Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Tintentod      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 3. November 2010
Bei Webstories eingestellt: 3. November 2010
Anzahl gesehen: 2588
Seiten: 11

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


14

Im Sommer war Sophie rund wie eine Kugel, schlief die meiste Zeit und machte keinen überflüssigen Schritt mehr. Das Wasser in ihren Beinen störte sie und sie wollte trotz allem keine Medikamente nehmen, obwohl ihr Arzt ihr dazu geraten hatte. Während sich andere Schwangere nach der ersten Umstellung besser fühlten, hoffte Sophie immer noch, dass das Wasser aus ihren Beinen verschwinden würde. Sie fühlte sich dick, ungeschickt und hässlich. Vom ungezügelten Essen hatte sie zugenommen, ihr Gesicht war rund und ihr Haar dunkler geworden. Rick nannte sie noch immer mariposa, Schmetterling.

Jeden Tag strich sie einen Tag in ihrem Schwangerschaftskalender ab, die ausgezählte Woche im August war mit einem großen Herz umrahmt. Während der letzten Ultraschalluntersuchung hatte der Arzt sie gefragt, ob sie das Geschlecht des Babys wissen wollte und sie sagte Nein.

Die meiste Zeit verbrachte sie liegend im Garten oder auf der Veranda, sie hatte sich die Gesamtausgabe vom Wüstenplaneten gekauft und beichtete Rick aus einer albernen Laune heraus, dass sie in Duncan Idaho ganz verschossen sei.

Obwohl Rick behauptete, das Haus auf der Insel sei einzugfertig, fuhr er noch immer für ein oder zwei Tage hinüber, um darin zu arbeiten. Sophie hatte die Lieferung ihrer restlichen Möbel aus New York nach Monhegan organisiert und Rick hatte sie dort in Empfang genommen und aufgestellt, wie er meinte, dass es ihr gefallen könnte. Sie planten, das nächste Wochenende nach Monhegan zu fahren, aber bis dahin waren es noch ein paar Tage. Rick arbeitete in der Werkstatt und verbreitete mit dem Motorrad einen Heidenlärm, wenn er nach Hause kam.

Wie meist war sie mit dem Taschenbuch auf der Brust eingeschlafen, wachte von Carlos‘ Gebell und dem Motorengeräusch der Shadow auf und wartete darauf, dass Rick nach hinten in den Garten kam.

„Hey, schlafende Schönheit“, sagte er, kniete neben der Holzliege und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Ich bin wach“, murmelte sie und streckte sich wie eine Katze.

„Lass uns eine Runde ans Wasser gehen, Carlos ist schon weg.“

Sie sträubte sich etwas, aber er griff ihre Handgelenke und zog sie hoch.

„Komm schon, das Wasser wird deinen Elefantenfüßen gut tun.“

Am Strand lief Rick ein Stück in die Wellen, das Wasser war noch immer sehr kalt und er kümmerte sich nicht darum, dass seine Hosenbeine nass wurden.
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Er hatte nur die Sneakers ausgezogen und sie sich an den Schnürsenkeln um den Hals gehängt. Sophie trug ihre Flipflops in einer Hand, musste sich in dem Sommerkleid, das kurz über ihren Knien endete, keine Gedanken machen. Ihre braun gebrannten ehemals schlanken Beine, die jetzt aussahen wie zu fest gestopfte Würste, waren mit Mückenstiche übersät. Sie ging ebenfalls bis zu den Knöcheln ins Wasser, wich den größeren Wellen aus und hakte sich bei Rick unter.

Carlos kam zu ihnen zurückgetrabt, die Zunge hing ihm weit aus dem Maul und er suchte sich ein Stück Holz aus dem Strandgut, was er Rick vor die Füße fallen ließ. Er liebte es, die Stöckchen aus dem Wasser zu apportieren.

„Candy kocht irgendwas“, sagte Rick, „es roch wie Tintenfischfüße und Froschköpfe.“

„Heißt das, du möchtest irgendwo essen gehen?“

„Ich kann dich einladen, Fred hat mich für die Woche ausgezahlt.“

Er sagte nicht, dass Fred keine Arbeit mehr für ihn hatte, weil die Reparaturen ausblieben und er deshalb den Job verloren hatte.

Sie drehten nach einer Weile um und schlenderten zum Haus zurück, diskutierten darüber, in welches Restaurant sie gehen wollten, welches noch nicht von Touristen überlaufen war.

Letztendlich blieben sie doch zu Hause, weil Candy empört mit dem Besteck um sich warf, als sie hörte, dass man ihr Essen verschmähte. Sie aßen in einer großen Runde, Nachbarn hatten sich eingeladen und Rick behauptete nach dem ersten Bissen, Candy hätte es mit den Gewürzen übertrieben, dabei schmeckte es sehr gut, er wollte es nur nicht zugeben.



Weil er nicht mehr bei Fred in der Werkstatt arbeitete, hatte er Zeit für andere Dinge. Er sagte, er würde sich um einen anderen Job kümmern und war die meiste Zeit mit der Shadow unterwegs, ohne dass Sophie wusste, was er die ganze Zeit trieb. Als sein Pieper angesprungen war, hatte er José von einer öffentlichen Telefonzelle in Blue Hill angerufen.

Als er früh morgens losfuhr, war es bereits so heiß, dass ihm das Hemd an der Haut klebte.
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Er fuhr hinüber nach Bangor, wo er eine Weile durch die Straßen lief, bevor er sich vor dem Kino einfand. Er kaufte sich ein Softeis und wartete. Wäre José nicht vor ihm stehen geblieben sondern an ihm vorbeigegangen, wäre er ihm nicht aufgefallen.

„Gehen wir ein Stück“, sagte er, ohne Rick direkt anzusehen. Sein schwarzes Haar war ungewohnt lang und von grauen Strähnen durchzogen, die Rick noch vor Monaten nicht gesehen hatte. Statt eines teuren Anzugs und eleganten Schuhen trug er ein weißes T-Shirt, Chinos und blaue Segeltuchschuhe ohne Socken. Rick hatte ihn noch nie so gesehen, er dachte an eine Tarnung, um in der Masse von Touristen und Sommerausflüglern nicht aufzufallen, aber als er sich einige Male umdrehte und die Straße kontrollierte, sah er, dass ihnen niemand folgte.

„Wo sind deine Leute?“ fragte er.

„Ich bin allein hier“, sagte José. Trotz seiner blendenden Urlaubserscheinung machte er einen hypernervösen Eindruck und er konnte die wunde Nasenschleimhaut kaum verbergen. Über die Gründe brauchte Rick nicht lange nachzudenken. Und wenn er allein unterwegs war, ohne seine übliche rechte Hand und ohne seine Leibwächter, musste einiges im Argen liegen.

Vermutlich hat er selbst die Mädchen nach Hause geschickt, dachte Rick.

José hatte seine Freundinnen stets aus der Heimat kommen lassen, immer außergewöhnlich hübsche Mädchen, die nur spanisch sprachen und die es nicht interessierte, was er machte, wie er sein Geld verdiente, was sie mit vollen Händen ausgaben. Meist hatte er bereits nach wenigen Monaten oder auch nur Wochen genug von ihnen und manchmal hatte Rick sie zum Flughafen gefahren und sie in die nächste Maschine nach Bogota gesetzt. Teilweise hatte er die Mädchen nicht wiedererkannt. Exzessives Nachtleben hatte auch seine Schattenseiten.

Als Rick nicht weiter nachfragte, weshalb er allein unterwegs war, um ihn zu sehen, fragte José: „Hast du in letzter Zeit mal Zeitung gelesen?“

Rick zeigte ein entschuldigendes Schulterzucken und warf das tropfende Softeis in den nächsten Papierkorb. Seit er in Maine war, hätte New York auch auf dem Mond liegen können, erst recht, seit er das Haus in Ordnung brachte.

„Du hättest dir keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können.
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Ich war ein paar Monate auf den Bahamas wegen der Geschäfte. Wir haben mächtig Schwierigkeiten.“

Rick hatte keine Ahnung von den Schwierigkeiten, die in diesen Geschäften auftreten konnten, und wollte es auch gar nicht wissen. Es jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken, als José ihn so prüfend ansah, als könne er etwas mit den Schwierigkeiten zu tun haben.

„Ich habe meine Geschäfte fürs erste aufgelöst“, sagte José, „und mach nicht so ein Gesicht, als würde ich dir dafür die Schuld geben.“

„Ich dachte nicht, dass es so offensichtlich war.“

Bevor José weitersprach, wusste Rick, was er sagen würde. Die DEA war hinter ihm her, er würde das Land verlassen und vermutlich nicht wiederkommen. Sie waren ziellos durch die Straßen geschlendert, vorbei an den Restaurants und Andenkenläden, kamen zurück zu dem Parkplatz, wo José seinen Wagen abgestellt hatte, einen schwarzen Jeep, den er ohne Verdeck fuhr.

„Es wird keine Verbindung zwischen uns geben, es sei denn, ich melde mich bei dir. Sollte dich einer von den Jungs, selbst wenn es Tiggs ist, bei dir melden, stell dich dumm, dann ist das eine Falle der DEA. Sie werden jeden Trick ausprobieren, um an mich ranzukommen.“

Auch jetzt benutzte José weder das Wort „Drogen“ noch „Kokain“ oder „Kartell“, für alle geschäftlichen Dinge hatten sie immer Codes benutzt und die Namen, die sie über die Jahre benutzt hatten, mochten von Anfang an falsch gewesen sein.

„Du hast mein Wort“, sagte Rick, „ich werde nichts ausplaudern. Du kennst mich.“

Zum ersten und zum letzten Mal während dieser Begegnung zeigte José so etwas wie ein ehrliches Gesicht, ein Lächeln, das nicht nur aufgesetzt war. Darunter sah Rick, wie ausgebrannt er war.

„Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann“, sagte er, schlug Rick auf die Schulter, „deshalb hast du das Haus, du hast dein neues Leben. Du hast es richtig angefangen und wirst es gut zu Ende bringen.“ Er lächelte und zeigte ein letztes Mal etwas von seiner alten Form, seine perfekte Mischung aus Strenge und Gelassenheit.

Das war’s, dachte er, hob die Hand zu einem kurzen Gruß, als José davonfuhr. Er selbst brauchte lange, bis er sich in der Lage fühlte, auf die Shadow zu steigen und nach Hause zu fahren.
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Für Sophie kaufte er noch eine Überraschung in Bangor, die sie erst im Haus sehen würde.



Kaum in Blue Hill, stellte er die Shadow in der Garage ab, trabte über den Holzsteg ans Wasser hinunter und setzte sich in den Sand. Er hockte so nahe an der Wassergrenze, dass ihn die nächste Welle bis zur Gürtellinie durchnässte. Das kalte Wasser ließ ihn japsen, und weil er sowieso halb nass war, warf er sich einmal komplett in die nächste Welle, die an den Strand heranrollte. Er tauchte unter der Welle durch und hatte einen hochgradigen Flashback, als er wieder auftauchte. Er verfiel in Panik, weil er dachte, er sei in Ft. Lauderdale und schwimme im Hafenbecken, nachdem er von der Sleepin‘ Beauty über Bord gegangen war.

Sleepin‘ Beauty, dachte er, so nenne ich Sophie, wenn sie mal wieder bei ihrem spannenden Buch eingeschlafen ist. So hieß die Yacht, auf der er Sheila das erste Mal seit Jahrzehnten wiedergesehen hatte. Sie ist hier irgendwo im Wasser, dachte er, plantschte umher, noch immer in Panik, obwohl er längst wieder den sandigen Boden unter den Füßen hatte und bis zur Hüfte in den Wellen stand, ich hab sie reingeworfen, weil ich sie nicht mehr ertragen konnte. Sie ist hier noch irgendwo im Wasser und sie wird meine Füße packen und mich nach unten ziehen…

Er trat auf eine die scharfe Kante einer Muschel und kam erst da wieder zur Besinnung. Das hier war nicht Ft. Lauderdale, das war Maine. Die Heimat. Sheila wusste nicht einmal, dass er hier war, außer, Curtis hatte etwas ausgeplaudert.

Die nächste Welle schob ihn Richtung Strand zurück, wo er sich in den heißen Sand legte, die Augen schloss und bewegungslos dalag, bis sich die Welt um ihn herum nicht mehr so rasend schnell drehte.

José wird nicht zurückkommen, dachte er, Mascot ist tot, Hollis wird niemals aus New York rauskommen. Dom und Curtis werden die Einzigen sein, die sich nach der Geburt selbst zu Besuch einladen werden, das ist in Ordnung. Alle anderen sind verschwunden. Wenn ich nicht die alten Fotos von Mascot hätte, wüsste ich schon nicht mehr, wie er ausgesehen hat. Sein Gesicht ist so verschwommen in meiner Erinnerung. Nur seine Stimme ist noch da. Ich hätte mir seinen Namen merken sollen, als er den mir damals in New Mexico verraten hat.
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In Sophies Zimmer schälte er sich mühsam aus den sandigen nassen Klamotten und duschte. Er war noch immer nass, hatte sich nur ein Handtuch umgehängt, als Sophie mit einer großen Tasse Tee hereinkam, das zerlesene Exemplar vom Wüstenplaneten aufs Bett warf.

„Was hast du den ganzen Tag getrieben?“ fragte sie.

„Ich bin mit der Maschine durch die Gegend gefahren“, sagte er und Sophie erwiderte: „Was?“

Er war so gedankenverloren, dass er auf Spanisch geantwortet hatte, korrigierte sich und hatte den Rest des Tages Schwierigkeiten, nicht wieder ins Spanische zu verfallen. Das waren die Nachwirkungen des Treffens in Bangor. Obwohl das Treffen mit José nur knapp eine Stunde gedauert hatte, verfolgte es ihn noch eine ganze Weile. Die letzte große Verbindung zu seinem alten Leben war abgerissen.



Rick verbrachte die letzte Woche allein auf Monhegan mit den endgültigen Arbeiten am Haus und Garten und sie planten, ein gemeinsames Wochenende dort zu verbringen. Das Wetter war gut genug, es war heiß und trocken und Sophie packte alles für ein langes Picknick zusammen. Sie hatte ihren Fotoapparat eingepackt und war gespannt, was sich am Haus alles verändert hatte. Zwar hatte Rick behauptet, es sei fertig, wie auch immer er das interpretierte, aber sie hatte noch immer die kleine Bruchbude vor Augen, an der sie erst einmal die zugenagelten Fenster hatten öffnen müssen, um überhaupt etwas sehen zu können. Carlos merkte sofort, dass es irgendwohin ging und bevor Sophie ihn an die Leine nehmen konnte, saß er bereits im Nova, den Rick mit offenen Türen vor dem Haus abgestellt hatte.

„Die beiden sind noch immer sauer auf mich“, sagte Rick, als sie endlich losfuhren.

„Du hättest sie zumindest fürs nächste Wochenende einladen können“, erwiderte Sophie. Sidney hatte sich darüber beschwert, dass Rick ihn nicht um Hilfe gebeten hatte bei den Arbeiten am Haus und Martha war gekränkt, weil sie weder von Rick noch von Sophie eingeladen worden war, sich das Haus anzusehen.

„Die ganze Familie wird es schon früh genug sehen“, sagte Rick, „und dann wird es voll eingerichtet und bereits bewohnt sein und ich werde mir nicht anhören müssen, was ich alles hätte besser machen können.
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Seiner Meinung nach hatte er das Strandhaus perfekt hinbekommen. In Bangor hatte er in einem Laden altenglische Armaturen für die Badewanne und Waschbecken gekauft, weil Sophie schon in New York von diesen Dingern geschwärmt hatte. Zumindest hatte er damit eine plausible Erklärung, was er einen Tag lang in Bangor getrieben hatte, sollte es jemals wieder zur Sprache kommen. Bislang hatte Sophie nicht danach gefragt. Er versuchte noch immer nicht daran zu denken, was mit José passiert sein könnte, wann er das Land verlassen hatte und wo er hingegangen war.



Im Hafen angekommen fuhren sie sofort zum Haus, ließen den Wagen wieder oben an der Straße stehen und ließen Carlos aus dem Wagen. Der Hund war vollkommen aus dem Häuschen, raste hin und her, bis ans Wasser hinunter, sprang durch die Dünen und klapperte nach und nach die Häuser ab. Dann war er verschwunden.

„Der kommt schon zurück“, sagte Rick. Er schloss die Haustür auf und winkte Sophie mit einer übertrieben galanten Geste hinein. Sie inspizierte alle Räume im Schnelldurchlauf, nahm sich dann Zeit, alles im Detail zu betrachten. Sie schrie quiekend auf, als sie die Küche betrat und Teile ihrer alten Möbel aus Brooklyn entdeckte, reagierte mit einem fassungslosen Gesicht, als sie die Armaturen im Bad sah.

„Unglaublich“, murmelte sie, „einfach unglaublich.“

Sie drehte das Wasser auf und die alten Rohre spuckten und protestierten und es dauerte eine ganze Weile, bis endlich das Wasser lief. Auch der Boiler sprang nicht sofort an, aber das alles konnte sie in Kauf nehmen. Die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, die sich verdächtig nach ihrer Mutter anhörte und die sie daran erinnerte, wie kalt es in dieser Gegend werden würde und ob sie wirklich gewillt war, hier mit einem Kind zu leben, schob sie erfolgreich beiseite.

„Ihr habt ganz hervorragende Arbeit geleistet“, sagte sie, „ich bin begeistert. Für die Armaturen musst du ein Vermögen ausgegeben haben. Wer hatte die Idee für die Kriegsbemalung im Kinderzimmer?“

Fast hätte Rick verraten, dass Hollis ihm geholfen hatte. Davon musste sie nichts wissen. Er behauptete, er habe sich nur an die Vorgaben aus ihren Babybüchern gehalten und leider seine künstlerische Ader überschätzt.
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„Wenn du es nicht magst, kann ich es überstreichen“, sagte er, „ich hab noch genug Farbe im Schuppen.“

Obwohl noch einige Dinge fehlten, es waren noch nicht überall die Lampen angeschlossen und einige Möbelstücke standen noch nicht am richtigen Platz, sah das ganze Haus einladend und gemütlich aus. Nicht gerade wie aus einer Zeitschrift über schöne Häuser in New England, aber nicht schlecht.

„Hattest du Hilfe dabei?“ fragte sie, „das kannst du in der kurzen Zeit unmöglich alles allein geschafft haben.“

Rick erzählte von Wooley, der ihm geholfen hatte, und ahmte sehr schlecht dessen Dialekt nach.

„Wir sollten ihn mal zum Essen einladen, sobald wir eingezogen sind.“

Rick rauchte eine Zigarette auf der Veranda, während Sophie mit einem Zeichenblock durch das Haus lief und Skizzen und Bemerkungen machte, wo sie welchen Schrank hinstellen wollte, welches Bild an welche Wand sollte, wie sie das Kinderzimmer einrichten würde. Bislang hatte sie weder Babywäsche noch Möbel gekauft, weil ihre Mutter behauptet hatte, es bringe Unglück. Die Wahrheit war eher, dass ihre Eltern verhindern wollten, dass sie irgendetwas selbst kaufte – sie würden die komplette Ausstattung übernehmen. Das hatte Candy ihr verraten, mit einem diebischen Grinsen auf dem Gesicht, weil sie genau wusste, dass Sophie es hassen würde, sich dem Geschmack ihrer Mutter zu beugen, wenn es um die Babysachen ging.

Sie setzte sich zu Rick auf die Veranda, sah zum Strand hinunter und legte beide Hände auf ihren Bauch.

Du wirst es hier mögen, kleine Krabbe, dachte sie, da bin ich mir ganz sicher. Vermutlich lernst du erst schwimmen und dann erst laufen.

„Wooley ist einer von den Fischern“, sagte Rick, „du erkennst ihn sofort, wenn du ihn siehst. Er ist ein dicker großer Kerl und rennt den ganzen Tag in Latzhosen herum. Wenn du ihn ansprichst und dabei ins Gesicht siehst, zucken seine Augen hin und her. Wenn er mir nicht weiterhelfen konnte, dann wusste er jemanden auf der Insel, der Ahnung davon hatte.“

Sie unterhielten sich über die Insulaner, über die Hummerfischer, und Rick meinte, dass er noch nie Hummer gegessen habe.

Irgendwann tauchte Carlos wieder auf, er kam zwischen den Strandhäusern durch das verwilderte Grundstück, war nass und dreckig, in seinem Fell hingen Kletten und er stank nach Fisch.
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Er sprang zu ihnen auf die Veranda und Rick scheuchte ihn wieder weg, weil sein Gestank unerträglich war. Er musste sich im Hafen herumgetrieben haben.

„Ich lasse dich hier, du Stinker“, sagte Rick, „so kommst du mir nicht ins Auto.“

Carlos hechelte zufrieden und an seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er gegen diesen Vorschlag überhaupt nichts einzuwenden hätte. Es war eindeutig, dass die Insel für ihn ein großer Abenteuerspielplatz war. Nachdem Rick ihn von sich weggescheucht hatte, legte er sich vor die Veranda, knabberte an seinen Pfoten herum und döste schnell ein.

„Ich hab da was mitbekommen“, sagte Rick irgendwann, „ich will das klären, bevor wir nach Blue Hill zurückfahren.“

Sophie dachte, er wolle mit ihr abklären, wann genau der richtige Zeitpunkt war, um ihre Eltern und Schwester einzuladen, aber was Rick sagte, ging in eine andere Richtung. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Rick etwas von den Gesprächen mitbekommen hatte, fingerte unbewusst an der Kamera herum, die auf ihrem Schoß lag.

„Wenn du heiraten willst, dann heiraten wir. Ich will nur nicht, dass dein Dad mich mit der Nase darauf stößt, weil Martha es so am liebsten hätte. Ich bin zufrieden, wenn du es willst, Hauptsache, wir sind zusammen.“

„Ich werde mich definitiv nicht mit diesem Bauch und diesen Beinen in ein Traumkleid zwängen und auf allen Fotos aussehen, als wären da zwei Personen in Tüll und Seide eingenäht. Du kannst mir einen Antrag machen, sobald das Baby auf der Welt ist. Ich weiß, dass Mom mich ständig deswegen anspricht und vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie Dad genug angestachelt hat.“ Sie warf Rick einen schnellen Seitenblick zu, kontrollierte, ob es für ihn ein Problem sein könnte, ohne dass er es jemals zugeben würde. Er sah aus, als würde er sich ein Grinsen verkneifen müssen.

„Mrs. Scanlon“, sagte er.



Obwohl sie es nicht wirklich eingeplant hatten, übernachteten sie die erste Nacht in ihrem Strandhaus.

„Wenn es zu unheimlich wird, können wir immer noch ins Hotel gehen“, sagte Sophie, aber es wurde weder unheimlich noch ungemütlich.
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Das Rauschen der Brandung war präsenter als in dem Haus in Blue Hill, und es lag nicht nur daran, dass es näher am Wasser stand. Während sie einschlief, eng an Ricks Rücken gepresst und einen Arm über seine Seite gelegt, hörte sie das Rauschen und dachte: Im Winter werden wir die Außenwände isolieren müssen, und das nicht nur mit Strohballen, wie es die Insulaner mit den richtigen Häusern tun.

Sie schlief ein, hatte einen beunruhigenden und gleichzeitig entnervenden Traum. Sie war in ihrem Elternhaus, in ihrem Mädchenzimmer, das noch genauso eingerichtet war, wie sie es als Kind kannte. Ihre Puppen, Teddys und ihre anderen Spielsachen saßen ordentlich aufgereiht auf ihrem Bett und sie ärgerte sich darüber, weil sie genau wusste, dass sie alle Spielsachen erst gestern weggeworfen hatte. Sie war zu alt für so etwas. Sie brauchte die Spielsachen nicht mehr. Ihre Mutter schien die Sachen jedes Mal wieder aus dem Müll zu fischen und sie wieder ordentlich in Reih und Glied zu setzen. In ihrem Traum waren die zeitlichen Abläufe so durcheinander, dass sich diese Szenen immer wieder wiederholten. Sie räumte die Puppen weg und sie tauchten wieder auf. Und während ihre frustrierende Wut auf ihre Mutter deswegen immer größer wurde, verwandelten sich die Puppen in lebende Babys, die sie vorwurfsvoll anstarrten. Als sie aufwachte, hätte sie am liebsten ihre Mutter angerufen und ihr erklärt, dass sie nie im Leben, auch nicht nur eine Sekunde daran gedacht hatte, das Baby in irgendeiner Form loszuwerden. Sie war sich unsicher gewesen, ob sie mit Rick zusammenbleiben würde, aber an dem Baby hatte sie keine Sekunde gezweifelt. Vielleicht in ihrem Unterbewusstsein, aber mehr auch nicht. Und wenn das der kleine versteckte Ort war, wo diese Träume herkamen…

Sie erinnerte sich, wie Rick irgendwann neben ihr aufgewacht war und gemurmelt hatte, ob sie noch immer böse auf ihn sei, er habe geträumt, sie sei wegen irgendwas böse auf ihn. Als sie versuchte, ihm zu erklären, dass er wirklich nur geträumt habe, war er schon wieder eingeschlafen.

Sophie stand auf, versuchte Rick dabei nicht zu wecken und konnte die ersten Schritte nur gebückt laufen wegen der Kreuzschmerzen. Das Schlafen auf dem blanken Boden nur mit den dünnen Matratzen als Unterlage war doch keine gute Idee gewesen.
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Sie fürchtete, wenn sie Wasser in die Wanne laufen ließ oder zu Duschen versuchte, würde Rick allein schon wegen der spuckenden Rohre aufwachen, deshalb beließ sie es bei einer Katzenwäsche und ging zu einem kurzen Spaziergang hinunter an den Strand. An einigen Abschnitten war der Strand feinsandig und bis auf etwas verbranntes Treibgut und Seetang war alles sauber, aber schon wenige Meter weiter bestand er aus groben Steinen, unterbrochen von Felsen, die den Strandabschnitt auf dieser Seite der Insel in kleine Buchten abteilte. Weil sie nicht über die Felsen klettern wollte, drehte sie um und schlenderte zurück, warf kleine Steine in die Wellen und wurde kurz vor dem Haus von Carlos begrüßt, der entweder sehr früh zur Hintertür entwischt war oder die Nacht draußen verbracht hatte. Er hatte seinen Frisbee ausgekramt und warf ihn Sophie vor die Füße und sie ließ ihn so lange über den Strand toben, bis Rick auf die Veranda kam, sich streckte und dabei unter dem T-Shirt seinen haarigen Bauch präsentierte und zu ihr rüberrief, dass er irgendwo frühstücken wolle.
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Kommentare zur Story:

  Alles ist für die Beiden neu, dass sie nun zusammen sind, ein Kind bekommen, auf das sie warten müssen und das Haus will wohnlich gemacht sein.  
   Petra  -  18.01.11 21:48

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  So, jetzt komme ich endlich dazu, wieder mehr über Rick und Sophie zu lesen, die haben mir richtig gefehlt, ein Beweis für dein Schreiber Talent Pia!
Wie du das Unheil wegschreibst und aus der Harmonie immer noch ein paar nachdenkliche Schattierungen einbringst, ist wirklich Gut, Sehr gut sogar...beste Grüße  
   Jürgen Hellweg  -  21.11.10 10:42

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  Da bin ich ja beruhigt, dass der fiese Mafiosi ersteinmal verschwinden muss. Man gönnt Rick und Sophie von Herzen, dass sie in ihrem Strandhaus entspannen können. Sehr echt alles beschrieben.  
   Jochen  -  14.11.10 21:47

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Unbekannt" zu "Violett"

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