Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Stefanie Rifaat      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 7. August 2007
Bei Webstories eingestellt: 7. August 2007
Anzahl gesehen: 2194
Seiten: 4

Endlich fühlte ich mich frei, konnte wieder richtig durchatmen. Wenn die Dämmerung einsetzte, entspannte sich mein Körper. Dann war es nicht mehr lange bis zur finsteren, schützenden Nacht. Tagsüber schlief ich und forschte. Bei Dunkelheit lebte ich. Besser existierte ich, denn ein Leben konnte ich das nicht nennen.



Meine Eltern starben letztes Jahr bei einem schrecklichen Unfall. Ich war gerade mal zwölf Jahre alt und ging in keine öffentliche Schule. Nicht, dass ich zu dumm gewesen wäre. Im Gegenteil, ich konnte mit sechs Jahren bereits lesen und schreiben und das in mehreren Sprachen. Mit acht besaß ich die Intelligenz eines Studenten und mit zehn betrieb ich wissenschaftliche Forschungen über Gentechnik. Hört sich nach einem hohen IQ oder superintelligenten Kind an. Aber so einfach war ich nicht zu erklären!



Ich war kein Kind in dem Sinne. Aber eine Maschine war ich auch nicht, denn ich hatte Gefühle. Konnte Schmerz spüren, Trauer empfinden, brauchte Schlaf wie andere Menschen auch. Äußerlich ähnelte ich zumindest in der Dunkelheit einem menschlichen Wesen. Wenn ich Tageslicht ausgesetzt war, verwandelte ich mich zu einem gläsernen Körper. Das heißt, meine Haut wurde durchsichtig und man konnte in meinen Körper hineinsehen. Man sah mein Herz schlagen, meinen Magen bei der Verarbeitung von Nahrung und meinen gesamten Blutkreislauf. Für mich war das ein normaler Anblick, aber andere Menschen liefen schreiend davon.



Das machte mich unendlich traurig und so vermied ich es zu meinem eigenen Schutz, den Menschen bei Licht zu begegnen. Wie sehr wünschte ich mir ein ganz normaler Junge zu sein! Auf dem Fußballplatz mit anderen zu kicken und mit dem Fahrrad durch die Gegend zu rasen. Da ich regelmäßig Nahrung benötigte, musste ich Lebensmittel und andere Dinge über Internet Versandhandel bestellen. Abgebucht wurde über die Kreditkarte meiner toten Eltern. Aber dass sie tot waren, wusste ja niemand.



Die Organisation überwies regelmäßig reichlich Geldmittel. Solange die Forschungsergebnisse pünktlich auf ihrem Rechner waren, machte sich niemand Gedanken. Für manche mag es sich chaotisch anhören, aber ich hatte immerhin einen geregelten Tagesablauf und fühlte mich wohl damit.
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Wenn nur diese Abgeschiedenheit nicht wäre!



Um mich und um das hochtechnisch eingerichtete Labor herum war ein riesiges Sicherheitsareal mit meterhohen Stacheldrahtzäunen und zig Alarmanlagen. Aber außer mir keine Menschenseele. Als meine Eltern noch lebten, hatte ich wenigstens noch das Gefühl, normal zu sein, aber seit diesem furchtbaren Unfall fühlte ich mich nur noch einsam.



Ich hatte kein richtiges Leben und trotzdem schützte ich mich, als ob ich eine Zukunft hätte. Vielleicht war das der Grund, dass ich mich fast rund um die Uhr mit Gentechnik beschäftigte. Ich wollte ein Mittel finden, dass es mir ermöglichte, mich frei zu bewegen ohne mich in ein Monster zu verwandeln.



Aber ich war der einzige, der das wollte, denn für die Organisation war ich einfach nur ein Versuch der Wissenschaft. Ob ich Gefühle hatte, interessierte dabei niemanden, denn das war ja nicht geplant.



Ich war ein Prototyp und meine Aufgabe bestand lediglich darin, mich nach Bedarf sichtbar zu machen. Man wollte diverse Versuchsreihen an mir durchführen, um andere Menschen zu heilen. Die Lebenserwartung der Menschen wurde immer höher und die häufigste Todesursache war zurzeit der Krebs. Wenn man in einen Körper hineinsehen konnte ohne ihn ständig aufschneiden zu müssen, war es möglich, allerlei Medikamente auf ihre Wirkung hin zu testen. Man konnte das Ergebnis der Behandlung stündlich verfolgen. Meine Eltern hatten dabei die Aufgabe, in dem Hochsicherheitstrakt diese Forschungen an mir zu betreiben. Sie waren die erfolgreichsten Wissenschaftler der Gen- und Medizintechnik.



Ich bezeichne sie als meine Eltern, weil sie mir das Gefühl gegeben haben, einer von ihnen zu sein. Am Anfang war ich nur das Objekt, aber nach kurzer Zeit bemerkten sie, dass ich Gefühle entwickelte. Für die Organisation hätte das zum Abbruch des Forschungsprojektes führen können. Glücklicherweise aber wurde diese Information von meinem Eltern streng geheim gehalten. Sie führten weiterhin Forschungen an mir durch und gaben Ihre Ergebnisse regelmäßig per E-Mail an die Organisation weiter. Was diese nicht wussten, war, dass meine Eltern eigenmächtig diverse Versuchsreihen starteten, die meine Gefühle betrafen.



Wir drei lebten wie eine Familie, nur mit dem Unterschied, dass ich das Haus nicht verlassen durfte.
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Als meine Eltern gestorben waren, wusste ich so viel über die Menschen und das Leben da draußen, dass ich es mir zutraute, im Schutz der Nacht mein Labor zu verlassen. Ich langweilte mich nie, da ich immer das Ziel vor Augen hatte, ein Mittel zu finden, das mir helfen konnte, ein Leben in der Öffentlichkeit zu führen. Das Problem war der Tod meiner Eltern.



Wenn die Organisation davon Wind bekam, war es aus. Man würde mich zerstören. Es waren schon wieder einige Monate vergangen. Mein Leben hatte sich von Grund auf geändert. Ich hatte keine Hoffnungen mehr. Irgendetwas geschah mit meinem Körper. In zwei Wochen wurde ich dreizehn Jahre alt. Meine Stimme blieb manchmal weg und mir wuchsen Haare unter den Achseln. Klar, ich habe im Internet darüber gelesen. Zwischen zwölf und vierzehn kamen Kinder in die Pubertät und Jungen in den Stimmbruch. Aber mein Körper veränderte sich auch noch anders.



Ich war mittlerweile über 1,80 Meter groß, aber meine Organe wuchsen nicht mehr mit. Mein Herz war ein Kinderherz und der Rest blieb ebenso klein. Wenn ich atmete, hatte ich das Gefühl, zu ersticken, einfach nicht mehr genug Sauerstoff zu bekommen. Mein ganzes Leben wurde von Tag zu Tag anstrengender. Mit meinen Forschungen kam ich nicht mehr weiter, weil ich morgens schon sehr müde war. Ich hatte nicht einmal mehr Lust nach draußen zu gehen.



Die Organisation bedrängte mich nun auch. Sie waren mit den Ergebnissen nicht zufrieden und wollten sich vor Ort davon überzeugen, dass die Forschungen gewissenhaft geführt wurden. Für mich war das eine verheerende Situation. Wenn sie hier auftauchten, war mein Leben vorbei. Aber eigentlich fühlte ich gar kein richtiges Leben mehr in mir. Es war mir alles egal, nichts konnte mein echtes Interesse wecken. Ich wünschte mir, ich könnte auch den Tod finden wie meine Eltern. Vielleicht konnte ich dann wieder bei ihnen sein. Im Internet habe ich viel über das Leben nach dem Tod gelesen. Vielleicht war das meine Chance auf Glück!



Als ein paar Tage später ein Professor und mehrere Forscher der Gentechnik vor dem Labor hielten, wusste ich, dass etwas geschehen wird. Es war völlig egal, ob ich mich verstecken würde oder ihnen entgegen ging.
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Sie wollten mit meinen Eltern sprechen und die waren seit über einem Jahr tot. Ich habe ihre Überreste selbst auf dem Grundstück begraben. Es würde keine Geldquelle mehr geben und ich würde mein Zuhause verlieren. Mein Labor war mein zu Hause, es gab mir die Sicherheit, die ich brauchte. Draußen konnte ich nicht leben! Ich wusste nicht was ich tun sollte, ich war in einer Zwickmühle. Das einzige, das mir etwas bedeutete, waren meine Eltern. Ich musste es schaffen, zu ihnen zu kommen. Meiner Meinung nach gab es nur eine Möglichkeit.



Ich ging in den Keller des Labors. Da befanden sich immer noch die Reagenzgläser mit den schnell wachsenden Krebszellen. Als ich die Gläser so vor mir sah, kamen die grauenvollen Erinnerungen wieder hoch. Vor über einem Jahr gab es hier eine kleine Explosion. Dadurch kamen meine Eltern mit der Flüssigkeit der Reagenzgläser in Berührung. Innerhalb weniger Stunden hatte die Wirkung eingesetzt. Das heißt, beide wurden von riesigen Krebszellen überwuchert und starben nach kurzer Zeit. Keines der von mir verabreichten Gegenmittel hatte eine Chance, noch rechtzeitig zu wirken. Dafür war die Menge, mit der sie Kontakt hatten, einfach zu groß. Ich wollte auf die gleiche Weise mit meinem Leben abschließen. Ich wäre dann endlich von meinem sinnlosen Dasein erlöst. Alle würden es für einen Unfall halten und könnten die restlichen Spuren beseitigen. Es wäre so, als hätte ich nie existiert.
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Punktestand der Geschichte:   32
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Kommentare zur Story:

  neiin, ich bin, wie rosmarin, auch gegen die ich-form! was ist mit gesprächen unter den forschern, mit den gefühlen der eltern?  
darkangel  -  15.08.07 16:27

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  Interessante Idee, und auch ich wuerde Dich darin unterstuetzen aus der Geschichte mehr zu machen.

Warum eigentlich nicht in der Ich-form? Hat doch auch seine Reize.  
FCdC  -  14.08.07 14:55

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  hallöchen,
also ich meine, dass ja;) kannmir gut vorstellen, das irgendwann als buch in händen zu halten^^
ich versuch mich gerade fürde schule an einem längeren projekt, obwohl ich ja eigtl eher der kurzgeschichtentyp bin. ich glaube das wird ne spannende sache... also das schreiben;)
lg darkangel  
darkangel  -  14.08.07 11:00

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  Hallo Darkangel,
meinst Du wirklich ich sollte daraus etwas längeres machen? Sprich einen Roman. Ich glaube einfach ich traue es mir nicht zu. Aber werde ernsthaft darüber nachdenken.
LG 3-Haar  
Stefanie Rifaat  -  14.08.07 08:29

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  schaaade!

ich glaube, das sieht hier so mancher anders:P naja, dann frohes schaffen!
lg darkangel  
darkangel  -  13.08.07 21:59

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  Hallo Rosmarin,
ich denke es wird eine längere Geschichte werden denn für einen Roman finde ich den Stoff nicht ganz geeignet. Aber mal schaun was wirklich draus wird.  
Stefanie Rifaat  -  12.08.07 19:20

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  hallo, stefanie. das finde ich ganz toll und bin nun schon sehr gespannt. soll es ein roman werden oder nur eine längere geschichte?
gruß von rosmarin  
rosmarin  -  11.08.07 08:55

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  Hallo CC,
auch Dir vielen Dank. Durch Eure konstruktiven Verbesserungsvorschläge, weiß ich nun was ich an den Texten ändern muß. Da steht mir nun viel Arbeit bevor an die ich aber gern ran gehen möchte.  
Stefanie Rifaat  -  09.08.07 18:25

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  Hallo Stefanie,
da stimme ich Rosmarin und Darkangel zu, das ist Material für etwas Größeres. Schon diese relativ kurze Beschreibung eines so interessanten Geschehens macht Lust auf mehr.
LG
CC  
CC Huber  -  09.08.07 10:13

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  wow! darkengelchen hat recht. das wäre ein expossee für einen tollen roman. wirklich ein wahnsinnsstoff. aber bitte nicht in der ichform. den roman meine ich.
gruß von rosmarin  
rosmarin  -  08.08.07 15:39

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  eine interessante vorstellung. aus der idee könnte man wohl noch einiges mehr machen.
gefällt mir eigtl alles, aber doch nciht;) ich fände esecht toll, wennduich dazu entschließen würdest, etwas vielgrößeres darauszu machen. du könntest beschreiben, wie der"versuch" aufwächst und wiedie eltern bemerken, dass er oder sie menschliche züge hat. du könntest den unfall beschreiben und die damit verbundenen probleme, außerdem diverse missgeschicke, wenn dein pro sich auf die straße traut. du kannst da wahnsinnig viel rausholen!

lg darkangel  
darkangel  -  08.08.07 13:19

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