Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    jo Lepies      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 18. Juni 2008
Bei Webstories eingestellt: 18. Juni 2008
Anzahl gesehen: 1815
Seiten: 2

Gerd war einem unbestimmten Drang gefolgt, als er nach Jahrzehnten das Flüsschen Hörsel, im Thüringischen, noch einmal besuchte. Das Wasser der Hörsel war wieder klar und hell, schnellte aber immer noch rauschend und mit weißen Krönchen auf den Wellenkämmen durch das flache, steinige Flussbett.



Die Gluthitze treibt mich noch in den Wahnsinn. Und jetzt ist noch nicht einmal Mittag. Ein guter Grund, unter der Straßenbrücke erst einmal zu rasten. Als kleines Kind saß ich hier oft, hing meinen Träumen nach oder weinte ein paar Tränen.

Ja die Mama ... Ist schon lange im Himmel ... War eigentlich nur meine Pflegemutter. Meine richtige Mutter, die Mutti, musste arbeiten. Lebt auch schon lange nicht mehr. Sicher sind die beiden jetzt wunderschöne Engel mit großen weißen Flügeln. Schauen vom Himmel auf mich herab und passen auf, dass mir auch künftig nichts Böses geschieht. Und Vater – den hat ‘s gleich in den ersten Kriegstagen erwischt.

An Spätnachmittagen, wie heute, war Mama im Garten. Keine zierliche Frau, eher stämmig. Kam vom Land, aus einem Dorf in Niedersachsen. Mit durchgedrückten Knien jätete sie Unkraut oder pflückte Erdbeeren, schöpfte Wasser mit der Schwengelpumpe, goss Gemüsebeete, Blumen und gab dann noch den Kaninchen im Stall unter dem Holunderbaum frisches Futter.

Aber wie waren doch ihre Worte gewesen, als ich einmal von einem Freibadbesuch erzählte? Feigling ...! Sie hatte gut reden. Ich konnte doch noch nicht schwimmen. Was sollte ich da im Wasser? Vom dem wusste ich nur eines: Reinfallen, untergehen und ertrinken. Meine Angst vor Wasser war damals so groß wie das Freibad selbst.

Als Mutti mich dann zu sich nahm, lebten wir in einer anderen Stadt. Da hätte mich die Mama mal sehen sollen. Inzwischen war ich nämlich im Schwimmverein. Sprang vom Fünf-Meter-Brett und war auch Rettungsschwimmer geworden. Könnte heute noch Leben retten. Von wegen Feigling ... Trotzdem, Angst habe ich immer noch. Vorm Wasser ganz bestimmt nicht.

Auch ein späteres Judotraining konnte mich nicht von Angst befreien. Nicht mal Milderung war zu spüren, obwohl ich schon bald in dieser Sportart sehr erfolgreich war. Wie Kletten kleben Furcht, Bangen, und auch Kleinmut, immer noch an mir. Deshalb bin ich wahrscheinlich auch ein Einzelgänger.
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Jemand könnte mir ja etwas tun.

Doch Moment mal! Die „Kletten“ sind doch Eigenschaften eines Feiglings. Was bedeutet, dass Mamas Wort „Feigling“ immer noch in mir lebt, trotz vieler sportlicher Erfolge.

Natürlich, so könnte es sein! Mutti ist tot. Das habe ich verstanden. Doch die Mama ...? Auch. Doch wirklich tot war sie für mich nie. Und somit auch nicht der „Feigling“, und ebenso nicht die daran gekoppelten Ängste, vor Menschen, Tieren, Armut, Krankheit und Tod.

Doch die Mama lebt ja nicht mehr. Könnte somit auch nie mehr Feigling sagen. Der Feigling ist ja damals mit ihr gestorben. Dass ich da nicht eher draufgekommen bin.

Wie auch immer. Die Rast unter der alten Straßenbrücke hat mich endlich frei gemacht, von der Angst vor Menschen, Tieren, Armut, Krankheit und Tod. Und das ohne astronomische Kosten für eine Gesprächstherapie bei einem Analytiker.



© 11-2007 joLepies
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Punktestand der Geschichte:   9
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