich wurde viel später gefragt, was ich eigentlich zu Tante Anke gesagt hätte, weil sie auf dem Klo unheimlich geheult hätte und mich dann als "blödes Arschloch" bezeichnet hätte.



Ich habe dann die Schultern gezuckt und gesagt: "Ich weiss es nicht mehr, aber ich schätze, es war die Wahrheit".
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Punktestand der Geschichte:   234
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Kommentare zur Story:

  Sehr schön. Auch ich habe solche Tanten in der Familie. Habe mich köstlich amüsiert.  
   Marco Polo  -  14.02.15 15:46

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  Ärledischt!  
   ThiloS  -  14.02.15 13:19

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Hallo Thilo, leider ist nur ein Teil deines Textes zu uns rüber gekommen. Es wäre schön, wenn du den Rest noch mit anhängen würdest. Dazu gehe bitte unter: Story bearbeiten.

Liebe Grüße  
   Tlonk  -  13.02.15 08:16

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