Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Middel      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 14. März 2012
Bei Webstories eingestellt: 14. März 2012
Anzahl gesehen: 2424
Seiten: 3

Diese Story ist Teil einer Reihe.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


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„Bitte, lasst mich in Ruhe. Ich hab euch doch nichts getan.“ Beckers weinerliches Gewinsel ließ meinen Blick von Annika hin zu ihm hinüber schweifen. „Ich habe nicht das, wonach ihr sucht.“ Quälend langsam brannte sich seine krächzende Stimme in die Luft. Er war fix und fertig, das sah man ihm an und man hörte es auch. Fisch hielt ihm das Messer dichter an die Kehle. „Schnauze!“ Irgendwie tat er mir leid. Wenn er auch ein Arschloch war und Generationen von Schülern gequält hatte, wenn er auch ungerecht, narzisstisch, eingebildet und nicht zuletzt widerlich im wahrsten Sinne des Wortes sein mochte, das hier hatte er nicht – hatte kein Mensch – verdient. Wie ein Häufchen elend zusammengekauert und in seiner eigenen Wohnung überfallen und gefangen. Ich fragte mich, ob er wohl jemals wieder unterrichten würde. Ich bezweifelte es stark.

Ich schaute Annika forschend an. War das hier eine Art Bestrafung, weil Becker so ein Arschloch war? Waren die Gerüchte über seinen Umgang mit jungen Mädchen wahr und sie und Fisch fühlten sich als Retter der Unterdrückten und Missbrauchten? Wollten sie ihm eine Lehre erteilen, die er nie mehr vergessen würde? Ich wurde aus dem Ganzen hier nicht schlau, egal welches Szenario ich mir ausmalte, es ergab letzten Endes keinen Sinn für mich. Und dann noch dieses merkwürdige „mach die auf die größte Überraschung deines Lebens gefasst“ – was sollte das?

Annika schien meine Gedanken erraten zu haben. „Unser lieber Freund Becker hier ist eigentlich gar nicht so übel“, fing sie an. „Na gut, er kann ein richtiges Arschloch sein.“ Sie schaute zu ihm hinüber und grinste. „Nicht wahr, das kannst du?“ Becker wich ihrem Blick aus und fing sich direkt eine Backpfeife von Fisch ein. Er zuckte. „Hör auf“, rutschte es mir heraus und Fisch antwortete prompt: „Was denn, was denn? Tut dir das Arschloch jetzt auch noch leid oder was? Dieser Penner hier?“ Er nahm mit der freien Hand Beckers Hals, während er das Messer wegzog. Er drückte langsam zu. Becker wand sich unter seinem Griff, aber Fisch kannte keine Gnade. „Der soll sich nicht so anstellen. Wenn er kooperiert hätte, wär die Sache längst gegessen, aber nein, dieser Penner muss ja einen auf Held machen. So was haben wir gerne, nicht war Anni? So was lieben wir.“ Mit einem Ruck gab er Beckers Hals frei und hielt ihm aufreizend lässig das Messer vors Gesicht.
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Anni machte weiter: „Ja, dabei hatte er genügend Gelegenheiten mit uns zusammenzuarbeiten. Leider hat er keine davon genutzt.“ „Weil ich es nicht habe!“, schrie Becker, nur um sich wieder eine einzufangen. „Was hab ich dir gesagt du Wichser, hä? Was?“ Beckers Blick ließ neben Furch auch Resignation erkennen. Er blieb still.

„Wir sind nicht die, die du zu kennen glaubst, Sascha. Wir sind nicht die harmlosen Outsider, die vor zwei Jahren zufällig an deine Schule gekommen sind, die Freunde, die du bis dahin vermisst hast, ohne dass du es wusstest. Wir sind nicht hierhergezogen mit unseren Eltern. Ich meine, wenn man es genau nimmt, sind wir nicht einmal in deinem Alter.“ Mir wurde ganz anders. Hatte ich das richtig verstanden? Waren die zwei Betrüger? Wenn ja, warum? Um Becker zu überfallen? Nach knapp zwei Jahren, die sie hier zur Schule gegangen sind. Unwahrscheinlich, na ja, wenn auch nicht unmöglich. „Heißt das, du heißt gar nicht Annika Matthies?“ Eine andere Frage war mir nicht in den Sinn gekommen, dabei hätte es wahrscheinlich Tausend wichtigere gegeben. „Nein“, sie stockte, „und ja. Irgendwie beides. Ich sag nur so viel, unsere Vornamen haben wir behalten, einigen wir uns darauf, okay?“ Sie lächelte mich an und zum ersten Mal seit ich die Tür zu Beckers Wohnzimmer aufgemacht hatte, sah ich einen Hauch von der Anni, die ich zu kennen glaubte.

„Du bist nett, das ist auch einer der Gründe, warum Jonas und ich dich dabei haben wollten. Du kannst mit einsteigen.“ Mit einsteigen? Was sollte das nun wieder heißen? „Na vielen Dank. Nett ist der kleine Bruder von Scheiße“, sprudelte es in einem Anfall von Übermut aus mir heraus. „So war das nicht gemeint, Sascha. Jonas hier und ich mögen dich wirklich.“ Jonas stimmte ihr nickend zu: „Kein Scheiß, Alter.“ Annika verfiel fast in eine Art Plauderton, was in direktem Kontrast zu unserer derzeitigen Situation stand. „Es ist kein Zufall, dass wir hier gelandet sind. Wir haben gar keine Eltern, zumindest keine, von denen wir wüssten. Jonas und ich haben uns ganz bewusst eure Schule ausgesucht. Wir haben Ausschau nach dem da“, sie zeigte auf Becker, „gehalten. Der einzige Zufall war, dass wir dich kennengelernt haben. Das hat einiges leichter, aber leider auch vieles komplizierter gemacht.
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“ Ich wusste nicht, ob sie damit indirekt auf unsere gemeinsame Nacht anspielte, aber in mir brodelte es. Ich fragte mich, ob das auch mit zum Plan gehörte. Ich hielt meine Gedanken diesbezüglich aber erst einmal zurück. „Inwiefern komplizierter?“, fragte ich stattdessen, weil mir aufgefallen war, dass Annika stockte. „Na ja, es war, wie so einiges andere auch, nicht geplant gewesen. Es hat sich so ergeben … irgendwie … was ja nicht schlecht ist, ganz im Gegenteil, aber das verkompliziert die Sache.“ „Worum geht es denn hier eigentlich?“ Mein Kopf brummte in diesem Moment und ich musste mich konzentrieren um ruhig zu bleiben und nichts Unüberlegtes zu tun. Am Liebsten wäre ich davon gerannt. Aber etwas in mir hielt mich davon ab. War es die Liebe zu Anni? War es die Angst um Becker? War es eine Art Pflichtgefühl mir selbst gegenüber? Eine Mischung aus alledem? Ich weiß es nicht mehr!

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Ein Geräusch ließ uns zusammenzucken. Es war die Klingel. Automatisch schauten wir alle zu Becker, der die Augen schon eine Weile geschlossen hatte und sie umgehend wieder öffnete. Fisch – hieß er überhaupt so? – hielt ihm schlagartig das Messer wieder an den Hals. „Erwartest du wen?“, flüsterte er in Richtung Becker. „Das könnte meine Frau sein“, erwiderte dieser hastig. Eine Spur zu hastig, so dass Jonas nur mit dem Kopf schüttelte. „Willst du mich verarschen? Deine Alte ist weg und kommt auch das Wochenende nicht zurück. Also lass dir schleunigst was Besseres einfallen, sonst schneid ich dir ein Ohr ab, du Penner.“

„Außerdem würde die Dame des Hauses wohl kaum schellen“, bemerkte Anni noch. Becker hielt kurz die Luft an und sagte dann: „Okay, ich denke, dass ist der Kollege Strauß, der kommt manchmal abends vorbei und wir unterhalten uns bei nem Glas Rotwein über das Weltgeschehen.“ Anni funkelte ihn an. „Ach ja? Du wusstest, dass ich heute zu dir komme und bestellst den Strauß? Ich glaub dir kein Wort.“ Es klingelte ein zweites Mal. „Pass auf Anni, du schleichst dich zur Haustür und schaust nach, was da abgeht! Wir bleiben solange hier und halten die Stellung.“ „Okay.“

Sekunden später hatte Anni sich aus dem Raum gepirscht und war in Richtung Vordertür verschwunden. Jonas und ich blieben mit Becker zurück.
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Keiner sprach ein Wort.



(Fortsetzung folgt)
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Kommentare zur Story:

  Wahnsinnig spannend, obwohl man ja eigentlich weiß, dass es schlecht für deinen Prota ausgeht. Aber der Anfang deiner Story muss ja nicht automatisch auch das Ende sein.  
   Gerald W.  -  15.03.12 18:47

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