Kurzgeschichten · Nachdenkliches

Von:    Hans Müller      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 9. April 2014
Bei Webstories eingestellt: 9. April 2014
Anzahl gesehen: 2224
Seiten: 2

Der Schankraum des kleinen Beisels mitten im Herzen von Wien war nahezu leer. Zwei Gestalten lehnten jeweils am gegenüberliegenden Ende des Tresens. Müde tranken sie hier und da einen Schluck aus einem Bierkrug – die Kohlensäure in der gelblichen Brühe schien sich an das Tempo in der Kneipe angepasst zu haben und stieg zeitlupengleich in die Höhe. Beschleunigt wurde sie nur, wenn der Humpen mit einem dumpfen Schlag abgestellt wurde und die schwindende Schaumkrone gefährlich zu schwappen begann.



Dabei machte es auf den ersten Blick keinen Unterschied wer von den beiden diese Bewegung ausführte. Sie war so routiniert, dass nur wenig Spielraum für Andersartigkeiten übrig blieb.

Ein genauer Beobachter – wie der Wirt einer war – konnte aber auch noch in der nahezu perfektionierten Kopie individuelle Charakterzüge erkennen. So steckte der Gast mit dem grauen buschigen Schnauzer mehr Kraft in die Abwärtsbewegung - denn der Knall war etwas lauter und die Schaumkrone drohte ihr gelb-flüssiges Reich zumindest teilweise für immer zu verlassen. Schaute man dem Mann dann in sein wettergegerbtes Gesicht, zog sich der Schnauzer an beiden gelblich ausgeblichenen Enden nach unten und manchmal konnte der Wirt ein leises Schnaufen vernehmen.



Der andere hingegen stellte sein Bier immer mit der gleichen, eher schwächeren Intensität ab. Ein leichtes Vibrieren, mehr war nicht auf der schaumgekrönten Oberfläche auszumachen und auch das Gesicht – glattrasiert und nahezu faltenfrei – verriet keine Millisekunde eine Gefühlsregung. Doch war es die Art und Weise wie er seine Hand vom Griff auf das dunkle Holz des Tresens mit der Unterseite flach auflegte und die Adern auf dem Handrücken kurz anschwellen ließ als wollte er sichergehen, dass die imaginäre Fliege auch wirklich nicht mehr störend durch die Luft surren konnte, was den kundigen Augen des Wirts nicht entging.



Er kannte den Schlag Menschen, die Lokale wie das seine besuchten. Er kannte auch die Klischees, die scheuklappenartig die wahre Sicht auf das ureigene Ökosystem in der stickig heimischen Atmosphäre verdeckten. Entstanden durch Ignoranz.

Was sich wirklich hinter der Silhouette aus scheinbar gescheiterten Identitäten verbarg, vermochten sie nicht auszusagen.



Das Leben hier kam ohne viele Worte aus.
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Zum Bestellen reichte oft ein Handzeichen oder ein Tippen auf die Karte. Vieles stand auch nicht zur Auswahl. Der perfekte Ausgleich zum fast schon erschlagenden Überdruss an Variationen in der Außenwelt.

Obwohl direkt vor dem Beisel eine stark-befahrene Straße lag, auf der sich die Autofahrer am liebsten selbst überholen würden und das daraus resultierende Unvermögen mit zornigem Hupen zu kompensieren versuchten, herrschte im Inneren eine schon fast sakrale Stille die nur durch das regelmäßige Zusammentreffen zwischen Holz und Bierkrug durchbrochen wurde.



Als die beiden Gestalten ausgetrunken hatten und nach draußen entschwunden waren, dachte sich der Wirt, dass die Gesten doch nicht so verschieden waren. Stress ist längst ein ständiger Begleiter geworden. Heute wird er einmal früher Feierabend machen.
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Kommentare zur Story:

  Die Figuren sind lebendig, die Atmosphäre dicht, das ist poetischer Realismus pur!  
   Novalis Breton  -  08.10.15 23:11

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Interessante Kommentare

Kommentar von "darkangel" zu "Vor dem Fenster"

hm... rollstuhl glaube ich nicht, denn das hätte das andere kind bemerkt und außerdem entscheidet sie sich am ende um. das daachte ich aber auch zuerst. jetzt stelle ich mir die frage: was ...

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