DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 8 - MIT JUPITERS HILFE...   339

Romane/Serien · Spannendes

Von:    Ingrid Alias I      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 14. November 2014
Bei Webstories eingestellt: 14. November 2014
Anzahl gesehen: 3002
Seiten: 10

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


„Nun beginnt es!“ Vanadis wurde durch eine zittrig klingende Frauenstimme geweckt, sie richtete sich schlaftrunken auf und stellte fest, dass es sich um die der Caenis handelte. Die Freigelassene stand vor ihrem Bett und wirkte etwas aufgelöst. Ungewohnt, die immer zurückhaltende und beherrschte Caenis so zu sehen.

Sie erhob sich von ihrem Lager, dehnte ihre Glieder und fragte dann: „Was denn? Was beginnt nun? Doch nicht etwa das Unheil, oder?“

Die Caenis lachte auch, aber es hörte sich unsicher an. „Ich schließe das mal aus. Als erstes werden wir den Hafen Classe besichtigen. Das ist Tradition. Und danach gehen wir ins Theater...“

„Oh“, sagte Vanadis gewollt neckisch. „Wird da etwa ein Theaterstück aufgeführt, eine dieser langweiligen griechischen Tragödien?“

„Manchmal ja“, lächelte die Caenis – falls sie sich unsicher fühlte, dann überspielte sie das meisterhaft – „aber heute nicht, heute werden andere Sachen gezeigt. Gladiatorenkämpfe zum Beispiel oder Tierhatzen, und heute werden wir dort einen gewissen Mann sehen, sein Name fängt mit einem T an…“

Die Caenis war aufgekratzt wie ein Hühnerhaufen, so nannte man das im Chattenland. Vanadis wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie verspürte eine gewisse Angst. Was würde aus dieser Aktion werden? Sie konnte nur hoffen, dass sie gut geplant war. Sie hatte nämlich nicht nur Angst um die Caenis, sondern auch um sich selber. Was würde mit ihr geschehen, wenn die Caenis nicht mehr wäre…

Nach dem Frühstück – es wurde ihr in der Küche des Hauses serviert und bestand aus Brot, Oliven und Schafskäse – besichtigten Caenis und Vanadis also den Hafen, der Classe genannt wurde. In einer Sänfte wurden sie dorthin getragen, Vanadis hatte noch nie in einer Sänfte gegessen und fühlte darin fehl am Platze. Es ging entlang eines stinkenden Kanals, er führte in eine riesige Lagune, und in dieser war die östliche Flotte stationiert.

Es mussten Hunderte von Schiffen sein, die dort am Kai lagen. Der Hafen bestand wirklich aus Eichenbalken, über die man auf verschlungenen Wegen jedes Schiff erreichen konnte. Nicht direkt natürlich, manche lagen fünffach hintereinander und waren durch Planken miteinander verbunden.

Es gab verschiedene Schiffstypen, die Caenis redete über Trieren, Quadriremen und Liburnen und deren Namen.
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Sie waren alle nach römischen Gottheiten und Flüssen benannt. Vanadis interessierte das nicht besonders, hörte aber geduldig zu.

„Wann geht es denn ins Theater?“, fragte sie vorsichtig.

„Gleich, meine Liebe, gleich! Mein Freund Thedos, der Sekretär des Livius Laventius hat alles vorbereitet.“

„Warum tut dieser Sekretär das eigentlich?“

„Nun, er hat noch eine Rechnung mit dem Livius Laventius offen, dieser werte Herr ist nicht sonderlich beliebt bei seinen Mitmenschen, egal ob es sich um Sklaven handelt oder um seine Untergebenen beim Heer. Wie auch immer, ich halte den Thedos für sehr zuverlässig. Er wird den Austausch organisieren, zumal ich versprochen habe, ihn im nächsten Jahr seinem Herrn abzukaufen und ihn danach freizulassen...“

Vanadis’ Bewunderung für die Caenis stieg immer mehr, diese Frau war ein richtiges Schlitzohr, wie man in Chattenland sagte, sie war mit allem Wassern des Tibers gewaschen, nebenbei war sie auch noch eine ausgezeichnete Geschäftsfrau, sie hatte ein Vermögen angehäuft und das als eine Freigelassene.

Hoffentlich setzte Fortuna den Glückslauf bei ihr fort. Es wäre allerdings nicht von Schaden, auch Jupiters Beistand zu erflehen, ja wirklich, obwohl Vanadis normalerweise die Götter Roms nicht sonderlich schätzte, meinte sie es ernst damit. Jeder höchst göttliche Beistand war willkommen, auch wenn man nicht an diese Götter glaubte. Das gemeine römische Volk hatte sowieso andere, urbanere Götter, denn Jupiter und Konsorten waren speziell für den Adel da...

In diesem Augenblick überreichte ein Kurier der Caenis eine zusammengerollte Botschaft.

Die Caenis las angespannt, doch dann lachte sie erleichtert auf. „Das Schreiben ist von Marcus: Heute Morgen traf eine Depesche aus Rom ein. Vom Kaiser selber... Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus, unser Imperator“, wieder musste die Caenis lachen, „verlangt unverzüglich die Gegenwart seines Freundes Marcus Colonius, dieser soll sich so schnell wie möglich bei ihm einfinden.“

„Oh nein, hat der Kaiser etwa Verdacht geschöpft?“ Vanadis sprach instinktiv leiser.

Die Caenis schüttelte den Kopf. „Wir haben Glück, Fortuna ist uns günstig gesinnt.
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Der Asiaticus probt angeblich den Aufstand, und Claudius fürchtet um seine Macht. Deswegen lässt er wohl seine Vertrauten nach Rom zurückkehren. Dabei ist nur die Schlampe Messalina an allem Schuld, aber der Claudius ahnt ja nichts davon. Am liebsten würde ich ihm die Wahrheit sagen, doch er ist wie besessen von dieser Frau...“

Die Messalina hatte damit zu tun? Messalina, die Kaiserin, die junge Frau des alten Claudius’ war die beste Freundin der Sidonia, beides Schlampen, beide verderbt. Hoffentlich hatte die Sidonia nichts mit diesem Aufstand zu tun. Nicht, dass sie für diese Schlampe fürchtete, aber Marcus würde dadurch auch in den Strudel der Vernichtung hineingezogen werden.

Bei näherer Überlegung korrigierte Vanadis ihre Meinung: Sollte sie das überhaupt interessieren? Nein!

„Das ist ja wirklich ein Glücksfall“, sie lächelte die Caenis an – und fragte sich, ob die irgendetwas wusste über Marcus’ Eheleben. Verdammt, sie war ja schon genauso pervers wie Roms Oberschicht… Dieser Dreck ging sie nichts an.

„Wir sollten uns also beeilen“, die Caenis wirkte jetzt sehr nervös. „Wir müssen den Hafenbesuch sofort abbrechen und uns in das Haus unseres Gastgebers begeben. Jetzt wird es eng, denn Marcus darf den Kaiser nicht zu lange warten lassen.“

„Das ist aber schade, ich hätte ihn gerne kämpfen sehen“, sagte Vanadis enttäuscht und fügte erklärend hinzu: „Den Thumelicus natürlich...“

„Ich auch, meine Liebe. Doch nun bleibt uns nur die Hoffnung, dass es meinem Freund Thedos gelingt, den Austausch zu bewerkstelligen. Er befindet sich mit dem Imaginus schon im Theater. Und wenn alles gut geht, wird er mit dem Thumelicus auf schnellstem Wege zu uns stoßen. Wir werden uns auf dem Weg zum westlichen Stadttor treffen. Wenn alles gelingt…“

„Wenn alles gelingt...“, murmelte Vanadis. Sie fühlte sich unsicher. Bei diesem Plan gab es so viele Unwägbarkeiten, und vor allem das Aussehen der beiden Auszutauschenden bereitete ihr Sorgen. Jeder Idiot musste erkennen, dass es sich um den Thumelicus handelte und nicht um den Sklaven Imaginus. So blind konnte keiner sein…

Ihre Gedanken waren bei dem Sklaven, aber auch bei dem Thumelicus, den sie gar nicht kannte, der aber ihr Leben bestimmt hatte.
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Auch die Caenis wirkte betrübt. Dachte sie gerade an den Imaginus oder an den anderen, den sie retten wollte? Es war furchtbar, alles…



Eine Kutsche stand vor dem Haus ihres Gastgebers. Dahinter Marcus zu Pferde, mit einigen Soldaten hinter sich, auch zu Pferde. Obwohl er sich nichts anmerken ließ, spürte Vanadis die Anspannung hinter seinem beherrschten Gesicht. Er riskierte wirklich viel, und das machte ihn für sie noch undurchschaubarer.

„Ich habe mich schon vom Hausherrn verabschiedet und eure Sachen in die Kutsche laden lassen. Wir haben nicht mehr viel Zeit, der Kampf des Thumelicus ist vorverlegt worden, er hat einen unangenehmen Gegner, einen Netzkämpfer aus Nubien – und ich hoffe bei Jupiter, dass er ihn schlagen kann. Wenn nicht, dann war alles umsonst...“

Die beiden Frauen schauten sich betroffen an. Daran hatten sie nun überhaupt nicht gedacht: Auch die besten Gladiatoren verlieren mal einen Kampf.

„Hoffentlich schafft er es“, sagte Vanadis schließlich leise. Und die Caenis nickte dazu.

Sie stiegen hastig ein. Marcus war schon aufgesessen und ritt der Kutsche voraus. In diesem Augenblick fiel Vanadis ein, dass sie sich gar nicht richtig von dem Imaginus verabschiedet hatte. Sie fühlte sich schlecht, was war das nur für eine Welt, in der Leute einfach auseinandergerissen wurden, um für andere zu sterben. Hoffentlich musste er nicht viele Qualen erleiden, hoffentlich hatte er genug von diesem Wundermittel erhalten.

Die Caenis fing stockend an zu sprechen: „Ich war von dem Thumelicus wie besessen, er war ein unschuldiges Opfer von Rom, dann fand ich diesen Sklaven, es war aber ein Zufall, dass er unheilbar erkrankte. Es tut mir so leid…“

Diese Frau, sie war so großherzig, sie würde nie jemanden mit Absicht Schmerzen zufügen, sie war selber die meiste Zeit ihres Lebens Sklavin gewesen, und sie wusste, wie das war.

„Ich hoffe, dass es gelingt“, sie streichelte tröstend die Wange der Caenis, und diese wandte sich ihr zu und umarmte sie. Es war schön, es war so lange her, dass jemand sie so umarmt hatte, und sie genoss es.

Schließlich befreite sie sich sanft aus der Umarmung. „Gut“, sagte sie, „wie also soll der Austausch vonstatten gehen?“

„Der Sekretär Thedos wird sich mit dem Thumelicus in einem vorher bestimmten Raum treffen.
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Im Theater kennt man den Thedos, er vertritt den Erzieher des Thumelicus, und dieser will immer wissen, was sein Zögling tut. Ob er siegreich ist, wie er dabei aussieht, was er anhat. All diese Dinge will der alte geile Bock wissen, auch wenn er dem Grabe schon nahe ist…“ Caenis verzog ihren Mund.

Gut, der alte Bock war krank und hatte nicht mehr die Kontrolle über seinen Schützling.

„Der Sekretär Thedos wird ihm später das Passende erzählen: Dass der Thumelicus von einer unheilbaren Krankheit befallen wurde, die zudem auch ansteckend ist und dass diese Krankheit entsetzliche körperliche Veränderungen hervorruft. Also wird der Livius Laventius keinen Verdacht schöpfen – und hoffentlich auch kein Verlangen nach seinem Liebling verspüren.“ Wieder lächelte die Caenis, doch es sah schmerzlich aus.

„Ist die Krankheit denn ansteckend?“

„Nein, sie wird immer vererbt. In diesem Raum findet also die Auswechselung statt. Die beiden Männer tauschen die Kleider, der Sklave wird sein Gesicht mit Blut bemalen, wie das der Thumelicus immer nach seinen Siegen tut, der Thumelicus wird sich das Tuch über den Kopf ziehen wie der Sklave, dann wird er mit dem Sekretär das Theater verlassen – und hoffentlich rechtzeitig zu uns stoßen.“

„Oh!“ Vanadis überlegte und stellte sich alles vor. Es war zwar kompliziert und gefährlich, aber es könnte gelingen.

„Wir müssen nur rasch genug aus Ravenna hinausgelangen, bevor der Schwindel auffliegt...“

Oh! Vanadis packte nun ihrerseits ein Schwindel. Wie gebannt schaute sie aus der Kutsche, schaute nach links, schaute nach rechts, doch niemand war zu sehen, dabei mussten sie schon kurz vor dem Stadttor sein. Es würde misslingen, es konnte gar nicht gut gehen...

Dann auf einmal hielt die Kutsche an, die rechte Tür wurde aufgerissen, und ein untersetzter Mann, es musste der Sekretär Thedos sein, schob hastig eine Gestalt in die Kutsche hinein. „Da ist euer Sklave, er soll doch nicht hierbleiben“, sagte er weithin vernehmlich und lachte nach diesen Worten.

Alles ist gescheitert. Das dachte Vanadis, aber andererseits war sie froh, dass es gescheitert war. Was hatte sie auch mit diesem Thumelicus zu schaffen? Erleichtert lehnte sie sich zurück.
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Sie hatten sich nicht strafbar gemacht, die Caenis würde weiterleben, sie hatte keinen Verrat begangen. Wie gut!

Dann jedoch sah sie sich die vermummte Gestalt ihr gegenüber genauer an. Da stimmte etwas nicht. Das war nicht der Sklave! Allein die Haltung, die war ganz anders! Entsetzt schaute sie den Mann an, und fast war sie geneigt, ihm das Tuch vom Gesicht zu ziehen, doch sie ließ es sein. Das war nicht wahr, das konnte nicht wahr sein, und niemals würden sie damit durchkommen!

Wieso sagte die Caenis nichts? Nein, sie schwieg beharrlich vor sich hin. Und Vanadis drückte sich in ihre Ecke, wie um sich zu verstecken. Wie dumm, in einer Kutsche konnte man sich nicht verstecken…

Mittlerweile hatten sie das Stadttor erreicht. Vanadis fühlte sich wie in einem dieser Träume, wenn man abrutscht und ins Bodenlose fällt. Sie versuchte nicht aus der Kutsche zu schauen, sondern uninteressiert zu wirken. Trotzdem waren alle ihre Sinne geschärft. Vor allem die Ohren…

„Was denn, ist der Besuch schon vorbei? So schnell?“, fragte der wachhabende Offizier – es war der gleiche wie bei ihrer Ankunft, und seine Stimme klang misstrauisch.

Vanadis konnte nicht anders als hinzuschauen, verdammt, verdammt. Sie sah, wie Marcus den Posten herablassend musterte und wie er ihm dann eine Schriftrolle unter die Nase hielt. Vermutlich handelte es sich um das Schreiben des Kaisers. Lass es ihn nicht merken, lass es ihn nicht merken, sprach sie in Gedanken immer und immer wieder vor sich hin.

Der Wachposten biss sich auf die Lippen, er warf einen Blick in die Kutsche, zählte die Personen darin ab und verglich sie mit denen auf seiner Liste.

Endlos schien die Zeit zu vergehen. Wurde er jetzt misstrauisch, dieser penible Beamte des Reiches? Vanadis fühlte, wie laut ihr Herz klopfte, hoffentlich merkte er auch das nicht.

Nun salutierte er vor Marcus und sagte schließlich: „Heil unserem Kaiser, möge der Aufstand glorreich niedergeschlagen werden! Ich wünsche eine gute Reise!“

Die Kutsche setzte sich langsam in Bewegung. Gut, gut, keine Eiligkeit zeigen… Trotzdem dauerte es unvorstellbar lange, bis sie das Tor passiert hatten. Und quälend langsam ging es dann weiter, als sie durch die endlose Garnison fuhren, die vor Ravenna gelagert war.

Irgendwann sah sie keine Militärbaracken, keine Kasernen, keine Wälle mehr und auch keine Soldaten.
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Sie waren unbeschadet aus Ravennas Machtbereich herausgekommen und wie es aussah, wurden sie auch nicht verfolgt. Aber das hatte nichts zu bedeuten, jederzeit konnte eine Kontrolle stattfinden, falls man den Austausch der Personen festgestellt hatte.

Vanadis hockte zusammengekauert in der Kutsche, sie hatte keine Ahnung davon, wie die Caenis die Situation überstand, sie spürte nur, dass sie ganz steif neben ihr saß. Vanadis packte der Zorn.

„Kannst du bitte dein Tuch abnehmen!“, schnauzte sie den Thumelicus an. „Wir möchten dich gerne sehen.“

Er tat es. Er wirkte vollkommen unbewegt dabei, und das machte Vanadis zornig. Wieso nahm er sich das Recht heraus, so arrogant und unbewegt zu sein, als würde ihn das alles überhaupt nichts angehen? War er denn nicht froh, seinem Gefängnis entkommen zu sein?

Sie starrte ihn an. Irgendwann spürte er ihren Blick, und ein wenig Leben kam in seine blauen Augen. Ja, er hatte blaue Augen, schöne Augen, und ja, er sah dem armen Sklaven Imaginus ein wenig ähnlich. Nur ein wenig, vielleicht ZU wenig?

Oh Fortuna, hoffentlich würden die Kerkermeister sich täuschen lassen. Aber die Caenis hatte bestimmt Vorsorge getroffen, die Kerkermeister waren vielleicht bestochen worden. Trotzdem…

„Bist du nicht froh?“, diese Worte entschlüpften ihrem Mund, ohne dass sie es wollte, „befreit worden zu sein?“ Sie merkte, dass die Caenis sie von der Seite her strafend ansah, aber das war ihr egal. Dieser Mann konnte doch wohl ein bisschen Dankbarkeit zeigen – oder überhaupt ein Zeichen von irgendeinem Gefühl.

„Ich weiß es nicht“, sagte er nach einer endlosen Weile und drehte sich zur Seite, um aus der Kutsche herauszuschauen. Doch seine Augen wirkten dabei wie blind, er sah die Landschaft überhaupt nicht.

„Hast du schon einmal so eine schöne Landschaft gesehen?“, fragte Vanadis unbarmherzig weiter.

„Lass ihn!“, sie fühlte wie die Caenis an ihrer Tunica zupfte.

„Ja“, sagte der Thumelicus. „Als Kind bin ich davongelaufen, ich habe es durch die Kasernen geschafft. Dann haben sie mich eingefangen und zurückgebracht.“

„Oh!“ Jetzt tat er Vanadis leid, aber ihr Mitleid währte nicht lange, was bildete der sich überhaupt ein? „Es gibt viele Sklaven in Rom, und es sind auch schon viele entlaufen und wieder eingefangen worden.
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..“

„Ja, ich weiß auch das“, gab er ihr tonlos zur Antwort.

Vanadis verzweifelte an ihm. Mit dem war nichts anzufangen. Entweder hielt er sich für etwas Besonderes, nun ja, das konnte sein wegen seiner Herkunft, oder er war ein sich selbst bedauernder weinerlicher Sklave. Ein edler Sklave allerdings, eine Geisel Roms, die in Ravenna erzogen wurde. Was hatte er dort wohl erlebt? Und was war mit seiner Mutter geschehen?

Und vor allem: Was würde JETZT mit ihm geschehen? Konnte sein Schicksal sich ändern? Ja, das war möglich, nämlich zum Schlechteren. Denn wenn herauskam, dass er entführt worden war von der Caenis, dann konnten sie sich alle auf Schlimmes gefasst machen.

So gesehen fand sie ihn recht undankbar. Sie schaute ihn grimmig an, doch er beachtete sie nicht mehr. Meine Güte, was war das für ein Klotz, so schweigsam, so undurchschaubar, ebenso undurchschaubar wie der Marcus – dennoch besaß er eine große Ausstrahlung, aber eine der Verzweiflung, der Resignation und der Trauer. Und irgendwie tat er ihr leid.

„Wo wird er wohnen?“, fragte sie leise die Caenis.

„Zuerst in Marcus’ Haus, wenigstens ein paar Wochen, bis Gras über die Sache gewachsen ist.“

Oh!“ Das war eine Überraschung. Sie musste mit diesem schweigsamen Klotz unter einem Dach leben. Und sie erinnerte sich auf einmal an die Worte des Marcus: Du hast die gleiche Herkunft wie er, du beherrscht seine Sprache, das hoffen wir jedenfalls. Und du sollst seine Vertraute sein.

Seine Vertraute? Die Vertraute von dem? Wie sollte sie mit diesem Klotz jemals eine Verbindung herstellen können? Vom Wollen mal ganz abgesehen. Sie schaute ihn sich wieder an. Was sie sah, war wunderbar: Sein Gesicht wirkte edel, seine Gestalt muskulös und sehnig zugleich, er kam ihr vor wie ein wildes Tier, das in einem Käfig gefangen war und allmählich den Verstand verlor. Wieder tat er ihr leid und instinktiv streckte sie ihm die Hand entgegen.

In diesem Augenblick spürte sie einen Schatten auf ihrer Hand, sie zog ihre Hand zurück und blickte aus der Kutsche. Marcus ritt direkt neben ihr, sein Blick war forschend, wahrscheinlich wollte er wissen, wie gut sie die ihr zugeteilte Rolle spielen würde.
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Sie wandte sich angeekelt ab und hoffte, dass er auch dies bemerkte. Anscheinend war ihre Mühe umsonst, denn als sie wieder aus dem Fenster sah, da war er schon weg. So schnell? Sie hasste diesen Mann, er weckte immer furchtbar ungute Gefühle in ihr, obwohl er doch nur ein armseliger Wicht war. Der Sklave seiner verderbten Frau. Sie verdrängte diese Gedanken, Marcus war es nicht wert, über ihn nachzudenken.

So fuhren sie dahin in der gut ausgestatteten und gefederten Kutsche. Lästig waren nur das Hufgeklapper und das Dröhnen der Eisenräder auf den Pflastersteinen der Via Flaminia – und der Anblick einer gewissen Person ihr gegenüber. Und alles andere auch, vor allem der Gedanke an ihre Zukunft. Zum Glück erschwerte der äußere Krach die Unterhaltung mit der gewissen Person. Sie musste in sich hineinlachen: Als ob man sich mit dieser unterhalten könnte…

Doch die Caenis versuchte es. „Mein lieber… Thumelicus, du wirst ab nun Imaginus heißen, das verstehst du doch?“

„Ja, ich verstehe es.“

„Hast du irgendwelche Neigungen, willst du einen Beruf ausüben?“

Thumelicus-Imaginus schaute sie tatsächlich an – er schien zu überlegen und sagte dann: „Ich weiß es nicht, ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht.“

„Du solltest es tun, auch wenn es spät ist. Ich weiß noch nicht, was mit dir geschehen wird, du warst dein Leben lang in Gefangenschaft, aber ich werde mein möglichstes tun, um dich davon zu befreien.“

„In Rom?“, fragte der Thumelicus. Es hörte sich an, als ob er über Dreck sprach.

„Wenn nötig, dann auch in Rom“, gab die Caenis zur Antwort. Sie lehnte sich zurück und sah unbehaglich aus, wie Vanadis dachte. Was hatte sie erwartet? Dass der Thumelicus ihr um den Hals fallen würde vor Freude? Er befand sich immer noch im römischen Reich, er war zwar kein Sklave, aber ein Volksfeind, er hatte keinen Beruf, außer dem eines mit den Klassikern erzogenen Gladiators. Vielleicht sollte er gleich wieder in die Arena gehen. Was sonst kam für ihn in Frage…

„Erst einmal in Rom. Und dann werden wir sehen“, sagte die Caenis nun. „Ich habe noch kein passendes Anwesen auf dem Land suchen können, weil alles so schnell ging.
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Möchtest du denn gerne auf dem Land wohnen?“

„Ich weiß es nicht, weil ich das Land nicht kenne“, erwiderte der Thumelicus, es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren, wo er demnächst wohnen sollte. Und schon endete das Gespräch.

Vanadis fand es unerträglich. Es gab keine Eilmärsche mehr, denn sie hatten Zeit, nach Rom zu kommen, viel Zeit… Es war eine stille Reise. Kaum jemand sprach etwas. Sogar die Caenis war verstummt. Und so schien Vanadis die Fahrt endlos zu sein. Meistens schaute sie aus dem Fenster, ohne viel zu sehen. Das gute Wetter der letzten Tage hatte sich geändert: Nun herrschte Nebel vor, der sich ab und zu mit Regen vermischte. Den Himmel konnte sie kaum sehen, er bildete mit dem Land eine graue öde Einheit. Und auch das Meer hüllte sich in trüben Dunst.

Es gab drei Übernachtungen – natürlich fanden diese in anderen Stationen statt als bei der Hinreise. Wahrscheinlich wollte man das Risiko vermindern, dass jemand das Aussehen des Thumelicus nicht in Einklang bringen konnte mit dem des Sklaven ein paar Tage vorher. Ein geschickter Plan, hoffentlich funktionierte er auch. Anscheinend tat er es, denn niemand verfolgte sie, niemand erheischte Auskunft über sie.

Der Rest war Schweigen, manchmal unterbrochen durch einen Satz der Caenis, auf den der Thumelicus sparsam antwortete.

Schweigen, Schweigen, Schweigen… Nebel, Regen, Nächte, in denen sie ein bisschen Ruhe fand, bis sie wieder in die Kutsche steigen musste. Immerhin ließ Marcus sich nicht mehr blicken, und seltsamerweise fehlte ihr das. Auf ihn konnte man sich wenigstens verlassen, auf seine beschissene verkommene Art. Er hatte es bestimmt eilig, nach Rom zu seinem Kaiser zu kommen – und bestimmt noch eiliger, seine Frau zu sehen…

Es geschah im letzten Drittel der Reise, als Vanadis wegen ihrer Gedanken auflachte. Nebenbei bemerkte sie, dass der Thumelicus sie dabei ansah. Wie schön, ein bisschen Interesse!
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Punktestand der Geschichte:   339
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Kommentare zur Story:

  jo, hast recht, es ging glatt, aber ich glaube, die wirklichen schwierigkeiten kommen erst noch, und das hat nichts mit dem status einer geisel zu tun... ;-)
danke für deinen kommentar, doska!  
   Ingrid Alias I  -  18.11.14 17:18

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  Spannend, aber bis jetzt geht die Sache eigentlich recht glatt über die Runden. Ich denke aber, da werden noch Schwierigkeiten kommen. Schön auch, dass Vanadis Thumelicus nicht unattraktiv findet. Dennoch vermute ich, dass sie mehr interesse an Marcus hat, ohne sich vielleicht dessen bewusst zu sein. Aber der ist ja vergeben und scheint seine Frau sehr zu schätzen, obwohl diese ja gar keinen guten Charakter hat. Nun bin ich ganz neugierig, wie das wohl alles noch enden wird.  
   doska  -  15.11.14 22:00

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