Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten

Von:    Shannon O'Hara      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 7. August 2007
Bei Webstories eingestellt: 7. August 2007
Anzahl gesehen: 2307
Seiten: 4

Hallo Oma,



ich muss dir berichten, was ich erlebt habe!



Vor ein paar Tagen ging ich zum Bäcker unten an der Ecke. Während ich im Verkaufsraum stand, darauf wartete, bedient zu werden, fielen mir drei Frauen im angrenzenden Café auf.

Ich habe keine Ahnung, wieso sie mir auffielen.

Sie lachten nicht lauter als der Gute Ton zuließe.

Oder doch?

Sie sprachen nicht außergewöhnlich laut.

Oder doch?

Ich kann es dir wirklich nicht sagen, Oma.

Sie erregten meine Aufmerksamkeit, fertig!

Sie blieben bei mir als ich mein Brot bestellte und bezahlte, gingen mit mir die Straße entlang und die Treppe zur Wohnung hinauf.

Sie begleiteten mich durch den Rest des Tages, durch die folgende Nacht und die weiteren zwei Tage.

Ich bekam diese Begebenheit einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Auf der Arbeit oder wenn ich mich konzentrieren musste, ruhten die Gedanken und auch das seltsame Gefühl, das sich in meinem Bauch eingenistet hatte. Sobald ich allerdings etwas Ruhe hatte, überschwemmten mich Erinnerungsfetzen und Fragen.

Heute Nachmittag bin ich daher wieder zum Bäcker gegangen.

Ich stand am Schaufenster, schaute mir offensichtlich die Auslage an. In Wirklichkeit aber schaute ich in das Café.

Ich brauchte die drei Damen nicht zu suchen.

Sie hatten wieder den runden Tisch in der hinteren Ecke ausgewählt, der normalerweise mit acht Stühlen versehen wurde.

Sie waren gerade dabei, drei der Stühle an benachbarte Tische zu verteilen und die verbliebenen fünf neu zu ordnen.

Ich überlegte, ob ich wirklich meinem Impuls folgen sollte, diese drei Damen etwas genauer zu beobachten, als sie Platz nahmen. Sogleich fiel mir die Dreiecksymmetrie auf, so dass ich sie „Alpha“, „Beta“ und „Gamma“ nannte.

Ich gab mir einen Ruck, atmete einmal tief durch, straffte meine Schultern wie zum Gang zu einer Prüfung und betrat das Café.

Das Dreieck gab gerade seine Bestellung auf, nahm mich nicht wahr.

Ich stellte meine Tasche neben dem Stuhl eines Nachbartisches ab und hoffte inständig, ich würde sie von hier aus verstehen können.

Kaum hatte ich Platz genommen, als Alpha nach einer bunten Pappkarte „Unsere Spezialitäten des Sommers“ griff und sich Kühlung zufächerte.
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„Auf das Wetter ist auch kein Verlass mehr. Es ist heiß wie in Teufels Küche.“

Beta warf ihr einen schelmischen Blick zu.

„Bist du häufig in des Teufels Küche?“

„Täglich, meine Liebe, täglich.“

Der Schalk in Alphas Augen strafte der Ernsthaftigkeit ihrer Worte Lüge und reichte Gamma, hinter dezent vorgehaltener Hand leise zu kichern.

Verwundert schaute die etwas dickliche Alpha ihr Gegenüber an.

Wurde Gamma unter ihrem Blick nervös oder zappelte sie immer ein wenig auf dem Stuhl hin und her?

Leicht amüsiert erkannte ich, dass Gammas Füße wenige Zentimeter über dem Boden schwebten. Vielleicht drückte ihr einfach eine Rockfalte in die Pobacken, auf denen ihr ganzes Gewicht lagerte.

„Was kicherst du? Ist doch wahr! Ich wünschte, es wäre wieder Herbst.“

Verträumt wandte Alpha ihren Blick gen Zimmerdecke. Ihre immer noch straffen Wangen röteten sich leicht in der ersehnten Vorstellung.

„Oh ja, der Herbst ist die beste Jahreszeit.“

Ein leichtes Aufstöhnen schlich sich über Betas dünne Lippen. Als auch sie ihren Kopf ein wenig in den Nacken legte, an die Zimmerdecke zu schauen, stach ihre lange, dünne Nase wie ein Dorn aus ihrem schmalen Gesicht.

„Da gebe ich euch Recht, meine Lieben. Der Herbst, nicht zu kalt, nicht zu heiß. Nicht zu trocken, nicht zu feucht. Einfach nur genial!“

Zumindest jetzt, leicht von der Stuhllehne gestützt und nach oben schauend, verharrte Gamma in ihrer Sitzflächenscheuermanie.

Die Kellnerin kam, fragte nach meinen Wünschen und lenkte mich so einen Augenblick von den Geschehnissen am Nachbartisch ab. Während ich sie ansah, erkannte ich an ihrem Kopf vorbei durch das große Fenster schauend, dass der Himmel sich zugezogen hatte. Dichte Wolken versteckten das Blau und ließen kaum mehr Sonnenstrahlen den Boden erreichen.

Mit einem leisen Stöhnen sah ich mich bereits durch einen Sommerplatzregen nach Hause hetzen.

„Warum gefällt uns der Herbst so sehr?“

Alpha schaute immer noch an die Decke. Die angespannte Haltung der Kehle ließ ihre Worte ein wenig gepresst über die Lippen kommen.
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„Uns gefällt der eisige Frost, der des Abends aus den Niederungen kriecht und alles mit seinem kalten Atem berührt. Der Zweig und Halm mit Reif überzieht und uns in Klarheit wandeln lässt.“

Auch Beta senkte, während sie sprach, nicht ihren Kopf.

Ihre sicherlich bühnenreife Rezitation angesichts der gewählten Worte und der darin innewohnenden Gewichtigkeit glich nach wenigen Augenblicken eher dem wehklagenden Krächzen einer waidwunden Spottdrossel.

Ich schmunzelte noch vor mich hin, als die heftig aufgestoßene Ladentür mich aufmerken ließ.

Ein junger Mann mit hochroten Wangen hastete in die Bäckerei, rieb sich heftig die Hände und mit diesen über seine hemdsärmeligen Arme.

„Kann ich hier einen heißen Tee bekommen? Ist das plötzlich eine Affenkälte!“

Verwunderung dehnte sich in mir aus.

Sicherlich vermittelte mein Gesichtsausdruck in diesem Moment nicht den Eindruck, eine halbwegs intelligente Frau sitze dort im Café.

Mein Blick pendelte zwischen dem jungen Mann, dem großen Schaufenster und dem „Dreieck“ hin und her.

Auch ein Dreieck, wie mir gerade auffällt!

Durch das Fenster konnte ich einige Leute sehen, die fröstelnd vorbei hasteten, sich genauso wie der junge Mann ihre sommerlich nackten Hautpartien warm zu reiben bestrebt waren. Gegenüber, an der Bushaltestelle, standen drei Jugendliche, stampften sich wärmend mit den Füßen auf. Vor ihren blassen Gesichtern bildete die Atemluft leichte Wölkchen.

Die Stimme Gammas ließ mich meinen Kopf wenden und zu ihr rüber schauen.

„Wir lieben den Nebel, der verdeckt, der versteckt, Geheimnisse entrückt und uns nächtens entzückt!“

Die Anspannung ihres Leibes hatte vor ihren Beinen nicht Halt gemacht. Gestreckt im Knie stießen die Schuhspitzen beinahe an die Tischplatte.

Erahnend, welches Bild mir geboten würde schaute ich erneut aus dem Straßenfenster, begrüßten mich dichte Nebelschwaden. Die Jugendlichen an der Bushaltestelle konnte ich nicht mehr erkennen. Leute, die auf dieser Straßenseite an dem Fenster vorbei hasteten, nahm ich nur als Schemen wahr.
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Gerade überkommt mich wieder dieselbe Verwirrung wie vorhin.

Reine Verwirrung, keine Angst, keine Sorge.

Verwirrt bin ich gerade nicht nur über die Geschehnisse am Nachmittag, sondern auch darüber, dass ich die Worte der Damen so genau wieder geben kann.

Sie haben sich mir in meine Erinnerung gebrannt.

Oder waren sie bereits dort und sind lediglich geweckt worden?



Oma, ich kann nicht sagen, dass ich WEISS, was geschehen ist. Ich spüre aber, dass sich etwas verändert hat und weitere Veränderungen anstehen.

Morgen bereits wird einer der heute noch leeren Stühle nicht mehr verwaist sein und wenn du es schaffen kannst, hierher zu kommen, wird auch der Fünfte besetzt sein.

Ich habe unsere Schwestern gefunden.



Schwing’ dich auf deinen Besen und komm her.
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Kommentare zur Story:

  sehr bildlich... wie im wahren leben

klausiemausie  
anonym  -  02.01.09 11:51

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  Hallo Shan,
vielleicht willst Du mal meine Geschichte "Hexenzauber" lesen, auch da spielt eine Hexe sehr erfolgreich mit dem Wetter. (Keine Schleichwerbung)
LG
CC  
CC Huber  -  09.08.07 22:43

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  Huhu euch beiden :-)

und "Danke" für die Rückmeldungen.
Hihi, Christa, lass uns den Kreis vergrößern. Dann haben wir zwar kein Café-Pentagramm mehr, aber wir sind ja flexibel ;-)
Den Ehrenkodex hatte ich im Hinterkopf, deshalb brauchte ich ein Ereignis, das a) wie zufällig auftrat, das b) meine Briefschreiberin aufmerken ließ, das c) keinen Schade anrichtete.
Genau wie du dachte ich: oh, so'n kleiner Kälteeinbruch hat noch keinen umgebracht ;-)

Liebe Grüße

Shan  
Shannon O'Hara  -  09.08.07 10:13

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  Hi Shannon,
also ich fand es schon amüsant, das kleine Zauberspiel der Hexen. Allerdings meine ich, mal gelesen zu haben, dass die Handlung selbst dem ersten Ehrenkodex der Hexen widerspricht: "Tu, was du willst, aber schade niemand". Nun, ein bissel frieren wird wohl nicht den größten Schaden bringen, aber Eingriffe in die Natur sind immer gefährlich, das wissen wir wohl alle zwischenzeitlich.
Nichts desto trotz, ich fand die kleine Geschichte schon witzig und mein Besen steht bereit zum Abflug.
LG
CC  
CC Huber  -  09.08.07 09:53

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  ich hätte das nicht gerade unter "amüsantes" eingeordnet, aber ich find den text klasse. einfach nur geil, aus einem gefühl heraus. die beschreibung des gesprächs und der gestik und der plötzliche kälteeinbruch - toll^^
lg darkangel  
darkangel  -  07.08.07 15:27

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