Romane/Serien · Erinnerungen

Von:    Dina Colada      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 17. April 2012
Bei Webstories eingestellt: 17. April 2012
Anzahl gesehen: 1995
Seiten: 4

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Mein müder Blick fiel auf den Kalender. Drei Tage waren einfach an mir vorbei geschlichen.

Auf dem morgigen Datum blieb mein Blick hängen. Es war rot umkreist. Der siebenundzwanzigste Februar. Morgen ist es genau ein Jahr her, dass meine heile Welt zu bröckeln begann.

Es war damals ein wunderbarer Abend bis das Telefon klingelte.

Meine Mutter nahm das Telefon entgegen, lachte dabei noch leicht und verstummte dann. Ihre Stirn legte sie in Falten und stierte teilnahmslos zur Terrassentür in die Dunkelheit hinaus. Sie verließ zum Telefonieren den Raum. Blass und zittrig kam sie wieder.

Als sie es mir sagte, versuchte sie nichts zu beschönigen. „Thomas hat sich umgebracht.“

Meine Mutter hatte nie sonderlich viele Emotionen gezeigt. Auch jetzt nicht.

Obwohl ihre Worte so klar und deutlich waren, konnte ich sie nicht verstehen.

Verwirrt fragte ich sie: „Hat er es überlebt? Liegt er im Krankenhaus? Wie geht es Kurt?“

Er war tot. Mucksmäuschen tot. Aber ich wollte es einfach nicht begreifen.

Noch Stunden danach wartete ich vergeblich auf die Nachricht, dass er es überlebt hat oder dass es ein Missverständnis war. Es war keins. Eine ganze Packung Tabletten hatte er geschluckt dazu Alkohol. Es war sein zweiter Versuch gewesen.

Er hat damals aus denselben Gründen gehandelt, aus denen auch ich den Freitod wählen wollte. Wir waren Geschwister, doch nicht vereint durch unser Blut. Auch kannten wir uns nicht sonderlich gut und lange. Wir sahen vielleicht nicht einander äußerlich ähnlich oder hatten denselben Vater, nein. Jedoch verband uns etwas viel intensiveres. Die Sehnsucht nach dem Tod.

Ein Jahr war es nun her, dass er den entscheidenden Stritt gewagt hatte. Es war nur ein kurzes Jahr vergangen und doch waren die Erinnerungen fast vollständig aus dem Familienalltag verschwunden. Die Fotos von uns gemeinsam verschwanden in Kisten und Schubladen. Sein Name wurde von der Türklingel entfernt und der Platz am Frühstückstisch blieb leer.

Schlimmer war es in den Wochen danach, dass keiner über das Geschehene sprach, als das Geschehene selbst. Ich hatte das Gefühl, dass dem keiner nachfühlen konnte oder wollte. Nur ich war die, die daran zu zerbrechen schien. Wenn man selbst lange vom Freitod geträumt hat und der eigene Stiefbruder sich so dieser manchmal so grausam scheinenden Welt entzieht, wird das innere Verlangen größer.
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So entstand der Gedanke sich am Tag, an dem sich Thomas Tod zum ersten Mal jährt, auch das Leben zu nehmen. Lange hatte ich nicht mehr daran gedacht und jetzt war es plötzlich nur noch einen Tag hin.

Ich würde es nicht tun. Nicht morgen. Das könnte ich meiner Familie nicht antun.



Ich stand auf. Immer noch trug ich die alten Klamotten. Sie rochen nach altem kalten Rauch, doch das war mir egal. Hauptsache ich musste mich selbst nicht sehen. Meine Haare wirbelte ich zu einem Knoten zusammen und steckte sie mit einer Haarnadel fest. Auf meinem Schreibtisch lag noch Geld, das ich mir in die Hosentasche steckte.

Ich verließ das Haus. Ich steckte mir die Stöpsel meines Walkmans ins Ohr und begann den sanften Klängen der Musik zu lauschen. Beethovens Mondscheinsonate. Ja, das Mädchen mit den schwarz geschminkten Augen, den durchgetretenen Leochucks und dem Totenköpfen auf der Tasche hörte klassische Musik. Nichts passte in diesem Moment besser zu mir als die verzaubernden Klänge des Flügels. Fast kam es mir so vor, als tanzten die Zweige der Bäume in den Gärten zu der Melodie in meinen Ohren.

Es dämmerte allmählich und die Menschen auf den Straßen verwandelten sich in trostlose graue Gestalten.

An der rot beleuchteten Tankstelle, roch es nach Benzin. Ich atmete tief ein. Schon als kleines Mädchen liebte ich diesen Geruch.

Ich ging durch die kleine Tür, die mit Plakaten und Zetteln behangen war. Hinter der Theke stand ein Typ, dessen Gesicht über und über mit Pickeln übersäht war. Er grinste mich doof an, als sich die Tür mit einem Klingeln schloss und ich dabei leicht erschrak.

Ich lief durch die Regal, die selbst für eine Kleinstadt-Tanke sehr spärlich gefüllt waren. Doch ich wurde fündig. Mit einer weißen Lilie, einer Friedhofskerze und einer Dose Coke stellte ich mich an die Kasse. Als mir der Preis auf der Kasse angezeigt wurde, kramte ich das Geld aus meiner Hose, legte es auf die Theke, schmiss den Einkauf in die Tasche, lächelte und ging.

Am Friedhofstor angekommen waren meine Hände bereits steif vor Kälte. Ich drückte das Tor mit meinem Ellenbogen auf und ließ es mit einem Krachen wieder ins Schloss fallen.
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Ich zuckte zusammen. Das Geräusch ähnelte jenem, das ich nicht mehr aus meinem Kopf zu bekommen schien.

Ich folgte dem Weg bis zu Thomas Grab. Die roten Laternen auf den anderen Gräbern leuchteten mir den Weg. Dort angekommen ließ ich mich auf meine Knie allen und weinte. Zuerst nur ganz leise aus Angst mich könne jemand hören. Doch als ich merkte, dass nur der Wind in den Bäumen zu hören und ich alleine war, begann ich laut zu schluchzen. Obwohl ich hier alleine auf dem kalten Steinboden kniete, hatte ich zum ersten Mal seit langem nicht das Gefühl alleine zu sein. Wieso war ich nicht schon früher her gekommen?

Nach der Beerdigung hatte ich nie den Mut Thomas zu besuchen. Ich fühlte mich einerseits immer noch schuldig, andererseits war ich eifersüchtig. Kein anderer wusste davon.

Heute war ich hierher gekommen und das allein zählte.

Ich setzte mich im Schneidersitz auf meinen Parka. Eine Weile blickte ich nur in die Flamme der Kerze. Als ich mich beruhigt hatte, erzählte ich ihm alles, was seit seiner Abwesenheit in meinem Leben passiert war. Ich erzählte ihm, wie sehr ich ihn vermisste, von der Krebserkrankung seines Vaters und unserer Tante, vom Ende mit meiner ersten großen Liebe mit Thomas. Thomas. Dieses Wort tat in meinem Herzen weh beim aussprechen. Es stand für zwei Menschen, die ich einmal liebte und einfach nicht vergessen konnte. Aber ich erzählte auch von den schönen Erlebnissen. Vom Kennenlernen und Zusammenkommen mit meinem Freund Andreas, von der Geburt unserer kleinen Cousinen Nora und Joy und von den vielen kleinen Momenten, über die er sich gefreut hätte.

Aber irgendwann kam ich zur letzten Woche. Obwohl es hier totenstill war, schaute ich mich noch einmal um, um sicher zu gehen, dass wirklich niemand außer Thomas meinen Worten Aufmerksamkeit schenkte. Ich zündete eine Zigarette an. Im Schein des Feuerzeugs entdeckte ich einen weißen Papierzettel zwischen Grabstein und Grablicht geklemmt. Ich beugte mich über die gefrorene Erde und zog ihn heraus. Mit meinem Feuerzeug leuchtete ich es an. „Christina“ stand in der selben Schrift wie auf dem anderen Zettel darauf. Das Feuer ging aus.

Das Gas war leer. So oft ich auch an dem silbernem Rädchen drehte, das Feuer blieb erloschen.
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Ich faltete den Zettel auf und hielt ihn an das Grablicht. Das flackernde Flämmlein war zu schwach um den Zettel lesen zu können. Ich schob ihn in meine Tasche und blickte mich um, versuchend eine Gestalt in der Dunkelheit erkennen zu können. Irgendwer musste mich beobachten und mir folgen. Vielleicht ja gerade in diesem Moment. Keiner hatte gewusst, dass ich hier sein würde, ebenso wenig jemand hätte wissen können, dass ich auf der Parkbank meinen Kaffee trinken würde.

Ich wusste nicht, was hier los war. Ich wusste nur, dass ich beobachtet wurde und lieber nicht alleine nachts auf dem Friedhof sitzen sollte.

Ich stand auf und ging.

Meine Schritte wurden immer schneller. Fast rannte ich.

Mein Beobachter war bis jetzt zwar nicht negativ in Erscheinung getreten, dennoch war mir bei der Sache nicht sehr wohl.

Als ich gerade die Haustüre aufschließen wollte, legte jemand seine warme Hand auf meine Schulter…
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Punktestand der Geschichte:   43
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Kommentare zur Story:

  Oh nein, da war ich mal wieder abgelenkt. Ich
wollte ein anderes Datum als den
siebenundzwanzigsten nehmen, um die Geschichte
sozusagen zu entfremden und hab -kopflos, wie ich
manchmal bin- den neunundzwanzigsten
genommen.  
   Dina Colada  -  18.04.12 22:10

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Nun jetzt wandert der Text erst einmal in eine andere Richtung und beleuchtet den Hintergrund deiner Hauptfigur, bis er zum Schluss dann wieder nahezu gruselig wird.

Etwas unpassend finde ich jedoch den 29 Februar als Datum für den Todestag, denn im letzten Jahr kann es unmöglich ebenfalls der 29. gewesen sein.  
   Jingizu  -  18.04.12 20:52

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Marie" zu "optimistischer Pessimist"

Mir gefällt es, egal, was andere denken. Auch die berschrift lockt. Gruß marie

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Letzte Kommentare

Kommentar von "axel" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Toll recherchiert oder boxt du selber? Jedenfalls war das Ganze wieder sehr spannend und lebensnah. Ich staune immer wieder über deinen lebendigen Schreibstil. Ein mitreißender Roman.

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