La France mon amour! (Liebeserklärung an Frankreich)   176

Erinnerungen · Romane/Serien

Von:    Michael Kuss      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 26. September 2012
Bei Webstories eingestellt: 26. September 2012
Anzahl gesehen: 2747
Seiten: 3

Nach Frankreich nicht nur zum Urlaub, sondern dort arbeiten oder studieren, also „richtig zu leben“, daran war anfangs gar nicht gedacht. Das kam erst viel später.

Da war zunächst nur der Urlaubsort und das Zauberwort Frankreich! Seit meiner Kindheit übte das Land eine unbeschreibliche, geheimnisvolle Anziehungskraft auf mich aus. Und erst die Übersetzung: La FRANCE! Welche Geheimnisse verbargen sich hinter der Weichheit dieser Worte?! Mein kindliches Gemüt und später die jugendliche Neugier stolzierten durch üppige Phantasien und wurden zur Abenteuerlust.

Es waren frühe französische Filme zum Beispiel mit Jean Gabin (Maigret), mit Catherine Deneuve (Ekel und Belle de Jour), vor allem mit Michel Piccoli ("Themroc", "La grande bouffe"), später mit Gérard Depardieu und Miou-Miou ("Die Ausgebufften"), Sammy Frey ("Pourquoi pas?") oder Isabelle Adjani ("Geschichte der Adele H." oder "Ein mörderischer Sommer"), oder die erste französische Emanze, die ich auf der Leinwand kennenlernte: Bernadette Lafont in "Die Verlobte des Teufels", die mich verstört und erschrocken im Kinosessel festhielt, bis ich mir Gedanken machte über extrem unterschiedliche Frauenbilder in Deutschland und Frankreich.

Diese und andere Akteure, Vertreter einer fremden Welt, die mich in ihrer damals für mich außergewöhnlichen und geheimnisvollen Art für Frankreich begeisterten. Zu einer Zeit, als deutsche Filme und Schauspieler noch bieder und leblos waren, so bieder wie die Oberflächlichkeit des damaligen deutschen Alltags. Zu einer Zeit, als Romy Schneider ("unsere" Romy!) sich mutig erdreistete, das Leben und sich selbst in Frankreich zu finden, dem braven Sissi-Image zu entfliehen und sogar mit dem Erzfeind (Alain Delon) das Bett zu teilen.

Oder mein erstes französisches Buch: Jean-Paul Sartres "Das Spiel ist aus" und später seine Berichte über die letzten Tage der deutschen Besatzung in Paris. Und es waren die Farben von Renoir, Degas oder Monet, die Farben der Verführung zu Sonne und Meer, die mich verführten.

Und endlich meine ersten Besuche. Zunächst Paris! Dieses nur unklar definierbare Traumwort Paris gaukelte mir vor: Rififi an der Place Pigalle, Erotik zwischen Moulin-Rouge und Montmartre, modische Geschöpfe auf der Avenue des Champs-Élysées, Jean Gabin wandert als Kommissar Maigret mit grimmig entschlossenem Gesicht und der Pfeife im Mund durch den Justizpalast, knutschende Liebespaare am Quai de la Seine, Studenten im Quartier Latin.
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Oder nur einmal Jean Paul Sartre an Simones Seite lesend oder diskutierend vor Chopins Denkmal im Jardin du Luxembourg sehen, oder Picasso in seiner Stammkneipe am Montparnasse. Welt von gestern...

Oder schlicht und einfach der Eiffelturm, – den ich dann bei meinem ersten Besuch glatt verpasste, weil ich mich in eine junge, bildhübsche Französin verknallt hatte. Aber meine erste zarte Pariser Liebe wurde nicht erwidert; eine Stunde starrte ich sie wort- und - mangels Französischkenntnisse - damals noch sprachlos vom Nebentisch eines Bistros zwischen Seine und Notre Dame vergeblich an, bis ihr Freund kam, sie sich küssten, und ich traurig träumend zurück zum Gare de l’Est trottelte und beinahe meinen letzten Zug für die Rückfahrt nach Deutschland versäumte.

C’est la vie!

Und das war Weißbrot; langes, frisches, knuspriges Weißbrot, an dem man noch die Wärme der Backstube roch und schmeckte, Rotwein und frischer Käse. Ein ganzes langes, goldgelbes, holpriges Weißbrot, der Länge nach aufgeschnitten, mit einem leibhaftigen französischen Camembert garniert und dann hineingebissen, auf einer Parkbank sitzend, die Sonne scheint, flatternde Röcke und vielversprechende Gesichter, der Akkordeonspieler überschlägt im Hut seine Tageseinnahme, eine Amerikanerin schwärmt „beautifull“, drei Japaner fotografieren, ein Clochard schnäuzt sich die Nase und blickt verklärt auf die halbvolle Weinflasche.

Und es waren Straßencafés, Häuser wie Taubenschläge, mit Terrassen und viel Trubel; nicht wie im alten und langweiligen Mief unseres heimatlichen Ratskellers, in denen ich als Kind immer still und brav meine Bockwurst mit Limonade verdrücken musste, während daneben meine Eltern sich über die banalen Intrigen zwischen örtlichem Kaninchenzucht- und Karnevalsverein unterhielten.

Jetzt, in Paris, waren es vorbeiwogende Menschen, Kleider, Beine, Gesichter, man konnte sich eines davon aussuchen und die Fantasie Purzelbäume schlagen lassen. Flotte Kellner, die alle durcheinander schrieen, und Geld, das man beim Weggehen einfach auf dem Tisch neben den Kassenbon legt; „Le garcon“, flink, wachsam, schnodderig, immer auf Achse aber nicht übermäßig höflich, würde sich des Geldes sicher gleich bemächtigen.
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Hektischer Betrieb in der Metro, damals noch primitiv, klappernd durch die Schächte rasselnd; heute modern, pfeilschnell und auf Hartgummirädern im surrenden Minutentakt; teilweise ohne Zugführer, nur von Computerprogrammen ferngesteuert. Studentinnen im Jardin du Luxembourg, gelehrige Bücher unterm Arm, mit melancholischen oder abweisenden, herausfordernden, vielversprechenden oder verschlossenen Gesichtern und wehenden Röcken. Und die Liebespaare an der Seine sind keine Erfindung der französischen Touristenwerbung, sondern echt, leibhaftig und Appetit anregend.

Morgens um Sechs, Marktgeschrei in engen Gassen, Obst und Gemüse wie farbenfreudige Meisterwerke aufgebaut, Rendezvous der Nachtbummler und Frühaufsteher, den ersten starken Espresso an der Bar im Stehen, Straßenreinigung und kläffende Hunde, das Wasser perlt und spritzt aus den Hydranten, der Müll einer Nacht wird weggeschwemmt, bergab, von afrikanischen Reinigungsarbeitern mit dem Besen getrieben in Richtung Seine.

Die ersten Geschäfte öffnen, Metroschächte spucken ihr Tagespensum aus, die Widersprüche von Paris sagen sich Guten Morgen und gehen Hand in Hand durch den Tag. Ein Gefühl unbändiger Freiheit überkommt mich, als würde ich schweben, als sei ich losgelöst vom schnöden Arbeitsalltag, als könne ich hierbleiben, könne mich hineinfallen lassen in die Pariser Atmosphäre, und müsse nie mehr nach Deutschland zurück...

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(Aus dem Vorwort zu meinem Frankreich-Ratgeber "Lust auf Frankreich")
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Kommentare zur Story:

  Wundervoll. Eine zärtliche Hommage über Frankreich und allem was dazu gehört.  
   Else08  -  28.09.12 11:04

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Kommentar von "Marie" zu "optimistischer Pessimist"

Mir gefällt es, egal, was andere denken. Auch die berschrift lockt. Gruß marie

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