Romane/Serien · Schauriges

Von:    Shannon O'Hara      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 7. November 2009
Bei Webstories eingestellt: 7. November 2009
Anzahl gesehen: 2971
Seiten: 10

Ich schaue auf den Kalender, spüre, wie ein leichtes Lächeln meine Mundwinkel verschiebt.

Heute ist der 12. Juli, und sicherlich wird heute wieder eine Einladung, allen Hindernissen zum Trotz, den Weg zu mir finden.

In meinem Inneren dehnt sich bereits die lieb gewonnene Anspannung aus. Genüsslich lehne ich mich in meinem Stuhl zurück, erinnere mich der ersten Einladung.

Sie hatte mich in Jerusalem erreicht, wo ich mich nach einer sehr strapaziösen Anreise aufhielt.

Ich versah damals als kleiner, wissensdurstiger Mönch in Köln meinen Dienst, als die Nachricht durch die Lande ging, Papst Urban II hätte eine eindrucksvolle Rede vor der Menge gehalten. Er habe von den Leiden der Christen im Osten berichtet und aufgerufen, die heiligen Stätten zu befreien.

Die Euphorie zog über das Land, begeisterte Reich und Arm - und mich.

Ein Kreuzzug! Im Zeichen des Kreuzes seinen Dienst nicht hinter dicken Klostermauern sondern auf dem Feld, Aug’ in Aug’ mit dem Christenfeind verrichten, neue Länder sehen, interessante Menschen kennen lernen!

Meine Phantasie uferte aus und ehe ich mich versah, hatte ich mich im Frühjahr dem Tross angeschlossen.

Wer nicht dabei gewesen war, kann sich das heillose Durcheinander in so einem Zug nicht vorstellen!

Quer durch alle Schichten fanden sich Teilnehmer. Edelleute hoch zu Ross, Marketender und Handwerker mit ihren Wagen, Bauersleute, Strauchdiebe und Arme zu Fuß. Die Geistlichkeit, einbezogen auch meine Person, fehlte ebenso wenig wie leichte Damen.

Jene machten mir manche Etappe zur Qual.

Bieten Männer in Kutten ein besonders reizvolles Ziel für weibliche Annäherung und sexuelle Verlockung?

Ich hatte meine liebe Müh’, mich der Damen zu erwehren.

Allerdings weckten ihre Reize unleugbares Verlangen in mir. Schließlich stand ich mit meinen knapp dreißig Jahren noch in Saft und Kraft.

Als wir durch das Königreich Ungarn zogen, konnte ich Verlangen und Lust nicht mehr eindämmen. Ich schaffte es allerdings, mir Genuss und Erleichterung nicht innerhalb des Zuges zu holen.

Es war eine seltsame Begebenheit.

Ich verließ den Zug, mich bei zwei Frauen, die Unkräuter auf einem Feld entfernten, nach Nahrungsmitteln zu erkundigen.
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Die Blicke, die sie mir zuwarfen, zeugten weder von Angst noch Abwehr. In ihren Augen blitzten dieselben Funken wie bei den Damen des Zuges.

Lachend nahmen sie mich bei den Händen, zogen mich sanft in eine Scheune. Mein kurzes Verharren ob der Verwunderung, hatten die beiden entweder nicht wahrgenommen oder sie wollten nicht darauf eingehen.

Niemals zuvor hatte ich so viele streichelnde Hände auf meinem Körper, die Stellen reizten, von denen ich nichts ahnte. Niemals wieder sollte ich so kühle Zungen auf meiner Haut spüren, die mich aufstöhnen und mich winden ließen.

Ich hatte den Eindruck, nicht mehr von dieser Welt zu sein.

Die beiden Frauen mussten Engel sein, ausgesandt vom Herrn persönlich, mir für irgendetwas zu danken, oder sich meiner für alle Zukunft zu sichern!

Ich hatte seinen Namen auf den Lippen, als die beiden mich auf den höchsten Gipfel meines Lebens schickten.

Die eine hatte sich rittlings auf meine Hüfte gesetzt, bewegte sich zuerst mit langsamen, dann immer schneller werdenden Bewegungen. Ich hob ihr mein Becken entgegen und genoss die steigende Flut.

Die Zweite hatte sich über meine Brust gebeugt. Ihr langes, gelöstes Haar streichelte mich. Ihre erhitzte Zunge schien glühende Striemen auf meiner Brust zu hinterlassen. Sie bewegte sich auf meine Schulter zu, kitzelte meine Halsseite mit ihrer Zungenspitze, knabberte an Ohrläppchen und Hals.

Der Ritt der Ersten wurde heftiger. Ich spürte die Welle der Lust auf den Zenit zustreben, stöhnte den beiden mein Verlangen entgegen. Die Zweite nahm meine Brustwarze zwischen ihre Finger. Sie drückte zu und biss mir gleichzeitig in den Hals.

In dem Augenblick schlug die Welle über mir zusammen.

Alle Begriffe des Frohlockens, die mein christlicher Geist ersinnen konnte, perlten über meine Lippen und tanzten im einfallenden Sonnenlicht unter der Scheunendecke. Eingebunden in den moralischen Gefängnissen dicker Klostermauern, hatte ich bisher sehr selten den Genuss körperlicher Liebe wahrgenommen.

Und ich bereute.

Niemals zuvor habe ich so sehr bereut, wie in diesem Moment, als ich am ganzen Körper bebend, schwer nach Atem ringend im Stroh lag und die Lichtspiele unter den Holzschindeln betrachtete.

Ich bereute, diese Wonne des Lebens nicht wertgeschätzt zu haben.
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Die beiden Frauen begleiteten mich zum Zug, der sich immer noch an ihrem Feld vorbei bewegte, gaben mir Getreide und Brote mit.

Immer wieder musste ich an die beiden denken, und mit jedem Rückblick schwoll die geistige und körperliche Lust ins Unermessliche. Aber ich blieb meiner Ansicht treu, den Dienst mit der Kutte im Kreuzzug nicht mit meinen fleischlichen Gelüsten zu verbinden.

Endlich erreichten wir Konstantinopel.

Meine Lust, schon Gier zu nennen, war unerträglich geworden.

Ich verschwand in den Straßen der Stadt, suchte, was die Ungarinnen mir gegeben hatten: Ekstatische Befriedigung mit dem Biss in die Halsseite.

Ich fand die erste Frau, die bereit war, mir in eine dämmrige Seitenstraße zu folgen. Lange erhoffte ich eine Wiederholung des Erlebnisses aus der Scheune, doch sie gab mir nicht im Entferntesten jene Glücksmomente.

In mir stieg die Glut. Ich schrie nach Linderung dieses brennenden Verlangens und biss ihr in die Halsseite.

Mein gieriges Aufschlecken des roten Saftes schien ihr anfangs zu missfallen. Mir wurde es einerlei, denn ich verspürte eine Milderung der Gelüste, spürte wieder das Ansteigen der mitreißenden Flut. Genau dies war das ersehnte Gefühl!

Ich erlebte Linderung in meinen Lenden, Sättigung in meinem Inneren. Ich gab dieser Frau und später weiteren meinen Saft und saugte ihren aus den kleinen Einstichstellen am Hals.

Oh Gott Vater, es gibt etwas Besseres als den Himmel!

Wir zogen weiter und ich befriedigte meine Gier, wo immer sich mir am Wegrand die Gelegenheit bot. Niemals zuvor hatte ich so viel Lebendigkeit und Kraft in mir verspürt. Ich meinte, fliegen zu können.

Im Oktober näherten wir uns der Stadt Nicäa.

Truppen der Seldschuken fielen über uns her, metzelten nieder, was nicht schnell genug flüchtete oder nach einer Waffe griff. Ein Blutbad tränkte nach kürzester Zeit den durch den Tross geschlagenen Weg. Auch ich gab meinen Teil dazu.

Aus einer klaffenden Wunde an meiner Seite quoll bei jedem Herzschlag das warme Lebenselixier, versickerte kaum beachtet im Erdreich.

Als ich starb, dachte ich an die beiden Ungarinnen.

Ich glaube, ich ging lächelnd den Weg zur letzten Pforte.
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Ich kam nicht an. Ich sollte niemals dort ankommen!

Die Sonne sank bereits, als ich meine Augen aufschlug.

Ich lag noch immer auf dem Weg, erkannte um mich herum unter Fliegen- und Vogelschwärmen die Leichen meiner Mitreisenden.

Angeekelt und erschrocken wich ich zurück.

Ich tastete nach der Wunde in meiner Seite, stellte fest, dass sie narbenfrei verheilt war.

Wie konnte das sein?

Ein Stoßseufzer und ein dankbarer Blick flogen in den Himmel.

Ich sammelte meine Habe zusammen und schloss mich den Verbliebenen an, die sich zurück nach Konstantinopel bewegten. Hier wollten wir auf nachrückende Kreuzzügler warten und mit ihnen gemeinsam die letzten Etappen nach Jerusalem nehmen, das wir nach vielen Strapazen endlich am 15. Juli 1099 einnahmen und im Sinne Papst Urbans reinigten.

Am 12. Juli 1100 erreichte mich dort die erste Einladung:

„Geliebte Brüder und Schwestern, wieder schließt sich der Kreis. Wieder wollen wir uns treffen und Erfahrungen und Wissen austauschen. Diesmal werden wir uns zu Samhain in Rom treffen. Ich wünsche allen eine gute und sichere Anreise.“

Ich dachte an ein Missverständnis, legte das Pergament beiseite und widmete mich wieder meinen Studien. Doch ließen mich die Worte nicht mehr los. Sie drängten mich, meine Sachen zu packen und nach Rom einzuschiffen.

Müde und seekrank nach einer stürmischen Herbstpassage erreichte ich die Papststadt, durchwanderte sie tagelang, wartete auf weitere Instruktionen, die nicht kamen.

Am Abend des Treffens hatte ich eine wunderbare Zeit mit einer jungen Italienerin. Ich spürte gleich nach der Vereinigung, dass sie mir mit ihrem warmen Blut Kraft und Lebensfreude schenken würde.

Beschwingt wollte ich meinen Weg zurück einschlagen, als meine Füße eine andere Richtung wählten. Verwirrt ließ ich ihnen ihren Willen, erreichte ein großes Anwesen außerhalb der Stadtmauern und wurde herzlich empfangen.

Ich erlebte wunderbare Stunden mit außerordentlichen Menschen. Stilvolle Unterhaltungen, anregende Gespräche, wissenswerte Anschauungen. Hatte ich gerade meinen Leib befriedigt, erfuhr ich hier eine geistige Befriedigung und Reizung, die ihresgleichen suchte.
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Ich traf auch jene Zwei aus dem Königreich Ungarn wieder.

„Ist dir klar, warum wir dich nahmen und dir diese Existenz gaben?“

Die Zweite schaute mich starr an, während sie antwortete.

„Wir hassen alles, was du mit deiner Kutte und dem Kreuz auf deiner Brust dargestellt hast. Hassen eure Überheblichkeit, euren Machtmissbrauch, eure Habgier, eure Verlogenheit. Hassen euch, ob der Gräueltaten, der Verfolgungen, die ihr unter dem Zeichen des Kreuzes, selbst gestohlen, tätigt.“

Was meint sie mit „gestohlenem Kreuz“?

Die Tatsache, dass die römisch-katholische Kirche das Kreuz als IHR Symbol für den einzig wahren Glauben darstellt, wissend, dass es ein archaisches, und vor allem heidnisches Symbol ist?

Ihre Augen schossen Pfeile.

„Warum habt ihr mich nicht getötet?“

Die Erste lächelte mich verführerisch an, streichelte sanft mit einem Finger meine Wange.

„Du wirst lernen, sehen, erkennen und verstehen.“

Nachdenklich, aber bereits ahnend, stand ich allein am großen Fenster des Ballsaales.

Als die Dämmerung aufzog, der Kreis sich aufhob, schlich ich mit gesenktem Kopf und zutiefst trauernd zu meiner Unterkunft. Bereits jetzt dehnte sich eine Sehnsucht in meinem Inneren aus, die sich brennend in meiner Seele verewigte.

100 Jahre sollten vergehen, bis ich an einem 12. Juli erneut eine Einladung erhielt.

100 Jahre, in denen ich als immerwährend 30-Jähriger meine in Jerusalem begonnenen Studien in Theologie und Rechtswissenschaften fortsetzte, mal in jener, mal in einer anderen Ecke Roms lebte und in der ich mit jedem Umzug meinen Namen wechselte. Aus Theodor wurde über die Jahre ein Meister mit Farbtiegel und Schminkstift, musste ich mich doch entsprechend des Alters zumindest im Gesicht und an den Händen anpassen.

Als Lando de Sezze beendete ich meine Studien und bestieg die Leiter der klerikalen Hierarchie, bis Gegenpapst Victor IV mich zum Kardinal ernannte.

Aufmerksam verfolgte ich die politischen Winkelzüge, amüsierte mich und erlebte gleichzeitig intensive Wutausbrüche über das durchsichtige Intrigenspiel der weltlichen und kirchlichen Machtzentren. Wenn Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III ihr kleinkindliches Geplänkel ausleben wollten, sollten sie das tun.
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In einer verdunkelten Sakristei oder in einer erhellten Krypta, aber nicht auf dem offenen Parkett!

Ich brauchte Abstand und reiste nach Palumbara in Süditalien. Hier wurde ich nach dem Tod Victors zum Gegenpapst gewählt und wechselte erneut meinen Namen. Diesmal in „Innozenz III“.

Bei dem Namen muss ich immer noch grinsen.

„Der Unschuldige“.

Nun ja, im Vergleich zu jenen, die noch folgen sollten, war ich selbst mit meinen etwas skurrilen Neigungen „unschuldig“ zu nennen.

Mir blieb nicht viel Zeit vergönnt, mich in irgendeiner Form schuldig zu machen. Ich sollte nur knapp vier Monate die Gegentiara tragen. Dann fußte die bereits 1177 geschlossene Friedensvereinbarung zur Abschaffung des Schismas.

Alexander III ließ mich inhaftieren und verurteilte mich, im Kloster La Cava eine lebenslange Haft abzusitzen.

Wunderbar, tolle Aussichten für einen wie mich!

Gedacht, niemals ausgesprochen.

Die Zeit der Scheiterhaufen sollte noch kommen.

In den Analen ist eingegangen, dass Todestag und genaue Umstände unbekannt sind.

Wer die Hebel der Macht in der Hand hat, kann sich eben seiner Schergen vorbehaltlos bedienen. Nicht wahr, Alexander?

Um meine Mitbrüder tut es mir leid, die genötigt wurden, einen Papst, immerhin ein gewähltes Oberhaupt der Kirche, hinterrücks zu ermorden und sich seiner Leiche im tosenden Meer zu entledigen.

Ohne überheblich wirken zu wollen, muss ich zugeben, dass mir meine Art der Rache mehr zusagt.

Keiner konnte die Spuren zu dem kleinen Mönch namens Filippo zurückverfolgen, als Alexander seines Amtes enthoben, ins Exil nach Civita Castellana gebracht wurde und dort an Blutarmut und Wundinfekten in der Halsgegend verstarb. Auch, dass das römische Volk seine überführten Gebeine verhöhnte und seine Grabstätte schändete, konnte Filippo nicht angelastet werden.

Eine nette Geschichte zum Ende des Jahrhunderts, die auf dem nächsten Treffen alle Umstehenden amüsierte.

Und bald steht wieder ein Treffen an.

Wohin würde ich diesmal reisen?

Die freudige Spannung hebt meine Stimmung. Die Erinnerungen haben Schranken durchbrochen und nicht nur gute Zeiten aufleben lassen.
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Zwischenzeitlich hatte ich sehr gelitten, hatte ich das Schicksal verflucht, mich damals in die Scheune in Ungarn gehen zu lassen.

Ein ganz schreckliches Erlebnis war die Hinrichtung meines Freundes Jan Hus.

Wir waren uns 1409 an der Prager Universität begegnet, wo er das Amt des Rektors inne hatte und als Professor der Theologie und Philosophie lehrte.

Er vermittelte mir die Lehre des Oxforder Theologen John Wyclif, kritisierte auf das Schärfste die Institution Kirche bezüglich ihrer Habsucht, Lasterhaftigkeit und weltlichen Besitztümer.

Als Jan den Irrwitz der Unfehlbarkeit des Papstes und seine Erläuterungen der Prädestination in die Waagschale unserer beginnenden Freundschaft warf, hatte er endgültig gesiegt.

Er goss Öl auf meine Glut.

Gemeinsam rührten wir in Wunden, rebellierten gegen die Regeln des Klerus. Gemeinsam brachen wir auf, als Jan vor das Konstanzer Konzil zitiert wurde. Ein von König Sigismund ausgestellter Geleitbrief wurde allerdings für nichtig erklärt und Jan gefangen genommen. Mir gelang die Flucht.

Was ihm in den folgenden Wochen und Monaten an Folter widerfuhr, entnahm ich Jahrhunderte später den Aufzeichnungen und mir verkrampft sich noch heute das Herz.

Ich habe kurz vor seiner Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen einen Brief erhalten in dem er schrieb:

„Das aber erfüllt mich mit Freude, daß sie meine Bücher doch haben lesen müssen, worin ihre Bosheit geoffenbart wird. Ich weiß auch, daß sie meine Schriften fleißiger gelesen haben als die Heilige Schrift, weil sie in ihnen Irrlehren zu finden wünschten.“

Bei all dem, was Jan widerfahren war, hat mich König Sigismund, Regent über Deutschland und Ungarn, beeindruckt. Er hatte gedroht, das Konzil zu verlassen, sollte sein Wort Jan gegenüber nicht eingehalten werden. Innen- und außenpolitische Zwänge ließen allerdings nicht zu, dass das Konzil zusammen brach. Sigismund benötigte die Unterstützung Roms gegen die Bedrohung der Osmanen an der Ostgrenze des Reiches. Dazu hatte er den Drachenorden gegründet.

Eine mir unbekannte Macht drängte mich, in den Dienst des Königs zu treten. War es die Erinnerung an eine ungarische Scheune? Waren es die Äußerungen der beiden Ungarinnen bei meiner ersten Zusammenkunft mit den anderen?

Sicherlich würde es in der Auseinandersetzung mit den Osmanen viel zu sehen, zu lernen, zu erkennen geben.
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Hier trafen zwei Machtzentren aufeinander: die Heilige Katholische Kirche und die Glaubenslehren Mohammeds. Jede verbreitet unter Andersgläubigen mit der Kraft des Schwertes!



Bei Hofe lernte ich unter anderem Vlad II Dracul kennen. Den Beinamen hatte er im Rahmen seiner Aufnahme in den Drachenorden erhalten und später an seinen Sohn Vlad III Draculae weiter gereicht.

Ich lernte den jungen Mann 1449 in seiner Heimatstadt Schäßburg kennen. Er war gerade aus einer Geiselhaft aus dem Osmanischen Reich zurückgekehrt, in die sein Vater ihn und seinen Bruder gelotst hatte, seine eigene Haut zu retten.

Väter gibt’s, unfassbar!

Er hatte um ein Gespräch mit einem Geistlichen gebeten und erzählte mir von seinem Vater, dessen eisernem Willen, die Ausdehnung des Osmanischen Reiches und damit den vermeintlichen Verfall der römisch-katholischen Kirche zu verhindern.

Ich kann auch heute noch nicht sagen, was ihn bewogen hat, derartig heftig gegen das vorrückende Türkenheer unter Mehmed II vorzugehen, aber schon allein seine Planung, seine Energie, seine Aura ließen nicht zu, dass ich mich von diesem Menschen abwandte.

Er zog mich in seinen Bann, zog mich bei seinen strategischen Planungen hinzu.

Er zog mich mit in diese Schlacht.

Ich habe im Laufe meines langen Lebens viele Schlachten erlebt, aber keine war so schrecklich und grausam wie diese.

Keine war allerdings von solch durchschlagendem Erfolg.

Vlad ritt mit verhältnismäßig wenigen Männern einem zehntausend Mann starken Heer der Osmanen entgegen. Im Morgengrauen überwältigte er den Vortrupp, ließ alle Türken auf Pfähle spießen und zog sich zurück.

Als das Hauptheer sich dem Feld der Gepfählten näherte, begrüßten sie bereits kraftlos gewordene Schreie und schweres Stöhnen der sterbenden Kameraden. Das Entsetzen stand den Osmanen in den Gesichtern geschrieben.

Niemals zuvor hatte ein Christ gewagt, diese osmanische Foltermethode anzuwenden.
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Die folgende Schlacht war grausam und von Hass gepeitscht.

Irgendwann fiel auch Vlad unter der scharfen Klinge eines türkischen Krummsäbels.

Ich wollte nicht wieder einen guten Freund verlieren, einen aufrechten Mann, der seiner Attitüde treu blieb, auch wenn die Gegebenheiten dagegen sprechen sollten.

Er hatte mir mit solcher Deutlichkeit vor Augen geführt, wie wichtig es ist, ein Ziel zu verfolgen. Ich war überzeugt in den Dienst der Kirche eingetreten, hatte ihre Prinzipien und Dogmen in Ehren gehalten. Selbst, als ich zu meinem ersten und einzigen Kreuzzug aufbrach, war ich überzeugt gewesen, das Rechte zu tun.

Im Laufe der Jahre bröckelte diese Sicherheit. Immer deutlicher hatte ich Machtmissbrauch und Intrigenspiel hinter dicken Mauern und edlen Roben erkennen müssen.

Auch Vlad kannte diese Missstände. Aber er konnte sie im Inneren des Gebäudes belassen, wo sie hingehörten. Das gläubige Volk benötigte Sicherheit und Führung, welche die römisch-katholische Kirche ihm gab. Um die Missstände sollten andere sich bemühen. Das Gute für sein Volk zu bewahren, zu sichern und auszubauen, war seine Maxime und dafür war er auch gewillt, schreckliche Gräueltaten zu begehen.

Als die Türken flohen, als die wenigen Überlebenden auf Seiten der Christenheit sich zurückzogen, suchte ich die sterblichen Überreste Vlads zwischen all den Verwundeten und Sterbenden.

Ich fand ihn, kniete an seiner Seite nieder.

Ein langer Schnitt hatte seine Brust geöffnet. Ich konnte die schwächer werdenden Schläge eines sterbenden Herzens sehen.

Um Fürsprache bittend schaute ich in den Himmel.

Gott Vater, er ist zu gut, zu jung, zu wichtig.

Ich erwartete kein Zeichen des Allmächtigen, beugte mich über den Sterbenden und biss ihm in die Halsseite. Nur wenige Tropfen seines Blutes nahm ich auf. So hatten es mich die Ungarinnen beim letzten Treffen gelehrt.

Angespannt harrte ich an seiner Seite.

Niemals zuvor hatte ich diese Wandlung selber herbeigeführt.

Die starke Blutung aus seiner Brust kam langsam zum Erliegen. Über Stunden der Bewusstlosigkeit schloss sich die klaffende Wunde. Die Sonne neigte sich bereits, als Vlad mit einem tiefen Atemzug das Bewusstsein erlangte.
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Wir rasteten in der Nacht. Im Morgengrauen verabschiedeten wir uns.

Aus der Fremde verfolgte ich sein Tun und war zufrieden. Auch wenn er mit seiner harten Art Kritiker auf den Plan rief, schaffte er innerhalb weniger Jahren, Ruhe und Frieden in der Walachei einkehren zu lassen.

Auch heute noch schätze ich seine klare, direkte Art. Etwas skurril, aber immer deutlich. Wenn ich allein an die Begebenheit mit den drei Abgesandten Mehmed II denke, die in seiner Anwesenheit ihre Turbane nicht abzunehmen gedachten.

Daraufhin ließ er seine Wachen rufen, flüsterte dem Hauptmann eine Order zu und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Wenig später standen sie erneut vor ihm. Dünne Blutfäden zeichneten Spuren auf Schläfen und Stirn. Vlad lächelte die drei an und meinte: „Nun braucht ihr euch nicht mehr zu entschuldigen, dass ihr eure Häupter nicht entblößen könnt.“

Die Wachhabenden hatten jedem einen dicken Nagel durch den Schädel geschlagen, der den Turban anheftete.

Ich erinnere mich auch gern unserer Gespräche bei den Treffen des Kreises und amüsiere mich immer wieder darüber, dass Bram Stoker, ein hervorragender irischer Schriftsteller, gerade meinen Freund und Bruder Vlad III Draculae als Titelfigur seiner Vampirgeschichten auswählte.

Ein zaghaftes Klopfen an der Tür meines Dienstzimmers reißt mich aus den Erinnerungen.

Beim Öffnen erhasche ich einen Blick auf die beiden Wachhabenden in blau-gelb-roten, altertümlich wirkenden Uniformen. Die Hellebarden aufgestellt, damit der livrierte Diener eintreten kann.

Mit leisen Schritten tritt er auf den Schreibtisch zu.

„Dieses Pergament wurde soeben für Euch abgegeben, Hochwürden.“

Grinsend lese ich Titel und Namen. Den wievielten?
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Kommentare zur Story:

  Ich kann den anderen nur zustimmen. Brillanter Schreibstil, eine Story so spannend und so grausam, wie es Vampire eben sind. Wobei ich sagen muss, der vampirische Protagonist selbst, ist gar nicht mal so grausam. Erotik hätte nach meinem Geschmack ruhig ein bisschen mehr dabei sein können.
Aber Jochen...noch einmal "blau" sieht doch hässlich aus. Wenn du wenigsten grün genommen hättest, wie jetzt ich:))  
   Petra  -  09.11.09 16:31

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  Oho, auf wen oder was magst du hier wohl anspielen? Ja,ja, wer weiß schon wieviele Vampire inzwischen unter uns herum laufen. War übrigens sehr sinnlich die Szene, wie die beiden ungarischen Mädels den ahnungslosen Mönch vernascht und damit auch ihre "Pflicht" getan haben.*grins*  
   Jochen  -  09.11.09 12:51

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  Ich danke euch beiden für eure Rückmeldungen :)
Er muss ja auch nicht sympathisch wirken, doska. Der arme Kerl hat sich vor vielen Jahrhunderten in den Dienst der katholischen Kirche gestellt und musst am eigenen Leib erkennen, welch Lug und Trug vielfach hinter diesen dicken Mauern herrscht. Trotzdem bleibt er dem Klerus treu. Zumindest vordergründig. Er führt seit Jahrhunderten ein Doppel-, oder Mehrfachleben in vielen Bereichen.

Liebe Grüße an alle,


Shan  
   Shannon O'Hara  -  08.11.09 20:32

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  Ich kann nur Rosmarin zustimmen. Schöne Sprache, toller Schreibstil und du hast dir eine Heidenarbeit gemacht , dem Leser ein Stück Geschichte nahe zu bringen - ganz mit den Augen eines Vampirs betrachtet. Sehr grausam das Meiste. Nein, sympatisch erscheint mir dein Vampir nicht, so, in seinem Denken. Aber so sind vielleicht Vampire? Wer weiß es?*schmunzel*  
   doska  -  07.11.09 21:49

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  ach, ja, vampir müsste man sein, was verpasst man nicht alles als normal sterbliche(r).
schöne sprache, flüssiger stil.
gruß von  
   rosmarin  -  07.11.09 17:54

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Kleine Meerjungfrau" zu "Bah, Ekelattacke"

Muahhhh, bah, widerlich, ekelhaft... Wie kommt man denn auf soetwas?? Da hast du dich aber geekelt an dem Tag, oder? Und du steckst die anderen damit an. Auch wenn der Inhalt fies ist, ein gelungener ...

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