Selbstgewissheit und Selbstgerechtigkeit hatten es sich gemütlich in ihren vier Wänden eingerichtet. Sie waren sich selbst genug und aus diesem Grunde achteten sie auch darauf, dass niemand ihre Idylle störte.

Eines Tages klopfte es an der Tür und Zweifel begehrte Einlass. Zuerst wollten sie ihn gar nicht hereinlassen, doch da er so sehr hartnäckig war, öffneten sie ihm die Tür.

Zweifel war gekommen, um Unruhe und Zwietracht zu stiften und so fragte er Selbstgewissheit, woher sie denn das Wissen habe, dass sie sich ihrer selbst so sicher sein ließ. Es müsse doch ein über alle Maßen erhabenes Wissen sein, wenn es darüber und daneben keins mehr geben könne. Wie gerne würde er, Zweifel, auch ein bisschen daran teilhaben können, damit er endlich ruhiger und ausgeglichener würde. „Kannst du mich nicht in deine Geheimnisse einweihen“ bedrängte er Selbstgewissheit, „ich verspreche dir auch, dich zukünftig nicht mehr aufzusuchen.“

Schon längst hatten Selbstgewissheit und Selbstgerechtigkeit bereut, Zweifel hereingelassen zu haben, denn er ging ihnen schon gehörig mit seiner Anwesenheit und seinem Gefrage auf die Nerven. Sein Angebot schien ihnen daher außerordentlich verlockend.

So ließ sich Selbstgewissheit herab, mit Zweifel zu sprechen. „Nun, es ist so“, sagte sie, „ich lese die Bücher von denen es heißt, dass darin das neueste Wissen steht, das die meisten glauben, und nach denen sie leben. Wenn alle es glauben und ihr Leben danach ausrichten, kann es nicht falsch sein, und so bin ich mir gewiss, dass ich alles Wichtige weiß. - Ich denke, also bin ich, und außerdem das Richtige, also bin ich mir meiner selbst sicher.“

Zweifel hatte schon mit dieser Antwort gerechnet und da er ein boshaftes Wesen hatte, sprach er: „Schon immer hat sich das, was alle glaubten, in der Zukunft als falsch herausgestellt. Warum sollte das jetzt anders sein?“ Da mischte sich Selbstgerechtigkeit ein. „Weil es die Gerechtigkeit gibt“, rief sie. „Die Gerechtigkeit weiß, was Gut und Böse, richtig und falsch ist. In diesem Haus gibt es nichts Böses und Falsches. Darum ist alles, was hier gedacht und gesagt wird, richtig und gut.“

Jetzt klopfte Gefühl an die Tür, die schon eine Weile gelauscht hatte und empört war, mit keinem Wort erwähnt worden zu sein.
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Ohne auf eine Antwort zu warten, platzte sie herein. „Und ich“, rief sie, „was ist mit mir? *Ich denke, also bin ich*, das soll ja wohl ein Witz sein. *Gut und Böse, Richtig und Falsch*, da habe ich ja wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden. Ohne mich geht gar nichts. Ohne mich könnte man gar nicht denken und wüsste auch nichts über Gut und Böse. Also bin ich doch wohl das Wichtigste in dieser Runde“, schwadronierte sie aufgebracht.

Alle waren ziemlich konsterniert, dass Gefühl sich einfach so eingemischt hatte, doch Zweifel ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und fuhr fort: „Die Dinge ändern sich fortlaufend; das, was man heute für richtig hält, kann morgen schon falsch sein und was für den einen gut ist, hat böse Auswirkungen für den anderen. Ich gebe euch jetzt einmal einen guten Rat“, fügte er listig hinzu. „Um die wirkliche Beschaffenheit von Richtig und Falsch, Gut und Böse zu erkennen, gebt ihr sie mir einfach mit. Ich werde sie so lange befragen, bis sie mir ihr Geheimnis preisgeben. Sobald ihr wieder nach ihnen verlangt, bringe ich sie euch zurück.“

Selbstgerechtigkeit und Selbstgewissheit dachten bei sich, sie könnten es ja einmal auf einen Versuch ankommen lassen und so gingen sie auf seinen Vorschlag ein. Und auch Gefühl hatte das Gefühl, dass hier eine richtige Entscheidung getroffen wurde.



Von diesem Tag an waren Zweifel und Gefühl bei Selbstgewissheit und Selbstgerechtigkeit gern gesehene Gäste, wenn sich auch Selbstgewissheit bald von ihrer Freundin trennte. Nie wieder verlangte sie nach Richtig und Falsch, Gut und Böse.
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