VERZWEIFLUNG
Welch ein Glück, dass sie ihre Wohnung noch nicht gekündigt hat, hier kann sie sich verkriechen, hier kann sie sich verstecken. Aber vielleicht kommt er ja doch noch, vielleicht sagt er dann, dass alles ein Versehen war, dass er das Kind auch will.
Irma schüttelt den Kopf. Sie sollte nicht darauf hoffen, aber die Hoffnung ist einfach nicht kaputtzukriegen, und das tut genauso weh wie die Enttäuschung, die sie gerade erlebt hat. Enttäuschung ist milde ausgedrückt, aber so leicht ist sie nicht unterzukriegen. Sie wird auch ohne Chris klarkommen. Trotzig nickt sie mit dem Kopf und bekräftigt damit ihre Gedanken.
Es ist ziemlich kalt in der Wohnung, aber das spürt sie erst zwei Stunden später. Klar, Mitte Dezember, Außentemperaturen, die sich um fünf Grad bewegen...
Irma dreht die Thermostate im Wohnzimmer und im Badezimmer bis zum Anschlag hoch, und allmählich wird die Wohnung vom Hauch einer unbestimmten Wärme erfüllt. Aber die reicht nicht aus, um ihr ein Gefühl von Behaglichkeit zu geben. Irma fühlt sich immer noch eiskalt. Sie sitzt auf dem Sofa, hat die Beine hochgezogen und umklammert sie mit den Armen, als wollte sie sich daran hindern, einfach auseinander zu fallen. Nebenbei lauscht sie, ob das Telefon etwas von sich gibt, aber es schweigt beharrlich. Chris ruft nicht an.
Also stimmt es, er will sie nicht, okay, sie vielleicht schon, aber nicht mit Kind. Und dabei liebt er Kinder von anderen Frauen! Der ist irre! Aber warum... Irma grübelt wieder vor sich hin, nachdem sie sich eine Weile stumpfsinnig hin und hergewiegt hat, um den Schmerz zu betäuben.
Dann tippt sie in einem Anfall von Wut auf den winzigen grünen Hörer im Display ihres Telefons, schade, früher wäre es sehr theatralisch gewesen, den Hörer daneben zu legen, aber jetzt im digitalen Zeitalter geht es auch. Sie wird nicht mehr auf seinen Anruf warten! Und sie wird ein paar Tage Urlaub nehmen, denn im Büro könnte er sie anrufen oder vielleicht sogar dort abfangen. Nicht dass sie damit rechnen würde. Sie schüttelt erbittert den Kopf.
Schließlich zieht sie zögernd ihre Sachen aus und geht zu Bett. Das Laken fühlt sich eiskalt an, und es ist ungewohnt, alleine hier zu liegen, aber sie wird sich wohl daran gewöhnen müssen.
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Oh nein, wie soll das gehen? Kein Chris mehr, keine Zärtlichkeiten mit ihm, keine romantischen Abende... Früher hat sie über so etwas gelacht, aber mit Chris ist es richtig, so furchtbar richtig. Kerzenlicht, Küsse, zarte Berührungen, geflüsterte Zärtlichkeiten, liebevolle Blicke, beider Erstaunen über ihre Gefühle, in ungeschickte Worte gefasst. Irma kommen wieder die Tränen.
Und das ist alles falsch gewesen? Das kann nicht sein, vielleicht ist alles nur ein Irrtum, und es gibt noch Hoffnung...
Die Hoffnung stirbt zuletzt, murmelt sie tonlos vor sich hin, und sie muss bitter auflachen. Sie zwingt ihre Gedanken zur Ruhe und überlegt ganz logisch, jedenfalls so logisch, wie es ihr im Moment möglich ist.
Will sie das Kind überhaupt? Sie weiß es nicht mehr genau, und dabei ist sie sich doch so sicher gewesen nach dem Gespräch mit Irene. Die Zukunft sah klar und wunderbar aus, sie würde das Kind lieben, und Chris würde es auch lieben. Es wäre mit Sicherheit ungewohnt und stressig, aber es hätte auch viel Gutes, ein Kind gemeinsam großzuziehen. Es würde ihrem Zusammensein eine neue Dimension geben, eine andere natürlich, aber bestimmt eine noch viel tiefere, falls das überhaupt möglich wäre.
Von wegen eine noch viel tiefere! Sie hat sich in sehr seichten Gewässern bewegt, sie hat an die große Liebe geglaubt, an die irrationale Vorstellung vom Glück mit ihm. Sie hat sich geirrt, ist gestrandet am zu flachen Ufer seiner Gefühle. Was hat sie sich nur dabei gedacht? Nicht viel wahrscheinlich, ist nur getrieben worden von ihren Wünschen, von ihren blöden sentimentalen Vorstellungen. Würde, hätte, wäre...
Und sie spürt noch gar kein Gefühl für das kleine Ding, das sich in ihr eingenistet hat, bis jetzt ist es nur ein Fremdkörper.
Vielleicht sollte sie ja wirklich, vielleicht wäre es das Richtige... Dann würde es mit Chris wieder klappen, sie könnten da weiter machen, wo sie aufgehört hatten, sie könnten ihr Leben und ihre Liebe genießen, befreit und unbeschwert. Aber es wäre alles vergiftet. Sie würde immer an seine Reaktion denken müssen, er will kein Kind... Irma beißt sich auf die Lippen.
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Wie wird es wohl aussehen, denkt sie. Und auf einmal sieht sie es ganz klar vor sich, es ist ein Junge, er hat große Ähnlichkeit mit Chris. Klar, dieser Bastard ist so dominierend, er beherrscht sogar das Aussehen ihres Sohnes. IHRES Sohnes! Und er hat mit IHREM Sohn überhaupt nichts zu tun, denn er will ihn ja nicht....
Wir werden sehen, flüstert sie monoton vor sich hin, wir werden sehen. Und automatisch, ohne dass sie es will, legt sie ihre Hände schützend vor ihren Bauch. Seltsam, eben hat sie noch gedacht, wie allein sie wäre, aber das ist sie ja gar nicht.
Und Chris kann ihr gestohlen bleiben, egal wie sie sich entscheiden wird. Mit diesem trotzigen Gedanken schläft Irma endlich ein, aber es ist ein unruhiger Schlaf, sie wälzt sich hin und her, manchmal wacht sie auf, weiß nicht, wo sie ist, denkt, sie liegt neben Chris im Bett und spürt seine körperliche Nähe, aber dann fällt es ihr plötzlich ein, und sie muss daran denken, was Chris zu ihr sagte.
Sie stöhnt auf. „Lass mich in Ruhe!“, flüstert sie, krümmt sich zusammen und legt wieder automatisch die Hände schützend auf ihren Bauch. Ja, sie will es! Und Chris ist raus aus der Sache, er ist ja nur der biologische Vater, was hat er schon groß dazu getan? Sie will ihn nie wiedersehen, sie wird es alleine schaffen, und bezahlen braucht er auch nicht, denn sie wird keinen Vater angeben. Chris hat es nicht verdient, er kann ihr gestohlen bleiben!
Und wieder versinkt sie in einen unruhigen Schlaf.
Irgendwann in der Nacht wacht sie auf, sie spürt eine Wärme, die ihr vertraut vorkommt. Er liegt neben ihr und schläft wohl fest. Es ist wunderbar, neben ihm zu liegen. Chris, ich liebe dich so sehr, flüstert sie und beugt sich zu ihm herüber, um ihn sanft zu streicheln, um ihn zart zu küssen und seinen Schlaf zu behüten. Denn manchmal träumt er schlecht. Als sie es das erste Mal erlebte, da war sie noch gar nicht richtig mit ihm zusammen, aber es hat sie trotzdem erschüttert, er kam ihr so hilflos vor, der große Chris. Vielleicht fing sie in dieser Nacht an, ihn zu lieben, obwohl es ihr nicht bewusst war. Zumindest nicht bis zu der Wette. Irma muss lächeln, als sie an die Wette denkt. Das war zu albern, dieses Spielchen, aber es hatte ein Gutes: Sie kamen endlich zusammen und gestanden sich ihre Liebe, zaghaft natürlich, denn es war ungewohnt für sie.
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Auch jetzt passiert es selten, dass sie sich eine Liebeserklärung machen, aber es ist gar nicht nötig, sie lieben sich, und sie vertrauen sich. Wer hätte das jemals gedacht...
Irma rückt noch näher an Chris heran, schmiegt sich leicht an seinen Rücken und legt vorsichtig die Arme um ihn. Obwohl er schläft, weiß sie, dass er immer für sie da sein wird. Lieber Chris, denkt sie undeutlich, bevor sie in einen wohltuenden Schlaf gleitet.
Sie wacht auf, geweckt von einem Geräusch. Schlaftrunken lauscht sie in die Dunkelheit. Irgendetwas ist anders, ist nicht normal.
Chris liegt immer noch mit dem Rücken zu ihr, aber sein Atem geht nicht so regelmäßig wie gewohnt sondern verstummt manchmal für lange Sekunden.
Okay, jetzt atmet er wieder, aber stoßweise und heftig.
Bitte lass es nicht der Traum sein, denkt Irma angstvoll. Doch ihre Bitte wird nicht erhört, es ist der Traum. Wieder stöhnt Chris es, abgehackt und stoßweise: Wenn er nicht gewesen wäre, dann würde sie noch leben. Er stöhnt es wieder. Wenn er nicht gewesen wäre, dann würde sie noch leben. Wenn er nicht gewesen wäre, dann würde sie noch leben.
Armer Chris, sie streichelt zärtlich seinen Rücken und sagt dann leise: „Ist ja schon gut. Du träumst nur.“
Sofort hört er auf zu stöhnen, es scheint, als ob er ihre Stimme gehört hat. Irma bedeckt liebevoll seine Schulter mit Küssen und umarmt ihn. „Chris, Liebster, es ist nichts. Schlaf’ wieder ein, ich bin hier.“ Und während sie ihm Worte des Trostes zuflüstert und ihn gleichzeitig küsst und streichelt, werden seine Atemzüge flacher, der Traum verliert die Macht über ihn, und er liegt ganz entspannt da.
Auch Irma schläft wieder ein, bis sie schließlich im grauen Licht des Dezembermorgens wach wird. Ihr ist kalt, das wundert sie. Und ihre Arme sind leer...
Wo ist Chris? Und wieso hat sie so ein komisches Gefühl? Sie springt aus dem Bett und schaut im Badezimmer nach, es sieht vollkommen unberührt aus, klar doch, sie war ja monatelang nicht mehr hier.
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Also ist er in der Küche. Aber da ist er auch nicht. Sie starrt ratlos vor sich hin, bis sie es schließlich kapiert. Es war alles nur geträumt. Wie gemein! Und wie echt es ihr vorgekommen ist.
Und dann auf einmal bricht das Elend über sie hinein. Sie krümmt sich, als wäre sie geschlagen worden, es tut so weh, so weh. Er will sie nicht mehr. Und er will ihr Kind nicht. Was soll sie nur tun. Es ist alles vorbei, aber das kann doch nicht sein. Warum, warum...
Schließlich fängt sie an zu schluchzen, diesmal kann sie die Tränen nicht unterdrücken, und sie ist froh darüber. Es ist wie ein Ventil, und sie lässt sich vollkommen gehen. Sie schreit und verwünscht ihn, brüllt, dass sie ihn hasst und dass er zum Teufel gehen soll. Wünscht ihm die Pest an den Hals und viel Vergnügen mit dieser Schlampe von Frau und ihrem Söhnchen. Werd’ doch glücklich mit ihr, ich hasse dich, ich hasse dich!
Irgendwann ist sie so erschöpft, dass sie kein Wort mehr herauskriegt, und die Tränen sind auch versiegt.
Bin wie ausgetrocknet, denkt sie ironisch. Sie schleppt sich ins Badezimmer, lässt minutenlang kaltes Wasser über ihr vom Weinen verschwollenes Gesicht laufen, und danach betrachtet sie sich forschend im Spiegel.
Wirklich toll siehst du aus, sagt sie zu ihrem Spiegelbild, das ihr blass, verhärmt und mit rot umränderten Augen entgegenstarrt. Wirklich toll siehst du aus! Und warum? Wegen einem, der dein Kind nicht haben will? Das ist doch die älteste Geschichte der Welt und ganz normal. Also stell’ dich nicht so an, lass ihn sausen und mach’ alleine weiter. Was anderes wird dir auch nicht übrig bleiben...
In diesem Augenblick klingelt es an der Tür, und Irma spürt, wie ein Hoffnungsschimmer sie durchzuckt, es ist wie eine elektrische Ladung, die ihr voll durch den Magen geht, eine Ladung, die einen aufputschenden Effekt hat.
Er ist gekommen und will sie holen!
Aber sie wird nicht sofort aufmachen, soll er ruhig noch ein wenig zappeln. Oh Gott, wie sieht sie nur aus, ihre roten Augen... Hastig schminkt sie mit dem Eyeliner eine graue Kontur auf ihre unteren Lider. So müsste es gehen, dann läuft sie zur Tür, atmet tief durch, um ruhig und gelassen zu erscheinen und öffnet die Tür.
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Sie stöhnt unmerklich auf, es ist nicht Chris, sondern ihr bester Freund Ralf, und sie schaut ihn sichtlich enttäuscht an.
Etwas in ihrem Magen kitzelt unangenehm, vielleicht kommt ihr gerade die hoffnungsvolle elektrische Ladung hoch, die sie eben durchzuckt hat – das ist kein nettes Gefühl, und sie hält sich schnell die Hand vor den Mund, bevor sie ins Badezimmer läuft, um sich zu übergeben.
Sie sitzt vor dem Klo und stiert in die Schüssel. Widerlich ist das! Oh Gott, ausgerechnet jetzt muss sie kotzen. Ralf wird sofort merken, dass irgendwas nicht stimmt. Nicht stimmt? Ha, was für eine Untertreibung... Irma setzt sich auf den Badewannenrand und schaut benommen vor sich hin. Dann richtet sie sich auf, greift sich ihr Zahnputzzeug und putzt sich wie besessen die Zähne.
„Das ist ja eine tolle Begrüßung“, sagt Ralf, als sie wenig später im Wohnzimmer erscheint, er sieht ein wenig verunsichert aus.
„Es war nicht für dich gedacht.“ Hach, wie witzig sie doch sein kann. Irma muss lachen, aber ihr Lachen klingt leicht hysterisch. Immerhin hat sie ihren Humor nicht verloren. Nicht wegen dem! Nicht wegen einem, der sie nicht haben will!
„Ich war eben bei Chris.“
„Was?“ Oh nein, schon ist sie wieder verunsichert, und wo ist ihr Humor geblieben? Futsch ist er. Nur durch diese paar Worte: Ich war eben bei Chris.
„Er sah gar nicht gut aus.“
„Das geschieht ihm recht!“ Irma spuckt diese Worte förmlich aus und wendet sich zur Seite, um Ralf nicht anschauen zu müssen..
„Was ist denn los, Irma?“ Ralf tritt einen Schritt auf sie zu, Irma will zurückweichen, aber dann lässt sie es doch zu, dass er sie in den Arm nimmt.
„Ist es das, was ich denke?“
Irma wird steif in seinen Armen. „Was denkst du denn?“, fragt sie schließlich unsicher.
„Ich weiß, wie es schwangeren Frauen manchmal geht, ich habe schließlich eine jüngere Schwester, die auch mal...“
„Ach, halt die Klappe!“ Irma befreit sich unwirsch aus seinen Armen. Soll sie es ihm sagen? Warum eigentlich nicht. Sie will das Kind, sie hat sich entschieden, sie wird es kriegen – und alle werden es erfahren, also warum nicht gleich damit rausrücken.
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..
„Okay, du hast recht!“ Ihre Stimme klingt wütend, und sie fährt verächtlich fort: „Er hat mich angepimpert, mir einen dicken Bauch gemacht, mir einen Braten in die Röhre geschoben. Er hat mich, verdammt noch mal geschwängert. So, jetzt weißt du es! Gibt es sonst noch ähnlich nette Namen dafür? Du musst es doch wissen, du bist doch auch ein Mann!“ Oh je, warum hackt sie auf Ralf herum, er hat ihr doch gar nichts getan.
Ralf schaut sie fassungslos an und überlegt sichtlich. Was wird er wohl von sich geben? Irgendeinen hirnrissigen, oberflächlichen und vor allem männlichen Mist?
„Irma“, sein Blick ist zärtlich, so scheint es ihr. „Du weißt doch, dass ich dich liebe.“
„Nein“, sagt Irma nach einer Weile fassungslos. „Das weiß ich nicht, und ich will es auch gar nicht wissen!“ Warum schreit sie das so heraus? Er hat ihr doch nichts getan.
„Schon gut, Irma. Schon gut.“ Ralf wendet sich ab. „Aber du solltest wissen, dass ich immer für dich da bin. Und wenn Chris das Kind nicht will, dann...“ Er spricht nicht weiter, aber Irma erkennt automatisch, was er meint.
Sie starrt ihn mit verletzten Augen an. Wenn Chris das Kind nicht will... Woher will er das wissen, aber er hat wohl Recht. Chris will das Kind nicht.
„Du spinnst ja“, bringt sie mühsam hervor, während sie wieder spürt, dass ihre Augen feucht werden.
„Überleg’ es dir. Du kannst dich auf mich verlassen.“
Irma starrt ihn immer noch an, sie weiß nicht, was sie sagen soll. Das sind ja ganz neue Aussichten, sie hat keine Ahnung, ob sie ihr gefallen. Und tief im Innersten hat sie das Gefühl, als wäre ihre Freundschaft mit Ralf vorbei, er hat sich zu weit vorgelehnt, hat zu sehr seine Gefühle gezeigt. Und sie kann nicht mit ihm... Nein, das geht nicht, Chris oder keiner, es gibt keine Ausweichmöglichkeiten, keine Freundschaft, die für Liebe ein Ersatz wäre. Aber wie wird Ralf das aufnehmen? So ein Mist!
„Ralf, du weißt doch, dass du mein bester Freund bist.“ Okay, das ist gut gesagt, aber wie weiter? Ralf blickt sie gespannt an, und sie fährt schnell fort: „Und ich will dich nicht verlieren, egal was auch passiert.“
„Du wirst mich nicht verlieren.“ Seine Stimme klingt fest und bestimmt.
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„Ich bin immer für dich da, wir könnten heiraten, und ich würde dich auf Händen tragen. Und das Kind wäre dann eben mein Kind, Irma. Denn ich würde es lieben, weil es deins ist.“
Schön, schön, wunderschön, leider vom falschen Mann gesagt. Irma steht wie verloren da, in ihre Gedanken versunken. Könnte sie mit Ralf zusammensein, falls es zum Äußersten käme, zur totalen Trennung von Chris? Sie kann es immer noch nicht glauben, es ist so falsch, so unwirklich, aber es ist wahr. Er will sie nicht. Ihre Mundwinkel fangen an zu zucken, und sie spürt am Rande ihres Bewusstseins, dass Ralf sie wieder in die Arme nimmt, und automatisch lehnt sie sich an ihn, er scheint im Moment das einzig Unveränderliche in ihrem Leben zu sein, und das ist gut.
Aber sein Körper fühlt sich fremd an, und sein Geruch auch. Nicht dass er unangenehm wäre, aber er weckt nichts in ihr. Könnte sie jemals mit ihm... ins Bett gehen? Seltsame Vorstellung. Er zieht sie körperlich überhaupt nicht an, Okay, im Moment ist die Vorstellung absurd, aber wahrscheinlich wird es auch in Zukunft nicht gehen. Sie ist nicht die richtige Frau für ihn, er hat eine Bessere verdient, eine, die ihn wirklich liebt und nicht eine, die sich nach einem anderen Kerl verzehrt. Vielleicht sollte sie mal gezielt nach einer Frau für ihn Ausschau halten. Ja wo denn? In der Entbindungsstation? Und schon ist sie wieder voll in ihrem Elend.
Irma stöhnt auf und löst sich sachte aus seiner Umarmung. „Ach Ralf, ich weiß nicht, ich bin so kaputt im Augenblick. Ich will erst mal abwarten. Und du solltest mich jetzt besser alleine lassen, ich bin eine Zumutung für jedermann...“ Schön gesagt, schön abgelenkt, du willst ihn doch nur loswerden, du wartest doch nur darauf, dass Chris dich anruft und dich um Verzeihung bittet. Aber das wird er wohl nicht tun. Oder doch? Vielleicht sollte sie noch mal bei ihm vorbeigehen und versuchen, mit ihm zu reden... Nein, nein, ihm nachlaufen? Niemals!
Ralf gibt sich mit dieser Aussage zufrieden, und nach einer kurzen Weile geht er tatsächlich, nicht ohne sie vorher zart auf die Wange geküsst zu haben.
Wie bescheiden er doch ist! Das ist nicht richtig. Liebe sollte verlangen können, Liebe sollte Bedingungen stellen, Liebe sollte erobern, und Liebe sollte sich nicht mit Brosamen zufrieden geben.
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Gut, Irma, dann beherzige das doch selber! Chris will dich nicht, und du wirst ihn nicht anbetteln.
Fortsetzung muss, obwohl's so deprimierend ist...
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