Der Himmel war längst dunkel und ich lag wach, die Augen geschlossen. Ich konnte nicht schlafen.
Ich hatte keine Träume mehr.
Aber ich dachte, dies könne doch nicht sein. In meinem Kopf suchte ich und ich fand nichts. Nichts blieb hängen, nichts brachte mich in den Traum, den ich brauchte um einschlafen zu können.
Doch so ist es nicht. Ich habe genug Träume, sagte ich mir.
Träume von einst. Meinem anderen Leben. Damals, als ich noch ausritt mit dem Pferd. Bei Nebel, im Morgengrauen.
Da sah ich sie oft, drüben, hinter dem Zaun, in Nachbars Garten. Da saß sie auf der Schaukel. Den Kopf vorn übergebeugt, die Augen auf ihre Füße gerichtet, die sanft hin und her schaukelnd über das Gras strichen.
Ihre langen Haare, dieses schwarze lange Haar, verbargen ihr Gesicht. Doch ich wusste, sie sieht auf ihre Schuhe. Und wie ihre Haare über ihren Schoß tanzten, einer Trauerweide gleich. Ich liebte diesen Anblick. Im Geiste machte ich Bilder und brannte sie in meine Erinnerung. Ich spürte es. Ich spürte einfach, dass sie sich wünschte, ihre Füße wären nackt und würden über das Gras gleiten, alle Tautropfen einsammeln.
Ich ritt vorüber.
Aber unter einer Eiche, im Dunkeln verborgen, blieb ich stehen und schaute ihr zu. Ihr Anblick hatte etwas Beruhigendes. Und obwohl sie mir so nah war, wirkte sie mir fremd und unnahbar. Aber das war sie. Unnahbar.
Ich wusste, sie würde mich, wenn sie mich offiziell jemals treffen würde, freundlich und zurückhaltend begrüßen. Und ihre Augen würden geschlossen sein, wenngleich sie mich anblickten. Sie würde aus Scham verstecken, wer sie ist. Ganz sicher glaubte ich, sie hielte sich für etwas Anderes. Und dieses sei nicht liebenswürdig. Aber sie wusste nicht, wie sie aussieht, morgens im nassen Gras, mit den offenen Haaren und dem weißen Nachthemd.
Und wie ich sie betrachtete, hatte ich in keinem Moment das Bedürfnis dieses Bild zu stören. Alles, alles wäre ein Störfaktor gewesen. Ich konnte mich dort nicht vorstellen. Nicht neben ihr. Nicht hinter der Schaukel. Meine Rolle in diesem Bild existierte nicht. Ich würde die Schaukel anschucken. Aber es würde einen Riss in dem Moment machen, den ich selbst nicht wollen würde.
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Ich sah mich auch nicht im Gras, denn das würde die Unendlichkeit zerstören, den ihre Füße verlangten. Nicht mal eine Jacke würde ich über ihre Schultern legen können, denn das würde sie erschweren. Und auch ihr Haar braucht diese Leichtigkeit, sich dem Wind hinzugeben. Ihre Gedanken hinaus fließen zu lassen in den stummen Morgen, grau und frisch.
Ich kannte sie nicht. Ich stand nur da, unter dem Baum und sah sie an.
Jeden Morgen. Und sie wusste es nicht. Und ich wusste nicht, ob ich sie jemals treffen würde und ob ich dies auch wollte. Jedes Wort würde dieses Bild zerstören und den Moment brechen.
Und wie ich so stand, unter der Eiche, auf meinem Pferd. Und sie wie ein malerisches Werk betrachtete, sah sie auf. Und ich sah das erste Mal ihre Augen.
Kalt, blau, hell und so klar. Und wie ich sie noch überrascht anblickte, öffnete sie ihre Lippen und sprach meinen Namen.
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