Die Zauberin von Vreen (11. Kapitel und Ende)   326

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Robin van Lindenbergh      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 8. Januar 2008
Bei Webstories eingestellt: 8. Januar 2008
Anzahl gesehen: 2525
Seiten: 23

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


11. Keyla LeFey



Noch 7 Tage bis zum Vollmond



Tyra ritt wie besessen und trieb ihr Renon zur Eile an, sodass das Tier schwer schnaufte. Zauberer auf den Fersen zu haben, von denen sie einer eher töten oder in einen Spriggan verwandeln würde, als ihr das Gold zu überlassen, war nicht gerade die angenehmste Erfahrung ihres Lebens.

Ein winziger Funken Mitleids für die Königin glomm in ihr auf, aber sie löschte ihn sofort wieder. Der arme Leonas würde seine Mutter also verlieren, aber auch das konnte man überleben. War sie nicht das beste Beispiel dafür? Sie erinnerte sich nicht einmal an ihre Mutter. Außerdem – wann hätte sich die Königin jemals um sie gesorgt? Während der Jahre, in denen sie mit Rosaja bettelnd durch die Straßen Kars gezogen war, jedenfalls nicht. Und wo war die angeblich so fürsorgliche Königin gewesen als die anderen Kinder sie mit Steinen und fauligem Obst beworfen und sie davon gejagt hatten? Niemand war je für sie da gewesen – außer natürlich Rosaja.

Wenn sie erst wie verabredet in Dragondal war und der Fremden die Gegenstände übergab – natürlich gegen eine angemessene Belohnung – dann sollte die sich doch Sorgen machen. Dann war das alles nicht mehr ihre Angelegenheit und sie würde sich ein schönes Haus irgendwo im Westen des Landes oder auf einer der kleineren Inseln in der Bucht von Sowl kaufen und dort ein neues Leben anfangen. Dann war sie endlich frei und würde sicher auch bald keinen Gedanken mehr an Pelleas und die anderen beiden verschwenden.

Das Renon preschte unter ein paar tief hängenden Zweigen hindurch und Tyra musste sich vorsehen, dass sie davon nicht vom Rücken des Tieres gefegt wurde. Endlich hatte sie den Wald nun hinter sich und atmete auf. Auf den steinernen Straßen würden die anderen ihre Spuren nicht mehr so einfach verfolgen können, wie auf den schlammigen Waldwegen und außerdem konnte sie das Renon hier noch schneller laufen lassen. In der nächsten Siedlung würde sie das auffällige Tier sowieso verkaufen müssen. Renons – besonders so ein edles Tier wie ihres – waren die Reittiere reicher Leute und kamen hier unten im Süden nur sehr selten vor.

Sie wandte sich noch einmal um, aber von ihren Verfolgern war nichts zu sehen.
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Zum ersten Mal in ihrem Leben schien sie doch ein Glückskind zu sein.

Leider hielt ihr Glück nicht lange an, denn die nächste Siedlung bestand nur aus ein paar Bauernhäusern und sie hätte höchstens einen alten Pari gegen das Renon tauschen können, was keine gute Idee war. Zudem war die Gegend so öde, dass eine Hexe hier auffiel wie ein sechsköpfiger Drachen. Hexen waren sesshaft und zogen gewöhnlich nicht durchs Land. Wenn sie schon das Tier nicht loswerden konnte, dann musste sie zumindest dafür sorgen, dass sie selber so wenig wie möglich von den Bauern beachtet wurde.

Von einer Wäscheleine borgte sie sich ein einfaches, braunes Bauernkleid und führte dann eilig das Tier zum Fluss. Neben ihren schwarzen Togen, waren Hexen dafür bekannt, dass sie sich niemals wuschen. Mit Wasser kam eine Hexe normalerweise nur in Berührung, wenn es regnete oder sie es trank. Rosaja hatte ihr immer eingebläut, dass ihre Magie in jedem ihrer auch noch so feinen Hautschüppchen oder ihrer Haare lag. Mit Wasser, einem der vier heiligen Elemente, etwas davon abzuwaschen, bedeutete den Verlust von Magie. Aber ihre Lehrerin war tot und was hatte es Tyra schon eingebracht, dass sie die Hexe von Kar war? Nichts als Probleme! Sie konnte darauf verzichten, weiterhin Hexe zu bleiben.

Also streifte sie ihre Toga ab und watete langsam in den Fluss. Ein wenig mulmig war ihr ja schon bei dem Gedanken Rosajas Erbe so zu entehren, aber es musste sein. Sie atmete ein letztes Mal durch, bevor sie in den Fluten untertauchte. Prustend kam sie wieder hoch. Widerliches kaltes Zeug dieses Wasser! Hexe oder nicht, baden würde sicher nie zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zählen. Schnell rieb sie ihren Körper mit Seife ab und schaffte es sogar, einige der verfilzten Knoten mit einem Kamm, den sie sich bei den Elfen ausgeborgt hatte, aus ihren Haaren zu bekommen. Hastig zog sie das Bauernkleid über und betrachtete ihr Spiegelbild im Wasser. Beinahe hätte sie sich kaum wieder erkannt. Ihre Haut war gerötet vom Waschen, aber deutlich heller als sie es je gewesen war, ihr immer noch feuchtes Haar hing ihr zum ersten Mal nicht ins Gesicht. Eins musste sie zugeben, das Sehen war so deutlich leichter.

Die Baderei hatte Zeit gekostet, würde aber hoffentlich ihren Zweck erfüllen. Sollten die Bauern denken, was sie wollen, aber an eine durchreisende Hexe würde sich niemand erinnern.
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Sie kletterte wieder auf den Rücken des Renons, das sich inzwischen auch etwas erholt hatte, und trieb es wieder an. In knapp zwei Tagen musste sie die Menschenstadt Dragondal erreichen. Dann galt es nur die Fremde zu finden und sie war alle ihre Sorgen los.



Die Sonne war bereits kurz über dem Horizont und die Monde begannen den Himmel zu erklimmen. Beide waren fast voll, in einer Woche war es für Charis für immer zu spät und von sie würden noch zweieinhalb Tage bis Dragondal, um das Sonnenfeuer der Menschen zu holen, und drei bis zurück zur Hauptstadt brauchen. Auch, ohne dass sie Tyra suchen und die anderen Gegenstände zurückholen mussten, wurde die Zeit knapp.

Fiora hielt schützend die Hand über die Augen, um sie vor den letzten Sonnenstrahlen abzuschirmen, und endlich sah sie einen dunklen Punkt am Himmel, der langsam größer wurde. Wenige Augenblicke später landete der Falke vor ihnen und Leonas erschien.

„Ich kann sie nirgends entdecken“, berichtete er. „Ich habe sogar ein paar Bauern nach ihr gefragt, aber niemand hat eine Hexe gesehen.“ Er fluchte leise.

Pelleas hatte seit ihrer fluchtartigen Abreise aus Tulippa kaum etwas gesagt und seit sie Tyras Spur verloren hatten, war der Zorn, der ihn bisher angetrieben hatte, Verzweifelung gewichen. Er hatte sein Volk, seinen Vater, seine besten Freunde und die Königin enttäuscht, alles war seine Schuld.

Es war unglaublich, welche Veränderung mit dem Kobold vorgegangen war. Kein auch noch so mächtiger Verwandlungszauber hätte ihn jemals so ändern können. Fiora konnte es kaum glauben, das war nicht der Zauberer, der Freund, den sie kennen und schätzen gelernt hatte. Der Pelleas von Edyn, den sie kannte, hatte sich noch von keiner noch so schwierigen Situation unterkriegen lassen, das wusste sie selbst mit ihrer löcherigen Erinnerung.

„Pelleas“, versuchte sie es, „du hast doch behauptet, dass du spürst, wo das Gold ist.“

„Nicht mehr, es ist weg“, antwortete er resignierend.

„Dann lassen wir diese kleine, miese Hexe einfach so entkommen und Charis sterben?“ Das konnte nicht sein Ernst sein und er war ihre letzte Hoffnung.

„Und was soll ich wohl dagegen tun?“ fuhr er sie böse an.
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Ein allerletzter Ausweg blieb noch.

„Ich frage mich“, fing Fiora an, „was Jasmina und die Elfen dazu sagen, wenn sie davon erfahren. Wahrscheinlich werden sie sich krumm und schief lachen, sobald sie herausfinden, dass eine einfache Stadthexe damit davonkommt den großen Zauberer der Kobolde ausgetrickst zu haben. Oder was meinst du, Leonas?“ Sie sah ihn auffordernd an und hoffte, er würde begreifen, was sie vorhatte.

Er verstand es. „In hundert Jahren werden sich die Elfen noch über die Kobolde lustig machen.“

„Na und?“

„Hast du sie auch gehört, Leonas? Als wir die Renons bestiegen haben, hat Jasmina zu Lilie gesagt, dass sie es ja immer gewusst hätte.“

„Nein, das habe ich nicht. Aber als sie meinte, es wäre ja kein Wunder, bei einem Volk, bei dem ein Stück Feuerholz den Zauberer bestimmt. Es wäre ja nur eine Frage der Zeit gewesen bis so etwas geschehen wäre.“

Endlich reagierte Pelleas. Schon die ganze Zeit hatte er seinen Freunden nicht unbeteiligt gelauscht, aber jetzt war Wut in seinen Augen zu erkennen. „Feuerholz, hm? Dieser eingebildeten Sumpfdotterblume werde ich zeigen, wer hier der bessere magische Verteidiger seines Volkes ist.“

Er richtete sich im Sattel auf, sah sich einen Moment suchend um und verharrte dann den Blick nach Nordwesten gerichtet. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht und er gab ohne Vorwarnung seinem Renon die Sporen.

Leonas und Fiora hatten Mühe, schnell auch ihre Reittiere zu besteigen und ihm zu folgen.

„Pelleas, wo reitest du hin?“ rief Fiora ihm nach.

„Zu meinem Gold, nach Westen.“ Er sah sich zu ihr um. „Woher wusstest du?“

Sie lachte. „Ein sehr kluger Zauberer hat mir mal verraten, dass Magie mit Emotionen zusammenhängt und besonders gut funktioniert, wenn man sauer ist.“



Seit zwei Tagen und Nächten war Tyra fast ununterbrochen geritten, denn die Angst hatte sie unablässig vorwärts getrieben. Jetzt konnte sie sich zwar vor Erschöpfung kaum noch im Sattel halten, aber wenigstens hatte sie ihr Ziel erreicht: vor ihr lag Dragondal, die Stadt der Menschen. Hier würde sie hoffentlich die Fremde treffen oder sonst wenigstens einen Hehler finden, der ihr für ihre Schätze einen guten Preis zahlte.
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Sie war sich bewusst, dass es heiße Ware war, wahrscheinlich die heißeste auf der ganzen Insel, aber aus Erfahrung wusste sie, dass es für alles einen Käufer gab, wenn man nur lange genug danach suchte und nicht all zuviel verlangte. Ihr reichten eigentlich 1000 Gramm Drachengold, ein geradezu lächerlicher Preis, aber genug. Sie brauchte doch nur 500 um Treikans Kopfgeld zu bezahlen und den Rest, um ein neues Leben anzufangen.

Die Stadttore wurden soeben geöffnet, als Tyra die Stadt erreichte. Dragondal war reich, das konnte man sehen. Die Menschen hatten mit Fischfang gute Geschäfte gemacht und waren die Handelsmacht in Vreen. Es gab kaum einen Seehandel, der nicht von ihnen kontrolliert und ordentlich besteuert wurde. Da die Könige des Landes seit Jahrhunderten ausnahmslos aus diesem Volk kamen, waren die Menschen an zahlreiche Privilegien gekommen. Trotzdem war dieses Volk nicht unbeliebt in Vreen und hatte es geschafft mit keiner anderen Spezies im ernsthaften Konflikt zu leben.

Für Tyra hatte die Stadt einen ganz entscheidenden Vorteil, denn sie fiel nicht auf. Da es sonst nur wenig Menschen in Vreen gab, hätte sie überall einen bleibenden Eindruck hinterlassen, aber hier war sie nur eine Bäuerin unter vielen. Als erstes fragte sie sich zum Viehmarkt am westlichen Tor durch und verkaufte das Renon zu einem guten Preis an einen der Händler. Jetzt konnte sie sich endlich frei und unbemerkt bewegen und sich auf die Suche nach der Fremden machen. Aber nun hatte sie es ja nicht mehr eilig. Von ihren Verfolgern gab es keine Spur und sie hatte genügend Geld um sich erst einmal richtig satt zu essen und ein paar Stunden in einem richtigen, gemütlichen Bett zu schlafen.



Langsam wurde die Renons müde und verfielen zusehends in einen behäbigen Schritt. Kein Wunder, denn die Tiere hatten sie schon so weit getragen und jetzt hatten sie sie auf ihrem Ritt von Tulippa hierher auch noch besonders angetrieben. Auch Fiora war zum Umfallen müde, aber genauso wenig wie ihre beiden Begleiter wäre sie je auf die Idee gekommen, eine Pause zu machen. Tyras Vorsprung musste inzwischen gewaltig sein und sie konnte nur hoffen, dass Pelleas Recht hatte und sie tatsächlich in Dragondal war. Der Zauberer selbst schien sich dabei zumindest todsicher zu sein.

Liebevoll tätschelte Fiora den Kopf ihrer Stute und reichte ihr einen Würfel Zucker, den sie noch vom Frühstück bei den Kobolden übrig hatte.
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Geschickt nahm ihr das Tier den Brocken mit einem seiner drei Rüssel aus der Hand und führte ihn zum Maul. Ralim war ein gutes Tier, ausdauernd und zahm. Zwischen ihr und Fiora bestand eine Verbindung, denn die Stute schien teilweise bereits zu handeln, bevor ihre Herrin ihr die Befehle dazu gab.

Endlich, als Fiora schon dachte es keine Minute länger im Sattel auszuhalten, sah sie in der Ferne eine große Stadt, die sich an eine lang gestreckte Bucht schmiegte. Dragondal!

Die Menschenstadt hatte wenig mit den Städten der anderen Völker gemeinsam, sondern erinnerte Fiora eher an eine mittelalterliche Siedlung auf der Erde. Fachwerkhäuser und rote Backsteinbauten, Türme und Plätze drängten sich eng aneinander und waren von einer massiven, steinernen Stadtmauer umgeben. Obwohl Fiona immer gedacht hatte, dass sie aus einer solchen Stadt kommen würde, hatte Fiora inzwischen kein bisschen mehr das Gefühl. Vreen war ihre Heimat, der Palast und die Drachenburg ihr Zuhause und Leonas, Charis, König Belyn und die Magier ihre Familie. Fiona war nur eine Illusion gewesen, genauso unecht wie es Pinie der Elf gewesen war, und doch immer noch ein Teil von ihr. Igraines falsche Bilder von Fionas Kindheits- und Jugenderinnerungen spukten ihr noch immer im Kopf herum, gemeinsam mit den Dingen, die sie tatsächlich in den zwei Jahren erlebt hatte. Ihre Freunde, mit denen sie Studentenpartys gefeiert und ein tolles Wochenende in London verbracht hatte, die Hausarbeit, für die sie zwei Tage und Nächte durchgearbeitet hatte, ihre Familie… sie schüttelte den Gedanken ab.

Die Sonne stand bereits hoch am verhangenen Himmel und es war schon lange nicht mehr so warm, wie bei ihrer Ankunft in Vreen. Mittag musste bereits vorbei sein.

Nachdem sie die Renons bei einer der Torwachen gegen ein geringes Entgeld versorgt wussten, betraten sie die Stadt. Fiora fürchtete langsam, Pelleas hätte sich doch getäuscht, denn keine der Wachen am Haupttor konnte sich an eine durchreisende Hexe erinnern und schließlich waren die nichts Alltägliches. Aber, da sie sonst keinen Anhaltspunkt für Tyras Verbleib hatten, die Zeit drängte und sich ihr Freund so sicher schien, folgten sie ihm in das Gewühl der Stadt.
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Nachdem Tyra ein paar Stunden geruht hatte, kaufte sie sich ein Brot, ein wenig Käse und ein besseres Kleid. Die kratzige Wolle des Bauernkleides hatte sie sowieso schon genervt und außerdem sollte die Fremde nicht denken, dass sie es nötig hatte. Sie brauchte eine gute Verhandlungsbasis. Ihr war es eigentlich völlig egal, wer die Fremde war, wozu sie die Sachen brauchte und woher sie überhaupt davon gewusst hatte. Was zählte war das Geld und nichts anderes.

Die Fremde hatte schon dafür gesorgt, dass sie sie finden würde, denn das Haus zu dem die Adresse gehörte, die sie ihr gegeben hatte, war nicht zu übersehen. Kaum hatte sie es erreicht, da öffneten sich bereits Gartentor und Eingangstür von Zauberhand vor ihr und schlossen sich auf dieselbe Weise wieder, nachdem sie hindurchgegangen war.

Die große, helle Eingangshalle mit einer breiten, weißen Freitreppe, in der sie nun stand, war leer. Von der Fremden fehlte jede Spur, aber sie hörte Geräusche und Stimmen im angrenzenden Salon.

„So ein Haus könnte mir auch gefallen“, dachte Tyra. „Vielleicht sollte ich von ihr doch mehr verlangen als nur 1000 Gramm. Leisten kann die es sich bestimmt.“

Auch der Salon, in den sie nun ging, gefiel ihr. Poliertes Holzparkett, gemütliche Sessel und ein großer von Zwergenmeistern geschnitzter Holztisch mit passenden Stühlen. Das war mal etwas Anderes als ein windschiefes Hexenhaus.

Direkt vor ihr am Fenster stand die Fremde und hatte ihr den Rücken zugedreht. Obwohl sie wieder einen langen, schwarzen Kapuzenmantel trug, der ihr Gesicht verdeckte, konnte Tyra erkennen, dass sie eine schlanke Gestalt hatte und es gewohnt war, sich in höheren Kreisen zu bewegen. Jede kleine Bewegung deutete das an, fast genauso wie bei Fiora, die sich dieser Tatsache aber auch nicht bewusst war. Als Hexe hatte Tyra genug Menschenkenntnis gesammelt, um solche Dinge sofort zu sehen.

Vorsichtig sah sie sich in dem Raum noch einmal um. Im Vorraum hatte sie eindeutig mindestens zwei Frauenstimmen in diesem Zimmer gehört, aber nirgends sah sie eine andere Person. Die vermummte Frau schien allein zu sein. Aber egal, Hauptsache sie kamen bald ins Geschäft. Tyra machte sich bemerkbar.

„Tyra, schön, dass du es geschafft hast“, begrüßte die Fremde sie und wandte sich um.
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Dabei hatte sie ein gefülltes Weinglas in der Hand, das sie Tyra freundlich hinhielt. „Möchtest du etwas trinken nach der langen Reise?“

Um ein Getränk von einer Unbekannten anzunehmen, war Tyra viel zu lange Hexe gewesen. Sie selbst kannte mindestens hundert verschiedene Kräuter und Pulver, um andere einzuschläfern oder sogar zu töten. Sie lehnte ab.

„Ich konnte nicht alles bekommen“, begann sie, aber die Fremde winkte ab.

„Das weiß ich bereits. Hast du den Stein, den Kristall und das Gold?“

Bevor Tyra antworten konnte, hörte sie plötzlich ein lautes Knallen aus der Eingangshalle.



Pelleas wurde immer schneller, sodass Leonas und Fiora Schwierigkeiten hatten ihm zu folgen. Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, bahnte der Kobold sich seinen Weg durch die sauberen, gepflasterten Straßen von Dragondal. An keiner Kreuzung überlegte er überhaupt eine Sekunde, sondern steuerte geradewegs immer tiefer in die Stadt hinein, an Türmen, Tempeln und Märkten vorbei, über verschnörkelte Brücken und durch schmale Gassen. Bis sie das wohlhabende Viertel der Stadt erreichten. Hier gab es prunkvolle Häuser mit Säulen und riesigen Gärten, protzige Anwesen mit Drachenstatuen aus Silber davor und edle Backsteinbauten mit Runderkern. Genau vor einem von diesen blieb er stehen.

„Da drin ist mein Gold“, verkündete Pelleas sicher.

Leonas sah sich das Gebäude an, ein Haus aus roten Steinen, mit weißen, hohen Sprossenfenstern, wie es die reichen Händler Dragondals gerne bewohnten. Ein weitläufiger Garten mit einem breiten Kiesweg und zu Skulpturen gestutzten Hecken, lag davor und kündete vom Reichtum seiner Besitzer. Es konnte sehr unangenehm werden, das Haus einer Person mit Geld und Ansehen einfach so zu stürmen.

„Bist du dir ganz sicher?“ fragte er vorsichtshalber.

„Willst du wetten?“ antwortete der Kobold und zog seinen Zauberstab hervor. Mit einem einzigen Wink öffnete sich das schwere Gartentor. Die Zauberkraft des Goldes musste nah sein, sehr nah.

„Lass uns die Schätze holen und deine Mutter retten.“ Pelleas schritt entschlossen auf das Haus zu.

Auch mit der ordentlich weiß gestrichenen Eingangstür machte er kurzen Prozess und betrat das Gebäude.
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Das Gold war hier, Tyra war hier und noch etwas anderes, etwas Mächtiges und Böses war hier, da war er sich plötzlich sicher.



„Du hast doch nicht etwa gedacht, dass du uns entkommen könntest, Hexe“, sagte eine Stimme hinter ihr und Tyra brauchte sich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es Pelleas war. Hass lag in seiner Stimme und als sie ihn ansah, konnte sie ihn auch in seinen Augen erkennen. Sein Zauberstab leuchtete hellorange und war direkt auf ihr Herz gerichtet. Kein Zweifel, er würde sie töten.

Hilfe suchend sah sich Tyra nach der Fremden um, aber die war verschwunden.

„Wenn du mich tötest, Kobold, wird deine Königin sterben. Niemand außer mir weiß, wie das Ritual zu vollziehen ist“, erinnerte sie ihn in der Hoffnung, dass ihr das genügend Zeit verschaffen würde.

Auch Fiora und Leonas hatten endlich ihren Freund eingeholt. Der Prinz wusste, dass Pelleas in dieser Verfassung unberechenbar war, aber ihm war auch klar, dass stimmte, was Tyra sagte. „Pelleas, sie hat Recht. Wir nehmen sie mit nach Vreen und dort wird sie ordnungsgemäß bestraft.“

Fiora glaubte nicht so richtig, dass Leonas so etwas bei Pelleas erreichen würde. Vielleicht, wenn er verstehen würde, warum Tyra das getan hatte, möglicherweise hatte sie einen triftigen Grund.

„Tyra, wie konntest du nur?“ fragte sie die Hexe. „Ich dachte, wir wären Freunde.“

Die letzten Worte versetzten Tyra einen Stich. Fiora von Avalon hatte sie soeben ihre Freundin genannt und sie hatte sie und die anderen schamlos betrogen. Kein Wunder, dass Hexen einen so schlechten Ruf hatten. „Ganz einfach“, antwortete sie. Auf einmal war es ihr wichtig, dass die anderen ihre Gründe verstanden. „Ich brauche das Geld, sonst bin ich tot. Der Stadthalter von Kar hat ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt.“

„Prima, dann bekomme ich auch noch was dafür, wenn ich dich töte, Hexe“, sagte Pelleas bitter.

Tyra ließ sich nicht beirren. „Als wir in Nith waren, kam eine Frau zu mir und bot mir das nötige Gold, wenn ich ihr die Schätze bringe. Wenn ich es nicht getan hätte, dann würde ich den nächsten Monat wohl kaum überleben.“

„Eine Frau?“ Leonas fiel da nur eine ein.
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„Du hast das Leben meiner Mutter an Igraine verkauft?“

„Igraine?“ wunderte sich die Hexe. „Wieso Igraine? Ich bin vielleicht kein Engel, aber an die würde nicht einmal ich verkaufen.“ Sie hätte doch gespürt, wenn es die böse Zauberin gewesen wäre, so viel magische Macht traute sie sich durchaus zu.

„Es war auch nicht Igraine, sondern ich“, sagte plötzlich eine Frauenstimme hinter ihnen. Die vermummte Gestalt war wieder aufgetaucht, immer noch hinter der Kapuze des Mantels verborgen.

Pelleas und Leonas richteten sofort ihre Zauberstäbe auf sie.

„Wer bist du?“ wollte der Prinz wissen.

Hoch erhobenen Hauptes schritt die Gestalt auf sie zu, an Leonas und Pelleas vorbei, und blieb schließlich vor Fiora stehen, um dort die Kapuze abzustreifen. Fiora erkannte das hochmütige Gesicht mit den langen, schwarzen Haaren und den dunklen Augen sofort, obwohl sie diese Frau erst einmal hier gesehen hatte. Vor ihr stand Gwyn von Dragondal, die Zauberin der Menschen mit einem höhnischen Lächeln auf ihren vollen, roten Lippen.

Auch Pelleas und Leonas hatten sie sofort erkannt. „Gwyn? Was soll das? Was machst du hier?“ fragte der Kobold seine Kollegin.

„Ich wollte nur dabei sein, wenn Igraine die Macht über Vreen übernimmt, mit mir an ihrer Seite“, erklärte die Magierin, nun Pelleas betrachtend.

„Ihr arbeitet für Igraine?“ Leonas konnte es nicht fassen. Dass bei so vielen Verrätern Vreen nicht schon längst in die Hand des Bösen gefallen war, war das reinste Wunder. Aneirin und Gwyn hatten also die ganzen Jahre ein falsches Spiel gespielt.

„Natürlich arbeitet sie für mich.“ In einem roten Flammenring war eine zweite Frau erschienen. Es war Igraine, kalt und schön wie immer, in einem aufwendigen, schwarzen Kleid mit Schleppe und Spitze. Fast sah sie aus, als würde sie zu einem Hofball gehen. Auch ihr Blick wanderte langsam von Tyra, über Pelleas und Leonas zu Fiora. Dabei lächelte sie, wie jemand, der an der spannendsten Stelle des Krimis allen anderen die Freude verderben wollte, indem er den Mörder verriet. Sie wusste etwas und teilte dieses Geheimnis bisher nur mit Gwyn, die ihr nun einen geradezu liebevollen Blick zuwarf.

Igraine nickte und nahm ihre Hand.
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„Schwestern sollten immer zusammenarbeiten.“

„Schwestern?“ Fiora verstand gar nichts mehr.

„Lady Gwyn von Dragondal hat es nie gegeben. Ich bin Keyla LeFey, Tochter von Morgain LeFey und Belthor, dem Hexenmeister“, stellte sich die Magierin vor.

„Aber deine Familie kann dank dem großen Merlin Vreen nicht für längere Zeit betreten“, erinnerte Leonas. Dafür hatte der berühmte Zauberer noch vor seinem Tod gesorgt.

Keyla lachte. „Und doch hat er dafür gesorgt, dass unser Plan so wundervoll funktionierte. In seinem Liebesrausch hat er Morgaine damals diese Kette geschenkt. Ich habe sie wieder gefunden und schnell bemerkt, dass ich durch sie den unnützen Fluch dieses alten Stümpers umgehen kann.“ Triumphierend hielt sie den wunderschönen Anhänger in die Höhe, den Fiora schon bei ihrem ersten Zusammentreffen bewundert hatte. Immer noch leuchtete der Edelstein in der Fassung wie lebendig.

„Wozu habt ihr dann noch Aneirin gebraucht?“ wollte Leonas wissen.

Igraine machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, dieser einfältige Zwerg war doch nur Mittel zum Zweck. Er hat geholfen den Rat zu schwächen, als meine liebe Schwester ihm das mit der Zerstörung der alten Ordnung durch eure Heirat eingeredet hatte. Außerdem hätte dann niemand von euch mehr die gute Lady Gwyn im Verdacht gehabt. So konnte sie eure Reise in Ruhe sabotieren.“

„Ihr habt es mir wirklich nicht leicht gemacht. Als ich den Sturm schickte, dachte ich nicht, dass ihr über die Meerjungfrauenbucht hinüber kommt. Leider hat mein kleiner Trick mit dem Felsen und dem Zentaurenmädchen ja nicht funktioniert. Ich hatte ja gehofft, dass du dich davon aufhalten lässt, Fiora. Aber musstet ihr meinen Lieblingstark am Kristallsee töten? Er hätte euch zerfleischt. Gut, dass ich immer ein Ass im Ärmel hatte, nicht wahr Tyra? Treikan davon zu überzeugen, dass mein Fluch eine späte Nachwirkung deines Tranks war, war nicht schwer und dann habe ich einfach dich die Drecksarbeit machen lassen. Nur Jasmina hätte ihre Flucht mit ihrer Rettungsaktion in Tulippa beinahe verhindert. Zum Glück konnte ich sie rechtzeitig aufhalten und überzeugen, die Rose in meine Obhut zu geben.“ Zum Beweis zog Keyla das filigrane Kleinod hervor und befestigte es an ihrem Gürtel.
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„Schade nur, dass euer kleines Spiel jetzt vorbei ist“, sagte Fiora plötzlich. „Da ich meine Zauberkraft wieder habe, sind wir drei gegen zwei.“ Die beiden Schwestern mussten nicht wissen, wie weit das stimmte und sie hatte auch schon viel wieder gelernt und war wütend genug es anzuwenden.

„Ich war schon immer für ausgewogene Verhältnisse“, entgegnete Igraine mit einem teuflischen Lächeln. Sie hob die Arme und der Raum und das Haus waren plötzlich verschwunden. Stattdessen standen sie alle auf den Klippen vor der Stadt und sie waren nicht allein. Ein gigantischer Drachen landete soeben neben den Schwestern.

Er war so hoch wie ein Haus und seine Haut glänzte schuppig rot und golden. Während er landete, machten seine riesigen Flügel einen enormen Wind, sodass sie fast weggeweht worden. Gegen ihn war der Drache, der Fiora an ihrem ersten Tag in Vreen begegnet war, geradezu winzig gewesen.

„Das ist Lord Tegol“, stellte Igraine die Echse vor.

„Sind sie das?“ fragte der Drache mit donnernder Stimme. Sein Atem roch faulig nach Schwefel.

„Ja, mein Lord“, bestätigte sie scheinbar demütig. „Wenn Ihr sie vernichtet, ist Vreen wieder Euer.“

Leonas wusste, dass Igraine damit Recht hatte. Wenn der Drache Fiora und Pelleas töten würde, dann könnten die drei verbliebenen Zauberer des Rates den Angriffen von Igraine, Keyla und den Drachen nicht mehr lange standhalten. Vreen, wie er es liebte, würde es dann nicht mehr geben. Brandschatzende und mordende Echsen, größer als diese hier, würden durch das Land ziehen und von der Insel nicht viel übrig lassen und wenn die Macht von Vreen nicht mehr da war, dann waren Igraine und ihre Schwester ganz allein in der Lage die Menschenwelt zu beherrschen. Nichts würde sie mehr aufhalten. Langsam erschien es ihm fast ein Glück, dass seine Mutter das nicht mehr erleben musste. Trotzdem, ohne Widerstand würde Leonas nicht aufgeben. Nur was konnte er tun, weder sein Schwert noch der Stab der Magier waren mächtig genug, um es mit dem Drachen aufzunehmen.

Plötzlich schossen ihm die Worte durch den Kopf, die Hafgan gesagt hatte, als er ihm geboten hatte, den Stab noch eine Weile zu behalten. Damals war ihm der Ausspruch des Zentauren nicht wichtig erschienen, dennoch hatten sie prophetischen Charakter gehabt… Die rechte Waffe zur rechten Zeit.
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Es gab nur eine Waffe in Vreen, die dazu geschaffen worden war, es mit einem Drachenlord aufzunehmen. Schon als Kind hatte er sie bewundert, wie sie in ihrer ledernen Scheide über dem Thron seines Vaters hing. Eigentlich sollte er sie erst bei seiner Krönung erhalten, aber jetzt schien sie ihm dringender von Nöten zu sein. Er konzentrierte sich auf die Macht des Stabes der Magier und beschwor die Waffe, die sein Vorfahr Kestor im Kampf gegen die Drachen geführt hatte.

Eine Sekunde später fühlte er nicht mehr das knotige Holz des Stabes, sondern den schweren, Rubin besetzten Griff von Kestors Langschwert in seiner Hand. Die blanke Klinge leuchtete im Sonnenlicht. Mit dieser Waffe hatte sein Ahne den Drachenkönig besiegt und auch er würde sie nicht eher aus der Hand legen, bis entweder er oder der Drache tot war.



Sofort erkannte Pelleas die Waffe, die sein Freund beschworen hatte. Es war eine gute Wahl. Das Verhältnis war jetzt drei zu drei und er wusste nicht, wie weit Fiora schon wieder war. Er konnte nur hoffen, dass es ausreichen würde. Auch für sich selbst hätte er sich etwas mehr Macht gewünscht. Das Gold war in seiner Nähe und es reichte für einfachste Magie, aber für den Kampf gegen einen Drachen, war es immer noch zu weit weg.

Während der ganzen Ereignisse hatte er Tyra ganz vergessen und auch jetzt hätte er wohl nicht mehr an sie gedacht, wenn sie nicht plötzlich neben ihm gestanden hätte. Ganz nah war sie bei ihm und er fühlte ihre Nervosität und Angst, aber auch das schwere Samttuch, dass sie ihm hin schob. Pelleas brauchte es gar nicht auseinander zu schlagen, um zu wissen, was es war. Die Kraft von tausend Jahren Koboldmagie strömte augenblicklich durch seinen ganzen Körper, erfüllte ihn mit Energie, die bis in seine Finger- und Ohrenspitzen reichte. Fragend sah er die Hexe an.

„Wie gesagt, ich helfe Igraine nicht und besonders nicht, wenn ihre Schwester Schuld an allem ist“, antwortete sie. Augenzwinkernd fügte sie hinzu: „Töten kannst du mich später immer noch, Kobold.“



Fiora war etwas erleichtert, soweit das eben in einer solchen Situation überhaupt möglich war. Dass Tyra sich entschlossen hatte, doch auf der richtigen Seite zu stehen, war ihr mehr als recht, obwohl sie nicht wusste, was die Hexe gegen zwei Magierinnen und einen Drachen ausrichten wollte.
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Aber sogar in ihrer löcherigen Erinnerung hatte sie Kestors Schwert erkannt. Sie wusste, wie mächtig die Waffe war, denn der Merlin hatte sie mit einem Zauber belegt, sodass sie sogar den Schuppenpanzer der Riesenechsen durchdringen konnte.

Sie war bereit, die Magie durchströmte sie. Sie würde kämpfen und siegen, für Charis, für Vreen, für ihr Zuhause und ihre Liebe.

Natürlich ließ Igraine sich die Befriedigung nicht nehmen, Fiora selber zu besiegen. Rote Blitze zuckten aus ihren Fingern hervor, als sie auf ihre Feindin losging, aber dieses Mal war Fiora vorbereitet. Auch sie ließ ihre Kraft strömen und grüne Funken flogen in Igraines Richtung. Mit einem ohrenbetäubenden Knall prallten die uralten Kräfte aufeinander



„Ich kenne diese Waffe“, sagte Tegol, der Drache, dem sich Leonas und Pelleas gemeinsam gestellt hatten. Er zog schnuppernd die Luft ein. „Kestors Schwert und Kestors Erbe. Du riechst genau wie dieser elende Wurm. Es wird mir ein Vergnügen sein, dich zu zerquetschen, Mensch.“

„Ich wusste gar nicht, dass Drachen so bescheuert sind“, reizte Pelleas ihn und feuerte eine Salve Koboldmagie auf den Drachen ab, die wie vermutet leider ohne Wirkung blieb.

„Oh, du willst zuerst sterben, kleiner Koboldzauberer? Kobold habe ich schon ewig nicht gegessen.“

„Ich habe nur laut gedacht“, antwortete der Magier. „Ich habe mich nur gefragt, wie die Drachen so lange überleben konnten, wenn sie auf Menschen wie Igraine reingefallen sind.“

„Ja“, bestätigte Leonas. Er wusste zwar nicht genau, was Pelleas vorhatte, aber er vertraute ihm. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass sie den Drachen einfach Vreen überlässt, wenn wir weg sind.“

Der Drache neigte seinen Kopf, damit sein onyxschwarzes Auge auf selber Höhe wie Leonas’ kam. „Und du glaubst doch nicht, dass ich die Hexe leben lasse, wenn sie mich hintergeht.“

„Ich sag’s dir ja, Leonas, völlig bescheuert“, sagte Pelleas.



Tyra hatte sich Keyla als Gegnerin ausgesucht. Dieses elende Biest war schuld daran, dass sie gejagt wurde und dass sie sich wahrscheinlich einen langen Gefängnisaufenthalt in Vreen oder Kar verdient hatte, wenn sie das hier überleben würde und Pelleas nicht doch noch danach war, sie zu töten oder in irgendetwas Widerliches, wie einen Spriggan, zu verwandeln.
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Sie wusste, dass sie eigentlich keine Chance hatte, denn ihre einzigen Waffen waren ihr kleiner Dolch und ihre Zauberpulver, nicht genug gegen eine Magierin. Auch wenn Keyla nicht so mächtig wie ihre Schwester zu sein schien, denn sie führte einen Zauberstab, den Igraine für ihre Magie nicht benötigte. Mit gezücktem Dolch ging sie auf die andere zu.

„Tyra, sei doch vernünftig“, versuchte es Keyla und entwaffnete sie genauso leicht wie bei ihrer ersten Begegnung. „Stell dich auf unsere Seite, denn gewinnen kannst du sowieso nicht. Ich regele das mit Treikan und wenn wir erst an der Macht sind, dann bist du die mächtigste Hexe in ganz Vreen.“

„Das klingt ja ganz gut“, bestätigte Tyra, „aber da gibt es ein Problem. Ich kann dich und deine Schwester nämlich nicht leiden und lieber lasse ich mich von Pelleas in einen Spriggan verwandeln, als mit euch auch nur dieselbe Luft zu atmen.“

„Wenn das dein Wunsch ist. Dafür brauchen wir Pelleas nicht“, entgegnete Keyla. Sie schloss ihre Hand fester um den Zauberstab, den sie sich in ihrer Rolle als Magierin der Menschen angeeignet hatte, und richtete ihn auf die Hexe. Sie würde kurzen Prozess mit ihr machen. Gerade wollte sie ihre Magie fließen lassen, aber es geschah nichts. Der Zauberstab weigerte sich, ihr zu gehorchen.

Wütend warf Keyla ihn von sich. Wenn der Zauber der Menschen nicht funktionierte, dann musste die Macht ihrer Familie ausreichen. Die Kette mit dem roten Kristall, die sie um den Hals trug, hatte genug Magie gespeichert. Diese Magie würde sie nie im Stich lassen und ausreichen, um sie zu töten.



Langsam reichten dem Drachen aber diese Unverschämtheiten. Mit einem wütenden Hieb seines Dornen besetzten Schwanzes holte er nach dem Kobold aus, aber genau damit hatte Pelleas gerechnet und setzte im letzten Moment seine Magie ein. Für zwei Sekunden verschwand er, sodass der Schlag des Drachen ins Leere ging. Aber das reichte aus, denn die Echse hatte ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt und verlor durch die Wucht des Hiebs kurz die Balance. Dieser Sekundenbruchteil war genug.
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Leonas erhob sein Schwert und genau in diesem Moment war die Brust des Drachen, der weichste Punkt seiner Panzerung ungeschützt. Er stieß mit aller Kraft zu und die Klinge bohrte sich in das Fleisch der Echse.

Giftgrünes Blut quoll aus der Wunde hervor, ätzend und genauso tödlich wie die Krallen oder Zähne des Drachen, und ergoss sich wie flüssiges Feuer über Leonas’ Arm, um dort die Haut zu verbrennen. Aber Leonas fühlte keinen Schmerz. Die riesige Echse bäumte sich auf und schrie ohrenbetäubend in ihrem Todeskampf. Dann taumelte sie zurück und stürzte im letzten Todeskampf von der Klippe in die schäumende See.



Mit der Kraft der Verzweifelung warf sich Tyra gegen ihre Gegnerin, genau in dem Moment, als diese auf sie zielte. Die todbringenden Strahlen, die sich aus der Kette gelöst hatten, verpufften sinnlos an den Felsen. Tyra sah nur eine Chance. Bevor sich Keyla erneut aufrappeln und angreifen konnte, packte sie das Amulett.

Der Stein war heiß, fast kochend in ihren Händen, aber gleichzeitig war es eine wohlige Wärme, die Tyras Finger durchfloss, wie ein heißer Tee an einem Winterabend. Keyla wehrte sich, aber die Bewegung half Tyra und mit einem letzten Ruck riss sie die Kette vom Hals ihrer Gegnerin und schleuderte sie auf den harten Fels.

Einen Moment lang hätte Tyra schwören können, dass der Stein aufschrie, als er in Millionen von Splittern zerbirst, aber vielleicht war es auch nur Keyla. Sie hatte keinen Blick dafür, denn aus den Überresten des Edelsteins löste sich plötzlich ein leichter, blauer Schein. Erst war es nur ein winziger Funke, aber nach und nach wurde es größer, heller und strahlender. Eine gewaltige, blaue Flamme bildete sich und schoss dann plötzlich auf Tyra zu. Ihr gesamter Körper stand in diesem Feuer, aber es schmerzte nicht und war auch nicht heiß, sondern einfach angenehm warm und prickelnd.

Die Macht, die von ihr ausging, schickte Keyla zu Boden, von wo aus sie Tyra wortlos anstarrte.

In diesem Moment erschallte der Todesschrei des Drachen, sie hatten verloren, das sah sogar Keyla ein und verschwand mit dem letzten Rest von Magie, den sie noch hatte, auf Nimmerwiedersehen.

Der Zauberstab, den sie so achtlos weggeworfen hatte, rollte vor Tyras Füße und sie hob das glatte, pechschwarze Holz zusammen mit der Elfenrose auf.
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Sie konnte sich nicht erklären, was da eben passiert war, aber langsam verschwand nun das Glühen. Jetzt war ihr alles egal, denn in ihrem Kopf drehte es sich, sie musste die Augen schließen.

Als sie sie wieder öffnete war Pelleas plötzlich bei ihr. „Komm, Fiora braucht uns“, forderte er sie auf.



Plötzlich hüllte Igraines Magie Fiora völlig ein. Alles um sie herum strahlte für eine Sekunde rot und dann war der Spuk so schnell vorbei, wie er gekommen war.

Sie sah sich um, aber von den Klippen und Dragondal war nichts mehr da, sie war allein in einem weiß gestrichenen Raum, lag in einem Bett mit hellen Laken und trug ein dünnes Krankenhausnachthemd. Wo hatte Igraines Zauber sie hingeschafft? Eilig stand sie auf und wollte ihre Magie einsetzten, um sich wieder nach Dragondal zu zaubern, aber nichts geschah. Panik kam in ihr auf und sie rannte zur Tür – abgeschlossen. Die Fenster – vergittert. Aber die Landschaft vor dem Fenster kannte sie, das war ihr – nein, Fionas Geburtsort! Sie erkannte die große Kirche und den nahen Hügel, auf dem der hölzerne Aussichtsturm und die Sternwarte standen.

In diesem Moment hörte sie das Geräusch des Schlüssels in der Tür. Sie würde es Igraine nicht so einfach machen, sie würde kämpfen. Nur womit?

Die Tür wurde geöffnet und zwei Personen traten ein, ein Mann mit langem Bart in einem weißen Kittel und ihre Mutter! Nicht Alessia, die Magierin, sondern Isabel DeWitt. Sie sah genauso aus, wie in Fionas Erinnerung, groß und schlank mit lockigen, schwarzen Haaren.

Freudig kam Isabel auf sie zu und wollte sie umarmen. „Mein Gott, Kind. Endlich bist du wach. Wir hatten uns solche Sorgen um dich gemacht.“

Fiora blockte sie ab. Es musste ein Trick sein, ein Zauber von Igraine.

„Was ist denn, Fiona? Erkennst du mich nicht?“ fragte Isabel verdutzt. „Ich bin es doch, Mutti.“

„Wo bin ich hier?“ wollte Fiora wissen und ließ ihre Mutter – oder die Frau, die sich als solche ausgab, einfach stehen.

Isabel warf dem Mann im weißen Kittel einen viel sagenden Blick zu. „Fiona“, erklärte sie mit ruhiger Stimme, „weißt du das nicht mehr? Du hattest eine Art Nervenzusammenbruch, wahrscheinlich wegen des Prüfungsstresses.
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Wir mussten dich hier einweisen lassen, damit du dir nichts antust. Du hast behauptet, du wärst eine Art Zauberin und lebtest in Wirklichkeit auf einer magischen Insel mit einem Prinzen. Doktor Thorg und die Ärzte hier haben alles getan, was sie konnten. Bitte, Fiona!“

„Nenn mich nicht Fiona“, giftete Fiora sie an.

„Fiona, beruhige dich“, mischte sich der Arzt nun ein, „du musst versuchen, dich an die Realität zu gewöhnen. Wie wahrscheinlich ist denn das, dass du tatsächlich eine Zauberin bist aus – wie nanntest du es? – Vreen? Was soll ich denn dann sein, ein Troll?“

Er hatte tatsächlich große Ähnlichkeit mit Igraines Gehilfen, dem Troll, den sie an ihrem ersten Tag in Vreen getroffen hatte.

„Das ist doch alles nur ein Zauber, ein Trick von Igraine“, entschied sie.

Sie wusste nicht mehr, was sie glauben sollte. Alles hier schien so echt zu sein, Vreen so weit weg.

„Wenn du tatsächlich eine Zauberin bist, dann versuch doch, dich wegzuzaubern“, forderte der Arzt sie auf.

Sie hatte ja bereits festgestellt, dass es nicht funktionierte. Plötzlich hörte sie einen markerschütternden Schrei.

„Was war das?“

„Ein... Patient aus dem nächsten Zimmer“, erklärte Thorg mit einem nervösen Blick auf Isabel. „Mach dir keine Gedanken.“ Er hielt ihr einen Plastikbecher mit einer weißen Flüssigkeit hin. „Trink das, dann wird es dir bald besser gehen.“

„Fiona, Schatz, wir lieben dich doch. Bitte, bleib bei uns“, flehte Isabel.

Sie ließ sich auf dem Bett nieder, ihr Kopf schmerzte. Alles, was sie in Vreen erlebt hatte, sollte eine Ausgeburt ihrer Fantasie sein? Sie hatte es doch alles gefühlt, war bei den Zwergen, Halbwesen, Kobolden und Elfen gewesen. Aber wieso konnte sie dann nicht zaubern? Wieso konnte sie nicht zu Leonas kommen? Leonas? War er auch nur eine Ausgeburt ihrer Fantasie?

Plötzlich stand er neben ihr, aufgetaucht aus dem Nichts. Sein Arm war verletzt, seine Kleidung zerrissen, aber er war da.

„Leonas!“ Sie lief auf ihn zu.

„Nicht Fiona, da ist niemand“, versuchte ihre Mutter sie aufzuhalten.

Sie hatte ihn erreicht, aber sie konnte ihn tatsächlich nicht berühren.
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Ihre Hand glitt ohne Widerstand durch seinen Körper. „Leonas, was ist los?“

„Er ist nicht hier, sondern nur in deinem Kopf“, erklärte der Arzt.

„Da hat der Troll sogar Recht“, entgegnete Leonas, „Igraine hat irgendeinen Zauber gewirkt und ist in deinen Verstand eingedrungen. Das alles hier ist nicht real und ich auch nicht. Pelleas und Tyra haben mich zu dir gebracht. Wehr dich dagegen, Liebste.“

„Wie soll ich mich wehren? Ich bin nicht stark genug“, verzweifelte sie.

„Fiona, wehr dich nicht gegen uns. Wir sind Realität. Ich bin deine Mutter. Bitte, trink die Medizin.“

„Mama, ich...“ Sie war völlig verwirrt.

„Das ist nicht deine Mutter. Deine Mutter Alessia wurde von ihrem Vater getötet. Glaub mir, das ist Igraine“, sagte Leonas. „Das ist Gift in dem Becher. Sie will dich töten.“

Durcheinander sah sie von einem zum andern. Was war real? Ihr Kopf dröhnte.

Leonas kam zu ihr und sah ihr tief in die Augen. „Ich liebe dich, Milady. Du bist auf den Klippen von Dragondal und die einzige, die Igraine besiegen, meine Mutter und unsere Heimat retten kann.“

„Aber ich kann doch nicht zaubern“, erinnerte sie ihn.

„Doch das kannst du. Du konntest dich nur nicht nach Dragondal zaubern, weil du dort bist. Du kannst es schaffen. Du kannst sie besiegen.“

Fiora glaubte ihm jedes Wort. „Wie?“

Damit!“ Er reichte ihr Tyras schwarzes Tuch und es fühlte sich schwer und mehr als real an.

Als sie es auseinander schlug befanden sich darin der Mondkristall, der Erdstein, ein paar Münzen Koboldgold, die silberne Elfenrose und ein kleiner, gläserner Ball, in dem ein helles, blaues Feuer brannte – Sonnenfeuer.

„Tu es“, forderte Leonas sie auf. „Verbanne Igraine und rette dich und Mutter, bitte.“

Sie nickte. Vorsichtig nahm Fiora das Tuch und ging auf Isabel zu. „Das Spiel ist aus, Igraine!“

„Fiona, Liebes. Tu es nicht“, jammerte die Frau.

„Warum nicht? Ich bilde mir alles nur ein, oder? Dann können dir doch diese Dinge nichts anhaben.“

„Das können sie auch nicht“, antwortete die andere, „aber du wirst dich in deiner Traumwelt verlieren, wenn du glaubst, mich getötet zu haben.
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Du kannst nie mehr nach Hause kommen, zu deiner Familie.“

„Aber du bist es, die meine Familie und mein wirkliches Zuhause bedroht.“ Langsam hatte sie die andere an die nächste Wand gedrängt. Mit der Kraft ihrer Magie ließ sie die Schätze der Völker aus dem Tuch schweben, so dass sie einen Kreis um ihre Feindin bildeten. Die Illusion von Krankenzimmer und Arzt verschwand und Fiora fand sich auf den Klippen von Dragondal wieder.

Igraine stand vor ihr, nur ein paar Schritte von dem Sturz in die tosende See entfernt. „Fiona, tu es nicht! Komm nach Hause!“ versuchte sie es ein letztes Mal.

„Nenn mich nicht immer Fiona, Cousinchen!“ sagte sie mit sicherer Stimme. „Ich bin Fiora von Avalon, Erbin des Hauses Merlin, Oberste Magierin, Verteidigerin und Prinzessin von Vreen.“

Igraine wich einen weiteren Schritt zurück.

„Du musst die Macht aller magischen Völker anrufen“, erklärte Tyra. „Verbanne ihre Macht, dann ist sie hilflos.“

Fiora wusste genau, was sie nun tun musste. „Igraine LeFey, Erbin von Morgain LeFey und all ihrer bösen Künste. Im Namen des Geschicks und Fleißes der Zwerge, des Mutes und der Treue der Halbwesen, der Herzlichkeit und Freude der Kobolde, der Hingabe und Ordnung der Elfen, des Verständnisses und der Offenheit der Menschen aller guter Magie aller Völker Vreens, verbanne ich dich hiermit für immer von dieser Insel. Ich verfluche dich und deine Zauberkraft für alle Zeit. Wage es niemals wieder den Boden dieses Eilandes zu betreten.“



Die Schätze der Völker begannen zu leuchten und sich um die Zauberin zu drehen. Igraine wurde von einem Flammenkreis eingeschlossen. Plötzlich wusste Fiora, warum sie sich damals im Schlossgarten an das Märchen von dem bösen Zauberer erinnert hatte. „Hiermit verwandle ich dich in einen Spriggan, Igraine. Du sollst nie wieder in deine wahre Gestalt zurückkehren und vergessen, wer oder was du wirklich bist.“

Igraines Augen weiteten sich vor Entsetzten, aber es war schon zu spät. Ihr Körper hüllte sich in magisches Licht und begann dabei zu schrumpfen. Ihre Haut wurde grau, ihr Haar verschwand und ihre Arme und Beine wurden unverhältnismäßig lang und dünn. Als das Licht verschwunden war, saß ein kleiner Spriggan mit schwarzen Augen auf den Klippen von Dragondal.
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Kurz sah er Fiora an, um dann eilig zu verschwinden. Von Igraine oder Morgain LeFey hatte dieses Wesen noch nie gehört.

Als es vorbei war und der Adrenalinstoss in Fiora nachließ, fühlte sie sich plötzlich ungeheuer müde und erschöpft. Ihre Knie wurden weich und ihr wurde schwarz vor Augen. Bewusstlos brach sie zusammen.



- Epilog -



12. Die Rückkehr nach Vreen



Fiora öffnete langsam die Augen und war sich sofort bewusst, dass sie nicht mehr auf den Klippen von Dragondal war. Vorsichtig hob sie den Kopf etwas, für eine Sekunde mit dem panischen Gedanken, sie könnte in einem Krankenhauszimmer aufgewacht sein. Doch dann staunte sie nicht schlecht, als sie bemerkte, dass sie sich wieder im Palast von Vreen in ihrem prächtigen Himmelbett befand.

„Na, ausgeschlafen?“ fragte eine Stimme und als sie aufsah, blickte sie in Leonas lächelndes Gesicht. Sein Arm war bandagiert und er hatte ihn in einer Schlaufe.

„Haben wir gewonnen?“ wollte sie wissen. Die Ereignisse in Dragondal schienen ihr so unwirklich.

„Ja, das haben wir. Dank dir.“ Er gab ihr einen langen Kuss.

Ganz langsam und immer noch etwas schwindelig setzte sie sich auf. „Aber, wie bin ich denn wieder hierher gekommen?“

„Die Zauberin der Menschen hat uns nach Hause geschafft, bevor sie ihren Platz im Rat eingenommen hat“, erklärte er.

„Gwyn?“

„Nein, mein Dummerchen“, sagte er lächelnd. „Tyra. Gwyn hatte das Sonnenfeuer in Morgains Kette eingesperrt und Tyra hat es befreit. Jetzt ist sie die Magierin der Menschen und keine Hexe mehr.“

Das waren gute Neuigkeiten, denn damit war der Rat wieder komplett, sollte Igraine doch irgendwann einen Weg finden den Zauber zu brechen und schließlich gab es irgendwo immer noch Keyla. Das Königreich war in Sicherheit. Königreich?

„Oh, bei allen Göttern, was ist mit Charis“, fiel ihr siedend heiß ein.

„Mach dir keine Sorgen wegen ihr“, beruhigte er sie. „Du hast den Bann gebrochen. Meine Mutter lebt und ihr geht es ganz gut. Sie ist noch etwas schwach, aber Hafgan meint, das gibt sich bald wieder.“

„Ich will zu ihr“, entschied sie und stand trotz seiner Proteste auf und zog sich an.
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Bis auf ein wenig weiche Knie fühlte sie sich großartig.



Auf dem Weg zum Schlafgemach der Königin kamen ihnen Pelleas und Tyra entgegen, obwohl Fiora die ehemalige Hexe beinahe nicht erkannt hatte. Ihr schwarzes Haar war gewaschen, gebürstet und frisiert, sodass es in seiner vollen Länge über ihren Rücken floss. Zudem trug sie ein langes weißes Kleid unter ihrem blauen Zauberermantel.

„Verflucht! Elender Kobold, musst du alles besser wissen“, giftete sie Pelleas gerade an.

Gut, dass sich manche Dinge wohl nie ändern würden.

„Hexe!“ blaffte er zurück.

„Zauberin, bitteschön und eine verdammt mächtige. Willst du es drauf ankommen lassen, Kobold?“

„Gegen dich? Immer, Hexe. Deine Tricksereien gehen doch sowieso meist schief. Oder ist da nicht noch ein königlicher Stadthalter mit Ringelschwänzchen, der dich sucht?“

Gerade wollte Tyra etwas erwidern, als sie Fiora und Leonas bemerkte.

„Hey Prinzessin, wieder erwacht?“

„Ja und ich bin froh, dass es dieses Mal nicht zwei Jahre gedauert hat“, antwortete Fiora. „Was ist, kommen wir gerade richtig zu einem magischen Duell?“

„Duell wäre das falsche Wort.“ Tyra funkelte Pelleas an. „Gemetzel wäre wohl passender.“

„Hey, das ist ja mal was ganz Neues“, zog Leonas seinen Freund auf, „du duellierst dich mit einer Frau, anstatt sie zu verführen.“

Pelleas grinste. „Was soll ich machen? Ich finde sie nun mal unglaublich süß, wenn sie wütend ist.“

„Komm bloß nicht auf falsche Gedanken, Kobold“, warnte ihn Tyra, aber es klang alles andere als Ernst. Damit zog sie ihren Zauberstab und Pelleas beschloss, dass es sicherer war zu verschwinden, und lief in Richtung Garten davon. Tyra folgte ihm auf dem Fuß.

„Ein süßes Paar“, bemerkte Leonas lachend.

„Ja“, bestätigte Fiora, „entweder sie verlieben sich ineinander oder sie bringen sich um.“

„Oder beides“, schlug er vor.



Charis’ Schlafzimmer lag in einem der oberen Türme des Palastes. Vor die Tür hatte Leonas Dwal als Wächter gestellt, er trug jetzt die blaue Uniform der Palastwache.
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„Lady Fiora“, freute sich der kleine Waldgnom. „Schaut. Herr hat Dwal befördert.“ Stolz zeigte er ihr seine Uniform. „Dwal jetzt persönliche Leibwache von Königin.“

„Er ist die ganze Zeit nicht von Mutters Seite gewichen und hat sie sogar ganz allein davor bewahrt, dass Keyla sie vernichtete“, erklärte Leonas.

„Dwal hat Königin unsichtbar gemacht, als böse Zauberin sie wollen holten.“

Es gab so viel, was die anderen Völker Vreens noch nicht über die große Macht der Gnome wussten.

„Und außerdem hat er mich sowieso etwas genervt“, flüsterte er Fiora ins Ohr.

Sie wusste es besser, er würde ihn schon sehr bald vermissen.

Dwal schien davon nichts mitbekommen zu haben, sondern ließ sie ins Schlafzimmer durch.

Den großen Raum, der mit einem dunkelblauen, weichen Teppich ausgelegt war, hatte man mit schweren Vorhängen verdunkelt, damit die Königin ruhen konnte. Charis lag ausgestreckt in ihrem Bett und las im Schein einer Lampe in einem Buch.

„Ich dachte, der Arzt hat gesagt, dass du dich ausruhen sollst“, mahnte Leonas.

Sie ließ das Buch sinken. „Mir fällt in diesem Zimmer die Decke auf den Kopf. Ich kann doch nicht hier den ganzen Tag faul herumliegen.“ Dann bemerkte sie ihre Schwiegertochter. „Fiora, wie geht es dir?“

„Sehr, sehr gut und dir wohl auch, wie ich sehe“, antwortete sie.

„Wenn Tyra, Hafgan und die Ärzte mich endlich hier rauslassen würden, würde es mir noch besser gehen. Mir ist so langweilig und ich will nicht einen einzigen Kräutertrunk mehr sehen.“ Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. „Leonas, lass doch bitte uns Frauen mal allein.“

Wie immer duldete Charis keinen Widerspruch und ihm blieb nichts anderes übrig als draußen bei Dwal auf Fiora zu warten. Fünf Minuten später kam sie heraus und stieg die Turmtreppen hinab.

„Was hattet ihr beiden denn da eben so Wichtiges zu besprechen?“ fragte er neugierig.

„Sie langweilt sich und meinte, es wäre mal wieder Zeit für ein Fest“, erklärte sie. „Deshalb hat sie mich gefragt, ob ich mich wieder an unsere Hochzeitsfeier erinnern kann, oder ob wir sie nachholen müssen.“

„Und, kannst du oder bist du noch Single?“

„An jede einzelne Sekunde“, antwortete sie und legte ihre Arme um ihn.
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Tatsächlich war ihre Erinnerung wieder komplett, seit Igraine verschwunden war. Auch ihr Fluch musste aufgehoben worden sein, als sie die böse Zauberin verbannt hatte. Die Tür in ihrem Gedächtnis stand nun weit offen. Alles, aus dem Leben von Fiora von Avalon lag offen vor ihr, obwohl ein kleiner Teil Fiona DeWitt noch da war und wohl auch für immer bleiben würde.

„Deshalb hat sie auch vorgeschlagen, dass wir uns langsam daran machen sollten, den Grund für eine Babyparty zu liefern“, fuhr sie unbeschwert fort.

Er zog sie näher an sich heran. „Babyparty? Du redest immer noch wie in der Menschenwelt. Und was hast du geantwortet?“

„Das ich meinen Mann erst mal eine Weile für mich haben will, wir aber gerne mit dem Üben anfangen.“

„Das hast du nicht gesagt?“ Das war kein Thema, über das seine Frau seiner Meinung nach unbedingt mit seiner Mutter sprechen musste.

„Nein, habe ich nicht“, gab sie zu, „aber ich habe gesagt, dass Tyras Ernennung zur Magierin ein Grund zum Feiern ist und das wir das gerne in Angriff nehmen, wenn wir aus unseren zweiten Flitterwochen aus Avalon zurück sind.“

„Du hattest mir schon einen ganz schönen Schrecken eingejagt“, sagte er und küsste sie. „Ich kann es gar nicht erwarten, mit dir allein auf Avalon zu sein.“

„Na, wenn das so ist.“

Sie setzte ihre Magie ein und gemeinsam verschwanden sie im magischen, grünen Licht.
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Kommentare zur Story:

  *Schnief* Leider schon zu Ende. Aber trotzdem Danke für die schöne Geschichte

Gruß
Uwe  
UweB  -  15.01.08 12:59

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