Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Tintentod      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 6. November 2010
Bei Webstories eingestellt: 6. November 2010
Anzahl gesehen: 2912
Seiten: 16

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


15

Rick rief Dom an, als er nach dem Wochenende auf der Insel in Blue Hill herumsaß und nichts zu tun hatte, außer mit Carlos zu spielen, am Strand seine Zigarette zu rauchen oder mit der Shadow durch die Gegend zu fahren. Er hätte nicht zugegeben, dass er Langeweile hatte, aber ohne die Arbeit in der Werkstatt fehlte ihm etwas. Er musste seine Finger mit irgendwas beschäftigen und überlegte, wieder auf die Insel zu fahren und sich dort nach irgendeiner Beschäftigung umzusehen, selbst wenn er nur Wooley beim Bojenanmalen half. Er hörte schon an Doms Stimme, dass etwas mit ihm nicht stimmte, und hakte mehrfach nach, auch als Dom behauptete, es sei alles in Ordnung.

„Wie lange kennen wir uns?“ fragte er, „muss ich erst drohen, dass ich vorbeikomme, bis du mir die Wahrheit sagst?“

Nach dieser Ansage klang Doms Stimme etwas normaler, aber noch immer nicht so normal, dass Rick sich keine Sorgen mehr gemacht hätte. Sie telefonierten etwa zwei Stunden lang miteinander und Dom erzählte, dass er nach der Diagnose zu einer näheren Untersuchung ins Krankenhaus hatte einweisen lassen und sie hatten ihn direkt operiert.

„Ich arbeite erst mal nicht mehr“, sagte Dom, „seit drei Wochen bin ich zu Hause und mir fällt die Decke auf den Kopf. Wenn ich mich mit den alten Freunden treffe, höre ich ständig Kopf-hoch-das-wird-schon-wieder, aber dabei kann mir keiner in die Augen sehen. Sie wissen alle, dass ich eine scheiß Angst habe, weil sie die genauso hätten, wenn sie eine solche Diagnose bekommen würden.“

„Das heißt, du hast endlich mal genug Freizeit“, sagte Rick, „wie wärs, wenn du dich in den Dodge setzt und einfach herkommst?“

Es war still am anderen Ende der Leitung, und als Dom endlich antwortete, klang er, als habe er sich noch nicht entschieden, aber er sagte, er fühle sich noch nicht gut genug für eine so lange Autofahrt.

„Ich hab deine Stimme gehört“, sagte Rick launig, „aber ich hab nicht verstanden, was du gesagt hast. Wie wärs, wenn du ein paar Sachen zusammenpackst für einen Inselurlaub, und überlässt mir die restliche Planung.“

„Ich weiß nicht, ob ich dir die Planung von irgendetwas überlassen möchte.“

„Teste mich“, sagte Rick.



Als er auflegte, hatte er bereits den groben Plan zurechtgelegt.
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Er überlegte nur kurz, ob er Hollis mit einbeziehen sollte, aber er entschied sich dagegen. Es war eine Sache, Hollis auf die Insel zu holen, weil er Hilfe beim Haus brauchte oder sie feiern wollten, eine ganz andere, Dom wieder auf die Beine zu helfen.

Sophie war in der Waschküche und räumte die Wäsche von der Waschmaschine in den Trockner, und weil ihr das Bücken schwer fiel, kniete sie vor den Maschinen, hing fast mit dem Kopf in dem Bullauge.

„Hey“, sagte Rick, „kommst du noch mal ein paar Tage ohne mich aus?“

„Wenn du wieder einen Job hast, sollten wir das feiern, findest du nicht? Du wolltest doch nicht einfach darüber hinweggehen.“

Sie trat mit einem Fuß die Tür des Trockners zu, schaltete ihn an und umarmte Rick, der im Türrahmen stehen geblieben war, drückte ihm einen Kuss auf den Hals. Er legte die Arme um sie und versuchte gar nicht erst, seine Reaktion auf ihre Lippen an seinem Hals zu unterdrücken. Seit sie hochschwanger war, fühlte sie sich großartig an, weich und rund, aber als er versucht hatte, ihr das zu sagen, war ihre Antwort sehr patzig gewesen. Ganz klar ein Opfer der Hormone.

„Kein neuer Job, mariposa“, sagte er, vergrub sein Gesicht in ihrem Haar, „ich muss was für Dom tun.“

„Oh“, machte sie an seinem Hals, „ich glaube fast, vorher muss ich noch was für dich tun.“

Sie verschwanden für zwei Stunden in Sophies Zimmer, hatten die Tür abgeschlossen und versuchten leise zu sein, weil Sophie sich nicht noch mit ihrer Mutter darüber auseinandersetzen wollte, in welcher Form Sex während der Schwangerschaft akzeptabel war.

Sie lagen zusammengerollt unter dem dünnen Laken. Sophie hatte ihr verschwitztes Haar zu einem Knoten zusammengesteckt, damit es nicht an ihrem Hals klebte, wachte aus ihrem leichten Schlaf auf und sagte: „Ist Dom in Ordnung?“

„Er wird mir noch in den nächsten dreißig Jahren auf die Nerven gehen“, murmelte Rick, „er hat nur gerade eine kleine Formschwäche. Ich hole ihn auf die Insel, damit er mal was anderes sieht und abschalten kann.“

„Er hat nie Urlaub gemacht, seit ich ihn kenne. Monhegan wird ihm gut tun, er kann den ganzen Tag am Strand sitzen oder die Möwen beobachten.
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Ihr könnt Hummer essen gehen und alle Restaurants ausprobieren.“

„Alle Restaurants?“ kicherte Rick, „ich hab höchstens eins auf der Insel gesehen. Diners und Cafés sind keine Restaurants.“

Außerdem, dachte er, mit seinem Magen wird er kaum all das essen können, was es in den Restaurants gibt.

Er konnte es ihr nicht sagen, solange er Dom nicht selbst gesehen hatte und wusste, ob er damit umgehen konnte.

„Nimmst du Carlos mit? Er wird wieder unruhig durch das Haus streifen, wenn du ihn hier lässt. Und er liebt die Insel, wie wir festgestellt haben.“

Die meiste Zeit war Carlos allein unterwegs gewesen, bei ihrer Rückfahrt hatten sie von der Besitzerin des kleinen Gemüseladens gehört, dass Carlos erst durch den Hafen und dann durch die Ortschaft gelaufen war. Er hatte sich offensichtlich mit einigen Insulanern bereits angefreundet.

„Ich kann ihn mitnehmen“, sagte Rick. Wieder etwas, worüber er sich Gedanken machen musste. Nahm er Carlos direkt mit nach New York, wenn er Dom abholte, oder holte er ihn erst später, wenn Dom schon auf der Insel war? Seine Entscheidung machte er davon abhängig, in welcher Situation Sophie und ihre Familie am wenigsten von dieser Sache mitkriegen würden. Er wollte weder sich noch Dom in die unangenehme Situation bringen, Fragen beantworten zu müssen, selbst wenn sie nett und höflich gemeint waren.

Er packte ein paar Sachen ein, nahm Carlos an die Leine, obwohl ihm das überhaupt nicht gefiel, und machte sich auf den Weg. Sophie fuhr ihn bis zur Bushaltestelle, sagte zu Carlos, er solle gut auf Rick aufpassen und sagte zu Rick, er solle es nicht übertreiben.

„Kann ich gar nicht“, sagte Rick, „Dom ist dabei.“

Im Bus benahm Carlos sich vorbildlich, er schlief die meiste Zeit unter dem Sitz und schien verwirrt zu sein, als sie in seiner alten Heimat aus dem Bus stiegen. Er sah Rick mit einem verständnislosen Blick an, den Rick nur als „Was zum Teufel machen wir hier?“ interpretieren konnte.

„Wir bleiben nicht lange“, sagte Rick, tätschelte ihm den Kopf, „wir holen nur einen alten Freund ab.“

Er wäre per Anhalter bis vor Doms Haus gefahren, aber mit Hund wollte ihn niemand mitnehmen, oder er hatte vergessen, wie man es anstellte. Von einer Telefonzelle aus rief er Dom an, dass er auf dem Weg sei und als Dom hörte, dass er mit unterwegs sein „zu Fuß“ meinte, sagte er ihm, er solle bleiben, wo er war, er käme ihn abholen.
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Rick hatte zumindest einen kleinen Widerstand erwartet, aber Doms gepackter Koffer lag bereits im Kofferraum, Rick warf seine Tasche dazu und ließ Carlos auf die Rückbank hüpfen.

„Du siehst übernächtigt aus“, sagte Dom, „du hättest ausschlafen sollen, bevor du mich abholen kommst.“

Er sah nicht so schlimm aus, wie Rick befürchtet hatte, aber es war deutlich, dass er nicht in Ordnung war. Er hatte an Gewicht verloren, sein Gesicht war blass und aufgedunsen von den Medikamenten, wie er sagte, aber er fühle sich besser.

„Ich fühle bei jeder Bewegung, wo sie geschnitten haben, aber das kann noch ein halbes Jahr dauern, bis das wieder besser wird. Und solange es nur das ist…“ Dom ließ den Rest unausgesprochen und Rick fragte nicht nach.

„Wo hast du übernachtet?“

„Wir sind erst vorhin aus dem Bus gestiegen“, sagte Rick, „wir haben während der Fahrt lang genug geschlafen. Fahren wir direkt los, oder willst du vorher noch was erledigen?“

Es gab nichts zu erledigen. Dom hatte seiner Ex-Frau bescheid gegeben, dass er für eine Weile nach New England gehen würde und sie hatte zwar reserviert, aber freundlich und besorgt reagiert. Ihre Scheidung lag bereits Jahre zurück und sie hatten den Kontakt nicht aufrecht erhalten. Sie hätten es vielleicht getan, wenn sie Kinder oder zumindest einen Hund gehabt hätten, um die sie sich hätten streiten können oder um deren Willen sie in Kontakt hätten bleiben können. Rick kannte sie nur von einigen alten Fotos und hatte sie schon immer nur „die alte Zicke“ genannt. Alle anderen würden erfahren, dass er für einige Zeit nicht erreichbar war, wenn sie die Ansage auf seinem Anrufbeantworter hörten.

„Wer mich nicht angerufen oder besucht hat, während ich krank war, braucht es jetzt auch nicht mehr zu tun.“

Sie tauschten die Plätze auf einem Parkplatz und Dom drehte sich die Lehne des Beifahrersitzes so weit wie möglich zurück, um seine schmerzenden Bauchmuskeln zu entspannen.

„Ich liebe diesen Wagen“, sagte Rick, „du hättest ihn mir viel öfters leihen können.
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Ich fahr langsam und wir nehmen die direkte Route an der Küste entlang. Wir können jederzeit anhalten, wenn du willst.“

Dom konnte in seiner halb liegenden Position den vorbeiziehenden Himmel sehen und beobachtete, wie sich die Landschaft veränderte. Während seiner Zeit in der Versicherung war er viel herumgekommen, aber er war immer an der Ostküste geblieben und nie in die Nähe von New England gekommen.

„Erzähl mir noch mal, wie ihr auf die Idee gekommen seid, euch ein Haus auf einer Insel zu kaufen“.

„Sophie meinte, von einer Insel könnte ich ihr nicht davonlaufen. Oder sie mir.“

Sie sprachen während der Fahrt über viele Dinge, die passiert waren, die sie noch immer verbanden. Einiges hatten sie nie wirklich angesprochen, anderes brachten sie in wieder in Erinnerung und lachten darüber. Ricks wahnwitzige Aktion in Ft. Lauderdale, die eigentlich nur passiert war, weil Dom und Curtis ihm hatten helfen wollen. Sie sprachen über Mascot und die Zeit, die Rick mit ihm in New Mexico verbracht hatte.

„Wir hätten dort bleiben sollen“, sagte Rick, „es wäre alles anders gelaufen, wenn wir einfach nicht wieder zurückgekommen wären.“ Er rauchte viel während der Fahrt, nutzte das offene Verdeck aus und er brauchte den Tabak für seine Nerven.

„Wer von euch beiden wollte wieder zurück?“

Sie hatten den alten Traum nicht aufgeben wollen, einmal viel Geld zu machen, sich wie neureiche Gangster fühlen zu können. Sie hatten eine Menge ausgehalten, durchgemacht und durchgezogen, weil sie auf dieses Ziel hingearbeitet hatten und trotzdem hatten sie es jedes mal falsch angefangen und es vermasselt.

„Bevor wir Kakteen züchten würden, sind wir lieber zurück nach New York.“ Rick zuckte zusammen, wischte sich durch das Gesicht und kontrollierte immer wieder die Straße hinter sich im Rückspiegel. Ein Truck war hinter ihnen, der nicht zu überholen versuchte und an der nächsten Ausfahrt zu einem Truck Stop rausfuhr. Sie wurden von anderen Wagen überholt, die es alle eiliger hatten.

Ihm war etwas ins Auge geflogen, er hatte den Fahrtwind in seinen Ohren und vermutlich waren die Gespräche über Mascot schuld daran, dass er sich plötzlich an Mascots Namen erinnern konnte.
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Nicht erinnern, das war nicht korrekt, er hatte ihn gehört.

Punweakaje’onwikeji, hatte Mascot ihm im Wind zugerufen, so laut, dass er zusammengezuckt war. Seit Jahren hatte Mascot nur noch geflüstert, wenn überhaupt, seine Stimme war schon ewig nicht mehr so laut gewesen. Rick lachte auf und Dom fragte, was los sei. Rick konnte nicht antworten, dass er vermutete, Mascot habe gegen den Fahrtwind anbrüllen müssen und meinte nur, er hatte Hollis‘ Gesichtsausdruck vor Augen, als er das Marzursky-Geld aufs Bett geworfen hatte. Darüber wollte Dom nichts wissen, er fand das nicht komisch.

Sie machten einen Zwischenstop in Lewiston, es lag auf der Strecke und Dom sagte, er habe schon seit Monaten nicht mehr so einen Hunger gehabt. Rick ging mit Carlos ein Stück am Androscoggin entlang, ließ ihn sein kleines Geschäft erledigen und dann ließen sie ihn für eine Weile im Dodge, weil sie ihn in das Restaurant nicht mitnehmen wollten. Sie hatten sich für einen Italiener entschieden, weil Dom Nudeln essen wollte und es Rick egal war. Es war nicht überraschend, dass Dom nach der halben Portion, die schon nicht sehr groß gewesen war, den Teller von sich schob und Rick nach einem fragenden Blick weiteraß.

„Manche lassen so eine OP mit sich machen, weil sie zu fett sind“, sagte Dom, saß zurückgelehnt auf dem Stuhl und nippte an seinem Wasser, „es passt nicht mehr viel in so einen kleinen Magen.“

An der nächsten Tankstelle fuhr Rick an die Zapfsäule, stieg aus und tankte und nannte Dom den Betrag, den er von der Säule ablas.

„Ich hab’s gesehen“, sagte Dom und rührte sich nicht.

„Ich bin nur der Fahrer“, sagte Rick, „hättest du mich den Dodge öfters mal ausgeliehen, wenn ich gefragt habe, würde ich jetzt vielleicht auch den Sprit bezahlen.“

Dom machte ein Gesicht, als würde er nicht glauben, was er da hörte, reichte Rick dann ein paar Geldscheine, die er in seiner Jackentasche aufbewahrt hatte. Wenn er unterwegs war, hatte er immer genug Geld in den Taschen, damit er in potenziell brenzligen Situationen nicht nach seiner Brieftasche greifen musste. Rick streckte die Hand nach dem Geld aus, Dom zog es blitzschnell wieder zurück und sagte: „Wenn es das Geld ist, Rick, kann ich dir unter die Arme greifen.
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Rick wusste nicht, ob er es ernst meinte. Dom war nie jemand gewesen, der für dumme Sprüche zu haben gewesen war, aber vielleicht hatte sich das geändert.

„Nur, weil ich nicht den Sprit für den Dodge übernehmen will, gehst du davon aus, dass ich blank bin? Vielen Dank auch.“

Dom grinste, reichte ihm das Geld und Rick zeigte ihm das nach außen gekehrte V.

Er brachte Softdrinks, Schokolade und das Sun Journal mit, behielt das Wechselgeld und Dom sagte erst sehr viel später, als sie wieder auf der fünfundneunzig unterwegs waren: „Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“

„Das hast du noch nie geschafft und wirst es auch nicht“, sagte Rick.



Am frühen Abend erreichten sie Port Clyde und warteten auf die Fähre zum Übersetzen. Willy Burton fragte ihn, ob er endlich die Maschine gegen ein anständiges Auto eingetauscht habe und Rick rief zu ihm rüber: „Das ist nicht nur ein anständiges Auto, das ist ein Heiligtum.“

Die Sonne ging hinter tief hängenden Wolken unter, das Farbspiel spiegelte sich im Wasser wider und Dom stand die ganze Zeit während der Überfahrt an der Reling und sah auf die Wellen hinunter. Das Meer sah anders aus als vor Coney Island oder Staten Island. Der Wind pfiff so scharf über das Deck, dass Rick in die Kabine gehen musste, um sich eine Zigarette anzustecken.

„Da hinten kannst du schon die Insel sehen“, rief Rick gegen den Wind an, hielt die Zigarette geschützt in der Handfläche verborgen.

Dom nickte, beugte sich etwas über die Absperrung der Reling. Er sah die Insel als deutlichen Buckel, der über den Wellen erschien und ganz langsam näher kam. Das Geräusch der Wellen, die gegen die rostige Bordwand schlugen, zog seinen Blick nach unten. Er glaubte, irgendetwas neben der Fähre herschwimmen zu sehen, undeutlich unter der Oberfläche. Da waren Farbflecken, Sonnenspiegelungen und Reflexionen und noch irgendwas anderes.

Vielleicht ein Fischschwarm, dachte er, oder Delphine.

„Ist dir schlecht?“ fragte Rick und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er wollte ihn warnen, gegen den Wind zu spucken. Dom schüttelte den Kopf, sah wieder nach unten.

„Gibt’s hier Delphine?“

„Keine Ahnung“, sagte Rick, „hab hier bisher noch keine gesehen.
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“ Er zog ein letztes Mal an der Zigarette, drückte sie an der Bordwand aus und schnippte sie über Bord, weil sie im Sprühregen der Gischt nass geworden war.

Dom stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und sagte, dass man das nicht tun sollte.

„Ist Sophie auf der Insel?“

„Sie ist zu Hause bei ihren Eltern, sie wollte nicht mitkommen.“ Er überlegte und sagte: „Sie wäre mitgekommen, wenn ich sie gefragt hätte, aber ich dachte, wir sollten unter uns bleiben. Wir ziehen erst nach der Geburt um.“

„Kein Krankenhaus, nehme ich an.“

„Nicht mal eine Apotheke. Aber ich glaube, es gibt einen Arzt, der einmal in der Woche die Hintertür seines Hauses aufschließt und Patienten reinlässt.“

„Das sind ja Aussichten.“

Rick glaubte, Doms Seufzer sei echt und er griff nach seinem Ellenbogen, wollte ihm möglichst unaufdringlich seine Hilfe anbieten und wusste dabei nicht, ob er sich dämlich anstellte. Er hatte Dom nie in einer solchen Lage erlebt. Dom reagierte darauf, als habe Rick einen Scherz gemacht, warf die Arme in die Luft und meinte: „Es wird schon alles gut gehen, oder? Wenn ich diese ganze Scheiße überstanden habe, warum sollte es mich jetzt doch noch erwischen? Im Moment fühle ich mich so sauwohl wie schon lange nicht mehr. Ich hab zwar keinen Job, ich musste einen Kredit aufnehmen, um die Krankenhauskosten zu bezahlen, aber was soll‘s. Machen wir uns eine schöne Zeit auf deiner Insel.“

Meine Insel, dachte Rick, wenn’s mal so wäre. Ich weiß nicht mal, ob die mich da überhaupt in Ruhe leben lassen.

„In der Agentur war Claude der Einzige, dem es wirklich leidgetan hat, dass ich nicht mehr wiederkomme.“

„Wer ist Claude?“ fragte Rick. Dom hatte den Namen noch nie erwähnt.

„Hab ich das nicht erzählt? Dein Nachfolger.“

Rick steuerte den Dodge von der Fähre herunter, nachdem sie angelegt hatten und sie suchten das einzige Restaurant auf, das Rick bislang entdeckt und das auch geöffnet hatte, Dom hätte sich gerne Hummer bestellt, aber er fürchtete, dass sein Magen etwas dagegen einzuwenden hätte und blieb bei einem Salat und Brot. Damit hatte er Erfahrungen gesammelt und wusste, er würde es vertragen.
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Rick sorgte dafür, dass Carlos unter dem Tisch liegen blieb und keinem im Wege war. Er hatte ihm versprochen, dass er seine Reste vom Teller bekommen würde, sobald sie das Restaurant verlassen hatten. Von ihrem Platz aus hatten sie den direkten Blick auf den Leuchtturm der Insel, ein schneeweißer Turm mit schwarzem Aufsatz, der auf einem Felsen vor dem Hafen stand.

Als sie mit dem Dodge zum Strandhaus fuhren, hing Carlos mit der Nase in Ricks Nacken, um an ihm vorbei aus dem offenen Fenster zu schnüffeln. Er wusste genau, wo sie hinfuhren und wartete ungeduldig darauf, endlich aus dem Wagen zu kommen.

Dom war begeistert von dem Strandabschnitt, der Reihe Sommerhäuser und besonders von dem Ersten, das als Einziges einzugsbereit war. Rick ließ Carlos aus dem Wagen und kümmerte sich nicht darum, dass der Hund sofort verschwand. Er schloss das Haus auf und war damit beschäftigt, Doms Fragen zu beantworten. Sie setzten sich auf die Veranda, Bier, Wasser und Knabberkram auf Sophies Blumentischchen zwischen sich.

„Wenn du was anderes brauchst, sag bescheid“, sagte Rick.

„Ich hab alles“, sagte Dom, „nur schade, dass Sophie nicht hier ist.“

„Ich kenn dich, du würdest nur alle abschreckenden Dinge von mir erzählen, die dir einfallen.“

Dom machte ein entsetztes Gesicht, als habe er noch nie in seinem Leben abschreckende Dinge über Rick erzählt, und als Rick ansetzte, einige Beispiele anzubringen, sagte er: „Ich habe nie etwas erzählt, was nicht wahr gewesen wäre.“

Rick hebelte den ersten Kronkorken von der Bierflasche, prostete Dom stumm zu. Sie hockten stundenlang auf der Veranda, beobachteten die Seevögel und redeten über Gott und die Welt, erinnerten sich an die guten alten Zeiten, die allerdings selbst in ihren Erinnerungen nicht gut gewesen waren. Sie sprachen darüber, wie sie sich kennengelernt hatten, als Rick noch mit Hollis und Mascot herumgezogen und Dom noch Polizist gewesen war. Sie wieherten vor Lachen, als Dom den alten Schrottplatz ansprach.

Die Drei hatten sich von dem Schrottplatz in New Jersey sehr viel versprochen, sie hatten große Pläne gehabt, aber bereits nach Monaten waren sie froh gewesen, nicht alle im Knast gelandet zu sein, als sie aufgeflogen waren.

„Wenn ich daran denke“, sagte Dom, „dieser Schrottplatz war zum Fürchten.
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So ein Ort, an den man Fremde lockt, um sie auszurauben und zu verscharren.“

„Es wäre alles gut gelaufen, wenn wir uns auf die Ersatzteile konzentriert hätten“, sagte Rick und leerte die Bierflasche. Der ursprüngliche Plan der Drei war gewesen, Ersatzteile aus geklauten Autos zu verkaufen, aber sie hatten den Schrottplatz die meiste Zeit als perfekten Ort für ihre Drogen-und Sauforgien genutzt.

„Wo hast du diesen Claude aufgetrieben?“ wollte Rick wissen. Sie machten einen Spaziergang zum Strand hinunter, weil Dom meinte, er habe sich schon seinen Hintern platt gesessen und er brauche etwas Bewegung, um seine Verdauung in Gang zu halten. Rick sagte darauf nichts, weil er solche intimen Details von Dom nicht gewöhnt und es ihm etwas peinlich war. Sie warfen Steine in die Wellen, suchten nach sonderlich aussehendes Strandgut und besondere Muscheln und holten sich dabei nasse Füße. Zwischen den Häusern kam Carlos angelaufen, die Nase am Boden und einer interessanten Spur folgend. Er beachtete Rick und Dom nicht. Dom versuchte ihn anzulocken, aber Rick sagte: „Oh, mach das nicht. Er war wieder irgendwo in altem Fisch.“

Dom beobachtete den Hund, der wohl den Spaß seines Lebens auf der Insel hatte, und beantwortete Ricks Frage ohne sich umzudrehen.

„Studentischer Aushilfsdienst“, sagte er, „es war sehr einfach, jemanden zu finden.“

Rick hatte sich gerade das zweite Bier an den Hals gesetzt, verschluckte sich vor Lachen und prustete den Schaum durch die Nasenlöcher hinaus. Dom lachte schallend und klopfte ihm auf den Rücken.

Als sie wieder Hunger bekamen, kehrten sie ins Haus zurück und Rick präsentierte ein paar Dinge aus dem Kühlschrank.

„Wenn du erlaubst, übernehme ich den Rest“, sagte Dom, „ich vertraue dir vollkommen, aber ich lasse dich nicht kochen.“

Carlos hatte bereits seinen Lieblingsplatz gefunden, er lag unter der Hecke nahe am Haus bei der Hintertür und knabberte an seinen Pfoten herum. Rick hatte versucht, ihn ins Haus zu holen, aber der Hund blieb lieber draußen, solange das Wetter noch gut war.

Rick stand an der Hintertür, die direkt von der Küche in den Garten führte, und meinte an Dom gewandt, dass der Hund vermutlich ahnte, was er da zusammenrührte und sich deshalb verzogen hatte.
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„Dann bleibt mehr für uns beide.“ Dom schien sich vorgenommen zu haben, sich nicht ärgern zu lassen. Während er den Reis kochte und irgendwas mit dem restlichen Gemüse anstellte, marschierte Rick zur Tür hinaus und war versucht, in den Garten zu pinkeln. Dabei fiel ihm wieder der kleine Schuppen ins Auge und er ging nachsehen, ob sich inzwischen irgendetwas dort drin eingenistet hatte. Die Tür ließ sich quietschend aufziehen, und als er in den halbdunklen Raum trat, stieg ihm der aufgewirbelte Staub in die Nase und er nieste. Es war trocken in dem Raum, er stolperte über leere Farbeimer, über einen steinalten Rasenmäher und andere Gartengeräte. Die Holzwände waren mit Regale versehen und er würde Tage brauchen, um den ganzen Schrott nach draußen zu werfen. Überall war Kleinkram, den er in hundert Jahren nicht gebrauchen würde und vermutlich ist es dem Vorbesitzer ebenso ergangen. Vielleicht hatte Dom Lust, ihm beim Aufräumen zu helfen.

Ich habe ein Haus, dachte er, ein Stück Garten, ein Gartenhaus, einen alten Rasenmäher, den ich niemals benutzen werde. Ich werde das Gras wachsen lassen, wie es mag.

Dom rief aus der Küche, dass das Mahl fertig sei, er aber die Teller nicht finden könne.

„Oh“, machte Rick. Er hatte vergessen, dass einige der Kartons und Kisten noch immer nicht ausgepackt waren und das Geschirr und der Küchenkram waren darunter. Er hatte zwar den Kühlschrank und die Vorratskammer aufgefüllt, war aber nicht dazu gekommen, auch das Geschirr auszupacken, daran hatte er einfach nicht gedacht. Wenigstens wusste er, in welchem Karton er alles gepackt hatte und wo der Karton stand.

Sie schoben einen kleinen Tisch und zwei Stühle auf die Veranda und aßen dort.

„Das ist verdammt gut“, sagte Rick und Dom antwortete: „Ich weiß.“

Zwei Stunden später bekamen sie Besuch von Wooley, der den Dodge oben an der Straße gesehen hatte und neugierig zum Strandhaus herunterkam. Er trug eine komische Wollmütze, seine blaue Latzhose, darunter einen grünen Pullover und seine Füße steckten in Gummistiefeln. Rick bemerkte den intensiven Fischgeruch, der von ihm ausging, gar nicht, aber Dom verzog kurz das Gesicht und sie grinsten sich an.

„Hey“, sagte Rick, „willst du dich zu uns setzen? Wir haben noch Pastaaa übrig und Dom kann dir ein paar komische Geschichten erzählen.
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Rick stand auf und bot ihm seinen Stuhl an, holte sich einen Neuen aus dem Haus und hatte den Topf mit den restlichen Nudeln und einen frischen Teller mitgebracht.

„Besteck“, sagte er, aber Wooley winkte ab und nahm Ricks benutzte Gabel.

„Das ist Wooley“, sagte Rick, „wir haben zusammen am Haus herumgewerkelt.“

„Was meinst du mit komischen Geschichten?“ fragte Wooley durch die Nudeln hindurch.

Bis in die späte Nacht tranken sie Bier (Wooley fuhr Nachschub holen, wollte aber nicht sagen, wo er das Bier herhatte), erzählten und lachten und als Wooley sagte, er müsse wirklich langsam nach Hause, seine Frau würde ihm die Hölle heißmachen, fanden sie Carlos schlafend vor dem Haus.

„Wir können ihn nicht so betrunken Autofahren lassen“, flüsterte Dom und Rick meinte, der Mann käme schon zurecht.

Sie holten Carlos ins Haus, räumten auf und gingen schlafen. Rick überließ Dom das Bett im Schlafzimmer und legte sich auf die Matratze im zukünftigen Kinderzimmer. Sie waren alte Freunde und kannten sich in-und auswendig, aber das ging nicht so weit, dass sie das Bett teilten, wenn es nicht unbedingt sein musste.

Rick schlief schnell ein, dachte nur kurz daran, dass ihm am nächsten Morgen vermutlich der Rücken wehtun würde, und er träumte von Sophie. In seinen Träumen war sie nie schwanger, sie sah immer aus wie zu der Zeit, als sie sich kennengelernt hatten.

Am frühen Morgen, Dom war noch nicht wach, lief er mit Carlos zur Telefonzelle oben an der Straße und rief Sophie an. Sie war verschlafen, nuschelte ein „Hallo“ in den Hörer und Rick meldete sich mit verstellter Stimme.

„Sophie? Sophie Scanlon?“

Sie begann eine halb verschlafene Erklärung, dass sie nicht Scanlon sondern Reitman hieße, jedenfalls jetzt noch, bis sie begriff, dass er es war.

„Du Arschloch“, entfuhr es ihr.

„Hey, geht’s euch beiden gut?“

„Alles ist bestens. Seid ihr gut angekommen? Wie kannst du mir einen solchen Schrecken einjagen, ich hab schon gedacht, die Polizei ruft mich an und bittet mich, die sterblichen Überreste von Mr.
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Scanlon zu identifizieren. Du bist manchmal so ein Arschloch, Rick.“

Sie lachte, als sie das sagte und Rick deutete es, dass sie das genaue Gegenteil meinte. Als sie fragte, was er für den Tag geplant habe, konnte er ihr darauf nicht wirklich antworten, denn er hatte keinen Plan gemacht. Er würde es Dom überlassen.

Er schlenderte zum Haus zurück, Carlos kam ihm auf dem Sandweg entgegengelaufen und schien empört darüber, dass es noch kein Frühstück gegeben hatte. Seit er nicht mehr der Hund eines Herumtreibers war, bestand er auf feste Fress-Zeiten.

Rick betrat das Haus und erstarrte. Er hatte gerade den Flur hinter sich gelassen, stand mitten im Haus, wusste rechts das Wohnzimmer, links hinter sich das kleine Kinderzimmer, an der Treppe zum Dachboden vorbei ging es auf der rechten Seite in die Küche, auf der linken Seite ins Bad und ins Schlafzimmer. Es war sein Haus. Er konnte es lila streichen und niemand konnte es ihm verbieten. Er konnte den Dachboden ausbauen und dort Kaninchen züchten oder was auch immer, und niemand konnte es ihm untersagen. Sie würden hier leben, das Baby würde groß werden, ein kleines Mädchen würde hier herumkrabbeln, dann laufen, dann in die Schule gehen. Ricks Kopf schwirrte. Seit Monaten arbeitete er an dem Haus, aber erst jetzt, als er ohne darüber nachzudenken die Tür geöffnet und eingetreten war, wurde es ihm bewusst. Es war nicht nur das Haus. Es war sein Leben.

Dom rief aus dem Bad nach ihm, wo er gesteckt habe. Er habe versucht zu duschen und das Wasser lief nicht. Rick überwandt die Starre, rief zurück, er würde sofort nachsehen, was los war, und zusammen schraubten sie an den Rohren auf der Rückseite des Hauses herum, die das Bad und die Küche mit Wasser aus dem Brunnen versorgten.

„Jetzt sollte ich was essen“, sagte Dom, „mein Blutzucker ist nicht mehr messbar, fürchte ich.“

Sie fuhren ins Dorf, ungewaschen, unrasiert, in den Klamotten vom Vortag, noch immer verschmiert mit dem Dreck von der Amateur-Installateur-Arbeit, und sie gönnten sich ein großes Frühstück für zwei. Entweder hatte Dom vergessen, welche Dinge er nicht mehr essen sollte, oder es war eine gewöhnliche Reaktion seines Magens auf zu viel Essen auf einmal. Noch während sie in der Ecknische saßen und aßen, schwarzen Kaffee und Kräutertee nachgefüllt bekamen, legte Dom plötzlich das Besteck neben den Teller, starrte durch Rick hindurch, der ihn stirnrunzelnd beobachtete, und legte beide Handflächen auf den Magen.
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„Was ist das?“ fragte Rick, „soll ich…“

„Ich brauche nur ein Glas Wasser“, flüsterte Dom, „ich muss meine Tabletten nehmen.“

Rick holte Wasser von der Theke und blieb neben ihm stehen, während Dom zwei Tabletten aus dem Apothekenglas in seine Handfläche schüttelte, sie einnahm und mit drei Schlucken Wasser hinunterspülte.

„Ich fahr dich sofort von der Insel“, sagte Rick, „wenn es was Ernstes ist. Wir finden einen der Fischer, der fährt uns rüber.“

„Nein, gib mir zwei Minuten.“ Dom sah aus dem Fenster, vermied den Blick auf den Tisch und auf die Teller mit den Überresten ihres Frühstücks. Rick wusste, weshalb. Ihm war so übel, dass er Mühe hatte, das Essen unten zu behalten. Er musste sich ablenken und den Tabletten Zeit für ihre Wirkung geben. Die Bedienung räumte den Tisch ab, fragte, ob alles in Ordnung sei und Dom bedankte sich bei ihr mit einer freundlichen Handbewegung und einem Nicken. Selbst das strengte ihn an. Rick bezahlte, machte sich bereit, mit Dom in den Hafen zu fahren und von dort nach Port Clyde überzusetzen, aber bereits nach wenigen Minuten änderte sich Doms Zustand wieder.

„Die Tabletten helfen immer, wenn ich sie rechtzeitig nehme“, sagte er, „ich habe diese Anfälle nicht häufig, meist ist es nur die Übelkeit, die zuschlägt, aber diesmal habe ich zu spät und dann zu hastig gegessen. Meine Schuld. Es tut mir leid, ich wollte dir nicht den Morgen verderben.“

Rick klopfte ihm auf den Rücken und sagte, er solle nicht albern werden mit solchen Entschuldigungen, sonst würde er ihn sofort an der Grenze nach New Hampshire absetzen und den Dodge könne er auch abschreiben.

Im Hafen fragten sie nach jemandem, der sich mit Wasserleitungen auskannte und einer der Fischer versprach, am Nachmittag vorbeizukommen und sich das Problem anzusehen.

„Was machen wir solange?“ fragte Dom.

Schwimmen oder am Strand liegen konnten sie immer noch, also fuhren sie im Dodge über die Insel und erkundeten das Gelände, kauften ein paar Lebensmittel ein und fuhren zum Haus zurück.
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Dom meinte, er hätte seinen Fotoapparat mitbringen sollen, er hätte eine Menge schöner Aufnahmen von den Steilhängen und Seevögeln machen können. Er sagte das in einem so bedauernden Ton, als habe er nie wieder die Gelegenheit, Fotos von der Insel zu schießen, und Rick wollte ihn schon aufziehen damit, als ihm einfiel, dass dieser Gedanke, diese Angst, nicht ganz unbegründet war.

„Sophie wird es hier gefallen“, sagte Dom. Er packte die Lebensmittel in den Kühlschrank, drehte sich kurz zu Rick herum, wedelte mit dem abgepackten Laib Brot. „Ich dachte, du hättest das andere genommen?“

„Du glaubst doch nicht, dass das andere gesünder ist, nur, weil sie da Farbe in den Teig geschüttet haben, damit es dunkler aussieht.“

„Du musst es wissen.“

Nach einem kleinen Imbiss, ihrem zweiten Frühstück, gingen sie an den Strand hinunter und legten sich in den Sand. Dom blätterte in einem Reiseführer, den er in Maine während einer Pinkelpause gekauft hatte, während Rick den Tennisball für Carlos warf. Die dichte Wolkendecke war aufgerissen, vom Meer kam eine frische Brise, und die Sonne brannte ihnen auf den Pelz.

„Was ist mit den anderen Häusern?“ rief Dom, „wohnt da niemand?“

Wäre schön, wenn die alle leer bleiben, dachte Rick, dann haben wir hier unsere Ruhe. Ich muss mich nicht mit neugierigen Nachbarn oder Urlaubern herumschlagen und dumme Fragen beantworten. Ich muss mich nicht entschuldigen, dass Carlos in fremde Gärten kackt.

Aber er wusste, dass so etwas auf ihn zukommen würde; so ein vollkommen normales Leben, an das er sich erst gewöhnen musste. Ein Leben mit Ehefrau, Baby, Hund, Haus.

Er hob den Ball auf, den Carlos ihm vor die Füße gelegt hatte, ignorierte die Mischung aus Sand und Hundegeifer und schleuderte ihn in die Dünen zurück. Carlos raste wie ein haariger Blitz hinterher.

„Ich hab noch keine Möbelwagen gesehen, aber Willy Burton meinte, sie würden zum Wochenende auftauchen. Die Häuser gehören entweder Insulanern oder Leuten auf dem Festland und sie nutzen sie nur während der Sommermonate.“

Dom legte den Reiseführer beiseite, die aufgeschlagenen Seiten nach unten in den Sand, und watete ein Stück durch die Brandung.
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Er hatte die Hosenbeine seiner dünnen Baumwollhose hochgekrempelt und die Schuhe ordentlich auf einem der großen Findlinge abgestellt. Die Wellen waren selbst am Strand noch stark genug, um ihn von den Füßen zu holen, wenn er unvorsichtig war, aber er wagte sich auch nicht tiefer, denn er sah, dass der Boden bereits nach wenigen Schritten in große Steine überging. Das Wasser war eiskalt und er hatte bereits nach wenigen Minuten kein Gefühl mehr in seinen Zehen. Seine Beine und Füße waren kalkweiß und von blauen Adern durchzogen, seine Schienbeine waren durch die Innenseiten der Hosen blank gerieben, Härchen zeigten sich nur noch an den Waden und oberhalb der Knöchel. Dom starrte hinunter auf seine Beine, vom eisigen Wasser umspült, Sand zwischen seinen Zehen, und überlegte allen Ernstes, ob er sich die Beine rasieren solle, wenn er hier ständig in kurzen Hosen herumlief. Seltsam, auf welche Gedanken her hier kam.

Morgen könnte ich schwimmen gehen, dachte er, wenn ich mich einmal an das kalte Wasser gewöhnt habe. Ich könnte wieder etwas Muskeln und Energie in diesen blassen Körper bringen. Es nützt überhaupt nichts, den Kranken zu markieren. Was bliebe dann übrig für mich?

„Rick?“ rief er, „wann geht die nächste Fähre aufs Festland?“

Rick drehte sich zu ihm herum, er stand auf dem höchsten Punkt einer mit Rietgras bewachsenen Düne, die die verwitterte Veranda eines der Strandhäuser erreicht und halb verschluckt hatte. In seiner Position konnte Rick in die Regenrinne sehen. Als er sich zu Dom herumdrehte, schwankte er kurz, wedelte mit den Armen, und rief zurück: „Was ist?“

Er hielt den feuchten Tennisball in der Hand und ignorierte Carlos, der ihn anhechelte und gespannt wartete, dass er ihn endlich warf.

Bitte, dachte er, keine weitere Schmerzattacke.

„Ich dachte, ich könnte mir eine Badehose kaufen.“
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Kommentare zur Story:

  Toll beschrieben, diese Männerfreundschaft zwischen Rick und Dom. Man sieht, dass Rick in Wirklichkeit viel Herz hat, dass er sich so um seinen kranken Freund bemüht.  
   Petra  -  19.01.11 19:51

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  ...echt tolle Dialoge, super Reisegeschichte, wird immer besser....  
   Jürgen Hellweg  -  28.11.10 20:22

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Rick holt Dom auf die Insel und er schafft es tatsächlich, dass sich dieser heimisch fühlen kann. Schönes Kapitel bei dem man regelrecht die Wellen rauschen hören kann.  
   Jochen  -  14.11.10 22:03

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Durchaus nette Geschichte, die einen wohl wahren Kern behandelt. Fünf Punkte und ein Trullala!

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