Romane/Serien · Für Kinder · Herbst/Halloween

Von:    Erik Hart      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 31. Oktober 2013
Bei Webstories eingestellt: 31. Oktober 2013
Anzahl gesehen: 6444
Seiten: 17

Kann man durch ein aus dem Internet geladenes Computerspiel seine Seele an ein Dämonenwesen verlieren? Dylan Kleber hat sich so ein Spiel geladen und damit auch einen Haufen unheimlicher Schwierigkeiten!







--- dann kamen nachts die Träume



Wie jeden Tag nach den Ferien ging Dylan auch heute wieder zur Schule. Er hatte die ersten Stunden Mathe und Deutsch und den letzten Tag lange an den Hausaufgaben gesessen, und heute war er mit einem Referat in Deutsch dran. Der Bus kam an der Schule an und Dylan stieg aus. Doch fühlte er sich müder und erschöpfter als sonst. Er glaubte, dass es vor allem durch die viele Arbeit sei, die er für die Schule zu erledigen hatte.



Sein Referat handelte von Schneewittchen, denn sie nahmen im Unterricht gerade Märchen durch. Zunächst war aber Mathe dran, und er konnte kaum wach bleiben, so dass er im ersten Moment erschrak, als ihn der Lehrer nach den Aufgaben fragte. Die Augenlider schwer wie Blei, überstand er die Mathestunde. Dann kam sein Deutschreferat, und er begann, über die Geschichte der Gebrüder Grimm zu erzählen und die Handlung von Schneewittchen zu analysieren: Dylan listete genau jedes Detail der Geschichte auf, die Zwerge, die böse Königin und all die anderen Dinge. Als dann der Teil mit dem vergifteten Apfel dran war, sagte er plötzlich: „Und dann vergiftete der Teufel... pardon, die böse Stiefmutter, einen Apfel und gab ihn Schneewittchen“. Natürlich wusste er, dass der Teufel in dem Märchen keine Rolle spiele. Doch in seinen Gedanken war er einfach näher als die Figuren des Märchens. Müde und mit einem bedrückten Gefühl brachte er das Referat zuende. Doch trotz aller Belastung hatte er das Thema gut ausgearbeitet und die Lehrerin,Frau Petri, gab ihm sogar eine „Eins Minus“.



Nach der Schule sprachen ihn Brenda und Robert an und fragten, ob er sich am Nachmittag mit ihnen treffen wolle. Doch er lehnte ab, weil er sich viel zu müde fühlte. Sie stiegen in den gleichen Bus, und nun fragte ihn Brenda, was er denn habe. Sie hatte genau gemerkt, dass Dylan müde war, und dass es mehr war als sonst üblich. Selbst fühlte sie sich immer nach Wochenenden durch die Schule gestresst und sagte deshalb des öfteren, dass sie keine Montage möge.
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Doch wollte er nicht von jenen Dingen erzählen, die ihn seit einigen Wochen vor allem nachts quälten.





Es begann kurz vor Ende der Ferien: Mitten in der Nacht sah er sich auf ein Mal einer dämonischen Gestalt, mit schwarz verkohltem Gesicht, rot glühenden Augen und Hörnern gegenüber, die aber auch eine Mitra, eine mit Spitzen versehene Bischofsmütze, sowie ein langes Gewand trug. Dass er schlecht träumte, kam auch bei Dylan hin und wieder vor. Doch diese Gestalt erschien ihm realer und erschreckender als all die anderen Traumfiguren, die er sonst sah. Sie sprach mit scheußlich, unendlich bösem Unterton zu ihm: „Dylan, duuu hast … mit mirrr ...“, das „R“ rollte grauenhaft durch die Traumwelt, „einen Verrrtrrrag geschlossen, und jetzt nehme ich mir den verrreinbaaarrrten Prreisss.“. Dann griff die ebenso grauenhaft schwarz verkohlte Hand nach ihm und riss ein großes Stück Fleisch aus seinem linken Oberschenkel. Schmerz erfüllte Dylan, und er sah die klaffende Wunde mit den bloß liegenden Knochen. Mit dämonischem Lachen entfernte sich die Gestalt von ihm, und plötzlich fand er sich schweißgebadet in seinem Bett wieder. Er spürte noch immer Schmerz in seinem Oberschenkel, doch als er mit seiner Hand daran fasste, war alles wieder vollständig da. Und doch war es ihm am darauf folgenden Tag, als habe er irgendetwas von sich verloren.



Er hätte die Angelegenheit vielleicht vergessen, wäre da nicht genau eine Woche später wieder so eine grauenhafte Nacht gewesen. Wieder erschien ihm die Gestalt, die ein Zwischending aus Dämon und Bischof zu sein schien. „Hau ab, ich habe keinen Vertrag mit dir!“, schrie ihr Dylan entgegen. „Aberrr natürrrliccch doccch!“, entgegnete das Wesen. „Wer bist du überhaupt?“, brüllte Dylan zurück. „Iccch bin derrr Teufel, und du hassst mirrr deine Seele verrrkauffft“, sagte die Gestalt jetzt in einem halb boshaften, halb schnippischen Ton.



Der Junge kannte diese Geschichten von Leuten, die ihre Seele verkauften, er kannte die ungefähre Handlung von Goethes „Faust“ und verschiedene Märchen und Sagen, wo Leute meist mit Blut Verträge unterschrieben, durch die ihnen der Teufel Reichtum und Ruhm gewährte und sie im Gegenzug ihre Seele verkauften. Doch so etwas hatte er nie getan.
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Wer hätte auch schon einem gewöhnlichen Schüler im Gymnasium mit einem Stück Papier winken sollen, das er mit Blut unterschreiben sollte, um irgendwas zu bekommen? So etwas gehörte in die Märchenwelt, und da sollte es auch bleiben! Wie kam dieses Wesen dazu, zu behaupten, er habe seine Seele verkauft? Und warum drängte es sich in seine Träume? Als es ihm begegnete, glaubte er, er könne es einfach verjagen, wenn er sich nur zusammen nahm, und so seinen Alptraum beenden.



Doch das Monster ließ nicht locker: „Duuu mussst schon auf das Kleingedrrruckkkte schauen, wenn du im Interrrnet deinen Namen eingibst und darrrauf accchten, auf welccche Knöpfe du klickkkst! Erinnnnerrrst du diccch an die Seite mit den Spielen derrr Seele? Da hassst du mirrr deine Seele verrrsproccchen!“. Dylan erinnerte sich lose an die Internetseite, auf der er sich vor zwei Wochen Spiele für seinen Computer herunter geladen hatte. „Kostenlos Spiele herunterladen“ hatte es darauf geheißen. Doch dafür musste er seinen Namen und seine Adresse eingeben. Seine Eltern hatten ihn davor gewarnt, das nicht zu tun, doch er glaubte, die Seite wäre völlig harmlos und böte nur Spiele Auf der ersten Seite stand auch in den klein geschriebenen Texten und selbst in der riesigen Textwüste der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ nichts von irgendwelchen Kosten. Er musste sich nur durch ein paar Seiten klicken, wo jedes Mal der gleiche, große Button zum Anmelden zu sehen war – am Schluss hatte er gar nicht mehr genau drauf geachtet, was auf oder neben dem Knopf stand. Dann fiel ihm auf, dass an seinem Oberschenkel wieder das Fleisch fehlte und der Knochen sichtbar war! Jetzt griff der Dämon mit dem Bischofshut an sein rechtes Bein und riss den ganzen Fuß ab. Der Schmerz durchzuckte ihn und klang dann mit dem Aufwachen ab. Sein rechter Fuß war noch am Körper, dennoch hatte er ein schwaches, aber gegenüber dem letzten Mal gesteigertes Gefühl, dass ihm etwas fehlte.



Als er am nächsten Tag am Computer in seine E-Mail sah, bemerkte er eine als „Rechnung“ bezeichnete Mail. Er öffnete sie und las den Inhalt:



***



Sehr geehrter Herr Dylan Kleber,



wir begrüßen sie als Kunde bei den Spielen der Seele.
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Sie erhalten hiermit für sechs Monate Zugang zu unserem Downloadbereich. Der von Ihnen angenommene Preis in Höhe einer menschlichen Seele ist in 26 Teilen im Abstand von je einer Woche zu entrichten.



Sie wurden bei der Anmeldung über Ihr 14-tägiges Widerrufsrecht aufgeklärt und haben dieses nicht oder nicht fristgerecht wahrgenommen.





Mit freundlichen Grüßen



Ihr Kundendienst



***



Was war denn das? Seine Sitzung am Computer war kein Traum, und die E-Mail erschien ganz wirklich auf dem Bildschirm! Er sah zur Seite und dann wieder auf den Bildschirm; die Mail war immer noch da. Dann suchte er noch eine alte Mail heraus und sah sie an. und danach war von der Rechnung über seine Seele nichts mehr zu finden. Egal, was er auch anstellte: Dylan konnte keinen Hinweis mehr auf das Schriftstück finden. Und doch war es real gewesen.



Als dann am Tag vor seinem Referat wieder der Dämon im Traum auftauchte und dieses Mal an seine linke Hand griff, um sie heraus zu reißen, als danach wieder ein stärkeres Gefühl der Leere zurück blieb, merkte Dylan, dass er wohl ein ernstes Problem hatte.





--- Seltene Erkrankungen



Auf dem Heimweg von der Schule dachte Dylan nach, was er wegen der Alpträume tun konnte. Doch andere Leute fragen wollte er nicht; womöglich würden sie sich über ihn lustig machen. Also suchte er im Internet nach Informationen, wobei er sich hinter einem Anonymisierungsdienst verbarg, der seine Anfragen über viele andere Rechner weiter leitete, damit man sie nicht zu ihm zurück verfolgen konnte.



Leider fand er nicht viel über Alpträume, aber die zunehmende Leere, die er nach seinen Begegnungen mit der Teufelsgestalt und dem geträumten Abreißen seiner Gliedmaßen fühlte, erinnerte ihn an die Beschreibung von Depressionen. Er las, dass man diese gut behandeln könne, aber auch, dass sie, wenn sie immer schlimmer würden, einen Menschen dazu bringen können, sich in der gefühlten Qual selbst das Leben zu nehmen. Vielleicht würde ihm ein Psychiater helfen können, vielleicht gar eine psychiatrische Klinik. Er kannte Psychiatrien nur vom Gerede her, als Irrenanstalt und Klapsmühle, wo die Verrückten in Zwangsjacken gefesselt in Gummizellen sitzen.
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Auch seinen Eltern wollte er nicht gerne von dem Problem erzählen. Doch sagte er seiner Mutter, dass er am nächsten Tag nach der Schule zum Arzt wolle. Sie gab ihm seine Krankenkassenkarte und maß noch einmal Fieber, aber Dylan hatte keins.



Und so ging er am nächsten Tag zum Psychiater, der ihm aber nicht weiter helfen konnte. Lediglich von einem Verdacht auf Depressionen und schizophrene Wahnvorstellungen war die Rede. Er riet Dylan dazu, wenn es ihm zu schlimm wurde, sich in die Notaufnahme der psychiatrischen Klinik zu begeben.



Und wieder ging Dylan die Woche weiter zur Schule, um den wichtigen Unterricht nicht zu verpassen, denn es standen die entscheidenden Themen für die nächsten Arbeiten an. Doch die Sorge und das andauernde, flaue Gefühl ließen ihn dann am Freitag Abend in die Klinik gehen.



Als er aus dem Bus gestiegen und in die Psychiatrie gegangen war, kam es ihm fast wie ein normaler Krankenhausbesuch vor. Dabei war der Stadtteil überregional vor allem für ebendiese Psychiatrie bekannt, und Leuten, deren Ansichten oder Verhaltensweisen gerade jemandem nicht passten, sagte man, dass sie doch hierher gehörten. Bei der Anmeldung bekam er mit, wie ein Krankenwagen in Begleitung eines Polizeiautos eine Rampe seitlich am Gebäude hoch fuhr. Dann musste er sich in der Allgemeinen Psychiatrie melden und bekam seinen Platz in der Station zugewiesen und den Tagesablauf erklärt. Die anderen Patienten waren teilweise ruhig, teils apathisch, nur aus einem Zimmer waren wirre Stimmen zu vernehmen. Offenbar waren sie mit Medikamenten versorgt und so von ihren Leiden, zumindest teilweise, befreit worden. Für die schlimmsten Fälle gab es noch die geschlossene Station, aber davon bekam Dylan nichts mit.



Am nächsten Tag hörte sich der Stationsarzt seine Geschichte an. Zunächst stellte er nur allgemeine Fragen, wie Dylan sich fühle, spulte nur das übliche Programm ab. Als der aber von seinen Träumen sprach, von der dämonischen Bischofsgestalt, von der Vision, dass sie ihm immer weitere Körperteile abreiße, dass er sich auch danach immer leerer fühlte, da ließ er plötzlich Interesse erkennen. Er fragte weiter, wie das Monster aussah und was es sagte, und, besonders unangenehm für Dylan, wie es aussah und sich anfühlte, wenn es Körperteile abriss.
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Denn als er widerwillig davon erzählte, erlebte er das ganze Grauen noch einmal! Dann erzählte er von der merkwürdigen Internetseite mit den Spielen und von der E-Mail, nach der er seine Seele schuldete und die kurz nach dem Lesen spurlos verschwand.



„War es ein Mensch, oder nur ein Fantasiewesen?“ - „Ein Mensch, aber mit Aussehen und Eigenschaften wie ein Dämon“, bekam der Doktor von seinem Patienten zu hören, „erst dachte ich, es wäre der Teufel, aber dann sah er irgendwie viel mehr aus, wie einfach nur ein böser Mensch“. „Taten die Stellen, wo er Teile vom Körper abgerissen hat, nach dem Aufwachen noch weh?“ - „Ein bischen, aber ich finde diese komische Leere viel schlimmer, dass mir etwas fehlt. Das ist auch immer noch nicht weg gegangen!“



Der Arzt hörte ihm interessiert zu und fragte ihn immer weiter aus, wobei er seine eigene Arbeitszeit und seine noch zu erledigenden Aufgaben zu vergessen schien. Dann endlich fragte Dylan, ob er denn irgendwie helfen könne. Doch der Arzt wollte sich nicht festlegen und äußerte ur einen vagen Verdacht von „Schizophrenie“, wollte noch mal darüber entscheiden, ob oder welche Medikamente ergeben wollte. Anschließend dachte er wieder tief nach und murmelte etwas wie „Das klingt wie diese Seelenfresser-Fälle...“, aber nichts konkretes. Dann ging er fort, und Dylan war wieder alleine.



Er war enttäuscht, dass der Arzt ihm nicht wenigstens direkt ein Medikament geben konnte. Doch nur eine Dreiviertelstunde später saß er neben dem Besprechungszimmer, wo sich zwei Ärzte und einige Assistenten unterhielten. Die Tür stand einen Spalt offen, und so konnte Dylan mit etwas Mühe hören, was gesprochen wurde. „Dieser Patient Kleber sieht aus wie diese rätselhaften Fälle von Geisteskrankheit, die unter dem Stichwort Seelenfresser bemerkt wurden. Er hat Wahnvorstellungen in Träumen, aber sein Bild passt zu keiner gewöhnlichen Schizophrenie oder Psychose.“ „Was sind denn diese Seelenfresser-Fälle“, fragte einer der Assistenten, „da hab ich noch nie von gehört“. „Es sind etwa zwei Dutzend Patienten bislang bekannt, in aller Welt verteilt, die davon betroffen waren.
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Sie hatten Träume und Vorstellungen, dass ihr Körper oder ihre Seele nach und nach von einem Traumwesen zerrissen oder aufgefressen werden. Obwohl sie keine äußerlichen Verletzungen oder Hirnschäden haben, werden sie im Krankheitsverlauf apathisch, ängstlich, verlieren im fortgeschrittenen Stadium alle Interessen. Nach etwa einem Viertel- bis halben Jahr stellen sie jede Interaktion mit der Außenwelt ein. Die Mehrheit starb dann, einige lebten wie Zombies, nur mit den rein biologischen Lebensfunktionen, aber ohne menschliches Reden und Handeln, weiter. Ein paar begingen vorher Suizid. Aber niemand konnte ihnen helfen oder die Krankheit aufhalten.“



Der erste Gedanke, den Dylan hatte, war, dass sie ihn vielleicht hinter der Tür bemerkt hatten und nun mit einem makaberen Spaß erschrecken wollten. Doch dann sprachen sie weiter, und die Stimme des Arztes klang ernsthaft, und es kam niemand zur Tür, um ihn zu verjagen. „Ich hoffe, dass ich nicht Recht habe“, fuhr der Arzt fort, „aber diese Beschreibung passt am ehesten zu diesem Krankheitsbild.“. Weiter sprach er, dass er versuchen wolle, mit den anderen Ärzten Kontakt aufzunehmen, die ähnliche Fälle gehabt hatten – soweit ihm das mit der Sprache möglich war und sie antworten würden.





--- Aus der Zwischenwelt



Den übrigen Tag verbrachte Dylan mit den übrigen Patienten auf der Station und beschäftigte sich mit den vorgegebenen Tagesaktivitäten: ein paar Spiele, etwas basteln und dann natürlich die Mahlzeiten. Beim Schachspielen gewann er ein paar Mal gegen seine Mitspieler, ein anderer Patient, ein älterer, grauhaariger Mann, putzte ihn aber auch einfach nur weg. Er unterhielt sich zwischendurch mit ihnen, sofern es ging. Einige hörten Stimmen von Menschen, die es gar nicht gab, ein anderer glaubte, er würde von Außerirdischen verfolgt. Und mehrere andere waren einfach tief traurig und hatten zu nichts mehr Lust. Seine eigene Geschichte kam aber keinem der anderen Patienten bekannt vor. Was er am Arztzimmer gehört hatte, sagte er aber zu niemand sonst.



In der Nacht war er alleine im Zimmer, denn sein Mitpatient musste unerwartet auf die geschlossene Station wechseln. Er machte das Licht aus, um einzuschlafen.
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Nur noch fahl kam von draußen Licht von Laternen herein, dazu gab es ein kleines Orientierungslicht im Zimmer. Er blickte über den Stahlrohrrahmen seines Krankenbetts herüber auf die gegenüberliegende Seite, wo das andere, leere Krankenbett mit dem glatten, weißen Bezug stand. Seine Augenlider waren schwer und fielen schließlich zu.



„Dylan!“



Eine sanfte, aber ernste Frauenstimme scholl durch den Raum. Er wunderte sich, wer das wohl sein mochte, hatte aber die Augen noch geschlossen. „Dylan, hör mir zu!“ rief die Stimme jetzt. Da öffnete er mühsam die Augen und sah über dem anderen Krankenbett eine Frau, etwa so alt wie seine Eltern, in der Luft schweben. Sie hatte einen weißen Umhang, mittellange, lockige Haare, war schlank und durchsichtig. Dylan konnte durch sie hindurch auf die Wand mit den Krankenhausapparaten sehen. Ein Gespenst? Konnte das sein? Er machte die Augen zu und wieder auf, aber da war sie noch immer. Ein Traum war es auch nicht, denn dafür war das Krankenzimmer, in dem er lag, viel zu echt. „Hallo? Wer bist du?“, rief er in ihre Richtung. „Du musst deine Seele retten!“ flüsterte sie ihm in einem eindringlichen Ton zu. „Hatto raubt deine Seele!“. „Wie bitte?“, fragte Dylan jetzt entgeistert. „Hatto, der böse Bischof, er stiehlt seinen Opfern die Seelen!“. Dann, fast flehend: „Du musst mir glauben! Er hat schon viele vor dir genommen!“. Dylan war verwundert ob der neuartigen Erscheinung, denn ein Gespenst in der echten Welt hatte er noch nie gesehen.



„Ich bin Laura, und ich bin viel später seinem Treiben begegnet. Es war über 500 Jahre, nachdem sein Körper tot war, dass mich unsere Stadtverwaltung als Hexe anklagte. Sie hatten vorher mehrere Kinder, kleine Mädchen, bestochen und ihnen gedroht, sie werden sonst selbst als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Da haben die Kinder mich denunziert.“ „Und was hast du mit diesem Bischof Hatto zu tun?“ fragte Dylan skeptisch zurück. „Sie hielten mir einen Vertrag mit dem Teufel vor, den ich mit meinem Blut unterschreiben sollte, damit sie einen Beweis gegen mich hätten. Doch ich fürchtete, damit wirklich meine Seele zu verlieren, und so unterschrieb ich nicht. Auch nicht, als sie mich mit Daumenschrauben, Streckbank und Brandeisen folterten. Fünf Stunden lang.
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Ich glaubte fast schon, ich hielte es nicht mehr aus, aber am Ende forderten sie doch nur ein unterschriebenes Geständnis, dass ich den Teufel beschworen und bei ihm geschlafen hätte.“ „Aber damit kamst du doch auf den Scheiterhaufen!“ „Ja, aber das wäre ich sowieso. Am nächsten Tag wurde ich dann tatsächlich verbrannt. Ich hatte Glück, denn der Rauch ließ mich ohnmächtig werden, bevor ich verbrannte. Damit blieben mir die schlimmen Schmerzen erspart. Doch statt dass ich in Himmel oder Hölle kam, blieb ich in einer Zwischenwelt und begegnete dort dem Geist des Bischofs Hatto. Er war fürchterlich verärgert, denn er hatte sich meine Unterschrift und damit meine Seele erhofft. Da merkte ich, dass er mit den Hexenjägern unter einer Decke steckte, dass sie ihn beschworen und ihm die Seelen ihrer Opfer zuschanzten.“



Hatte die Frau anfangs noch mit Entsetzen gesprochen und nur mühsam ihr Grauen beim Gedanken an die Folter unterdrückt, so wurde sie jetzt sachlicher und versuchte, Dylan alles zu erklären, was sie wusste. „Woher weißt du das, und warum bist du nach so langer Zeit hier?“ fragte Dylan sie jetzt. „Er hat meine Seele nicht gekriegt“, fuhr sie fort, „aber durch meinen körperlichen Tod als Hexe bin ich in der Zwischenwelt gelandet, in der auch er sein Unwesen treibt. Du musst nämlich wissen: auch, wenn ich nichts schlimmes gemacht habe; eine Hexe war ich wirklich! Und so hatte ich mir mit Magie ein zweites Leben erschaffen, einen Anker in der Geisterwelt, für den Fall, dass ich nach meinem Tod noch etwas tun müsste. Als Hatto mich also auf diese Art ermordet hatte, befand ich mich in der Geisterwelt, sah sein ganzes Treiben und seine Schlechtigkeit, und mir wurde klar, dass ich nicht eher aus der Geisterwelt in den endgültigen Tod übergehen konnte, bis nicht die Schandtaten Hattos ein Ende fanden. Und seither bekämpfe ich ihn, versuche die Menschen vor ihm zu retten und suche nach dem letzten Mittel, der Ultima Ratio, um ihm ein Ende zu bereiten“.



„Was weißt du über ihn“, fragte der Schüler jetzt, denn dass sie die Wahrheit sagte, daran hatte er kaum noch Zweifel, „was macht er in so langer Zeit im Jenseits?“. „Die Schandtaten, die er zu Lebzeiten beging, sind auch in eurer Zeit noch bekannt, du kannst sie selbst nachlesen, wenn du sie nicht kennst.
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Du musst auch wissen, dass es anstrengend für einen Geist ist, sich für Lebende sichtbar zu machen und mit ihnen zu sprechen! Deshalb sollten wir unsere Zeit nicht verschwenden. Nachdem er, beziehungsweise nur sein Körper, gestorben war, wollte er weiter Macht kosten und den endgültigen Tod hinaus zögern. Dazu brauchte er menschliche Seelen. Also bediente er sich aller Arten von Tricks, Betrug und Erpressung, um an sie zu gelangen. Durch magische Verträge konnte er dies schaffen, auch, wenn sie durch Täuschung und Betrug erlangt wurden.“ In zahllosen Glücksspielen verspielten Menschen ihre Seelen, auch die Legenden der Teufelsverträge gehen zum Teil auf ihn zurück. Es gab auch nur ihn und keinen Teufel, mit dem er sich verbündet hatte; seine Bösartigkeit war nur die seine, auch, wenn ihn viele für den Teufel hielten und er sich bisweilen als jener ausgab.“



„Konnte ihn die ganze Zeit keiner aufhalten?“ fragte Dylan den Geist. „Nein, niemand wusste wie. Man weiß zwar, dass sein Geist irgendwann vergehen wird, wenn er keine neuen Seelen mehr bekommt, aber bisher hat er immer noch welche gefunden. Aber mit der Zeit spiele er immer mehr Menschen übel mit, trieb sie in den Tod, ohne ihrer Seelen habhaft werden zu können. Einige dieser Menschen landeten als Geister in der Zwischenwelt, nicht mehr unter den Lebenden, aber auch noch nicht tot. Genauso, wie auch sonst Geister entstehen, wenn Menschen plötzlich oder gewaltsam sterben und es nicht schaffen, die Welt der Lebenden unvollendeter Dinge endgültig zu verlassen. Und diese Geister konnten sich nun an Hattos Spuren heften, sein Treiben verfolgen und seine Opfer warnen. Es war grauenvoll zu sehen, wie er von den Seelen seiner Opfer Stück für Stück abriss und verzehrte, wie die Menschen als Lebende litten, wenn sie langsam innerlich aufgefressen wurden. Doch bisher hat es noch keiner geschafft, ihn wirklich zu besiegen.“



Die in der Luft stehende Frau wurde auf ein Mal nervös, schaute sich um und schwebte hin und her. „Ich glaube, ich bekomme Ärger“, sprach sie, dann rief sie Dylan noch zu: „Ich komme wieder zu dir, und es sind auch noch andere da, die dir helfen wollen...“ Da gab es auf ein Mal ein unheimliches Fauchen im Krankenzimmer, gelber Feuerschein leuchtete die Wände an, und inmitten des im Raum stehenden Feuerballs stand pechschwarz, nur mit glühenden Augen, krummen Hörnern am Kopf, Bischofsstab in der Hand und Mütze auf dem Kopf, Hatto.
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Er jagte mit ungeheuer hasserfülltem Brüllen durch den Raum, wo er die Frau vermutete, doch er bekam sie nicht zu fassen. Dann gab es einen kurzen Knall, ein Feuerball stieg zur Decke und erlosch zu einer dicken Rußwolke, und der ganze Spuk war vorbei. Nur noch das öde Krankenzimmer lag vor Dylan, ohne dass etwas darauf hin deutete, was sich gerade hier zugetragen hatte. Es war das erste Mal, dass Hatto ihm in seiner wirklichen Umgebung begegnet war, nicht nur im Traum.



Er dachte nach, ob er den Namen Hatto schon mal irgendwo gehört hatte, denn irgendwie kam er ihm bekannt vor, auch, wenn er ihm als sein Peiniger gerade erst offenbart wurde. Dann schlief er ein. Mitten in der Nacht glaubte er auf ein Mal, einen lauten, ohrenbetäubenden Knall gehört zu haben, gefolgt von einem Klappern auf dem kleinen Tischchen neben seinem Krankenbett. Im Dunkel sah er schemenhaft einige Gegenstände, aber er war zu müde, um noch einmal danach zu schauen, dann schlief er wieder ein.





--- Die Spur der Mäuse



Am nächsten Morgen weckte ihn früh eine Krankenschwester und schimpfte ihn gleich wegen der Unordnung auf seinem Nachttisch aus. Dylan erhob sich und blickte auf die ausklappbare Platte. Neben seinem Trinkbecher und einem Buch lagen zwei Computermäuse mit wirren, unordentlichen Kabeln herum. Er hatte keine Ahnung, wie die hier her gekommen waren. Wahrscheinlich würde die jemand in einem Büro für Ärzte oder Klinikangestellte vermissen und jetzt nicht arbeiten können. Als er sie wegräumte, rollte noch ein weiterer Gegenstand über die Platte: einer der weißen Türme des Schachspiels aus dem Aufenthaltszimmer. Gerade kullerte er über die Kante, als Dylan seine Hand darunter halten und ihn auffangen konnte.



Beim Frühstück erzählten andere Patienten, dass in der Nacht jemand randaliert haben musste, so einen Krach hatte es gegeben, und einige Sachen seien auch durcheinander gebracht worden. Eine Frau behauptete, ein paar Mal lauten Krach aus Dylans Zimmer gehört zu haben. Dylan ging möglichst unauffällig zum Dienstzimmer des Pflegepersonals, gab die Mäuse da ab und sagte, er habe sie gefunden.
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Nebenher legte er auch den Turm wieder zu den Figuren des Schachspiels, die in der Nacht ausgeschüttet und über den Boden verteilt worden waren.



Eines allerdings wurde ihm klar: diese Klinik und ihre Ärzte konnten ihm nicht helfen. Der Arzt behauptete, er litte an einer seltenen Geisteskrankheit, die zum Tod führt, aber er wusste auch nur, dass die anderen Patienten irgendwan elendig verendeten. Sollte er also warten, bis es auch mit ihm zu Ende ging, jede Woche diesen dämonischen Bischof nachts ein Stück seiner Seele abreißen lassen? Dummerweise standen Psychiatrien in dem Ruf, ihre Patienten zwar schnell aufzunehmen, aber nur schwer wieder gehen zu lassen. Doch Dylan hatte Glück, auch wenn es auf dem Unglück anderer Patienten beruhte: im Laufe des Tages wurden so viele Notfälle aufgenommen, dass am Abend Betten auf dem Flur aufgestellt werden mussten, weil keine mehr in die Zimmer passten, und der Arzt sich mit seiner Entlassung einverstanden erklärte. Die Nacht musste er mit mehreren anderen Patienten im Zimmer verbringen, dennoch war sie für ihn die ruhigste und erholsamste seit längerer Zeit.



Und so fuhr er am Vormittag nach Hause und bereitete sich darauf vor, am nächsten Tag wieder in die Schule zu gehen. Er hatte nur einen Tag verpasst, konnte es also noch wieder aufholen. Seine Mutter fragte ihn, wie es ihm denn gehe und freute sich riesig, dass er wieder aus der Klinik raus war. Doch er wollte sie nicht beunruhigen, und so sagte er, alles sei in Ordnung. Vor allem aber musst er sich darum kümmern, dieses Monster aus seinen Alpträumen loszuwerden, und dazu brauchte er die Hilfe, die ihm Laura, das Gespenst der Hexe, in der Nacht versprochen hatte. Er setzte sich an den Computer und googelte nach dem Bischof Hatto. Und, was ihn im ersten Moment verwunderte, er fand wirklich schnell etwas über ihn: Schon vor rund 1100 Jahren war er ein überaus kriegerischer und habgieriger Bischof in Mainz, der seine Versprechen brach und vor keiner Schäbigkeit zurück schreckte. Dylan las die berühmte Legende, dass er während einer Hungersnot die bettelnden Menschen in eine Scheune lockte, diese dann zusperren und anzünden ließ. „Hört, wie die Kornmäuse pfeifen“, soll er die sterbenden Menschen dabei verhöhnt haben. Der Legende nach wurde er daraufhin von Mäusen angegriffen und verfolgt und flüchtete schließlich in den Mäuseturm auf einer Insel im Rhein bei Bingen.
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Dylan sah alte Darstellungen des Bischofs, wo er von schwarzen Mäusen bedeckt war, und romantische Fotos des alten Zollturms im Rhein. Zwar wurde der heutige Mäuseturm, das Wort wurde angeblich von „Mautturm“ abgeleitet, viel später gebaut, aber es gab Vermutungen, dass vorher schon ein viel älterer Turm dort stand.



Jetzt fiel es Dylan auch wie Schuppen von den Augen, was die Gegenstände auf seinem Nachttisch in der Klinik zu bedeuten hatten. Zwei Mäuse, ein Turm. Und schlauer Weise solche Mäuse, die nicht weglaufen konnten. Wie auch immer die Lösung seines Problems aussah, er würde sich wahrscheinlich zum Mäuseturm begeben müssen, wo damals der Bischof angeblich von den Mäusen aufgefressen wurde. Wahrscheinlich würden sich Laura und vielleicht auch andere Helfer dort mit ihm treffen oder ihm vorher etwas wichtiges zeigen können, was ihm helfen könnte, den Bischof zu besiegen





--- Die Nacht am Rhein



Die nächste Nacht zuhause brachte den Schrecken zurück. Wieder war eine Woche herum, seit Hatto ein letztes Stück von Dylans Seele an sich gerissen hatte. Im Krankenhaus war er zwar erschienen, hatte ihm aber nichts getan. Offenbar war er in seiner Gier nach Seelen durch die magischen Verträge beschränkt, die er seinen Opfern unterjubelte, die ihn aber auch daran hinderten, die Seelen alle am Stück auf ein Mal zu verzehren. Jetzt kam er, sobald Dylan eingeschlafen war, mit aller Gewalt in seinen Traum und war zornig wie nie vorher!





„Sooo, du willst mirrr also entwischen! Das hassst du dirrr so gedaccchht! Glaubst duuu wirrrklich, iccchhh lasse diccchhh einfacchh so gehen? Zu dumm, dass diese blöde Heckxxxe nicht gleich rrrichtig abgebrannt ist!“ „Du tust ihr gar nichts mehr!“, schrie Dylan ihn an, “du fährst wieder zurück in die Hölle, wo du hergekommen bist!“ Da griff der Bischofsdämon nach seinem linken Bein, riss und drehte daran, ohne es gleich abzureißen, so dass Dylan nur noch Schmerzen spürte. „Icchh kann hervorrrragend foltern!“, zischte das Wesen und drehte das Bein komplett herum, wobei Dylan aufschrie.
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Dann schlitzte er mit spitzen Fingernägeln seinen Bauch auf, so dass die Gedärme zum Vorschein kamen, und manschte mit den Händen in der Bauchhöhle herum.Schließlich drehte er immer weiter an dem Bein, bis schließlich die verbindenden Gewebefetzen immer dünner wurden und letztlich Sehnen und die letzten Hautfetzen abrissen. Der Schmerz war jetzt viel schlimmer als vorher. „Da siehtst du, wie schmerzhaft es ist, sich gegen den alten Bischof Hatto zu wenden! Und verrrsuch bloooß nicht, mich weiterrr los zu werrrden!“



Wieder erwachte Dylan nachts im Bett, sein Körper war unversehrt, aber dennoch fühlte er sich wieder ein Stück unwohler.



Am nächsten Tag ging er wieder in die Schule, und Brenda, Robert und Tim fragten ihn gleich, wie es ihm gehe. Wieder antwortete er nur ausweichend, dass es ok sei. Er sagte nicht, dass er in der Psychiatrie war, und er log, dass er gute Medikamente bekommen hätte, die seinen Leiden ein Ende bereiteten. In der Pause unterbreitete er seinen Mitschülern, dass er am Wochenende eine Tour an den Rhein nach Süddeutschland machen wollte, und dass er dafür nach billigen Fahrgelegenheiten suchte. Robert und Tim gingen die Angebote der Bahn durch, die alle recht teuer waren. Nur Cho, der Mitschüler mit den koreanischen Eltern, hatte billige Bustouren gefunden, mit denen Dylan zum Taschengeldpreis herunter reisen konnte. Dann ging der Unterricht weiter, und auch Frau Petri war wieder da und begrüßte Dylan zurück zum Unterricht.



Tatsächlich schaffte es Dylan, eine Bustour nach Bingen zu buchen. In seiner E-Mail fand er nun ein weiteres Schreiben, das mit „Mahnung“ übertitelt war: „Sehr geehrter Herr Kleber, wiederholt haben Sie versucht, sich den Verpflichtungen Ihres geschlossenen Vertrages zu entziehen. Wir werden dies auf keinen Fall dulden und unsere Ansprüche mit allen Mitteln durchsetzen. Damit wird es für sie nur noch teurer! Entrichten Sie vertragsgemäß den verinbarten Preis weitter!“ Kurz danach gab es von der Mail keine Spur mehr.



Am späten Freitagabend dann fuhr der Bus am zentralen Busbahnhof los und die Nacht durch gen Süden, wobei er immer weitere Fahrgäste aufnahm. Dylan hatte seinen Tablet-PC dabei, auf dem er eines der runtergeladenen Spiele, das „Spiel der Seelen“, spielte.
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Es gab darin große, seltene Kraftobjekte, mit denen man schwarze Schatten über den Bildschirm kriechen lassen und so seine Gegner vernichten konnte. Genau so etwas wünschte er sich auch für Bischof Hatto. Dann musste er versuchen, im Bus während der Fahrt zu schlafen. Nachdem ihm dies halbwegs gelungen war, nicht einfach bei dem Schaukeln im Bus, sah er auf einmal Laura, die Hexe wieder. Dieses Mal im Traum und zusammen mit einem Mann, mit Kleidern wie vor Jahrhunderten. „Das ist Sebastian, er ist auch Hatto zum Opfer gefallen und kämpft jetzt gegen ihn.“ „Hallo“, antwortete Dylan. „Damals hetzte er den Leuten Räuber auf den Hals, und wenn die es schafften, eine Unterschrift zu erpressen, hatte er ihre Seele. So ging es auch fast bei mir. Doch als ich nicht unterschrieb, wurden die Räuber wütend und brachten mich um. Und ich blieb in der Welt der Lebenden als Geist, um mich zu rächen und ihm das Handwerk zu legen.“. Dann fuhr der Mann bedeutungsvoll fort: “Du weißt, er wurde damals fast von Mäusen aufgefressen, aber er konnte sich durch schwarze Magie entziehen. Du musst die Mäuse auf ihn loslassen, Dylan!“ „Ja, lass die Mäuse los, damit wir hier nicht umsonst für viele Jahrhunderte in dieser Zwischenwelt festgehangen haben!“, pflichtete jetzt Laura bei. Dylan wusste nicht genau, was damit gemeint war, aber es klang, als würde er es bald rausfinden.



Der Bus fuhr die Nacht durch, und am frühen Morgen ging die Fahrt durch das nebelige Rheintal mit seinen gelben, braunen oder noch grünen Herbstwäldern. In Bingen stieg Dylan aus und holte sein Gepäck. Jetzt musste er erst eine Kleinigkeit essen und dann heraus finden, wie er zum Mäuseturm kommen konnte. Es gab wohl Fähren, die aber nicht für Touristen gedacht waren, und gelegentlich Touristenschiffe. Mit einem der letzteren ließ sich Dylan dann auh später auf die Insel mit dem Mäuseturm herüber setzen. Eigentlich ein recht ödes Gebäude, das der Schifffahrtbehörde unterstand. Er ging mit ein paar Touristen hinein, setzte sich dann von der Gruppe ab und ließ sich dann, als sie gingen und er zurück blieb, heimlich über Nacht in dem Gebäude einschließen. Zum Glück waren die Gruppenführer da nicht sehr aufmerksam. Jetzt, als schon die Abenddämmerung kam, musste er sich die restliche Zeit vertreiben, bis irgend etwas passierte – was auch immer! Das alte Gebäude begann schon auszukühlen.
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Er rechnete damit, dass er jetzt erfuhr, wie er das dämonische Wesen loswerden konnte. Auf seinem Tablet spielte er weiterhin das runtergeladene Computerspiel um die Seelen, wo die Super-Items alle Gegner unter einer Flut schwarzer Schatten verschwinden ließe. Genauso musste er es wohl mit Hatto passieren, wenn er wieder hier aufkreuzte.



Und er ließ nicht lange auf sich warten! Draußen war noch Abenddämmerung, da schwebte die dämonische Bischofsgestalt auf einmal wieder durch den Turm. Er raste direkt auf Dylan zu und öffnete den Mund, als wolle er ihn auffressen. „Schnell, lass die Mäuse los!“, ertönte da die Stimme Lauras aus dem Hintergrund. Einen Moment wunderte er sich, denn der Tabletcomputer hatte gar keine Maus. Doch dann sah er, was gemeint war, die Kraftobjekte im Computerspiel! Hier hatte sich der Bischof vor rund 1100 Jahren seinem verdienten Tod entzogen. Hatto stürzte auf das Tablet los und versuchte, es Dylan aus der Hand zu schlagen. Doch der wich aus und fuhr jetzt mit dem Finger über die Oberfläche des Computerspiels. „Neeeein, das tust du nicht!!!“ brüllte Hatto, doch Dylan kannte mittlerweile das Spiel schon recht gut, so dass er das Super-Item aktivieren konnte.



Schwarze Wolken und Schatten schwappten zunächst nur über den Spielbildschirm. Dann begann sich ganz real eine dichte, schwarze Wolke um das Tablet zu bilden, aber von einer Art, als ob sie lebte und willentlich etwas tat. Die Wolke wurde dichter und größer, erhob sich über dem Tablet, und jetzt breiteten sich davon schwarze Rauchwolken aus, die vom Tablet herunter fielen, am Boden und an den Wänden entlang krochen und sich dabei ständig verdichteten. Hatto stieß Schreie von Furcht und Schmerzen aus. Die kleinen Wölkchen verdichteten sich und nahmen nun zunehmend die Gestalt von Mäusen an, die den Bischof anfielen und letztlich niederrangen. „Er hat dieses Computerspiel mit seiner Magie verhext, um Seelen zu fangen“, erklärte Laura, „jetzt wendet sich die gleiche Magie gegen ihn! Vor 1100 Jahren konnte er sich den Mäusen noch entziehen, jetzt geht das nicht mehr.“



Und die wimmelnde, schwarze Masse fiel immer wilder und wütender über den Bischof her, der sich wild strampelnd zu verteidigen suchte.
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Schon flog ein pechschwarzer Arm durch die Luft und blieb liegen. Bald folgte eines der beiden Hörner. Letztlich wurde der Leib des Dämonenbischofs so buchstäblich in Stücke gerissen. Dann endlich war er erledigt, und die schwarze Masse der Mäuse löste sich in dünner werdenden, schemenhaften Wolken auf.



Endlich erschienen noch einmal Laura und Sebastian in dem Turmzimmer: „Vielen Dank, du hast endlich diesem Grauen ein Ende gemacht! Wir haben nun unsere Aufgabe in der Zwischenwelt erfüllt, müssen nicht länger Geister sein und können endgültig Ruhe finden.“ . Es sah aus, als lösten sie sich auf; die Schemengestalten sonderten hellen Nebel ab und wurden immer schwächer, bis sie schließlich verschwanden.





--- Seelenspiel gewonnen



Dylan, erschöpft wie er war, schlief einfach in dem alten Turm ein. Am nächsten Morgen war er gewaltig unterkühlt, denn es war Allerheiligen und schon richtig kalt draußen. Da bemerkte er ein weiteres Problem, denn an dem Feiertag würde womöglich niemand den Turm aufschließen und ihn freilassen. Und wenn er so frei käme, wie käme er dann von dieser Insel herunter?



Tatsächlich fand er bald ein offenes Fenster, durch das er aussteigen konnte. Allerdings gab es kein Boot, mit dem er hätte wegfahren können. In einer hölzernen Kiste fand er nur einen großen, wasserdichten Seesack, in den seine Habseligkeiten gerade eben hinein passten. Er blickte durch die kalte Luft auf den Nebel, der über der Wasseroberfläche hing. „Nein, das muss jetzt nicht sein!“, dachte er sich. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als in das eisige Wasser des Rheins zu steigen und mit dem Sack im Schlepptau in Richtung Ufer zu schwimmen. Drüben angekommen, entdeckten ihn beim Abtrocknen einige Kinder, die laut schrien und ihn auslachten. Dylan baute sich einmal groß vor ihnen auf und schrie: „Buh, ich fresse eure Seelen, wenn ihr nicht ruhig seid!“ Da wichen sie ängstlich zurück, und Dylan konnte sich schnell anziehen, bevor weiterer Ärger drohte. Er kaufte im Ort noch eine Flasche Wein als Erinnerung, dann ging er zurück zu dem Busbahnhof, von wo er wieder nach Hause fahren konnte.
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Das Computerspiel war immer noch auf seinem Tablet, aber es war jetzt nur noch ein ganz gewöhnliches Spiel, das Spaß machte, aber keine Auswirklungen auf irgendwelche Seelen mehr hatte. Auf der Rückfahrt kam Dylan dem Endgegner nahe.



Die Dämonengestalt im Schlaf erschien nie wieder, und er konnte ruhig für die Schule lernen. Einmal ging er, viel später, noch für einen Termin zur Klinik, wo er den Arzt traf, der von der Seelenfresser-Krankheit erzählt hatte. Der wunderte sich, dass es ihm noch so gut ging, denn andere Patienten hatten ihre dämonischen Peiniger üblicher Weise nicht besiegen können.





Doch Dylan war einfach ein zu guter Spieler!
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Kommentare zur Story:

  Flüssig und spannend geschrieben. Ein wunderbares Gruselmärchen - sehr gelungen!  
   Dieter Halle  -  31.10.13 15:03

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Interessante Kommentare

Kommentar von "weltuntergang" zu "Abschied nehmen"

Schweres und schönes Gedicht. Gefällt mir sehr total. Ganz liebe Grüße

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