Die Schlangengrube Teil 3: Madame de Cheney   298

Romane/Serien · Spannendes · Fan-Fiction/Rollenspiele

Von:    Lady Athos      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 13. Dezember 2011
Bei Webstories eingestellt: 13. Dezember 2011
Anzahl gesehen: 3144
Seiten: 10

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Draußen vor der Tür wartete ein Diener, der sie zu ihrer Ziehmutter zurückführte. Isabella hatte bereits eines der Gemächer des Stadtpalais bezogen, ein schönes Zimmer mit Kamin und Himmelbett, dessen Fenster einen wunderschönen Blick auf den Park bot.

“Nun, was sagt Ihr, mein Kleines? Ist dieses Gemach nicht wunderschön? Gleich nebenan ist ein ähnliches Zimmer, ich werde es Euch gleich zeigen. Der Kardinal hat sich uns gegenüber wirklich großzügig gezeigt.”

“Ja, Mutter, das ist er wohl”; sagte Alais, doch es klang alles andere als begeistert. Nach dem Gespräch mit Richelieu begann sie sich zu fragen, ob sie wirklich dafür geeignet war, als Spionin für den Kardinal zu arbeiten. Sie hatte ein ungutes Gefühl was ihn betraf, und ihr war klar, dass er sie, falls er unzufrieden mit ihr war, mitsamt ihrer Ziehmutter zurück ins Canard schicken würde.

“Ist alles in Ordnung, Kleines?”, fragte Isabella und musterte sie besorgt, “Ihr seid ja ganz bleich im Gesicht.”

“Nein, Mutter, es ist nichts”; beteuerte Alais, “Ich bin bloß sehr müde, das alles heute war doch etwas viel für mich.”

Liebevoll strich Isabella ihr durchs Haar.

“Soll ich Euch eine heiße Milch mit Honig bringen lassen? Ihr habt jetzt eigene Diener und man sagte mir, dass wir nur zu klingeln brauchen, wenn wir etwas benötigen. Als Ihr noch klein wart, habt Ihr jeden Abend ein Glas davon getrunken, während ich Euch eine Gutenachtgeschichte erzählt habe, erinnert Ihr Euch noch daran?”

Alais konnte sich noch gut daran erinnern. Als sie noch klein gewesen war, hatte die Mutter ihr jeden Abend Milch mit Honig ans Bett gebracht, und ihr dann immer ein Märchen erzählt.

Bei diesem allabendlichen gemeinsamen Ritual hatte sie sich stets geborgen gefühlt, und war nach Märchen und Milch gleich eingeschlafen, und hatte somit nichts von dem wilden Treiben in den angrenzenden Zimmern mitbekommen.

Aber heute war ihr nicht nach heißer Milch zumute. Ihr Magen rebellierte heftig, und sie fühlte einen dicken Kloß im Hals, so sehr hatte das Gespräch mit dem Kardinal sie innerlich aufgewühlt. Nun war es ihr und Isabella zwar möglich, in der besten Wohngegend von Paris zu leben, doch schon an diesem ersten Abend ahnte sie instinktiv, dass es für sie ein goldener Käfig sein würde.
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Nun, da sie in den Diensten des Kardinals stand, würde sie stets tun müssen was er ihr befahl, und genau dieser Gedanke bereitete ihr großes Unbehagen. Was, wenn er von ihr irgendwann einmal etwas verlangte, das sie nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte? Alais liebte ihre Ziehmutter über alles und vertraute ihr bedingungslos, doch von diesen Bedenken konnte sie ihr nichts erzählen. Isabella freute sich so sehr, endlich das Canard für immer hinter sich gelassen zu haben, und diese Freude wollte sie ihr nicht nehmen, indem sie von ihren Fragen bezüglich des Kardinals erzählte.

“Ja, ich erinnere mich, Mutter, und es war wirklich immer sehr schön. Aber heute bin ich einfach zu müde, um noch eine Milch zu trinken. Wärt Ihr so lieb, mir jetzt mein Zimmer zu zeigen?”

“Gut, dann kommt mit. Ihr habt Recht, es war tatsächlich ein sehr anstrengender Tag. Wir können ja dann morgen, wenn Ihr richtig ausgeruht seid, zusammen frühstücken”; erwiderte Isabella und reichte ihr die Hand, “kommt mit, ich bin sicher, dass Ihr von Eurem Zimmer begeistert sein werdet. Es ist fast genauso eingerichtet wie meines.”



Das Zimmer lag direkt neben dem der Ziehmutter, und man konnte durch eine Verbindungstüre von einem ins andere gelangen.

Isabella zündete eine Kerze an, damit sie etwas erkennen konnten. Wie in Isabellas Zimmer gab es auch hier ein großes Himmelbett mit leuchtendroten Samtvorhängen und einer weichen Daunenmatratze, einen Kamin, in dem im Augenblick kein Feuer brannte, und ein großes Fenster, das einen herrlichen Blick auf den Park bot.

“Gefällt es Euch?”; fragte Isabella, “und glaubt mir, das ist noch längst nicht alles. Als Ihr beim Kardinal wart, habe ich mich durch das Palais führen lassen. Das Haus hat insgesamt vier solcher Schlafzimmer, außerdem einen kleinen und einen großen Salon, eine riesige Küche, ein Bad und noch zwei bisher unmöbilierte Räume. Ihr werdet bestimmt begeistert sein. Hier können wir ein richtig gutes Leben haben.”

“Ja, es wird bestimmt schön”; murmelte Alais, während sie den Blick durch das nur schwach beleuchtete Schlafzimmer schweifen ließ, “ach Mutter, ich bin ja so froh, dass Ihr endlich ein richtiges Zuhause habt, und nicht mehr für Madame Bosrédon arbeiten müsst.
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Dafür nehme ich es gerne auf mich, für den Kardinal arbeiten zu müssen.”

“Irgendwann wird er Euch aus seinen Diensten entlassen, und dann könnt Ihr dank des Geldes und des Palais, das Ihr von ihm bekommen habt, ein sorgenfreies Leben führen ein Leben, das nicht von den Launen der Männer oder einer Hurenwirtin bestimmt wird. Ich bin dem Kardinal so dankbar, dass er Euch die Arbeit im Canard erspart geblieben ist. Lange hätte ich Madame Bosrédon nicht mehr hinhalten können, da kam Richelieu mit seinem Angebot genau zur rechten Zeit.”

Isabella umarmte ihre Ziehtochter und küsste sie dann liebevoll auf die Stirn.

“Ihr solltet Euch jetzt schlafenlegen, Kleines, Ihr habt morgen einen anstrengenden Tag. Wir sehen uns dann morgen beim Frühstück.”

“Ja, es wäre schön, wenn wir zusammen frühstücken könnten, Mutter”; erwiderte Alais lächelnd, “im Canard hattet Ihr dafür ja leider nur selten Zeit.”

Im Bordell hatte Isabella meistens die ganze Nacht Freier empfangen müssen, und deshalb danach oft bis zum späten Nachmittag geschlafen.

Mit einem weiteren Kuss verabschiedete die Ziehmutter sich, um in ihr eigenes Gemach zu gehen, und Alais sank erschöpft in die weichen Laken des ihr noch fremden Bettes. Trotz ihrer Müdigkeit lag sie noch lange wach, weil sie innerlich zu aufgewühlt war, um zu schlafen. Mit einem Schlag hatte sich ihr ganzes Leben verändert, und noch wusste sie nicht, wie es weitergehen würde.

Irgendwann erloschen draußen die Straßenlaternen, und Alais wälzte sich immer wieder im Bett hin und her, bis sie gegen Ende der Nacht endlich in einen unruhigen Schlaf fiel.



Am Morgen richteten die Bediensteten für sie und ihre Ziehmutter im Salon das Frühstück her. Es gab heiße Schokolade mit Zimt, Crossaints mit Marmelade, Früstückseier und frische Brötchen. Der Boden des Salons war komplett mit weichen Teppichen ausgelegt, es gab einen großen Kamin und mehrere Tische aus Edelholz und Marmor, sowie mit rotem Samt bezogene Sessel. Alais aß einen halben Crossaint und trank eine Tasse von der Schokolade, die herrlich nach Zimt duftete.
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Das Frühstück mussten sie bereits um sieben Uhr zu sich nehmen, weil schon um acht Uhr die vom Kardinal engagierte Lehrerin eintreffen sollte.

“Ich habe Angst, Mutter. Was ist, wenn diese Lehrerin nicht zufrieden mit mir ist, und wir dann ins Canard zurückmüssen? Der Unterricht wird bestimmt schwer sein, der Kardinal hat gesagt, dass ich höfische Tänze, Spanisch, und alle Verhaltensregeln des höfischen Lebens lernen muss. Was ist, wenn ich das nicht schaffe?”

Der Kardinal erwartete bestimmt, dass sie alles möglichst schnell lernte, und sie fragte sich, ob ihr das wohl gelingen würde.

“Macht Euch nicht so viele Sorgen, Kleines, ich bin sicher, Ihr werdet diesen Unterricht mit Leichtigkeit bewältigen”; meinte Isabella und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, “Ihr erinnert Euch doch bestimmt daran, wie ich Euch damals das Lesen und Schreiben beigebracht habe, und wie schnell Ihr das gelernt habt. Und diese Frau wird gewiss freundlich sein, und Euch beim Lernen helfen wo sie nur kann.”

Mit diesen Worten gelang es der Ziehmutter, ihr wieder ein wenig Mut zu machen.

Doch Isabella sollte sich irren was die Lehrerin betraf.

Pünktlich um acht Uhr traf die Frau ein, und ließ sich zu Alais und Isabella, die gerade ihr Frühstück beendet hatten, in den Salon führen. Die Dame bedachte sie erst einmal mit einem strengen, forschenden Blick, bevor sie sich endlich vorstellte.

“Ich bin Adelaide de Cheney, Eure Lehrmeisterin. Es freut mich, Euch kennenzulernen, Mademoiselle.”

Madame de Cheney war etwa vierzig Jahre alt. Ihr glänzendes braunes Haar, in dem sich die ersten grauen Strähnen zeigten, war zurückgebunden, ihre kühlen braunen Augen waren von winzigen Falten umrahmt, und sie trug ein leuchtend gelbes, an Ärmel und Ausschnitt mit Edelsteinen verziertes Kleid, das so gar nicht zu ihrer streng und kühl wirkenden Ausstrahlung passen wollte.

Die Frau ignorierte Isabella ganz und gar, worüber Alais sich ärgerte.

“Madame, anscheinend habt Ihr vergessen, meine Mutter zu begrüßen”, sagte sie, während sie der Frau fest in die Augen blickte.

Nur widerwillig grüßte Madame de Cheney de ehemalige Prostituierte, und meinte anschließend:

“Eure Mutter muss jetzt hinaus, denn ich würde nun gerne mit dem Unterricht beginnen.
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Der Kardinal sagte, dass es keine Zeit zu verlieren gilt.”

Alais fand die so kühl und streng wirkende Madame unsympathisch, und es ärgerte sie, wie sie mit ihr und Isabella umging.

“Kann meine Mutter denn nicht bei dem Unterricht dabei sein?”, fragte sie schliesslich höflich denn bei dem Gedanken, acht Stunden am Tag mit dieser Frau alleine verbringen zu müssen, wurde ihr ganz elend zumute. Bisher zeigte die Fremde nicht einmal ein kleines bisschen menschliche Wärme und Freundlichkeit. Unter diesen Umständen würde der Unterricht für sie bestimmt zur Tortur werden, das ahnte sie schon jetzt. Und die Anwesenheit der Mutter, die immer ein paar aufmunternde Worte und ein warmes Lächeln für sie übrig hatte, würde ihr das Ganze bestimmt erträglicher machen.

Madame de Cheney schüttelte empört den Kopf.

“Was denkt Ihr Euch eigentlich, Mademoiselle? Der Kardinal hat angeordnet, dass Eure Ziehmutter beim Unterricht nicht dabei zu sein hat. Schließlich sollt Ihr ja auch etwas lernen, und Euch nicht ständig ablenken lassen. Richelieu möchte, dass IHr möglichst bald bereit seid, um bei Hofe eingeführt zu werden, also gebt Euch Mühe, schon in zwei Wochen will er erste Ergebnisse präsentiert bekommen.”

Alais passte der schroffe Ton der Frau überhaupt nicht, doch ihr fehlte der Mut, sich dagegen zu wehren, denn sie hatte Angst, vom Kardinal mitsamt ihrer Mutter wieder zurück ins Canard zurückgeschickt zu werden, wenn sie sich gegen die strenge Madame auflehnte.

Nun nahm Isabella ihre Hand, drückte sie sanft, und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, fast so, als ob sie instinktiv ahnen würde, was gerade in ihr vorging.

“Ihr schafft das schon, Kleines, und die Abende können wir ja immer gemeinsam verbringen. Und lasst Euch von der alten Matrone da bloß nicht alles gefallen. Der Kardinal will schliesslich, dass Ihr etwas lernt, und nicht, dass Ihr nach Strich und Faden schickaniert werdet”; flüsterte die Mutter ihr leise zu, bevor sie den Salon verließ.



Kaum war Isabella draußen, da fühlte Alais sich schon wieder dem strengen Blick ihrer Lehrmeisterin, der keine Einzelheit ihrer Erscheinung entging, ausgesetzt.
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“Ihr seid von außergewöhnlicher Schönheit, Mademoiselle Alais”, sagte die Cheney, während sie einmal um sie herumging, und sie dabei eingehend musterte, ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und ihre Stirn legte sich in Falten, “doch Eure Schönheit kommt gar nicht richtig zur Geltung, solage Ihr kein Mieder und keinen Reifrock tragt. Jede Frau bei Hofe trägt ein Mieder, und wie Ihr seht, trage auch ich eines. Ihr habt zwar schon eine schmale Taille, aber erst durch das Mieder kommt sie so richtig schön zur Geltung. Ihr werdet bald auch eines tragen, solange Ihr noch hier seid, habt Ihr Zeit genug, Euch daran zu gewöhnen. Ihr müsst es bei Hofe tragen, um möglichst nicht aufzufallen. Oh Mon Dieu, Ihr armes Ding konntet ja nichts dafür, dass Ihr mit zehn oder elf Jahren keines angepasst bekommen habt. Eigentlich hätte Eure Mutter dafür sorgen müssen, dass Ihr in diesem Alter das erste Mal geschnürt werdet. Aber das ist ja nun leider nicht mehr zu ändern. Ich werde sehen, was sich da noch machen lässt. Morgen bringe ich meine Schneiderin mit, damit sie Maß bei Euch nimmt, dann bekommt Ihr in wenigen Tagen ein extra für Euch angefertigtes Mieder.”

Eigentlich hatte Alais sich vorgenommen, sich einfach in ihr Schicksal zu fügen, und Madame nicht zu widersprechen, aber das war einfach zu viel für sie. Als Kind hatte sie im Canard gesehen, wie viele Frauen sich jeden Morgen in ein Mieder schnüren ließen, und dann während des Tages mehrmals in Ohnmacht fielen, weil sie in dem engen Gestell keine Luft mehr bekamen. Ihre Ziehmutter hatte nie viel von Miedern gehalten und sie verächtlich als “Lederkäfig” bezeichnet, und deswegen hatte Alais nie ein Mieder tragen müssen, so wie Marie und Claire, die Töchter von Minou, der bestbezahlten Liebesdienerin im Canard, die glaubte, dass sie ihre schmale Wespentaille alleine dem Mieder verdankte.

Doch sie wollte einen Streit mit der Frau vermeiden, deswegen bemühte sie sich um eine möglichst diplomatische Antwort.

“Ihr als Lehrerin könnt gewiss gut einschätzen was für mich das Beste ist, und ich werde mir im Unterricht auch immer große Mühe geben, und stets auf Euren Rat hören. Aber ein Mieder werde ich auf keinen Fall tragen, weil ich nicht das Risiko eingehen möchte, bei Hofe andauernd in Ohnmacht zu fallen.
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Wisst Ihr, ich sehe einfach keinen Sinn darin, meine Taille so eng einzuschnüren, dass ich kaum noch atmen kann. Um ehrlich zu sein, ich begreife auch nicht, warum so viele Frauen sich diesen Lederkäfig antun.”

Obwohl sie ihre Worte mit Bedacht gewählt hatte, verärgerte sie damit die standes-und modebewusste Madame de Cheney.

“Freches Ding! Was fällt Euch eigentlich ein, so zu reden? Begreift Ihr denn nicht? Als Spionin des Kardinals müsst Ihr Euch unauffällig unter die Scharen von Hofdamen mischen, doch wenn Ihr kein Mieder tragt, werdet Ihr unter Ihnen auffallen wie ein bunter Hund, und Euch nicht lange bei Hofe halten können. Wenn Ihr Euch weigert ein Mieder zu tragen, wird der Kardinal Euch wieder dahin zurückschicken, wo Ihr hergekommen seid. Also überlegt Euch gut, wie Ihr jetzt handelt.”

Alais fühlte sich hundeelend, sie stand kurz davor in Tränen auszubrechen.

Wahrscheinlich hatte diese schreckliche Madame sogar Recht, und jede Frau bei Hofe trug Mieder und Reifrock. Aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, sich in so ein enges Ding schnüren zu lassen.

Und doch war ihr klar, dass sie es wohl oder übel tun musste, wenn sie weiterhin ein Leben ausserhalb des Bordells führen wollte. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass man ihr Stück für Stück ihre Identität nahm, um sie dann ganz und gar zu einem Geschöpf des Kardinals machen zu können. Was, wenn sich durch diesen Unterricht ihre Persönlichkeit komplett verändern würde, bevor sie an den Hof ging? Aber für Isabella wollte sie all das hier durchhalten, um ihr eine Rückkehr in das Bordell zu ersparen. Sie wusste, dass die Mutter oft geweint hatte, auch wenn sie immer versucht hatte, ihren Kummer vor ihr zu verbergen. Nun fühlte sie sich für das Glück der Mutter, die sie immer so liebevoll umsorgt hatte, verantwortlich, und für Isabella war sie sogar bereit, die Tortur mit dem Mieder auf sich zu nehmen.

“Also gut, dann werde ich eben eines tragen, wenn es gar nicht anders geht”, meinte sie und verzog unwillig das Gesicht. Sie fand es schrecklich, dass sie nun selbst nicht mehr in der Hand hatte, was mit ihr geschah. Wohin sollte das bloß noch führen?



Madame de Cheney nickte, und ein zufriedenes Lächeln glitt über ihre schmalen Lippen.
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“Ich bin froh, dass Ihr Euch einsichtig zeigt, Mademoiselle. Glaubt mir, in ein paar Wochen werdet Ihr Euch an das Mieder gewöhnt haben. Und das mit der Ohnmacht ist eigentlich eine ganz gute Sache, denn es weckt den Beschützerinstinkt der Männer. Wisst Ihr, als Spionin des Kardinals verdient Ihr nicht nur gut, nein, es bietet sich Euch auch die Chance, eine gute Partie bei Hofe zu machen. Dort ist der gesamte Hochadel Frankreichs versammelt, und so wie Ihr ausseht, könnt Ihr mit Sicherheit einen vermögenden Grafen, Baron oder gar Herzog für Euch gewinnen.”

Als Alais das hörte, schüttelte sie empört den Kopf.

“Wie könnt Ihr nur so reden? Mir persönlich wäre es wichtiger, jemanden zu finden, der mir seine ganze Liebe schenkt, da ist es mir egal, ob er Geld hat, oder aus dem Hochadel kommt. Ich könnte niemals jemanden heiraten den ich nicht liebe, nur um an Geld oder einen Titel zu kommen. Eine solche Heuchlerin bin ich einfach nicht.”

Madame rümpfte verächtlich die Nase, seufzte leise und rollte dabei betont theadralisch mit den Augen.

“Ich sehe schon, Ihr habt noch viel zu lernen, Mademoiselle. Glaubt mir, mit dieser ehrpusseligen Einstellung werdet Ihr es nicht weit bringen. Bei Hofe ist jeder nur auf sein eigenes Fortkommen und seinen Vorteil bedacht, und es ist ihm jedes Mittel recht, um diesen zu erlangen. Auf keinen Fall dürft Ihr wie ein verhuschtes, sittenstrenges Mäuschen daherkommen, sonst seid Ihr für alle ein leichtes Opfer. Und schlagt Euch Eure albernen Träume von wahrer Liebe aus dem Kopf, denn so etwas wie die wahre Liebe existiert nur in der Fantasie von naiven, verträumten jungen Mädchen, die zu viele kitschige Ritterromane gelesen haben.”

“Wenn es nach Euch geht, soll ich wohl ein seelenloses Wesen werden, das stets nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Das ist einfach nur abscheulich”; erwiderte Alais und blickte Madame traurig an.

Nicht einmal mehr ihre Träume, Gefühle und Gedanken, eben all das, was ihre Persönlichkeit ausmachte, wollte man ihr lassen.

“Als Spionin des Kardinals könnt Ihr Euch keine Gefühlsduseleien leisten”, erwiderte Madame ungerührt, “und nun genug davon, es wird Zeit, dass wir mit dem Unterricht beginnen.
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Alais hatte darauf überhaupt keine Lust, ihr war mittlerweile zum Heulen elend zumute, aber sie nahm sich vor, ihrer Ziehmutter zuliebe durchzuhalten, und so fügte sie sich, wenn auch nur wiederwillig, als Madame de Cheney mit ihr einübte, wie man den richtigen Hofknicks machte. Zuerst führte Madame es vor, dann musste Alais es nachmachen, immer wieder und wieder, bis ihr die Beine schliesslich schon ganz wehtaten.

“Das war schon ganz gut, aber es geht gewiss noch besser, Mademoiselle. Das werden wir noch häufiger üben müssen, erst Recht, wenn Ihr erst einmal das Mieder angepasst bekommen habt. Nun kommt, wiederholt noch einmal das, was ich Euch über die Vorstellung bei Hofe erzählt habe.”

“Wenn eine Dame bei Hofe vorgestellt wird, trifft sie zuerst auf den König, und muss insgesamt drei Hofknickse machen”, resümierte Alais lustlos die Lektion, “dann kann der König je nach Laune ein paar Worte mit ihr wechseln, dann wird sie entlassen, und muss den Raum auf dieselbe Weise verlassen, auf die sie hereinkam, mit dem Rücken zur Tür.”

Sich solche Regeln zu merken fiel Alais nicht schwer, aber sie fand es albern und fragte sich, wozu diese strenge Hofetikette überhaupt gut sein sollte.

“Prägt Euch diese Regel gut ein, denn morgen frage ich Euch noch einmal ab, und bringe Euch noch ein paar andere grundlegende Verhaltensregeln bei. Mit der Zeit werden die Regeln Euch dann in Fleisch und Blut übergehen”, meinte Madame, “Ihr habt ein gutes Potenzial, aus dem sich eine Menge herausholen lässt.”

Am Mittag durfte sie zu ihrem Verdruss nicht mit der Mutter essen, stattdessen ließ Madame ein paar Sandwiches von den Dienern auftragen, und nachdem sie gegessen hatten, ging der Unterricht sogleich weiter. Diesmal musste sie Texte aus einem Buch über Amerika lesen, und würde anschliessend von Madame über den Inhalt abgefragt.

Als der Unterricht um vier Uhr nachmittags dann endlich vorbei war, überreichte Madame ihr ein Bündel mit Briefen.

“Der Kardinal hat sie mir für Euch mitgegeben, er sagte, dass Ihr sie gut durchlesen, und Euch alles genau einprägen sollt. Es sind Kopien der Briefe, die die Königin ihrer Freundin in Amerika geschrieben, und auch jene, die sie von ihr zurückerhalten hat.
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Er sagte mir nur, dass Ihr schon wüsstet, um was es da geht…und dass Ihr die daraus alles entnehmen könntet was Ihr braucht.”

Alais war darüber entsetzt. Anscheinend hatte der Kardinal schon seit längerem sämtlichen Briefverkehr der Königin entweder beiseite geschafft oder von einem seiner Schreiber kopieren lassen.

“Nein, diese Briefe möchte ich nicht lesen, das ist das Briefgeheimnis der Königin, das geht mich nichts an. Man sollte nicht einfach die Briefe anderer Leute lesen, erst Recht nicht die der Königin.”

Madame blickte ihr fest in die Augen und runzelte dann leicht die hohe Stirn.

“Nun, Ihr müsst sie natürlich nicht lesen, ich bin sicher, dass im Canard viele schöne junge Frauen sind, die es gerne täten…”

Alais verstand diese Andeutung sofort und erschrak. Die Cheney wollte ihr damit zu verstehen geben, dass sie jederzeit durch ein anderes Mädchen ersetzt werden konnte, wenn sie nicht mitspielte.

“Also gut, ich lese sie”, meinte sie, nun den Tränen nahe, und senkte betroffen den Blick.

Traurig fragte sie sich, was man wohl noch alles von ihr verlangen würde, für das sie sich zutiefst schämte, wenn sie es tat. Aber sie wollte doch der Mutter ein schönes Leben ermöglichen, also blieb ihr keine andere Wahl als zu tun was man ihr befahl, denn sie wusste genau, dass Isabella die Arbeit im Canard nicht mehr lange ertragen würde, falls sie wieder dorthin müsste.
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Kommentare zur Story:

  Eine kaltherzige Frau ist die Madame de Cheney. Sie ist wohl eine ausgezeichnete Komplizin des Kardinals. Armes Mädchen, man ist gespannt, wie sie sich aus der Affaire ziehen wird. Es bleibt spannend.  
   doska  -  15.12.11 16:14

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Hallo, besonders die letzte strophe gefällt mir. Wäre das leben nur schön und man hätte alles, wäre man auch nicht glücklich. lg Holger

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