Cecile und Florence - 19. Kapitel der "Französischen Liebschaften".   286

Romane/Serien · Spannendes

Von:    Michael Kuss      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 3. November 2013
Bei Webstories eingestellt: 3. November 2013
Anzahl gesehen: 2965
Seiten: 17

19. Kapitel der Französischen Liebschaften: "Cecile und Florence".

*

Cecile Fouconette war wohl um die Fünfundsechzig, hatte sich aber gekonnt und nicht zu aufdringlich auf jugendlich getrimmt. Eine Menge Ringe und Steine zierten die schlanken, gepflegten Finger und lenkten geschickt von den rötlichen Altersflecken und den Falten ab, die das Make-up dezent verdeckte. Auch um den Hals und an den Ohren hingen etliche Immobilien und Aktien.

Ich kannte Cecile seit Monaten. Wir hatten ein paar abtastende und unverbindliche Worte gewechselt. Ich wusste mehr Geschichten aus den Klatschspalten der Boulevardpresse über sie, als aus unseren Gesprächen. Wir waren zwei Jäger, die wussten, dass sie im gleichen Jagdgebiet mit unterschiedlichen Mitteln nach unterschiedlicher Beute Ausschau hielten. Cecile kam fast jeden Donnerstagabend zum Ball der einsamen Herzen, wie wir das Tanz- und Anbagger-Lokal intern nannten. Ein cleverer Kellerschuppen auf den Champs gelegen. Nicht zu nobel und doch nicht ganz billig. Aber nobel genug, um abgebrannte Vorstadtaufreißer nicht am geübten Auge des Türstehers vorbeikommen zu lassen.

Cecile riss junge Liebhaber auf; sehr junge, kaum älter als zwanzig Jahre. Meistens hatte sie Erfolg. Mit Mitte Dreißig war ich entschieden zu alt für sie. Wenn ich sie grüßte, lächelte sie und grüßte zurück; wir wechseln ein paar belanglose und freundliche Worte, aber ihr Desinteresse und meine Chancenlosigkeit waren von Beginn an deutlich zu spüren; unsere Grenzen waren gezogen. In diesen Schuppen muss man Grenzen respektieren, um in Ruhe sein eigenes Spiel durchziehen zu können. Zweimal, als wir beide den ganzen Abend erfolglos waren und ohne Beute nach Hause gehen mussten, bat sie mich um meine Begleitung bis zu ihrem Auto; es war entweder ein Jaguar oder ein Rolls, die jeweils in der Tiefgarage unter den Champs geparkt waren. Cecile hakte sich bei mir ein, ihr flauschiger Pelzmantel wärmte meine Schultern. Ich steckte in einem mittelprächtigen, taubenblauen Anzug von der Stange; sauber, aber Kenner merkten, er stammte nicht von Boss, sondern von C & A.

Am Parkhauseingang hockte ein Bettler. Auf einem flachen Bretterwagen, der nach Eigenbau aussah, waren zwei Beinstummel erkennbar. Sollte ich ihm im Beisein von Cecile Geld geben? Oder warten, bis ich später alleine wieder herauskam? Für Cecile wahrscheinlich eine peinliche Situation.
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Dachte ich. Bevor ich mich entschieden hatte, holte Cecile einen neuen Hundertfrancschein aus ihrem Handtäschchen, bückte sich und reichte dem Bettler das Geld. Der Mann bedankte sich und Cecile lächelte ihn mit einer Wärme an, die mich erstaunte. „Ein schönes Wochenende wünsche ich Ihnen Madame!“ sagte der Mann in gutem Französisch und ich hatte den Eindruck, die beiden kennen sich. „Ich sehe ihn jedes Mal, wenn ich hier parke!“ sagte Cecile erklärend, als hätte sie meine Gedanken erraten. Sie blieb stehen und sah mich an: „Wenn ich mir überlege, dass wir drüben im Club die gleiche Summe für einen einzigen Drink ausgeben...!“ Sie seufzte leicht und hakte sich wieder bei mir ein. Wenig später hielt ich ihr die Wagentür auf. „Sie sind wie ein brüderlicher Freund zu mir!“ sagte Cecile. „Ein angenehmer und charmanter Kavalier! Höflich, respektvoll und unaufdringlich. So habe ich mir immer meinen Sohn gewünscht!“ Sie sprach nicht weiter, sondern beließ es bei dieser Andeutung. Ich wartete, bis sie aus dem Parkhaus herausgefahren war und überlegte, warum wird einer in diese und der andere in jene Familie geboren? Dann lachte ich in mich hinein. Eine überflüssige Frage. Das Leben ist wie es ist! Und wer es nicht ändern kann, sollte sich anpassen, um wenigstens zu überleben. Lisa würde allerdings sagen, das Leben ist, was man aus ihm macht! Jeder hat sein Schicksal selbst in der Hand! Aber Lisa hatte ich schon ein paar Jahre nicht mehr gesehen. Ich war unterdessen nicht nur in Paris, sondern durch Frankreich und andere Länder getingelt. Aber ich war immer wieder nach Paris zurückgekommen, als sei diese Stadt ein magnetischer Flucht- und Angelpunkt.

*

Die kühlen oder regennassen Winterwochenenden, wenn man nicht hinaus in den Bois de Boulogne oder in den Park von Vincennes fahren und vor den Pariser Toren die Natur und flotte Spaziergängerinnen genießen konnte, verbrachte ich meistens in den Dancings oder auf den Balles Mousettes, den Anmachschuppen der Stadt. Dort konnten sogar Blinde, Bucklige und Möchtegern-Charmeure noch Frauen finden. Denn Putzfrauen und Verkäuferinnen hoffen erwartungsvoll auf ihren dritten Ehemann; frustrierte Krankenschwestern wollen sich mit einem One-Night-Stand ablenken oder suchen endlich den Traummann.
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In den Schuppen rund um die Bastille oder am Boulevard Poissonniere ist alles vertreten, was sich gerade noch ein Kleid aus einer Katalogbestellung leisten kann oder stolz die biedere Bluse aus einem Schlussverkauf trägt. Wer es allerdings eine Nummer größer möchte, vielleicht eine blasierte Noblesse mit echtem Schmuck oder eine unbefriedigte Händlergattin im Chanelkostüm, geht zum Rendezvous in diesen Keller an den Champs d’Elyssee oder zum Boulevard Montparnasse. Wobei sich Frauen jeglicher Couleur keinen Illusionen hingeben sollten: Einen Lebenspartner finden sie dort nie, eine feste Beziehung selten, ein bisschen Sex ab und zu, aber meistens sind es nur Schaumschläger und Abstauber als Massenware. Nicht einmal in Parlamenten wird so viel Schaum geschlagen und gelogen, wie in diesen Tanzschuppen. Aber für die Hoffnung, oder wenigstens für das Glück einer Nacht drückt man alle Augen zu...

*

Cecile Fouconette bot dem jungen Gigolo Zigaretten aus einem goldenen Etui an. Der Junge hatte das ausdruckslos abgerundete Gesicht eines Feuermelders und einen Körper aus dem Fitnesskatalog. Breite, durchtrainierte Schultern steckten in einem dunkelblauen Blazer. Die halblangen blauschwarzen Haare waren mit Gel glänzend nach hinten gekämmt. Cecile ließ ihre Schmuckhände und ihre gelifteten Augen prüfend und wohlwollend über den prallen Hosenlatz des Jungen gleiten. Sie trug einen raffinierten Büstenhalter aus Körbchen, der die operationsgestrafften Brüste zur Geltung brachte und gerade noch geschickt die Brustnippel bedeckte. Sie griff nach der Hand des Jungen und führte sie ohne Umwege in die Körbchen. Dann küsste sie ihn. Im Wandspiegel sah ich verzerrt zwischen den Flaschen, wie ihre Zunge fordernd und schmachtend in den Mund des Jungen eindrang. Er kannte seine Rolle, verstand sein Handwerk und ließ es geschehen, streichelte ihr geübt über den Hals mit den überpuderten Faltenansätzen und rieb sein blasiertes Gesicht ansatzweise an den blondierten Dauerwellen, während seine gelangweilten Augen sich irgendwo in der Weite des Saals festmachten. Schließlich zog sie ihn an der Hand von der Bar fort und über die Wendeltreppe hinauf in die Separees der Balustrade. Dort oben herrschte schummrige Dunkelheit. Suchende müssen über andere knutschende Paare steigen, die sich ausziehen, ablecken, unter Röcke greifen oder an Reisverschlüssen zerren.
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Man orientiert sich nach Gefühl und Geräusch, um zwischen leisem Stöhnen, abgedroschenem Liebesgeflüster und lauten Musikfetzen noch ein Eckchen auf einem der dunkelroten Plüschsofas zu finden. Cecile wird den Jungen bezahlen und ihm noch einen Drink spendieren. Wenn er Glück hat, bekommt er bei guter Leistung morgen noch einen neuen Anzug als Entlassungsabfindung. Für beide Seiten eine Win-Win-Situation.

„Madame Cecile, warum nehmen Sie Ihre Liebhaber nicht mit in ein Hotel oder einen Privatclub?“ hatte ich sie einmal gefragt, als wir uns zwischen zwei Angriffen an der Bar erfrischten und sich ein vertraulicher Smalltalk ergab. Lächelnd hatte sie mich eine Weile angesehen, wobei ich in ihrem Gesicht die Schönheit früherer Jahre erkennen konnte. „Und wo soll da die Spannung und das Abenteuer sein, cher Monsieur?“ hatte sie geantwortet und dabei wie eine Komplizin mit einem Auge geblinzelt. „Einfach so in's Hotel? Das wäre ja furchtbar langweilig!“ Dann war sie mit wippendem Kleid davongeschwebt und stöckelte auf einen beleuchteten Tisch zu, an dem weit sichtbar ein junger Mann saß und gekonnt blasiert in die Gegend schaute. Cecile lächelte ihn an, sagte etwas zu ihm und griff nach seiner Hand. Der Junge stand auf und sie gingen auf die Tanzfläche.

*

„Ich habe den Eindruck, Sie haben kein Höschen an!“ Ich ließ meine Finger noch einmal geschickt über den Stoff des Kleides und für den Bruchteil einer Sekunde über ihren Hintern fahren. Die Frau sah mich schelmisch an; ihre Augen lächelten, ihr Gesichtsausdruck war entspannt und souverän. „Haben Sie das erfühlt oder erraten?“ fragte sie ruhig und mit einer Prise Ironie verpackt.

„Weder noch! Man sieht es Ihren Augen an!“ Dezent spitzbübisch lächelte ich sie an, vermied aber, ein freches Grinsen daraus werden zu lassen.

„Olala! Meine Augen! Und Sie Monsieur, Sie sind also Menschenkenner, der an den Augen einer Frau erkennen kann, ob sie ein Höschen trägt? Obwohl Sie mich ja deutlich abgegrabscht haben?!“

„Okay, Eins zu Null für Sie!" gab ich augenzwinkernd zu.

„Es stört Sie doch hoffentlich nicht, dass ich kein Höschen trage?“ Die Frau in meinem Arm warf bei der Tanzumdrehung die Haare zurück, soweit eine Drehung in der Enge dieses Schwitzkastens überhaupt möglich war.
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Behutsam schob ich meinen geschwollenen Männerstolz nach vorne zwischen ihre Beine. Nicht zu aufdringlich, aber doch so, dass er meine Absicht verdeutlichte und sie es spürte. In diesen Tanzschuppen setzt man schnell Signale und klärt die Fronten, damit man weiß woran man ist und keine Zeit verliert. Niemand verliert hier Zeit; nicht einmal jene Frauen, die sich anfangs zieren. Doch die Frau in meinen Armen zierte sich nicht. Wir wussten beide warum wir in diesem Schuppen waren. Zumal die Chemie zwischen uns zu stimmen schien. Auch dafür bekommt man hier schnell ein Gespür. Sobald man erkennt, dass die Chemie sowieso nicht stimmt und man keine Chance hat, darf man nicht kleben bleiben wie ein anhängliches Hündchen, sondern muss sofort umschalten. Sonst gibt man sich der Lächerlichkeit hin.

„Nein! Im Gegenteil!" sagte ich zielstrebig und um Eindruck zu schinden. "Ein schönes Gefühl für einen Mann! Ich bewundere feminine Frauen!“

„Es ist also für Sie feminin, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit kein Höschen trägt? Eine interessante Definition von Feminismus!“ Sie lachte.

„Es geht nicht nur um das Höschen“, brachte ich heraus. Ich kam ins Stottern und überlege mir meine Antwort, denn ich hatte bemerkt, hier habe ich eine souveräne Frau und keine der üblichen Durchschnittswesen aus dem Katalog vor mir. „Feminin bedeutet für mich zum Beispiel auch, wie Sie..., also wie Sie damit umgehen. Ich meine, Ihr Selbstbewusstsein...“. Ich kam erneut ins Stottern, wollte „Abgebrühtheit“ sagen, fand aber dafür nicht das französische Wort. „Immerhin hätten Sie mir ja auch eine Ohrfeige geben können oder zumindest entrüstet tun, als ich Sie streichelte...?!“

„Streicheln…? Sie nennen das streicheln?“ Neugierig und amüsiert schaute sie mich an. „Sie meinen doch wohl eher ‚abfummeln‘ oder ‚begrabschen‘?! Oder kennen Sie diese französichen Ausdrücke nicht?“ Noch während sie das sagte, drückte sie ihren Unterleib gegen mich. Bluthochdruck setzte ein. „Wir wollen uns doch beide amüsieren! Oder sollte ich heucheln und das Mauerblümchen spielen?“

„Sie sind also keine Heuchlerin und kein Mauerblümchen?“ entgegnete ich.
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„Warum sollte ich? Ich würde mich ja selbst betrügen! Immerhin fühle ich mich wohl ohne Höschen...!“ Sie schien keine Antwort zu erwarten, denn als ich nur schluckte, fuhr sie fort. „Ich laufe ja nicht deshalb ohne Höschen herum, um den Männern zu gefallen. Es geht zunächst um mein eigenes Gefühl, um mein Wohlbefinden, auch um meine Selbstsicherheit! Verstehen Sie was ich meine...?!“ Ich hätte schnell mit „selbstverständlich verstehe ich“ antworten können, aber ich war auf der Hut. Den vordergründigen Schwindel würde sie merken. So griff ich in die alte Trickkiste und sagte: „Ein interessanter Aspekt. Ich werde darüber nachdenken!“

„Ganz schön clever, Ihre Bemerkung!“ sagte sie ohne Ironie. „Schlingern Sie sich immer so elegant aus problematischen Situationen?“ Zum Glück setzte die Musik aus. Wir schoben uns durch das Gewühl der Paare. Die Tanzfläche war stickig und eng. Statt zu tanzen hätte man ebenso gut eine Nummer im Stehen schieben können, es wäre kaum aufgefallen. Sie ließ meine Hand los. Ich steuerte trotzdem auf die Bar zu, ohne die Frau zu dirigieren. Ein Risiko, in solchen Momenten das Wild aus den Fängen zu lassen. Wird sie mir folgen? Wie werde ich mich verhalten, wenn sie mich einfach stehenlässt und im Gewühl untertaucht? Wird sie es darauf ankommen lassen und mich prüfen? Aber dann stand sie an der Bar neben mir. „Möchten Sie die interessante Unterhaltung fortführen?“ fragte sie und schob sich auf den Barhocker.

„Möchten Sie etwas trinken?“ frage ich stattdessen. Sie nannte eine Whiskymarke mit Ginger Ale. Ihr Rock war weit nach oben gerutscht. Sie bemerkte meinen ungenierten Blick auf ihre Beine. „Was denken Sie gerade?“ fragte sie und sah mich lächelnd an.

„Ich überlege gerade, ob Sie keine Angst haben, dass man ihr Kätzchen sehen könnte. Immerhin ist Ihr Rock an der äußersten Grenze angelangt. Schämen Sie sich denn überhaupt nicht?“ fragte ich gekünstelt vorwurfsvoll und ließ gleichzeitig meine Finger über Ihre Knie streichen.

„Zum Schämen müsste ich die Beine richtig spreizen...!“ Sie lächelte noch immer.
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„Würden Sie’s denn tun?“ Es war mehr eine Aufforderung als eine Frage.

„Nur wenn Sie sich besser vor mich stellen und mich vor fremden Blicken schützen würden!“ antwortete sie. Der Barmann hatte sein Pokerface aufgesetzt und polierte Gläser. Hinter mir saß Cecile mit einem Liebhaber.

„Geht es so?“ fragte ich. Mit meinem Körper deckte ich die Frau zwischen Saal und Bar ab. Ich schob meinen geschwollenen Möchtegern zu ihren Kniespitzen. Ein paar Zentimeter spreizte sie die Beine. Aber ich beherrschte mich und griff nicht zu.

„Sie haben Lust zuzugreifen!“ sagte sie leise und lächelte. „Geben Sie’s ruhig zu! Warum tun Sie’s nicht?“

„Weil wir beide das Spiel lieben...!“

„Aber das Spiel muss doch irgendwie weitergehen...?“

„Die Spannung aber auch...!“ sagte ich. Sie lächelte noch immer, sagte "Hmm!" und dann entstand eine Pause.

„Möchten Sie mich ficken?“ fragte sie in das Schweigen hinein. Ich schaute sie an und hatte die Antwort nicht sofort parat. In ihrer Deutlichkeit kam die Frage sogar für mich überraschend.

„Ja!“ sagte ich gedehnt, und dann etwas eiliger und beinahe nervös „Ja! Sehr gerne würde ich Sie…". Ich dehnte den Satz und sagte dann "...ficken!" Als sie lächelnd schwieg, fügte ich hinzu: "Aber nur wenn Sie keine Professionelle sind!“ Ich war noch immer irritiert, obwohl meine frühere Schüchternheit in den letzten Jahren einer geschickten Abgebrühtheit Platz gemacht hatte. Nur, wie verhält man sich, wenn die Frau ebenfalls abgebrüht und noch cleverer ist, als man selbst zu sein glaubt?

„Warum? Waren Sie noch nie bei einer Professionellen?“ fragte sie.

„Sind Sie denn eine?“ wollte ich wissen.

„Sie weichen mir aus!“ Warnend und schelmisch hob sie den Zeigefinger.

„Das haben wir gemeinsam!“ antwortete ich.

„Sehe ich denn wie eine Professionelle aus?“ Ihre Augen blickten nun ernster, aber mit dem Finger strich sie mir vertraulich über die Nase.

„Schwierig zu sagen!“ Ich kam ins Schwimmen. Sie sah nicht wie eine Nutte aus. Eher wie eine geschiedene Ärztin oder Chefsekretärin Ende Dreißig, der zu Hause die Decke auf den Kopf fiel und die deshalb die Sache selbst in die Hand genommen hat.
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Eine Nutte hätte längst ihren Preis genannt und sich nicht eine halbe Stunde lang auf der Tanzfläche befummeln lassen. Außerdem, ein Blick auf meine Armbanduhr, auf die billigen Manschettenknöpfe und die Krawatte aus Kunstseite hätte für ihre Einschätzung genügt, mich als potenten Freier auszuschließen. Ich war gut und einigermaßen modern, aber nicht ausgefallen teuer gekleidet. Einer Lehrerin oder Buchhalterin konnte ich ohne viel Aufwand imponieren, aber eine professionelle Hure hätte mit einem Blick erkannt, wen sie vor sich hat.

„Professionelle sind heutzutage kaum noch zu erkennen!“ wich ich aus.

„Ich bin keine Professionelle! Sie können beruhigt sein!“ Sie blieb ernst und sah mich fragend an. „Ich habe einen honorablen Beruf mit viel Stress! Und ich gehe zu meinem Vergnügen tanzen, nicht um Geld zu verdienen! Aber manchmal machen mir Männer Geschenke, es kommt ganz darauf an...!“

„Auf was kommt es an?“

„Na darauf, ob er reich ist oder ein armer Schlucker! Ich habe weder etwas gegen Wohlstand noch gegen arme Leute. Wenn ich jemanden mag, frage ich nicht, was er ist oder besitzt. Wenn er mir gefällt, kann mich auch ein armer Schlucker haben. Dafür bin ich hier! Ich will abschalten und mich amüsieren! Aber manche meiner Verehrer verlieben sich in mich. Dann klammern sie, machen mir Geschenke, oft sogar übertriebene und unpassende Geschenke, weil sie glauben das sei üblich und sie mir damit imponieren können“.

„Und? Können sie...?“

„Nein!“ Es war ein leicht bitteres Nein und doch mit einem melancholischen Lächeln verbunden. Sie schwieg und klopfte sich eine Zigarette aus der Packung. Ich gab ihr Feuer. Nach einem tiefen Zug sagte sie: „Ich verdiene mein eigenes Geld! Dazu brauche ich keinen Mann! Und zum Klammern auch nicht. Das habe ich hinter mir!“

Jetzt hätte ich im Gespräch eine intellektuelle Wende geben und auf den Begriff ‚klammern’ eingehen können. Aber ich hatte Angst, mich bei diesem Thema zu vergaloppieren und die Übersicht zu verlieren. Ein heikles Thema, für mich voller Widersprüche. Wenn ich mich nämlich verliebte, klammerte ich selbst wie ein dummes Äffchen und machte in einer Stunde mehr kaputt, als man in vielen Wochen aufbauen oder reparieren konnte.
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Da hatte sich seit Dominique nicht allzu viel geändert.

„Was machen Sie beruflich?“ fragte ich stattdessen ziemlich plump.

„Und Sie?“ fragte sie geschickt zurück.

„Wollen Sie die Wahrheit wissen, oder soll ich eine Geschichte erfinden?“ fragte ich, um Zeit zu gewinnen.

„Ganz wie Sie wollen!“ antwortete sie. „Beginnen Sie einfach! Ich werde herausfinden ob Sie gelogen haben!“ Der DJ hatte einen Blues aufgelegt. Mit einer Melodie, bei der man ohne langen Anlauf gleich auf Körperkontakt gehen konnte. „Möchten Sie lieber tanzen?“ fragte ich. Das Herumfummeln auf der Tanzfläche wäre mir in diesem Moment lieber gewesen wie die Entwicklung dieses Gespräches. Die Frau war mir überlegen und das schüchterte mich ein.

„Nein! Sie sollen mich erst voll belügen!“ widersprach sie lachend. „Knutschen können wir später noch! Also, was machen Sie beruflich?“

„Ich bin arbeitslos!“ sagte ich und ohne mit der Wimper zu zucken antwortete sie „Klingt interessant! Und weiter! Von was leben Sie? Von der Sozialhilfe können Sie hier die Drinks nicht bezahlen und ihr Anzug ist auch nicht vom Flohmarkt!“ Beinahe zärtlich fuhr sie mit dem Finger über das Revers, als wollte sie ihren Worten mehr Milde geben.

„Ich klaue! Ich bin ein Dieb!“ provozierte ich sie.

„Ahh!“ Sie zog die Augenbrauen nach oben. „Hochinteressant! Aber dann haben Sie doch einen richtigen Beruf! Dann sind Sie also gar nicht arbeitslos! Was klauen Sie denn?“ Offensichtlich ging sie auf das Spiel ein.

„Alles Mögliche! Handtaschen, Schmuck, Bargeld, Pelze! Alles was sich bei reichen Damen so ergibt!“

„Überfallen Sie auch Menschen? Zum Beispiel mit einer Waffe?“

„Nein, das halte ich für unanständig! Und für plump!“

„Ah?! Wie das?“

„Es ist unanständig, jemand körperlich zu verletzen oder mit Gewalt zu drohen! Aber den Diebstahl von ein paar Franc oder einer Halskette kann eine reiche Frau verschmerzen, das tut nicht wirklich weh. Meistens hat sie sowieso nicht selbst dafür gearbeitet…!“

„Heh, mal langsam, junger Mann! Das will ich überhört haben!“ lachte sie und schlug mir auf den Arm.
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„Jedenfalls ist es plump und phantasielos, jemand eine Pistole vorzuhalten!“ wich ich aus. „Mit Hauruck geht die Spannung und das Spielerische verloren!“

„Eine interessante Philosophie!“ sagte sie und öffnete gleichzeitig die Beine so weit, dass ich mit meinen Fingerkuppen den feuchten Ansatz spüren konnte.

„Würden Sie bitte Ihren Büstenhalter ausziehen?!“ fragte ich und versuchte eine Wendung des Gesprächs.

„Sie lenken ab!“ sagte sie lachend. „Erzählen Sie weiter von Ihrer Arbeit! Im Übrigen habe ich keinen Büstenhalter an! Das müssten Sie längst bemerkt haben. Ich bin enttäuscht, Monsieur!“ Nach einer Schmollpause wechselte sie das Thema und fragte: „Waren Sie auch schon im Gefängnis?“

„Natürlich! Aber noch nicht so oft! Ich bin ziemlich clever!“

„Das muss ja schrecklich für Sie sein? So lange ohne Frau?!“

„Meine Freundinnen besuchen mich immer im Gefängnis! Wir treiben es in der Besucherzelle. Dann haben sogar die Aufsichtsbeamten ihren Spaß!“

„Sie haben also mehrere Freundinnen?“

„Ja, etwa ein Dutzend!“

„Und vor denen rennen Sie heute Abend weg und haben sich hier in das Dancing geflüchtet?“

„Nein! Die Wahrheit ist: Ich muss neue Opfer finden! Bin knapp bei Kasse!“

„Und? Hat Don Juan schon ein Opfer gefunden?“ fragte sie spöttisch.

„Ja!“ sagte ich so ernst wie möglich und tippte ihr auf die Stirn. „Sie!“

„Und was wollen Sie mir stehlen? Ich bitte Sie, Monsieur! Meine Unschuld habe ich schon lange nicht mehr!“

„Dachte ich es mir doch!“ Ich spielte den Niedergeknickten. „Und besonders reich scheinen Sie auch nicht zu sein!“ Mein Blick fiel auf die ringlosen Finger. Auch am Hals nur ein schmales Silberkettchen. Nur ihr Kostüm und die Schuhe sahen eher nach der Rue St. Honorè als nach Woolworth aus. Endlich mal was Einfaches und nicht wieder eine dieser aufgemotzten Kunstfiguren, denen man erzählen muss, man sei lediger Pilot oder mindestens in Scheidung lebender Besitzer einer Reihe von Boutiquen oder sonst ein geheimnisvoller ausländischer Geschäftsmann, der gerade Paris besucht und für diese Nacht noch kein Hotel gebucht hat. Oder ähnlichen erbärmlichen Schmus.
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Wir rauchten und schauten uns eine Weile schweigend und abschätzend an. Erfreut erkannte ich die versteckte Ironie in ihren Augen. „Darf ich Ihnen einen Drink spendieren?“ fragte sie schließlich. „Dafür reicht es bei mir gerade noch!“

„Ja, einen doppelten Whisky, bitte! Ich möchte mich jetzt betrinken und mich dann in Sie hineinwühlen!“

„Schön!“ Sie hatte ein paar Sekunden so getan als würde sie überlegen. „Ihre Story war recht gut! Sie haben den Sex mit mir verdient! Übrigens, ich heiße Florence!“ Sie bestellte die Drinks. „Mein Name ist Claude!“ sagte ich.

„Gehen wir zu dir?“ fragte sie, als wir die Gläser hoben.

„In meiner Wohnung sieht es bescheiden aus. Ich lebe sehr einfach...!“ warnte ich. „Die Geschäfte laufen schlecht! Ich werde wohl das Handwerk wechseln müssen!“ Ich blieb todernst.

„Einen Wasserhahn wirst du doch wohl in einer Ecke im Hausflur haben? Das hat doch jede Mansarde in Paris! Oder lebst du in einem nassen Kellerloch und wir müssen es auf einer Matratze treiben? Ein kleines bisschen Komfort und Sauberkeit wäre mir ganz lieb!“ Sie spielte das Spiel weiter mit. Wir fuhren zu mir und Florence blieb.

Am nächsten Morgen war sie vor mir aus dem Bett. Ich hörte sie in meiner Küche hantieren und sah durch den Türspalt, wie sie den Napf meiner beiden Katzen auffüllte, die erst schnurrend um die Tischbeine geschwänzelt waren und dann gierig ihre Mäuler in das Büchsenfutter hieben. Um Sieben begleitete ich Florence hinunter. Im Bistro bestellten wir Milchkaffee und Croissants. Es war angenehm. Kein bitterer Nachgeschmack, sondern wie selbstverständlich Vorfreude auf mehr. Florence sagte „Paris erwacht zum Leben!“ und deutete mit einer Kopfbewegung auf den dichter werdenden Kreisverkehr an der Bastille. Sie verlangte meine Telefonnummer und steckt meine Karte in ihre Handtasche. Als ich ihre Nummer wissen wollte, lachte sie und rieb ihre Nase an meiner Schulter. „Ich melde mich bei dir!“ sagte sie nur. Dann winkte sie ein Taxi an den Straßenrand, stieg ein und war weg.

Am Mittwoch danach rief sie an. „Gehst du morgen Abend wieder Frauen anmachen?“ fragte sie. „Oder akzeptierst du eine Einladung zum Abendessen bei mir zu Hause. Ich kann zwar nicht kochen, aber ich bestelle etwas beim Chinesen.
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Magst du Chinesisch?“ „Ja, ich mag Chinesen! Ich kann sogar mit Stäbchen essen und mich benehmen! Was ziehst du an?“ „Trainingsanzug, Filzpantoffel und Keuschheitsgürtel!“ sagte sie und beschrieb mir die Adresse.

*

Es waren intensive Monate mit Florence.

Eines Abends fragte sie mich, ob ich mich für Sado-Macho interessiere.

„Nnnein!“ sagte ich gedehnt und überrascht. „Oder hast du Anzeichen dafür bei mir bemerkt?“ SM war überhaupt nicht mein Fall. Ich hasste Abhängigkeiten und Gewalt. Hoffentlich hat Florence nichts damit am Hut, dachte ich.

„Wer weiß schon, was alles in uns schlummert?!“ fragte sie nachdenklich.

„Das mit Sicherheit nicht!“ sagte ich ein bisschen übertrieben heftig.

„Bist du da absolut sicher?“

„Das müsste ich doch längst bemerkt haben! Ich bin fast Vierzig!“

„Meine Schwester hat es auch erst mit Vierzig gemerkt?“

„Deine Schwester?“

„Ja, sie war gut und angeblich glücklich verheiratet. Fast zwanzig Jahre lang! Sie hatte einen Mann, der sie betrog aber ihr liebevoll zwei Kinder machte und die Villa bezahlte. Sie hegte die Blumen im Garten und hielt mit zwei Dienstmädchen das Haus in Ordnung und wenn ihr Mann abends nach Hause kam, brachte er Rosen mit, obwohl der Garten voll davon war. Sie wurde von ihm mit ‚Cherie’ und ‚ma petite fleur’ angesprochen und gehegt und umsorgt. Sie lag fast zwanzig Jahre lang beim gelegentlichen Sex auf dem Rücken, machte die Beine breit und dachte, das ist so und nicht anders, und das Wort Orgasmus kannte sie aus dem Wörterbuch und sie dachte, Orgasmus sei dann, wenn der Mann über ihr zusammenbricht und stöhnt…“.

„Und…?“ fragte ich neugierig geworden.

„Dann stellten sie einen neuen Gärtner ein. Ein robuster Bauernbursche, stattlich und stark, mit Händen die nicht nur das Werkzeug anpacken konnten. Das totale Gegenteil ihres Mannes! Dieser Gärtnerbursche sah sie an und packte sie in der Garage über dem Kotflügel des Autos. Er vögelte sie von hinten, und wenn sie sich nicht schnell genug umdrehte, schlug er ihr mit der flachen Hand auf den Hintern und beschimpfte sie. Sie ging nicht zur Polizei und erzählte nichts ihrem Mann, aber sie ging von nun an jeden Tag in die Garage.
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Er zog sie an den Haaren, drückte ihren Kopf zwischen seine Beine, sie schluckte seinen Samen, aber er schrie sie an, sie sei eine verdammte Hure und meine Schwester hatte den ersten Orgasmus ihres Lebens…!“

„Besteht die Ehe noch?“

„Ja!“ sagte Florence gedehnt. „Aber jetzt kriselt sie. Der Gärtner hat sich eine andere Arbeitsstelle und eine andere Liebhaberin gesucht, hat meine Schwester einfach abserviert, nach einem Jahr Glück ist sie wieder im alten Trott. Wie eine Süchtige sucht sie jetzt einen Ersatz für ihren Liebhaber…!“

„Das ist tragisch!“ sagte ich, um überhaupt etwas zu sagen.

„Übertreibe nicht! Das ist das Leben!“ Florence holte ihre Zigaretten.

„Ich möchte es einmal mit drei Männern treiben!“ sagte sie plötzlich und schaute mich an. „Könntest du dir vorstellen, dabei zu sein?“ Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern fuhr fort: „Ich möchte mich zwischen Körpern suhlen und aalen, möchte mich gehen lassen, von allen Seiten begehrt werden, möchte erleben wie sie keuchend und ausgelaugt über mir zusammenbrechen und sich dann erneut aufraffen. Ich möchte einmal völlig willenlos sein, keine Entscheidungen treffen, auf keine Etikette achten, niemand der um mich herumdienert und ‚Madame’ oder irgendwelche Heucheleien und Scheinheiligkeiten sagt. Von allen Seiten gevögelt werden und nicht mehr wissen, welchen Schwanz ich gerade in mir habe, das wünsche ich mir schon lange!“

„Hast du es noch nie mit zwei Männern getrieben?“ fragte ich erstaunt.

„Mit zwei schon“, antwortete Florence. „Aber es ging immer schief, weil mein Mann jedes Mal eifersüchtig wurde und das Ganze mit Frustration endete. Es war nicht, was ich mir erträumt hatte“.

„Bist du deshalb geschieden?“

„Wegen so etwas lässt man sich nicht scheiden! Oder?“ Florence ging zu ihrem Minitel-Computer. „Es war die fehlende Offenheit! Wir hatten uns eine heile Familie vorgegaukelt, aber nicht über unsere geheimen Wünsche gesprochen! Wie in fast jeder Ehe haben wir ein Doppelspiel gespielt…! Er ging fremd, meistens zu Nutten, und ich inserierte in Zeitungen und traf mich heimlich mit Männern in kleinen Hotels. Wie zigtausend andere Liebenspaare in Paris…!“

Geschickt hatte Florence nach wenigen Befehlseingaben die richtigen Rubriken im Minitel gefunden.
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Ich kannte mich mit Minitel, dem französischen Vorläufer des Internets nicht aus und überlies Florence die Suche. Es dauerte fast eine Stunde, dann hatte sie anscheinend zwei passende Männer gefunden. Um Mitternacht zeigte sie mir die beiden Fotos auf dem Bildschirm. „Sie könnten zu uns passen! Was meinst du?“ fragte sie.

„In erster Linie musst DU sie mögen!“ antwortete ich. „Du willst von ihnen gefickt werden, nicht ich!“

„Aber du bist Teil der Party! Die beiden müssen dir auch liegen! Sonst macht es mir keinen Spaß! Ich möchte, dass du auch deine Freude daran hast!“

„Und wenn ich euch nur zuschaue?“

„Würde dir das genügen?“ Florence streichelte mir über das Haar.

„Ich weiß es nicht! Wir werden sehen! Du weißt doch, ich hab’ mit Männern nichts am Hut. Mich interessiert nur die Frau in dem Spiel! Es genügt mir, wenn du dich wohl fühlst!“

„Wenn es nicht klappt…“, überlegte Florence, „wenn wir irgendwie ein ungutes Gefühl bekommen, dann ziehen wir uns an und gehen! Wir haben keine Verpflichtung gegenüber den beiden!“

„Okay!“ sagte ich und legte meinen Arm um Florence. „Also los!“

Wir trafen die beiden in einem Café an der Place de la Republique. Sie machten einen sympathischen Eindruck, steckten in guter Abendgarderobe, hatten gepflegte Hände und saubere Fingernägel; einer schien älter, der andere etliche Jahre jünger als Florence. Wir stellten uns vor, nannten unsere Vornamen und berührten beim Händeschütteln mit der anderen Hand die Schultern des Gegenübers, um den ersten Körperkontakt herzustellen. Florence küsste die beiden zweimal auf die Wangen und ließ sich wieder küssen. Die Augen der Männer blickten teils neugierig, teils erfahren, aber weder schüchtern noch überheblich. Der Mund des Älteren hatte etwas Festes, aber nichts Brutales an sich; der Jüngere schien weicher und verträumter. Ihr Händedruck war kräftig, aber nicht übertrieben und ohne Feuchtigkeit und alles trug zu einer entspannten, nach kurzer Zeit sogar herzlichen Atmosphäre bei.
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Florence hatte anscheinend richtig gewählt. Ohne falsche Scham und ohne Heuchelei. Wir wussten was wir wollten.

An der Garderobe hatten wir die Mäntel abgegeben und ich war froh, dass wir uns erst einmal in Straßenkleidung an die Bar setzen konnten. Florence griff in die Kristallschale, angelte mehrere Kondome heraus und steckte sie in ihre Handtasche. Ich bestellte eine Flasche Whisky und wir genossen ein paar Drinks. Florence saß zwischen den beiden; ich hatte mich hinter sie gestellt, damit sie sich abwechselnd nach dem einen oder anderen zuwenden und Zeichen setzen konnte. Schließlich sagte sie zu der Frau hinter der Bar: „Wir gehen nach unten!“ und spätestens jetzt bemerkte ich, dass Florence sich in dem Club auskannte. „Möchten Sie alleine bleiben?“ fragte die Barfrau und schloss uns alle in ihren Blick ein. „Oder wünschen Sie Gesellschaft?“ Florence schaute uns fragend an. Ich zuckte mit den Schultern und sagte: „Vielleicht sollten wir erst einmal unter uns bleiben!“ Unsere beiden Freunde schienen erstmals irritiert und schwiegen.

„Okay!“ sagte Florence und zwinkerte den beiden zu. „Wir würden lieber unsere kleine Party bescheiden unter uns zelebrieren! Aber gegen zivilisierte Zuschauer haben wir doch nichts, so lange sie uns nur zuschauen, oder?“ Sie wartete unsere Antwort nicht wirklich ab, sondern schob uns auf die breite Treppe zu, die in die unteren Räume führte. Die Liege war überdimensional groß und rund; sie stand in der Mitte des Raumes und war von einem durchsichtigen rosa Tüllvorhang umhüllt, der einen verschwommenen Blick in den rötlich abgedunkelten Raum zuließ. Die Tür zur Toilette mit der Dusche war dezent ausgeleuchtet. Als wir vom Duschen zurückkamen, sah ich, wie Florence die Kondome auf den kleinen Tisch neben Whiskygläser und Pralinen legte. Jeder von uns bediente sich und Florence schaute uns interessiert zu, wie wir die Gummis über unsere steifen Schwänze zogen. Florence schien sich wohl zu fühlen, ließ sich verwöhnen wie es ihren Träumen entsprach und ich hatte zwischendurch Gelegenheit zur Ruhepause, zum Duschen und zum genussvollen Zuschauen, wo ich im Normalfall einer Zweierbeziehung längst kraftlos aufgegeben und die Zigarette danach angezündet hätte. Schnell hatten sich Zuschauer eingefunden. Die meisten saßen im dunkelroten Raum auf Sofas und Polstersessel.
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Einzelne masturbierten alleine, drei Pärchen knutschten in tiefen Sesseln und schauten zwischendurch auf die Schattenbewegungen hinter dem Tüllvorhang. Ein Araber und ein Jude waren bis zum Vorhang gekommen und hatten den Tüll zur Seite gehoben. Florence saß auf mir und ich sah wie der junge Jude mit Kippa, Kringellöckchen und schwarzem Anzug mit einer Hand den Vorhang aufhielt und mit der anderen masturbierte. Ein bärtiger, kräftiger Araber, wie ein Scheich in weiß gekleidet, stand neben ihm und nutzte die Öffnung, um mit schwarz funkelnden Augen am Spiel teilzunehmen. Jeder Nahost-Politiker hätte gejubelt: Jude und Araber masturbierten verhalten keuchend und mit geweiteten Augen um die Wette, während ein Deutscher und zwei Franzosen mit einer Schweizerin vögelten.

Im Raum saß ein Paar aus Schwarzafrika. Sie waren exquisit europäisch gekleidet; seine Krawattennadel und die Manschettenknöpfe funkelten fast so kräftig, wie der Goldschmuck und die Perlen am Hals und an den Armen der Frau. Als ich wieder zum Duschen ging, kam er in den Toilettenraum nach, grinste mich freundlich an und sagte: „Monsieur! Ihre Begleiterin ist exzellent! Exzellent, Monsieur!“ Als ich ihn schweigend und fragend anschaute, aber dabei ebenso freundlich und möglichst souverän lächelte, fuhr er fort: „Würden Sie mir gestatten, dass ich Ihnen meine Karte mit einer Telefonnummer überreichen dürfte?“ Er hielt mir eine Karte hin. „Ich könnte mir vorstellen, Monsieur, dass meine Frau und ich uns einmal mit Ihnen und Ihrer charmanten Begleiterin zum Essen in einem Restaurant treffen könnten?! Sie wären unsere Gäste! Was halten Sie von meinem Vorschlag?“

„Nur mit meiner Begleiterin, oder auch mit den beiden anderen Herren?“ fragte ich und musterte mein Gegenüber aufmerksam. "Nur Sie und Ihre Begleiterin bitte!“ Das war klar und deutlich.

„Ich werde meine Freundin fragen!“ Ich nahm die Karte und ging zurück. "Wir werden uns in jedem Fall bei Ihnen melden!"

„Ich habe den Eindruck, wir haben keine Kondome mehr!“ flüsterte Florence mir zu, als ich mich wieder zwischen die drei kuschelte. Florence rückte von mir weg und legte ihren Kopf in die Arme von Jean, dem Älteren. Jean zog Florence schützend an sich heran.
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Der Jüngere sah mich an und stand auf. „Wir gehen welche holen!“ sagte ich, zog mich an und ging dem Jüngeren nach. „Nicht mehr zu viele!“ rief Florence uns nach. Sie lag entspannt in den Armen des anderen Mannes. Ich ging mit dem jüngeren nach oben in eine der Bars, die jetzt gegen Morgen nahezu leer war und Zeit für eine Unterhaltung mit der Barfrau ließ. Ich griff nach den Kondomen, brachte sie nach unten und ging wieder hoch. Wir waren fast die Letzten, als auch Florence und Jean zu uns stießen. Sie waren angezogen, Florence hatte sich bei Jean untergehakt und sah mich an. „Klaus, würde es dir etwas ausmachen, wenn du dir ein Taxi nimmst? Ich rufe dich morgen an!“ Sie schmiegte sich wie eine Jungverliebte an den Mann. „Ja, natürlich!“ sagte ich, lächelte und war eifersüchtig, ließ mir aber nichts anmerken. Ohne größtmögliche Toleranz läuft dieses Spiel nicht.

Als wir an der Garderobe standen, trat eine elegante Frau in einem silbrig glänzenden, enganliegenden Abendkleid aus einer Seitentür. Sie ging auf uns zu, breitete die Arme aus, als wolle sie unsere kleine Gruppe wie Freunde umarmen. Im letzten Moment zuckte sie zusammen; sie hatte mich erkannt, aber sofort wieder ihr Gleichgewicht gefunden. „Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Abend?!“ sagte Lisa mit einem gefrorenen Lächeln. „Beehren sie uns bald wieder! Ach ja, ich vergaß mich Ihnen vorzustellen, bitte entschuldigen Sie. Mein Name ist Madame La-Rose! Ich bin die Inhaberin und Geschäftsführerin des Clubs!“ Sie begleitete uns zum Ausgang.

„Gute Nacht Madame! Gute Nacht Monsieur!“ Sie schaute mir in die Augen und doch durch mich hindurch. „Gute Nacht, Madame la Rose!“ sagte ich mit einem Anflug von Ironie. „Ein wunderbarer Abend bei Ihnen! Ich werde bestimmt bald wiederkommen!“ Den letzten Satz betonte ich besonders deutlich.

„Tun Sie das!“ sagte Lisa. „Vielleicht auch einmal ohne Begleitung?! Ich würde mich herzlich darüber freuen!“

Lisa war älter geworden, aber noch immer eine gepflegte Schönheit. Trotz der vielen Jahre in Frankreich hatte ihr Französisch noch den deutschen Akzent. Ich bedankte mich artig und ging den anderen nach. Die Überraschung war zu groß, um jetzt mehr als Floskel hervorzubringen. Florence war mit dem Älteren bereits zu ihrem Wagen gegangen.
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Der Jüngere wartete am Taxi. Wir küssten uns alle auf die Wangen und verabschiedeten uns herzlich.

„Was macht Florence eigentlich beruflich?“ fragte mich der Jüngere, als wir durch das morgendliche Pariser Grau fuhren. „Ich weiß es nicht!“ antwortete ich. „Wir sprechen nicht über solche Sachen!“ Was ging es den Jungen an, dass Florence Direktorin einer katholischen Privatschule war.

Florence rief zwei Tage später an und erklärte unumwunden: „Claude! Wir können uns nicht mehr sehen! Ich habe mich unsterblich in Jean verliebt. Wir werden wahrscheinlich heiraten!“

*

Dies war ein Auszug aus

Michael Kuss

FRANZÖSISCHE LIEBSCHAFTEN.

Unmoralische Unterhaltungsgeschichten.

Romanerzählung.

Überarbeitete Neuauflage 2013

ISBN 078-3-8334-4116-5.

14,90 Euro.

Als Print-Ausgabe und als E-Book erhältlich in den deutschsprachigen Ländern, in Großbritannien, USA und Kanada.

Im Web: www.edition-kussmanuskripte.de

*

Auch hier bei Webstories: Französische Liebschaften (20) "Bastille".
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Punktestand der Geschichte:   286
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