Erotisches · Romane/Serien

Von:    rosmarin      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 21. Januar 2013
Bei Webstories eingestellt: 21. Januar 2013
Anzahl gesehen: 2407
Seiten: 9

Diese Story ist Teil einer Reihe.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


19. Kapitel

_________

Einige Tage später rief Gigan an.

„Wir müssen uns aussprechen“, bat er, „wir fahren in den Lustgarten.“



In den Lustgarten? Dorthin, wo er mich zum ersten Mal berührt und versucht hatte, meinen Körper zu erkunden? Im Schutze der uralten Eiche und der Wärter mit Grubenlampe und Hund uns überrascht hatte? Wollte er Erinnerungen wecken oder mich mit diesen Erinnerungen bestrafen. Schon damals ahnte ich, dass dieser Mann mein Schicksal werden würde, wenn ich ihn nicht sofort zurückwiese. Doch Gigan war nicht der Mann, der sich zurückweisen ließ. Mit sicherem Instinktiv erspürte er die Frau, die ihm willig entgegenkam, nach seinen riskanten Spielchen lechzte. Er hatte eine Seite in meinem Wesen, meinem Körper, geweckt, die mir fremd war, von der ich nicht einmal ahnte, dass es sie geben könnte, und mit wilden Zärtlichkeiten zum Klingen gebracht. Und das neue prickelnde Gefühl, dieses wahnsinnig erotische Gefühl, machte mir Angst und bewusst, wie wenig ich mich kannte. Geplagt von Sehnsüchten, Leidenschaften, dunklen Tiefen, Abgründen in meiner bis dahin von diesen Dingen unberührten Seele, meinem ruhigem Körper, machte ich alles mit, was Gigan verlangte und war schon nach kurzer Zeit seiner Dominanz, seiner Lust, seinem Ego verfallen. Ich tanzte mit ihm im Feuer der Lust, in der Hölle des Schmerzes. Und wenn ich darin verbrennen sollte.



Und nun hatte mich dieser Satansbraten belogen, betrogen verraten.



„Gut. Hol mich ab“, stimmte ich zu, obwohl ich ihn doch nie wiedersehen wollte. Was gab es noch zu besprechen? Es war alles gesagt. Wir waren geschiedene Leute. Er hatte sich für eine andere Frau entschieden. Der rot gefärbten Kitschfrau. Fast musste ich lachen, als das Bild der Neuen vor meinem geistigen Auge auftauchte.



Dauergewellte, von Farbe völlig verdorbene, verfranste knallrote Haare.

Dunkelblaue, hervorquellende, große Augen.

Lange spitze Nase.

Aufgeschwemmte weiße Haut.

Dunkle Leggings.

T-Shirt mit einem großen Glitzerdingsda, einem Tiger.

Figur kräftig. Dünne Beine. Keine Taille. Kaum Busen.



Ich hasste Leggins, ich hasste Glitzer-T-Shirts.
Seite 1 von 9       
Ich hasste gefärbte dauergewellte Haare.

Die ganze Frau war eine einzige Beleidigung für mich.

Die interessierte nicht einmal, dass Gigan auch sie belogen hatte. Die blieb ganz ruhig im Auto sitzen und quatschte freundlich dummes Zeug, erzählte mir im Eiltempo ihr halbes Leben, wohnte in Frankfurt, arbeitete in Berlin, lag in Scheidung, fuhr täglich hin und her, suchte einen Mann, Alleinsein sei nichts, sie wolle Spaß haben.



Und das mit meinem Gigan! Die war doch verrückt. Völlig übergeschnappt. Sollte ich mir das bieten lassen? Horror pur. Wenn sie ihn wenigstens auch zum Tier werden lassen könnte. Was fand Gigan nur an der? Was verband ihn mit ihr?

Gigan war ein Ästhet. Brauchte Schönheit und Harmonie wie das täglich Brot.



*



Ohne uns zu berühren, liefen wir nebeneinander. Vor unserer Liebeserstberührstelle blieb Gigan stehen. Unter der alten Eiche, dort, wo uns der Wächter mit Grubenlampe und Hund bei unserem Liebeshändelspiel erwischt hatte.

Auf dem ganzen Weg hatten wir kein einziges Wort gewechselt. Eisiges Schweigen war um uns. Über uns. In uns. Eine Mauer aus Stein schien unsere verletzten Seelen eingeschlossen zu haben.



Schweigend standen wir uns gegenüber, starrten uns an, ohne einen Blick für die Schönheit dieses Sommertages zu haben.

„Ich will das Kind nicht,“, sagte Gigan plötzlich in das eisige Schweigen hinein.

Eiskalte Augen. Strichmund. Erstarrter Körper.

Entsetzen erfüllte mich, kroch von den Zehen hinauf zu meinem Herzen, krampfte sich fest, nahm mir fast die Luft zum Atmen, bevor es langsam meinen Kopf erreichte, sich festsetzte in meinem Hirn.

„Du musst es dir wegmachen lassen.“

War das der Mann, der gesagt hatte: „Ich will ein Kind von dir. Heirate mich.“? Der Mann, der mich geküsst, den ich geküsst und geliebt hatte? Der Mann, der mein Ich an das Licht gezaubert, mit Leben gefüllt, erfüllt, hatte?

Nein. Vor mir stand ein Mann, der nicht Gigan war. Ein Mann, hilflos, farblos, klein. Ein Mann ohne Charakter.

„Es ist besser für uns“, sagte der kleine, farblose, hilflose Mann.



Bestimmt steckte die Neue hinter dem neuen Gigan.
Seite 2 von 9       
Bestimmt hatte sie Angst, ich könnte meine Drohung, ihr das Kind aufzudrängen, wahr machen.

Ha! Wie kann man nur so blöd sein. Niemals würde ich mein Kind weggeben. Und schon gar nicht den beiden. Diesem Rabenvater Gigan. Diesem Schwätzer. Sollte er doch mit seiner Neuen, dieser hässlichen Kuh, glücklich werden. Ich würde es mit seinem Kind. Dem Kind, das ich mir so gewünscht hatte. Und nun verlangte dieses gefühllose Monster ich solle es töten lassen wie er seinen Hund? Nein, dieser Unmensch war für mich gestorben.



„Mach ich nicht“, erwiderte ich angewidert, „fahr mich nach Hause.“



*



Ich saß auf meiner Couch, grübelte, begriff nicht, wie sich ein Mensch quasi von einem Tag zum anderen so verändern konnte.



Gigan hatte mich verlassen. Das soll vorkommen. Die Liebe kann sterben. Man kann sich entlieben. Aber doch nicht so. So hinterhältig und feige. Gigan hatte mich ersetzt durch eine Frau, die nicht seine niedersten Triebe befriedigte, die ihn nicht zum Tier werden ließ, wie er sich ausdrückte, die ihn nicht anmachte. Vielleicht sehnte er sich ja nach einer ganz normalen Beziehung und nicht nach jener, die er mit mir gelebt hatte. Doch war das kein Grund, das Kind abtreiben zu lassen. Es gehörte mir. Nicht ihm. Hätte ich ihm nur nichts gesagt von der Schwangerschaft. Es wäre dann Zappis und mein Kind. Immerhin waren wir verheiratet. Gigan hatte gar keinen Anspruch darauf.



Und doch sehnte ich mich unwahrscheinlich nach ihm. Ich würde allein sein mit meinem Schmerz, meiner Sehnsucht, den geweckten Begierden, die keine Erfüllung mehr finden würden, weil sie geknüpft waren an Gigans Person.

Leise schluchzte ich vor mich hin, geplagt von einem unbändigen Verlangen nach Gigans animalischen Berührungen, das mir fast den Verstand raubte, meine Sinne umnebelte.

Seit Tagen hatte ich nicht gegessen, getrunken, mich

nicht gewaschen, nicht geschlafen. Unglücklich saß ich auf der Couch, starrte in ein Nichts. Von tiefer Depression erfasst, wurde ich erbarmungslos in dunkle Tiefen geschleudert.

Das Telefon klingelte. Mir fehlte die Kraft, den Hörer abzunehmen, Angst schnürte mir die Kehle zu, mein Herz raste, mein Kopf drohte, zu zerspringen und die Furcht vor etwas Unbestimmtem, nicht Greifbarem, brachte mich einer wohltuenden Ohmacht immer näher.
Seite 3 von 9       


Kommt so der Tod?, war mein letzter Gedanke, bevor mich die Dunkelheit verschlang.



*



Ich erwachte in meinem Bett.

„Bin ich im Himmel?“, fragte ich matt.

„Nein mein Liebling.“ Zappi hielt meine Hand, „noch nicht“, versuchte er zu scherzen, „du liegst in deinem Bett.“

„Ich hatte solche Angst.“

„Ich werde mich jetzt um dich kümmern.“ Zappi küsste mich auf die Stirn. „Du warst in einem schrecklichen Zustand, als ich dich fand. Ich rief gleich Frau Dr. Lenna an. Du hättest einen Nervenzusammenbruch, sagte sie, und müsstest viel schlafen. Sie gab dir eine Spritze und wollte wissen, was vorgefallen ist. Was dich so erschüttert hätte. Ich weiß es nicht. Du erzählst mir doch alles?“

„Ich bin sehr erschöpft“, flüsterte ich und schmiegte mein Gesicht in Zappis Hand.

Stockend erzählte ich Zappi, was vorgefallen war. Verschwieg jedoch die Schwangerschaft und demzufolge das Gespräch im Auto mit der rot gefärbten Kitschfrau und das letzte Gespräch mit Gigan, das entscheidende.

„Das hätte ich wissen müssen“, empörte sich Zappi, „vergiss ihn, diesen Idioten. Der ist doch krank im Kopf. Der ist deiner nicht würdig. Nicht wert, dass du auch nur einen einzigen Gedanken an ihn verschwendest. Vergiss ihn.“

„Möchte ich ja“, schluchzte ich, „aber es geht nicht. Ich kann nichts dafür. Er ist in mir.“

„Der hat doch nicht alle Tassen im Schrank“, wütete Zappi weiter, „du hast ja nicht auf mich hören wollen. Du warst ja so vernarrt. Du hast ihn immer in den Himmel gehoben. Ich habe auch gelitten. Aber nicht so, wie du jetzt leidest. Ich wusste, dass so eine Affenliebe nicht halten kann.“

„Ja“, gab ich zu, „aber nun sei still davon. Das hilft mir auch nicht. Ich will nichts mehr davon hören.“



Zappi bemühte sich, seinen gerechten Zorn für sich zu behalten, vorerst. Er blieb bei mir und pflegte mich aufopfernd.

Dr. Lenna kam jeden Tag und spritzte mir ein Beruhigungsmittel.
Seite 4 von 9       
Langsam erholte ich mich, wagte mich wieder unter Menschen, frischte alte Kontakte auf, rief Freunde und Bekannte an und erzählte jedem, der es hören wollte, oder auch nicht, meine traurige Love Story.

Natürlich bemerkten alle meine Veränderung und hörten mir geduldig zu.

„Ich bin in Ordnung“, beteuerte ich und ließ mich gerne trösten. Doch ich wusste, ich war nicht in Ordnung. Meine Seele war krank.



*



Gigan machte mit seiner Neuen, dieser rot gefärbten Kitschfrau, Urlaub in Österreich, wie Bernd, mit dem ich regelmäßig telefonischen Kontakt hatte, berichtete.

Mich plagten die wüstesten Bilder, Vorstellungen, die der reine Horror waren.

Ich schlief mit ihnen ein, erwachte schweißgebadet mit ihnen, lebte mit ihnen. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Mir war, als sollte ich niemals wieder Ruhe finden.

Ich sah Gigan und seine Neue aufwachen, eng umschlungen, noch warm von der Liebesnacht.

„Ich liebe dich mein Schatz“, flüstert Gigan der Kitschfrau ins Ohr.

Sie lieben sich wieder. Und wieder. Und der Tag wird wunderschön. Und die Nacht noch schöner. Sie küssen sich. Sie lieben sich.

„Ich liebe dich“, stöhnt Gigan nach jedem Orgasmus, „oh, wie ich dich liebe. Ich möchte sterben in dir. Ich möchte nie wieder raus aus dir. Ich liebe dich wahnsinnig.“



„So ein Scheiß!“, versuchte ich mich verzweifelt zur Vernunft zu bringen, den Bildern zu entfliehen, etwas Normalität in mein Leben zu bringen. Vergeblich. Ich fluchte wie der schärfste Ochsenkutscher, die ordinärste Marktfrau: „Verwichster Hurenbock! Sacksau! Scheusal! Mistkerl! Höllenbrut!“



Diese Fäkaliensprache, diese sonst von mir verpönten Wörter, die nicht zu meinem Wortschatz gehörten, gebrauchte ich jetzt immer öfter, verschafften sie mir doch für den Moment Erleichterung. Schade nur, dass Gigan sie nicht hören konnte. Würde er aber. Und auch seine Neue. Mein Unterbewusstsein schmiedete schon Rachepläne, während ich ernsthaft glaubte, verrückt geworden zu sein.



„Du brauchst ärztliche Hilfe“, stellte Zappi fest, „allein schaffst du das nicht.
Seite 5 von 9       


Zappi hatte recht. Die brauchte ich, wenn ich nicht völlig durchdrehen wollte.

„Dieser Mann hat Sie bis in die tiefsten Tiefen Ihrer Seele verletzt“, sagte Frau Dr. Lenna, „fachmännische psychiatrische Behandlung wäre sehr angeraten. Ohne solche werden Sie die seelische Erschütterung, dieses Trauma, nur schwer überwinden. Vielleicht überhaupt nicht. Sie sind nicht besonders belastbar und sehr sensibel.“

„Leider“, sagte ich.

„Das soll kein Vorwurf sein.“ Dr. Lenna sah mich mitfühlend an. „Sensible Menschen sind die wertvolleren.“



*



Also ging ich als sensibler, wertvoller Mensch in das Haus der Gesundheit am Alexanderplatz.

„Ich schicke Sie zu Dr. Weitel“, sagte die Schwester hinter der Barriere an der Rezeption. „Fünfte Etage. Dort holen Sie sich bitte einen Termin.“

„Ich brauche keinen Termin. Ich brauche sofort Hilfe.“

„Ihnen wird schon geholfen werden“, sagte die Schwester ruhig.

Mit dem Fahrstuhl fuhr ich in die fünfte Etage, fand nach einigem Suchen auf den langen unübersichtlichen Gängen die Tür mit Dr. Weitels Namensschild.

Dr. Weitel – Psychotherapeut.

Zögerlich klopfte ich. Alles blieb still. Ich klopfte wieder. Diesmal forscher. Kein Herein. Ich öffnete die Tür und stand in einem ganz normalen Sprechstundenzimmer.

Doch die drei Menschen in diesem ganz normalen Zimmer schienen mir nicht geheuer. Eine Frau mit schwarzem Bubikopf hinter einem hölzernen Schreibtisch schminkte sich die Lippen vor einem winzigen Spiegel in ihrer Hand. Eine andere mit einem blonden Pferdeschwanz hielt ihr eine geöffnete Handtasche entgegen.

Einige Minuten vergingen, bevor die beiden Frauen in weißen Kitteln mich bemerkten und freundlich anlächelten. Die Frau mit den schwarzen Haaren verstaute Spiegel und Lippenstift langsam in der Handtasche. Die Blonde lächelte noch immer.

Auf dem Boden saß ein Mann, auch im weißen Kittel, im Lotossitz, und musterte mich aus der Froschperspektive.

„Sind Sie Dr. Weitel?“, staunte ich.

„Worum geht´s denn?“ Dr. Weitel blieb auf dem Boden hocken. „Schlimm?“

Bestimmt ist dieser seltsame Doktor gerade aus seinem

Urlaub zurückgekehrt, dachte ich.
Seite 6 von 9       
So braun wie der ist, und hat noch keine Lust, sich mit den lieben verrückten Mitmenschen abzugeben.



Urlaub. Gigan. Kitschfrau. Alarm!

Alles in mir war zum Angriff bereit.



„Ich brauche was für meine Nerven“, sagte ich aggressiv.



Dieser Kerl war mir auf den ersten Blick unsympathisch. So hatte ich mir einen Psychiater, einen Dr. Weitel, wahrhaftig nicht vorgestellt.



Dr. Weitel erhob sich träge, setzte sich hinter den Schreibtisch auf einen weißen Stuhl, starrte mich stumm an. Ein Schleier legte sich vor meine Augen. Dieser Typ gefiel mir nicht. Psychiater! Es würde nichts bringen.

Was wollte ich hier? Helfen würde mir doch niemand können. Schon gar kein Mann. Kein Dr. Weitel. Es war alles sinnlos. Alles war sinnlos, was ohne Gigan geschah.

Bei diesem Gedanken schossen mir die Tränen aus den Augen, tropften über meine Wangen, rollten über den Hals in den Ausschnitt meines bunten Sommerkleides.

Fasziniert hatte Weitel zugesehen, zeigte endlich eine Reaktion.

„So schlimm?“

Ich schluchzte herzzerreißend: „Noch schlimmer.“

„Liebeskummer?“

„Ich brauche was zum Abschalten. Zum Beruhigen.“ Dr. Weitel schwieg. „Ich muss immer an ihn denken. Und will es doch nicht. Ich will mich wiederhaben. Mich! Mich!“, schluchzte ich, „mich!“

„Ich verstehe“, sagte Weitel, der gar nichts verstand, denn sonnst hätte er mir nicht so eine blöde Antwort gegeben. „Ich verstehe“, wiederholte er sich, „aber ein Beruhigungsmittel kann ich Ihnen leider nicht verschreiben. Sie können es sich in der Apotheke kaufen. Wir müssen über Ihr Problem reden. Wir müssen die Ursachen ergründen.“

„Unsinn!“ Unbeherrscht sprang ich vom Stuhl, auf den mich Dr. Weitel dirigiert hatte, „mein Problem kenne ich. Die Ursache auch! Ich habe Ihnen doch gesagt, was ich brauche. Was zum Abschalten!“ Wie ein trotziges Kind stampfte ich wütend auf den grünen Teppichboden. „Ich will wieder ICH sein. Ich! Ich! Ich habe mich verloren. Mich!“

Erschöpft setzte ich mich wieder auf die Stuhlkante, starrte Weitel unverwandt an.

„Was machen Sie denn?“, fragte Weitel sichtlich irritiert, „beruflich meine ich.
Seite 7 von 9       


Ich lachte hysterisch. Dann schrie ich los: „Nichts mache ich! Ich wurde gerade gefeuert. Weil ich nicht mit Männern ins Bett gehen wollte! Haha!“ Wieder sprang ich auf, geschüttelt von einem plötzlichen Lachanfall. „Hahahaha! Weil ich keine Nutte bin! Hahahaha! Vielleicht werde ich noch eine! Hahaha! Fast hätte mich mein Chef zu einer gemacht! Hahahaha! Der wollte mit mir ficken! Und ich mit ihm! Geleckt hat er mich schon! Und es war geil! Geil! Und ein Studio habe ich schon in Aussicht.“



Es war grotesk. Lachtränen liefen mir übers Gesicht wie vordem die Tränen der Verzweiflung. In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so gebärdet. Es war erniedrigend. Es war nicht zu entschuldigen. Und diese obszönen Worte.



Dr. Weitel wich vor mir zurück, als hätte er Angst, ich könnte vor seinen Augen durchdrehen. Doch ich hatte mich schon beruhigt, erfasst von unsäglicher Traurigkeit.

„Mein Freund hat mich verlassen“, sagte ich leise, „ich bin schwanger. Ich habe keine Arbeit. Und ich bin nicht fähig, meine Gedanken und Gefühle zu ordnen. In mir herrscht ein einziges Chaos. Ich will vergessen. Und kann nicht.“

Die Tränen liefen wieder ungehemmt über mein Gesicht, ich lachte und weinte gleichzeitig. „Mein Mann ist ja bei mir“, schluchzte ich weiter, „aber wir leben getrennt. Es geht nicht mehr. Weil Gigan in mir ist.“

„Sie sind ja ganz schön angeschlagen“, stellte Dr. Weitel sachlich fest, „und nicht so recht beieinander.“

Da hatte ich es. Er glaubte auch, ich sei verrückt.

„Sie haben es erfasst!“, fauchte ich, „deswegen bin ich hier! Kapiert? Deswegen brauche ich was zur Beruhigung! Und zwar sofort!“

Erschöpft sank ich auf den weißen Stuhl, vergrub mein verheultes Gesicht in den Händen. Ich war am Ende. Ich schämte mich. Wie konnte ich mich nur so gehenlassen?

Dr. Weitel schien solche Szenen gewohnt zu sein.

„Ich gebe Ihnen eine Termin“, sagte er ungerührt, „Termine sind selten. Ich schiebe Sie dazwischen. Es scheint mir zu eilen. Wie wäre es mit Montag?“

„Gut.“ Begeistert war ich nicht, versuchte aber, etwas gelassener zu werden.

„Einen Rat könnte ich Ihnen noch geben“, sagte da Weitel.
Seite 8 von 9       


„Ja?“, fragte ich hoffnungsfroh.

„Fahren Sie doch am Wochenende an die Nordsee.“ Weitel starrte hämisch in meine Augen. „Lassen Sie sich den rauen Wind um die Ohren wehen. Halten Sie Ausschau nach jungen Männern. Halten Sie die Augen offen. Vielleicht löst schon das Ihr Problem.“



Spinnt der? Der ist noch verrückter als ich! Der Kerl nimmt mich nicht ernst. Ich wurde gerade von Gigan verlassen und der redet von anderen Männern!



„Von Männern habe ich die Nase voll!“, schrie ich wütend, „die können mich alle mal! Alle! Und besonders Sie!“

Am liebsten hätte ich dem Weitel, dem Psychiater Dr. Weitel, eine geknallt. In die Eier getreten. Oder sonst was.

„Oh, Mann! Scheiße“, flüsterte ich fassungslos.

Weitel näherte sich auf Tuchfühlung, diesmal wich ich zurück. „Das glaube ich Ihnen sogar“, heuchelte er, „ich gebe Ihnen einen Termin für die nächste Woche. Ich schreibe Ihnen die Telefonnummer auf.“ Er ging zu seinem Schreibtisch, wühlte zwischen einem Haufen Papier, fand endlich einen Zettel. „Falls es schlimmer werden sollte“, murmelte er, „wo ist denn nur die Nummer? Wir haben alle eine neue bekommen. Sie auch?“

Was interessierte mich jetzt eine neue Nummer.



„Suchen Sie nur weiter“, ermunterte ich ihn ruhig, denn nun war klar, wer von uns beiden verrückt war, „wer suchet, der findet.“

Endlich hatte Weitel gefunden, was er suchte. In liederlicher Schrift kritzelte er eine Telefonnummer und eine Adresse auf einen gelben an allen vier Ecken eingeknickten Zettel.

„Nehmen Sie“, sagte er, „Termin nicht vergessen.“

Ich nahm den Zettel, zerriss ihn, warf die Schnipsel Weitel vor die Füße.

„Ich vergesse alles“, sagte ich, „besonders Sie.“



Sollte er sich doch zu den Papierfetzen setzen. Ich stolzierte zur Tür. Die Damen kamen aus dem Nebenzimmer. Lächelten. Ich knallte die Tür zu.





***







Fortsetzung folgt
Seite 9 von 9       
Punktestand der Geschichte:   238
Dir hat die Geschichte gefallen? Unterstütze diese Story auf Webstories:      Wozu?
  Weitere Optionen stehen dir hier als angemeldeter Benutzer zur Verfügung.
Ich möchte diese Geschichte auf anderen Netzwerken bekannt machen (Social Bookmark's):
      Was ist das alles?

Kommentare zur Story:

  Irgendwie kann man deine Marie verstehen. Dieser Therapeut benimmt sich ziemlich arrogant. Diese Ruhe muss einen ja explodieren lassen. Am Schluss musste ich sogar grinsen. Nun bin ich mal gespannt wie es Gigan inzwischen ergangen ist. Schönes Kapitel.  
   Else08  -  21.01.13 22:13

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

Stories finden

   Hörbücher  

   Stichworte suchen:

Freunde Online

Leider noch in Arbeit.

Hier siehst du demnächst, wenn Freunde von dir Online sind.

Interessante Kommentare

Kommentar von "Homo Faber" zu "Der Zug"

Hallo, ein schöner text, du stellst deine gedanken gut dar, trifft genau meinen geschmack. lg Holger

Zur Story  

Aktuell gelesen

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. Über ein Konzept zur sicheren und möglichst Bandbreite schonenden Speicherung von aktuell gelesenen Geschichten und Bewertungen, etc. machen die Entwickler sich zur Zeit noch Gedanken.

Tag Cloud

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. In der Tag Cloud wollen wir verschiedene Suchbegriffe, Kategorien und ähnliches vereinen, die euch dann direkt auf eine Geschichte Rubrik, etc. von Webstories weiterleiten.

Dein Webstories

Noch nicht registriert?

Jetzt Registrieren  

Webstories zu Gast

Du kannst unsere Profile bei Google+ und Facebook bewerten:

Letzte Kommentare

Kommentar von "Wolfgang Reuter" zu "Das Gullydeckel-Lied"

Hallo Francis Dille, noch arbeite ich an der Melodie. Und eine halbwegs vernünftige Tonaufnahme muss ja auch noch her. Wenn ich es geschafft habe, melde ich mich an dieser Stelle. Liebe Grüße von ...

Zur Story  

Letzte Forenbeiträge

Beitrag von "Redaktion" im Thread "Winterrubrik"

Feiert schön und lasst es euch gut gehen. Wer Schnee an diesem Tage hat, sollte sich freuen. Selbst in Berlin hatte es nachts geschneit. Jetzt ist er allerdings fast weggetaut. Trotzdem, so ein bissc ...

Zum Beitrag