Fantastisches · Kurzgeschichten

Von:    Shannon O'Hara      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 27. Juni 2007
Bei Webstories eingestellt: 27. Juni 2007
Anzahl gesehen: 2220
Seiten: 5

Als das große Himmelsleuchten verging, ertönte der Ruf über die Au.

Faldur streckte noch einmal die steif gelegenen Glieder, drehte sich in seinem feuchten Bett noch einmal kurz auf die andere Seite.

Als die Dämmerung aufzog und die Schatten aus dem nahe gelegenen Wald länger wurden, ertönte der zweite Ruf.

Es wurde höchste Zeit für ihn, sich den anderen anzuschließen!

So verließ er ein wenig unmutig Bett und Hort, sah sich nach den anderen um.

Als die ersten feinen Nebelschwaden sich über der Au bildeten, hatte Faldur sich seinen Geschwistern angeschlossen.

Er schaute die lange Reihe entlang, einer neben dem anderen, im Schulterschluss stehend, harrten sie der Dunkelheit.

Harrten der Bedrohung, die aus den Wassern des nahen Flusses steigen würde.

Im letzten Licht des Tages verdichteten sich die Nebel, zogen herauf aus dem Wald, aus den Wiesen und Feldern entlang des Flusses.

Wie eine Mauer standen Faldur und die Seinen. Er wusste Brüder und Schwestern an seiner Seite und in Reihen in seinem Rücken.

Schweigen legte sich über die Reihen, Abendstille über die Auen.

Angespannt starrte Faldur gerade aus, erwartete jeden Augenblick das erste Anzeichen des Angriffs. Er lauschte entlang der Reihen, ob andere etwas erkannten und geflüsterte oder gerufene Meldung gaben.

Nichts! Alles war still, alles blieb still.

Zumindest, was sie betraf.

Das Rascheln einer Feldmaus dröhnte in seinen Ohren. Der entfernte Jagdschrei einer Eule ließ für einen Moment seinen Herzschlag erstarren.

Doch der Fluss blieb ruhig, plätscherte ein wenig kichernd über Bachkiesel.

‚Mich könnt ihr nicht täuschen!’

Er spürte seine Hand sich um den Schaft des Speeres verkrampfen, die Nägel sich leicht in seinen Handballen pressen.

Sie werden kommen. Er wusste es.

Sie kamen immer.

Genau im Übergang vom Abend zur Nacht krochen sie aus den Wassern des Flusses. Sie dehnte sich aus, leise, unauffällig. Sie wollten die Au ihr Eigen nennen können.

Aber Faldur und seine Geschwister waren auf der Hut.

Allabendlich, wenn die Dämmerung aufzog, zogen sie mit ihr auf und standen wachend bereit.
Seite 1 von 6       


Allabendlich, wenn die Nacht die Dämmerung ablöste, starteten sie einen neuerlichen Versuch, einzunehmen, was ihrer nicht sein durfte.

Ihnen zu zeigen, was ihr und was sein war, dafür stand Faldur in der Reihe.

Sein Reich zu beschützen und notfalls zu verteidigen, dazu stand er allabendlich auf.

Dazu kämpfte er allabendlich.

Plötzlich ging eine geflüsterte Warnung durch die Reihen und gemahnte ihn, Obacht zu halten.

Er strengte sich an, kniff seine Augen ein wenig zusammen, besser sehen zu können.

Fürwahr, sie kamen!

Langsam, kein Geräusch verursachend, krochen sie über die Uferböschung.

Nur die Bewegungen beiseite geschobener Gräser und die Spiegelung der Himmelspunkte zeigten ihm, dass sie nahten.

Oh, wie verwerflich!

Lautlos wässerten sie die Uferbereiche, drangen in Höhlen und Bauten ein, vertrieben deren zu Tode erschreckten Bewohner.

Niemals konnten sich alle retten.

Faldur hörte das Wehklagen der Überlebenden, heute, allabendlich.

Jenen musste endlich und endgültig Einhalt geboten werden!

Er spürte sein Herz wie wild in seiner Brust schlagen, das Blut in seinen Ohren rauschen.

Er wollte zuschlagen, den Feind in die Flucht schlagen, ihre nassen Reihen zerschlagen.

Im Rhythmus seines Herzschlages spülten die Worte alle anderen Gedanken aus seinem Hirn.

„Schlagen – zu schlagen – zerschlagen – schlagen – zu schlagen – zerschlagen!“

Sein Rumpf hatte begonnen, sich im Gleichklang vor und zurück zu bewegen.

Zwei Blicke bestätigten ihm, dass den anderen dasselbe widerfuhr.

Ein feiner, summender Ton lag plötzlich über ihnen, hervorgerufen durch Tausender sich wiegender Leiber. Mit dem Ton, der sich über die ganze Au ausdehnte, verließen die Wachhabenden ihre Posten, näherten sich der voran kriechenden Bedrohung.

Sobald sie den Saum des Feldes erreicht hätten, würden Faldur und die Seinen sich verteidigen.

Niemand bedrohte ohne Konsequenzen zu spüren ihr kleines Reich!

Auch nicht die Wasserelfen des Flusses!

Faldur wusste, dass die Wasserelfen überheblich die Nasen rümpften.
Seite 2 von 6       
Sie meinten, da sie den Fluss bewohnten, der der Au Nahrung und Leben brachte, seien sie höheren Standes.

Sie sahen abfällig auf die Bewohner des Landes herab, betrachteten sie wie Ungeziefer.

Er spürte die Wurzel des Aufbegehrens im Boden seines Selbst Fuß fassen.

‚Ich werde euch zeigen, wo euer Platz ist!’

Er spürte aus der Wurzel die Pflanze wachsen – und nahm seinen Speer fester in die Hand.

Er spürte, wie die Pflanze Blüten setzte – und fesselte seinen Blick an eine Stelle nicht weit von seinen Füßen entfernt.

Würden die Wasser jenen Grashalm erreichen, würde er angreifen, verteidigen.

Er straffte seine Schultern, spannte jeden Muskel seines Leibes an.

In dem Augenblick, als er seinen Speer warf, flogen die der anderen ebenfalls.

Einem Hagelschauer gleich blitzen die gehärteten Spitzen im Schein des Nachtlichtes kurz auf, verloren sich in den übergetretenen Wassern.

Unruhe beherrschte das zuvor glatte Wasser. Teile zogen sich stöhnend zurück, andere drangen mit wildem Kampfgeschrei weiter vor.

Faldur trat beiseite, gewährte den Brüdern und Schwestern der zweiten Reihe Sicht und Angriffsposition.

Die laute Unruhe der Wasserelfen verunsicherte Faldurs Leute. Der Wechsel der Reihen geschah nicht reibungslos. Überall kam es zu kleinen Umwälzungen.

Rügende Worte gelangten an sein Ohr, auch das klatschende Geräusch einer Ohrfeige.

Lautlos schlüpfte er durch die folgenden Reihen, sich hinten erneut anzuschließen und auf einen Speer zu warten, den die Helfer verteilen würden.

An den Köpfen der anderen vorbei, versuchte er, einen Blick auf das Schlachtfeld zu erhaschen. Ergebnislos.

Unruhig wechselte er seinen Stand von einem Fuß auf den anderen.

Konnten seine Geschwister den Wasserelfen Einhalt gebieten?

Hatten sie sie zurückdrängen können?

Oder, was die Herrin verhindern möge, hatten die Wasser Oberhand gewonnen und drangen bereits weiter vor?

Waren weitere Aueteile bedroht oder gar bereits den Wasserelfen zum Opfer gefallen?

Faldur schaute sich nach den Flüchtenden um.

Er hätte ihnen gern Trost gespendet.
Seite 3 von 6       


Doch woher sollte er diesen nehmen und jenen anbieten, die alles verloren hatten, die lediglich ihr Leben hatten retten können?

Ihm wurde eine neuer Speer gereicht, den er schwer in seiner Hand spürte.

Verzweiflung und Trauer rangen in ihm, weckten Wut und Verbissenheit mit ihrem Geschrei.

Gern wäre er zwischen den Reihen nach vorne gestürmt, hätte sich auch allein der Gefahr gestellt.

Geschwister mit leeren Händen tauchten zwischen ihm und seinen Nebenleuten durch, stellten sich gleich ihm hinten an.

Dann stand er erneut in der ersten Reihe, starrte erneut auf die glitzernde Linie, die sich kurvenreich über die Wiese schlängelte.

Viel zu weit entfernt von den Ufern des Flusses.

Viel zu weit das fruchtbare und bewohnte Land anderer Lebewesen vereinnahmend.

„Ihr gehört hier nicht hin!“

Er wollte diesem allnächtlichen Treiben der Wasserelfen endgültig einen Riegel vorschieben, sie unwiderruflich in ihre Grenzen weisen und ein neuerliches Ausdehnen ein für alle Mal eindämmen.

Die angestaute Wut trug ihn auf rot leuchtenden Schwingen der Wasserlinie entgegen.

Ihm war es Einerlei, ob die anderen ihm folgten oder in alter Formation ihren Angriff abwarten würden.

Ein Beben ging durch die Recken der ersten Reihe.

Verwundert schauten sich die Kämpfer an.

Nachher konnte keiner sagen, warum er Faldur folgte, doch mit dem Ersten folgte der Zweite und Augenblicke später erfuhr die ganze Front eine Umwälzung.

Langsam zuerst, aber bald schneller werdend, bewegten sich die einzelnen Reihen, Einheiten gleich, auf die Wasserlinie zu.

Jetzt war es an ihnen, in Kampfgebrüll auszubrechen und drohend mit den Speeren zu winken.

Tausendfach brach sich das Nachtlicht, ließ die Wand der Kämpfer von innen heraus aufleuchten.

„Die Herrin ist mit uns und ihr gelangt nicht weiter!“

Faldur hatte die Wasserlinie erreicht.

Leicht über dem Erdboden schwebend, holte er mit seinem Wurfarm aus und stach seinen Speer weit in den aufgeweichten Boden hinein.

Er schwang sich in die Luft, den Nachfolgenden Platz zu gewähren.

Jeder stieß seinen Speer in den Boden.
Seite 4 von 6       
Dicht an dicht standen die dünnen Stangen, so dass ein undurchlässiger Wall gegen das Vordringen der Wasserelfen geschaffen wurde.

Wütendes Geschrei erhob sich über dem Wasser, aufbegehrend zog es sich zurück. Nur, um Augenblicke später mit geballter Kraft gegen die Palisade zu branden.

Erschrocken stoben die Verteidiger auseinander, zerrissen die Nebelschwaden.

Doch der Damm hielt dem Ansturm stand.

Wenige Eindringlinge mussten übermannt werden. Sie wurden den Ihren zurückgegeben, schwungvoll über Speerenden.

Lachend beobachtete Faldur die Aufräumarbeiten, stieß seinen Geschwister freundschaftlich den Ellbogen in die Seite.

„Ihr tut Recht, jene zurück zu schicken.“

Laut, nicht wenige Wasserelfen sollten ihn hören, setzte er hinzu:

„Wir wollen uns doch nicht mit stinkenden, tropfenden Wasserbewohnern umgeben!“

Ein Mitstreiter in der Uniform eines Hauptmanns sprach ihn an.

„Du warst derjenige, der den Wassern als erster die Stirn geboten hat?“

Ihm gefiel es gar nicht, so in den Mittelpunkt des Interesses gerückt zu werden.

Betreten wechselte er von einem Fuß auf den anderen seinen Stand.

Der Hauptmann beobachtete Faldur genau.

Seine feste Stimme, gewohnt, Befehle zu erteilen oder für Zucht und Ordnung zu sorgen, nahm eine sanfte Färbung an.

„Du warst derjenige, der zuerst seinen Speer in den Boden rammte und somit die Palisade errichtete?“

Hatte er einen Fehler gemacht?

Er wusste nicht mehr zu sagen, warum er die Reihe der Verteidigung verlassen hatte, warum er auf die Linie der Feinde zugehalten und ihnen den Speer vorgesetzt hatte.

Hatte er selber über diese Tat nachgedacht?

Er erinnerte sich, die Kraft der Wurzel des Widerstandes gespürt zu haben.

Er erinnerte sich, diese Pflanze in seinem Inneren wachsen und Blüten tragen gesehen zu haben.

Plötzlich sah er!

Die Pflanze in seinem Inneren, die ihm in der Zeit des Kampfes beigestanden hatte, trug Früchte.

Zufriedenheit leuchtete dort im aufgehenden Licht der Himmelsleuchte.

Ein wenig Stolz gesellte sich dazu.

Anerkennung wurde ihr wie ein warmer Sommerregen von außen zuteil.
Seite 5 von 6       


Faldur atmete einmal tief durch, nickte dem Hauptmann endlich eine Antwort.

„Ich nehme dich in meinem Regiment auf, Faldur.“

Die Frucht des Stolzes fiel reif vom Zweig, zerbrach auf dem Boden der Gegebenheiten. Doch bevor sie sich in Treue wandeln konnte, verströmte sie einen betörenden Duft, den Faldur tief in sich ein sog, der seine Brust sich weit dehnen ließ.

Glücklich wandte er sich um, betrachtete die Palisade – sein Werk.

Er schaute in die Gesichter der Geschwister, die ihn anerkennend grüßten.

Glücklich genoss er für einen Moment die wärmenden Strahlen des Himmelsleuchtens, bis er, wie all die anderen Nebelelfen, für diesen Tag verging.
Seite 6 von 6       
Punktestand der Geschichte:   122
Dir hat die Geschichte gefallen? Unterstütze diese Story auf Webstories:      Wozu?
  Weitere Optionen stehen dir hier als angemeldeter Benutzer zur Verfügung.
Ich möchte diese Geschichte auf anderen Netzwerken bekannt machen (Social Bookmark's):
      Was ist das alles?

Kommentare zur Story:

  Herzlichen Dank doska :)

Ach, fällt mir gerade ein: "Sarah" ist veröffentlicht beim "Club der Sinne" :):):)

Liebe Grüße,

Shan  
   Shannon O'Hara  -  17.05.09 21:44

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Ein Naturereignis auf märchenhafte Weise erzählt. Tolle Metapher. Hat mir sehr gefallen.
Lieben Gruß an die Nebelelfen, hehe!  
   doska  -  16.05.09 10:57

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

Stories finden

   Hörbücher  

   Stichworte suchen:

Freunde Online

Leider noch in Arbeit.

Hier siehst du demnächst, wenn Freunde von dir Online sind.

Interessante Kommentare

Kommentar von "rosmarin" zu "Wir Hamster"

hallo, wolfgang, so schön und so wahr, aber sei beruhigt; ich bin kein allesfresser. veganischen gruß von rosmarin

Zur Story  

Aktuell gelesen

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. Über ein Konzept zur sicheren und möglichst Bandbreite schonenden Speicherung von aktuell gelesenen Geschichten und Bewertungen, etc. machen die Entwickler sich zur Zeit noch Gedanken.

Tag Cloud

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. In der Tag Cloud wollen wir verschiedene Suchbegriffe, Kategorien und ähnliches vereinen, die euch dann direkt auf eine Geschichte Rubrik, etc. von Webstories weiterleiten.

Dein Webstories

Noch nicht registriert?

Jetzt Registrieren  

Webstories zu Gast

Du kannst unsere Profile bei Google+ und Facebook bewerten:

Letzte Kommentare

Kommentar von "axel" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Toll recherchiert oder boxt du selber? Jedenfalls war das Ganze wieder sehr spannend und lebensnah. Ich staune immer wieder über deinen lebendigen Schreibstil. Ein mitreißender Roman.

Zur Story  

Letzte Forenbeiträge

Beitrag von "Tlonk" im Thread "Account nicht erreichbar"

fröhlicher Herbst mit fröstelnder Note äh oder öh üh ß

Zum Beitrag