Plötzlich kamen alle wieder - Teil 11   12

Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Homo Faber      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 12. Januar 2007
Bei Webstories eingestellt: 12. Januar 2007
Anzahl gesehen: 2466
Seiten: 17

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Ich war etwa eine Stunde eher in Düsseldorf. So ging ich ein wenig ziellos durch die Stadt. Ich fühlte mich ziemlich fremd dort. Ob die Leute merkten, dass ich nicht von dort kam? Ich hatte irgendwie den Eindruck, sie sahen dort einem an der Nasenspitze an, ob jemand Düsseldorfer war oder nicht. Da sah ich Kirsten, die gerade aus einer Boutique kam. Sie sah mich nicht und ging zügig weiter. Es war noch Zeit bis zu unserer Verabredung, mit Sicherheit wollte sie noch einiges besorgen in der Stadt, trotzdem ging ich ihr schnell hinterher und holte sie ein. „Hi“, sagte sie. „Bist du schon länger hier?“

„Ich bin vor einer halben Stunde etwa angekommen. Hab dich gerade aus dem Laden kommen sehen. Aber ich will dich nicht aufhalten, wenn du noch etwas zu erledigen hast, dann treffen wir uns gleich um eins, wie vereinbart.“

„Nein, ich bin soweit fertig, hab mir gerade etwas gekauft, das trifft sich ja gut, dass wir uns jetzt schon treffen“, sagte sie. „Ich kann dir ja erst mal ein wenig von der Stadt zeigen, ich weiß jetzt nicht, wie gut du dich in Düsseldorf auskennst“, schlug sie vor.

„Ich war bisher nur hier in der City gewesen, sonst kenne ich hier eigentlich nichts“, sagte ich.

„Unseren Rhein hast du auch noch nie gesehen?“, fragte sie.

„Hier noch nicht, nur in Köln hab ich den Rhein gesehen bisher“, antwortete ich. „Dann gehen wir dort mal hin, er ist gleich hier hinter der Altstadt“, entschied sie. Es war schon ein schöner Anblick, direkt auf den Rhein und die Promenade zu blicken, wenn man aus der Altstadt kam. Es sah schon etwas anders aus als in Köln, ich musste mir eingestehen, dass es sogar schöner wirkte als in Köln. Sie ging mit mir die Promenade entlang.

„Gleich kommen wir zu den schiefen Gebäuden vom Mediaviertel“, kündigte sie an. „Die musst du unbedingt sehen.“

„Schiefe Gebäude?“, fragte ich. „Hab ich noch nichts von gehört, so etwas wie der schiefe Turm von Pisa?“

„Na ja, nicht ganz“, sagte sie. Ich war wirklich gespannt.

„Da vorn ist das erste“, sagte sie dann. Ich sah dann ein Haus und es sah wirklich schief aus, nach dem genaueren Betrachten war es wohl nicht wirklich schief, sondern eine optische Täuschung durch die Bauweise. Ich war schon beeindruckt.

„Das ist moderne Architektur“, sagte sie.
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„Ja, und sehr gelungen“, fand ich. Das nächste Gebäude sah noch interessanter aus, es war silbern. Es sah aus, wie von einer Alufolie überdeckt und ebenfalls schief. Gern hätte ich Fotos gemacht, aber ich hatte meinen Fotoapparat nicht dabei. Es war schon eine echte Sehenswürdigkeit, fand ich.

„Das ist echt mal etwas anderes, wirklich interessant“, sagte ich.

„Hab ich mir gedacht, dass es dir gefällt“, freute sie sich.

Wir gingen zurück in die Altstadt. Dort zeigte sie mir ein paar Kneipen, wo das Nachtleben herrschte. Vom Düsseldorfer Nachtleben hörte ich ja ständig etwas. Dann kamen wir zur berühmten Königsallee. Sie redete wie eine Reiseleiterin. Da ich diese Straße nur vom Hören kannte, gingen wir sie auch entlang. Eine Designer Boutique nach der anderen. Die Champs-Elysées in Deutschland. „Hier werden schon ein paar teurere Sachen verkauft als bei mir im Laden“, sagte ich.

„Na ja, hier könnte ich es mir auch nicht leisten immer einzukaufen“, antwortete sie.

Würde ich hier arbeiten, hätte ich wahrscheinlich nur hochnäsige und arrogante Kundschaft, dachte ich. Daher wäre es nichts für mich, dort zu arbeiten. Aber trotzdem war es für mich als Modeverkäufer interessant dort mal entlang zu laufen.

„Wollen wir erst mal einen Kaffee trinken gehen?“, fragte sie dann. „Wir können auch gern bei mir einen Kaffee trinken, dann kann ich dir auch mal meine Wohnung zeigen, wenn du willst“, bot sie dann an. Ich war einverstanden. Ich wunderte mich zwar, dass sie mich, obwohl wir uns kaum kannten, in ihre Wohnung einlud, ich hätte es nicht gemacht, weil ich Angst hätte, sie damit zu überrumpeln. Aber ich fühlte mich auch nicht überrumpelt.

Mit dem Auto war es nicht weit zu ihr. Sie wohnte in einem Hochhaus. Ihre Wohnung war größer als meine, etwa 70 qm. Sie war auch etwas teuerer eingerichtet als ich, zumindest sahen die Möbel teurer aus.

„Wirklich schön“, bemerkte ich.

„Danke, ich fühle mich auch sehr wohl hier“, sagte sie.

„Darf ich fragen, was man hier in Düsseldorf für so eine Wohnung an Miete zahlt?“, fragte ich. Ich war neugierig, ich könnte es mir wahrscheinlich kaum leisten, obwohl ich gut verdiente.
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„Klar, kannst du fragen, also die hier kostet 900 im Monat.“

Das war schon wirklich heftig. Ich musste vor Erstaunen schlucken, obwohl ich wusste, dass Düsseldorf zu den teuersten Städten in Deutschland gehörte. Sie grinste als sie mein erstauntes Gesicht sah.

„Ja, schon etwas mehr als bei euch“, meinte sie.

„Allerdings“, sagte ich. Aber für jemanden, der dort aufgewachsen ist, ist es wahrscheinlich normal, dachte ich. Mir wären 900 Euro allerdings zu teuer. Aber ich brauchte auch keine 70 qm große Wohnung, 50 genügten mir, und ich wollte nach Köln ziehen, und soviel ich wusste war es da nicht ganz so teuer. „In Köln sind die Mieten nicht ganz so hoch, oder?“, fragte ich sie.

„Ja, da ist es etwas günstiger“, antwortete sie. Da war ich beruhigt. Würde ich mir dort eine Wohnung, so groß wie meine nehmen, könnte ich mir immer noch etwas zwischendurch erlauben und würde noch zum Sparen kommen.

Sie setzte Kaffee auf. In ihrem Wohnzimmer stand ein Klavier. Ich hatte auch mal ein Klavier gehabt, aber nachdem Pia tot war, hatte ich mein Interesse am spielen verloren und es kurz darauf verkauft.

„Du spielst Klavier?“, fragte ich.

„Ja, seit ich acht bin“, sagte sie. „Spielst du auch?“

„Ich habe früher gespielt, ich hab auch selbst ein paar Stücke komponiert“, erzählte ich.

„Du hast selber komponiert?“, fragte sie. „Ich hab damit auch mal angefangen, aber es hatte mir alles nicht gefallen, da hab ich es sein lassen.“

„Na ja, ich hab ja auch nicht viel selbst geschrieben“, sagte ich.

„Und warum spielst du jetzt nicht mehr?“, fragte sie.

„Irgendwie hat mir dann irgendwann die Zeit gefehlt“, behauptete ich.

„Hast du Lust mir mal etwas vorzuspielen, was du selbst komponiert hast?“, fragte sie.

Hätte ich ihr bloß nichts davon erzählt, dachte ich. Als Pia tot war, wollte ich sie nie wieder spielen, weil dann alles nur hochgekommen wäre.

„Ach, ich glaub nicht, dass ich es noch kann, ich bin schon aus der Übung und ich erinnere mich auch gar nicht mehr richtig an die Noten“, versuchte ich mich herauszureden.

„Ach, versuch es einfach, bitte!“, bat sie.
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Sie lächelte mich so lieb an, ich musste es wohl oder übel tun.

Ich spielte das Stück, was Pia am besten gefiel. Ich hätte ja ein anderes Lied spielen können, aber ich spielte dieses, zum ersten Mal wieder nach über zwei Jahren. Und ich erinnerte mich noch an jede einzelne Note, es war als spielte ich es noch immer regelmäßig. Es war plötzlich wie damals, ich fühlte mich wie zurückversetzt. Es machte mich traurig, diese Melodie zu spielen, aber ich spielte weiter bis zum Ende.

„Das war wunderschön“, sagte Kirsten beeindruckt. Ich dankte ihr. Kurz darauf merkte sie, dass ich sehr nachdenklich war und fragte, was los sei.

„Ich möchte wieder nach Hause“, sagte ich langsam.

„Hab ich irgend etwas Falsches gesagt?“, fragte sie verwirrt.

„Nein, nein, so meine ich das nicht. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich meine damit nicht, dass ich zurück in meine Wohnung will“, antwortete ich. „Ich habe kein zu Hause mehr“, fing ich an zu erklären.

„Ich verstehe nicht“, erwiderte sie. Wie konnte sie auch, bei meinem Gefasel. So erklärte ich weiter.

„Ich hab das Lied damals gespielt, als ich noch mit meiner Freundin zusammen war, ich hatte es für sie geschrieben, sie mochte es auch. Danach hatte ich mir geschworen, es nie wieder zu spielen, weil es mich nur an sie erinnert. Ich denke jeden Tag an sie, ich vermisse sie, ich hätte das Lied nicht spielen dürfen, es hat mich nur noch mehr an die Zeit erinnert, als ich mit ihr zusammen war und es für sie gespielt habe. Seit diese Zeit vorbei ist, habe ich kein zu Hause mehr. Ich möchte einfach wieder zurück zu damals.“ Ich hätte heulen können, aber ich tat es nicht, vermutlich hatte ich keine Tränen mehr dazu. Es war das erste Mal, dass ich wieder mit jemandem darüber sprach.

„Ich verstehe dich“, sagte sie. „Es tut mir so leid, dass du wegen mir jetzt so daran erinnert wurdest.“

„Nein, du konntest es ja nicht wissen. Ich hätte nicht erzählen sollen, dass ich auch mal Klavier gespielt habe. Mir hätte klar sein müssen, dass du dann möchtest, dass ich dir etwas vorspiele. Ich weiß selbst nicht, warum ich trotzdem davon erzählt habe.“

„Vielleicht, weil du darüber reden wolltest.
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„Nein, ich habe mit niemandem in der Zeit darüber gesprochen.“

„Vielleicht wurde es langsam Zeit, dass du dich jemandem anvertraust.“ Vielleicht hatte sie Recht.

„Wie lange ist das jetzt her?“, fragte sie.

„Zwei Jahre“, sagte ich. „Ich weiß, ich muss sie endlich vergessen, ich will ja endlich über sie hinwegkommen, aber es kommt einfach zu oft alles wieder hoch.“

„Warum seid ihr nicht mehr zusammen?“, fragte sie.

„Pia ist tot“, sagte ich leise.

„Oh Gott, das tut mir so leid“, sagte sie mitfühlend. „Was war denn passiert?“ Da erzählte ich ihr alles. Auch von Bianca, die nicht mehr in Dortmund wohnte, wodurch ich keinen Kontakt mehr zu ihr hatte und von Melanie, die mit mir nicht mehr sprach, wodurch ich mich seitdem immer allein fühlte. Sie hörte wirklich zu.

„Ich fühle mich schon besser, danke, dass du mir zugehört hast“, sagte ich danach zu ihr.

„Du hast es zu lange in dich hineingefressen“, sagte sie. Ich wusste nicht, warum ich es ihr, einer eigentlich wildfremden Frau anvertraute, aber ich wusste, ich hatte eine Freundin gefunden. Sie war eigentlich nicht die Art von Freundin, die ich mir gewünscht hatte, aber sie war auf ihre Weise ein wunderbarer Mensch.

„Weißt du, als du mir im Zug gesagt hast, dass du Düsseldorferin bist, hab ich versucht, dich auf keinen Fall zu mögen, weil ich Düsseldorfer normalerweise nicht leiden kann, aber nach einer kurzen Zeit fand ich dich doch sympathisch. Ich hab irgendwie ein schlechtes Gewissen, dass ich anfangs so ein Vorurteil dir gegenüber hatte“, beichtete ich ihr.

Sie lachte. „Ist schon in Ordnung. Aber was hast du gegen Düsseldorfer?“, fragte sie.

„Ach, sie kamen mir immer so hochnäsig vor. Aber ich hätte nicht alle in einen Topf stecken sollen, du bist ja schließlich auch nicht so.“

„Einige hier sind wirklich so“, gab sie zu. „Viele beurteilen andere nur nach ihrem Styling.“

„Ja, genau die meine ich. Ich hab dann immer gedacht, dass alle so sind hier“, erklärte ich.

„Dann war das heute wahrscheinlich nicht der richtige Ort für ein Treffen“, meinte sie grinsend.

„Ich kann nur sagen, dass es mir sehr gefallen hat, es ist wirklich eine schöne Stadt“, sagte ich.
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„Na, das ist doch schön“, sagte sie.

Ja, es gefiel mir dort wirklich. Und was die Leute betraf wurde mir klar, dass die Leute im Ruhrgebiet auch nicht besser waren. Dort hielten sich auch viele für die besten, obwohl die überhaupt keinen Grund dazu hatten.

„Hast du heute Abend eigentlich schon was vor?“, fragte sie.

„Nein“, sagte ich.

„Weißt du was? Komm doch einfach heute Abend mit in die Altstadt, wenn du schon mal in Düsseldorf bist, musst du auch unbedingt hier das Nachtleben kennen lernen. Dann kannst du heute auch mal ein paar von meinen Bekannten kennen lernen.“

„Klar, gern“, erklärte ich mich einverstanden. „Ich müsste dann nur vorher sehen, wann der letzte Zug zurück zu mir fährt.“

„Ach, mach dir darüber mal keine Gedanken, du kannst gern heute Nacht hier bleiben, wenn es spät wird“, schlug sie vor.

Sie hatte wohl überhaupt keine Bedenken dabei, eine eigentlich wildfremde Person bei sich übernachten zu lassen. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie irgendwelche Hintergedanken hatte. Ich war einverstanden.

Ihre Bekannten schienen ganz nett, aber dennoch fühlte ich mich ein wenig fremd und auch ein wenig unwohl. Aber das war ja auch nichts Ungewöhn-liches, zum einen war ich ja schon seit über zwei Jahren nicht mehr aus und zum anderen waren es völlig andere Menschen als die, die ich gewohnt war.

Es war alles sehr teuer, aber ich musste mir ja auch mal etwas gönnen. Ich hatte ja jahrelang nichts ausgegeben und so trank ich, aber ich passte auf, wo die Grenze war, ich wollte mich nicht vor Kirsten und ihren Freunden blamieren. Mit der Zeit wurde ich lockerer, so dass es ein schöner Abend wurde. Kirsten sorgte auch dafür, dass ich mich nicht ausgeschlossen fühlte.

Bei ihr zu Hause hinterher passierte nichts zwischen uns. Sie schlief im Bett, ich auf der Couch. So hatte ich es mir auch vorgestellt, aber abgeneigt wäre ich trotzdem nicht gewesen.

Ich wachte früh auf am nächsten Morgen, ich hatte zwar erst ein paar Stunden geschlafen, dennoch fühlte ich mich hellwach. Ich wäre schon gern aufgestanden, aber ich wollte Kirsten noch nicht wecken.
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Ich versuchte noch einmal einzuschlafen, aber es gelang mir nicht. Ich dachte über den vergangenen Abend nach. Irgendwie passte ich nicht richtig zu den Leuten, es war zwar lustig, aber das lag mehr daran, dass ich vom Alkohol angeheitert war. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich bei diesen Leuten irgendwie verstellen musste. Diese Leute waren zwar nicht viel älter als ich, aber irgendwie standen sie mehr im Leben. Ich mochte es zwar beruflich bereits zu etwas gebracht haben und würde es mit Sicherheit noch weiterbringen können, aber dennoch war ich tief in mir noch immer ein naiver und verspielter Teenager. Aber irgendwie liebte ich diesen Teenager in mir.

Als ich hörte, dass Kirsten zur Toilette ging, stand ich auf und sagte, dass ich mich auf den Weg machen wollte. Sie war überrascht darüber, ich sagte ihr dann, dass ich nicht mehr schlafen könne, was ja auch der Wahrheit entsprach. „Ich muss auch nicht mehr schlafen, ich mache uns Frühstück.“

„Ach, für mich brauchst du nichts zu machen, ich hab noch keinen Hunger, ich trinke höchstens einen Kaffee mit. Aber du brauchst dir wegen mir keine Umstände zu machen.“

„Es macht mir keine Umstände, darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen“, sagte sie.

„Wenn das so ist, dann bleibe ich natürlich gern noch ein wenig“, sagte ich, das war auch die Wahrheit, ich mochte sie ja und wollte auch weiterhin den Kontakt zu ihr halten, wenn ich auch nicht wirklich in ihren Bekanntenkreis passte. Aber sie akzeptierte mich trotzdem und ich konnte mich ihr anvertrauen.

„Du hast dich gestern anfangs unsicher gefühlt als meine Freunde dabei waren, oder?“, fragte sie dann.

„Ja, irgendwie ich hab mich so fremd gefühlt, na ja, ich hab ja schon so lange keine Menschen mehr kennen gelernt und bin es nicht mehr gewohnt“, sagte ich. „Das versteh ich“, sagte sie.

„Aber du hast mich ja zum Glück nicht allein gelassen“, lachte ich.

„Dann ist es ja gut“, antwortete sie beruhigt.

„Du kannst mich auch gern mal besuchen, aber leider kann ich dir niemanden vorstellen“, sagte ich.

„Das macht doch nichts. Aber vielleicht kannst du mich ja ein wenig über Mode beraten“, sagte sie.

„Sehr gern“, sagte ich. „Aber ich denke, du hast kaum Beratung nötig.
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Besonders toll finde ich den Nadelstreifenanzug, den du im Zug anhattest, an dir.“

„Den hast du dir wohl gemerkt. Freut mich, dass er dir gefallen hat“, sagte sie. „Ich habe noch einen anderen, soll ich ihn mal anziehen?“, schlug sie vor.

„Ja, gern“, sagte ich.

„Ich zieh mich mal eben um“, sagte sie und ging zurück ins Schlafzimmer.

Nach ein paar Minuten kam sie zurück.

„Und gefällt es dir?“, fragte sie.

„Perfekt“, sagte ich.

Sie betrachtete sich im Spiegel. Ich kam dazu und stellte mich daneben.

„Du bist wunderschön“, sagte ich.

Plötzlich konnte ich mich mehr zurückhalten und küsste sie. Sie erwiderte den Kuss. Und im nächsten Moment hatten wir Sex. Die dritte Frau in einer Woche. Aber nach dem Orgasmus fühlte ich mich mies. Ich fand, es war irgendwie nicht richtig. So richtig glücklich schien auch sie nicht zu sein, sie sah es wohl auch als Ausrutscher an.

Sie setzte Kaffee auf. Schweigend tranken wir ihn danach. Anschließend fuhr sie mich noch zum Bahnhof. Ich lehnte zwar ab, aber sie tat es trotzdem. Wir sprachen auch während der Fahrt nicht. Schließlich kamen wir am Bahnhof an. Ich wollte nicht einfach so aussteigen, irgendetwas musste ich sagen.

„Wir wissen wahrscheinlich beide, dass wir es besser nicht hätten tun sollen“, sagte ich. Sie nickte. „Aber ich möchte nicht, dass sich jetzt unsere Wege einfach so wieder trennen“, sagte ich danach.

„Das wäre blöd. Man kann Fehler machen. Lasst uns die Sache einfach vergessen“, meinte sie.

„Das heißt, wir hören wieder voneinander?“, fragte ich nach.

„Na klar“, antwortete sie und lächelte wieder. Ich war erleichtert.

„Also, bis bald“, verabschiedete ich mich.

„Bis bald“, sagte sie.

Ich stieg aus. Mir war völlig klar, dass es meine Schuld war. Ich hätte mich zurückhalten sollen. Vor einer Woche noch, hatte ich mich geschämt, dass ich außer Pia noch mit keiner Frau sexuellen Kontakt hatte, und jetzt, wo ich innerhalb von einer Woche mit drei Frauen Sex hatte, fühlte ich mich jetzt plötzlich mies. Wie konnte ich mich nur dafür schämen, außer mit Pia noch mit keiner Frau Sex gehabt zu haben, ich liebte sie schließlich, wie konnte ich mir dann Vorwürfe machen, dass ich nur mit der Frau, die ich liebte, Sex hatte.
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Für Kirsten hatte ich keinerlei Gefühle, die in die Richtung gingen. Sie war einfach nur eine Frau, die ich sympathisch fand und zufällig auch attraktiv war. Aber wir wollten es vergessen, hatte sie gesagt. Ich hoffte, wir konnten es wirklich vergessen und Freunde werden. In ihr hatte ich endlich jemanden gefunden, mit der ich reden konnte, ich wollte sie nun nicht wieder verlieren.

Ich drehte mich noch einmal um und winkte ihr zum Abschied. Es hatte schon etwas von einem Abschied für immer. Warum hatte sie sich auf Sex mit mir eingelassen? Vielleicht war sie über die Trennung von ihrem Freund auch noch nicht weg und tat es aus Verzweiflung. Für mich war es auch nur Verzweiflung, es gab mir aber mein altes Leben nicht zurück, und genau das wollte ich immer noch zurück haben.

Mein Urlaub war vorbei, ich wusste nicht, ob ich mich auf den nächsten Tag freute oder nicht. Es war sicherlich eine Menge an Bürokram liegen geblieben, um den ich mich kümmern musste. Dazu hatte ich keine große Lust. Ich fragte mich, ob ich nicht als Verkaufsleiter zurücktreten sollte und als normaler Verkäufer arbeiten sollte, auch wenn es weniger Geld bedeutete. Ich wollte einfach nur für meine Kundinnen da sein, und das konnte ich in meiner Position nur zur Hälfte. Vielleicht sollte ich mein Fernstudium auch einfach schmeißen. Aber ich wollte es mir noch durch den Kopf gehen lassen.



Ich wollte gerade fernsehen, als es klingelte. Das konnte nur wieder Sebastian sein, obwohl er ja gesagt hatte, dass unsere Freundschaft gekündigt sei. Ich hätte normalerweise nicht aufgemacht, bekam aber so eine Wut, dass ich beschloss ihn meine Meinung zu sagen, damit er ein für alle Male abhaute und nicht wieder anfing zu diskutieren. Als ich zur Tür kam, hörte ich, dass er schon davor stand. Verärgert öffnete ich die Tür, aber dort stand nicht Sebastian. Ich konnte es kaum glauben, dass dort tatsächlich mein Vater stand. Ich war mehr als nur überrascht. Nachdem ich ihn seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, stand er plötzlich ganz unerwartet vor meiner Tür.

„Vater?“, fragte ich.

„Hallo Martin“, sagte er.
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Ich sagte nichts darauf. Er war sehr grau geworden, besonders an den Schläfen. Vermutlich hatte die Zeit nach Mutters Tod dazu beigetragen. Auch war sein Haar schütter geworden. Den Bart trug er noch, er hatte sich, als er sich so gehen ließ, das Rasieren eingestellt. Aber er sah jetzt gepflegt aus.

„Was machst du hier?“, fragte ich.

„Ich wollte mal sehen, wie es dir geht. Ja, ich weiß, du fragst dich, wieso ich jetzt nach all den Jahren aus heiterem Himmel zu dir komme, was ich auch verstehen kann“, fing er an. „Ich weiß, ich hab Fehler gemacht damals“, fuhr er fort.

„Allerdings“, sagte ich.

„Ich wusste es schon lange, die ganze Zeit, ich weiß auch, dass ich ihn wahrscheinlich nicht wieder gut machen kann, aber ich wollte endlich nach so langer Zeit mal nach dir sehen“, sprach er.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Möchtest du hereinkommen?“, fragte ich dann.

„Ja, gern“, antwortete er.

So ließ ich ihn hinein. Ich bat ihn ins Wohnzimmer.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte ich. „Ein Wasser? Einen Kaffee? Eine Cola? Ein Bier?“ Das letzte Getränk sprach ich etwas betont aus, da er ja nach dem Tod meiner Mutter dem Alkohol verfallen war, kaum ausgesprochen tat es mir aber schon wieder leid.

„Ja, eine Cola wäre schön“, antwortete er und schien die Andeutung gar nicht bemerkt zu haben. Ich schüttete uns beiden Cola ein.

„Du hast es schön hier“, sagte er. „Wie lange wohnst du hier schon?“

„Seit zweieinhalb Jahren“, antwortete ich. „Woher weißt du eigentlich, wo ich wohne?“

„Ich hab Oma gefragt“, antwortete er.

„Davon hat sie mir ja gar nichts erzählt“, wunderte ich mich.

„Ja, sie sollte dir auch nichts davon erzählen“, antwortete er.

„Hattet ihr vorher schon Kontakt“, fragte ich.

„Nein, war auch zum ersten Mal wieder da.“ Ich nickte, um zu zeigen, dass ich verstand.

„Du leitest eine Boutique, hab ich gehört?“, erkundigte er sich.

„Nein, nicht ganz, ich bin Verkaufsleiter. Geschäftsführer ist Herr Thomann“, erklärte ich.

„Wie heißt der Geschäftsführer?“, fragte er und klang fast erschrocken.
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„Thomann, Bernhard Thomann“, antwortete ich und wunderte mich, wieso er plötzlich so ernst wurde. „Wieso fragst du?“, fragte ich.

„Ach, ich hatte den Namen nur nicht richtig verstanden und war neugierig, nichts weiter“, gab er zurück.

„Ach so“, sagte ich, war zwar nicht so ganz von seiner Antwort überzeugt, dachte aber nicht weiter darüber nach.

„Und was machst du so jetzt?“, fragte ich.

„Es geht mir wieder gut“, erzählte er. „Ich konnte mein Alkoholproblem wieder in den Griff kriegen, worüber ich auch froh bin. Ich arbeite auch wieder, ich hab mich vor ein paar Jahren selbständig gemacht, hab jetzt eine Schreinerei, und es läuft ganz gut.“

„Das ist doch schön“, sagte ich.

„Ich weiß, ich hab damals alles falsch gemacht, aber ich hab einfach nichts mehr auf die Reihe gekriegt, ich weiß, es ist keine Entschuldigung, aber ich bin damals mit meinem eigenen Leben nicht mehr fertig geworden. Ich wollte, ich könnte alles wieder rückgängig machen, aber ich kann es nicht. Ich bin froh, dass du mich nicht gleich wieder weg gejagt hast.“

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ich glaubte ihm, dass es ihm leid tat, aber ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Es war einfach viel zu viel Zeit vergangen. Dann musste ich daran denken, dass ich nach Pias Tod selbst total am Ende war und nichts mehr mit mir anzufangen wusste und beinahe selbst dem Alkohol verfallen war. Aber ich hatte andererseits keinen Sohn, um den ich mich kümmern musste.

„OK“, sagte ich nur.

„Ich hab das von deiner Freundin gehört“, sagte er. Ich schluckte. Warum musste er mich darauf ansprechen.

„Tja, da ist uns beiden wohl Ähnliches passiert“, sagte ich.

„Vermisst du sie noch?“, fragte er.

„Ja“, sagte ich.

„Ist sie das?“, fragte er und deutete auf das Foto, das auf dem Wohnzimmerschrank stand. Ich nickte.

„Darf ich es mal sehen?“, fragte er dann. Ich nickte wieder.

Er stand auf und ging zum Schrank, um sich das Foto anzusehen.

„Sie ist wirklich hübsch“, fand er. „Es tut mir leid, was passiert ist.“

„Danke“, sagte ich.

„Oma wollte dich da nicht drauf ansprechen, weil es vielleicht nicht gut ist, wenn du daran erinnert wirst, sie sagte, ich sollte dich daher auch nicht darauf ansprechen.
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Ich wollte es eigentlich auch nicht tun, aber als ich das Foto auf dem Schrank stehen sehen hab, hab ich mir schon gedacht, dass du noch an sie denkst“, erklärte er.

„Schon okay“, sagte ich.

„Hast du in der Zwischenzeit wieder jemanden kennen gelernt?“, fragte er.

„Ja schon, aber sie interessiert mich nicht“, sagte ich traurig. „Und was ist mit dir? Bist du wieder verheiratet oder hast eine Freundin?“, wich ich aus.

„Ja, ich habe seit einem Jahr wieder eine Freundin“, erzählte er. „Ich hatte auch immer gedacht, ich würde nie über Mutters Tod hinwegkommen, erst als ich meine Alkoholphase hinter mir hatte und anfing, mich selbständig zu machen, hab ich wieder zurück ins Leben gefunden. Sie arbeitet bei der Bank, ich hab sie kennen gelernt, weil sie für mich als Beraterin zuständig war.“

„Wie heißt sie?“

„Martina.“

„Und wie alt ist sie?“ „43.“

„Wohnt ihr zusammen?“

„Nein, ich wohne allein. Vielleicht ziehen wir irgendwann mal zusammen, aber wir wollen erst einmal abwarten.“

„Viel Glück“, sagte ich.

Einerseits interessierte es mich schon, was das für „eine“ war, aber andererseits hatte ich nicht unbedingt Bedarf daran, sie kennen zu lernen.

„Danke“, sagte er. „Aber ich vermisse Mutter auch noch oft“, sagte er dann. „Ich auch“, erwiderte ich. „Wohnst du noch in Dortmund?“

„Ja, in Westerfilde, du kannst mich, wenn du willst, gern mal besuchen“, schlug er vor.

„Ja, kann ich machen“, gab ich zurück. Sehr überzeugend klang es wohl nicht, aber wie auch, ich hatte mit dieser Begegnung überhaupt nicht gerechnet. Wir wussten beide nichts mehr zu sagen.

„Und musst du morgen arbeiten?“, fragte er dann.

„Ja, du auch?“, antwortete ich. Er musste auch.

„So, ich glaub, ich mache mich mal langsam wieder auf den Weg, ich wollte nur einfach mal auf den Sprung hereinkommen“, sagte er dann und stand auf.

Ich stand mit auf, um ihn zur Tür zu bringen.

„Es hat mich gefreut, dich wieder zu sehen, ich hatte schon Angst, dass du mich wieder wegschickst“, sagte er, als wir an der Tür standen.
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„Möchtest du meine Telefonnummer, falls du mal anrufen willst?“, fragte ich dann.

„Ja, gern“, freute er sich.

Ich holte eine Visitenkarte und gab sie ihm.

„Danke“, sagte er. Dann verabschiedeten wir uns.

Ich konnte nicht einfach abschalten, nachdem er gegangen war. Sein Besuch beschäftigte mich noch den ganzen Abend. Ich wusste nicht, ob ich mich, nachdem ich ihn über zehn Jahre nicht mehr gesehen hatte, über seinen plötzlichen Besuch freuen sollte oder nicht. Er war nicht einmal lange bei mir, vielleicht gerade mal eine halbe Stunde. Ich versuchte mich auch, in seine Lage zu versetzen. Er hatte nicht gewusst, wie er sich verhalten sollte, aber er schien ein Interesse daran zu haben, seinen Fehler wieder gut zu machen. Vielleicht sollte ich ihm einfach eine Chance geben. Ich beschloss es zu tun. Wenn er sich melden sollte, könnten wir uns ja wieder sehen, und vielleicht würde es ja irgendwann wieder so werden wie früher, oder zumindest annähernd. Aber was hatte ihn nur dazu bewegt, gerade jetzt wieder Kontakt zu mir aufzunehmen. Wie er sagte, hatte sich sein Leben vor ein paar Jahren wieder normalisiert, warum nicht schon damals? Klar, er hatte Angst, aber warum konnte er jetzt plötzlich seine Angst überwinden? Ich war echt gespannt, ob er sich wirklich wieder melden würde.



Am nächsten Tag war musste ich wieder zur Arbeit. Doch, ich hatte den Kopf nicht frei. Ich musste sowohl an den Besuch meines Vaters als auch an die Sache mit Kirsten denken. Es war, womit ich gerechnet hatte, viel Büroarbeit zu erledigen. Für Kundenkontakt blieb wenig Zeit.

Um zehn Uhr kam Herr Thomann. Es war die übliche Routinebesprechung, nichts Neues. Dann fragte er mich, wie mein Londonbesuch gewesen war. Ich sagte, dass es schön gewesen war. Er bat mich, bei Gelegenheit, falls ich Fotos gemacht haben sollte, sie mal mitzubringen. Ich sagte, ich täte es gern.

Der erste Arbeitstag machte mir überhaupt keine Freude. Ich dachte auch viel über meinen Job an sich und über mein Studium nach. Ich hatte in der letzten Zeit recht wenig für mein Fernstudium getan. Eigentlich brauchte ich den Abschluss nicht, aber ich wollte es trotzdem zu Ende bringen, selbst wenn es nur meinem Ego gelten sollte.
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Und von meiner Position zurücktreten sollte ich auch nicht, ich würde dann wahrscheinlich nicht genug Geld verdienen, um in Köln zu leben.

Pünktlich zu Geschäftsschluss machte ich auch Feierabend. Ich fuhr zu Pias Grab. Ich erzählte, dass ich bei Kirsten war, aber nicht, dass ich Sex mit ihr hatte. Dann erzählte ich ihr, dass mein Vater mich besucht hatte und wie ich mich fühlte.

Als ich mich umdrehte, sah ich plötzlich, dass auch Melanie da stand, ich hatte sie gar nicht kommen hören. Ich zuckte zusammen, als ich sie sah, weil es mir peinlich war, dass sie dann ja mitbekommen hatte, wie ich am Grab mit meiner toten Freundin gesprochen hatte. Außerdem war ich überrascht, sie ausgerechnet dort zu treffen. Sie hatte ihre Haarfarbe geändert, vorher waren sie dunkelbraun, nun waren sie schwarz gefärbt.

„Hallo“, sagte sie.

„Hallo, wie lange stehst du denn schon hier?“, fragte ich.

„Vielleicht zwei Minuten. Ich wollte dich nicht stören“, antwortete sie. „Es musst dir nicht peinlich sein, manchmal rede ich auch mit ihr“, sagte sie dann. Es beruhigte mich, dass sie mich nicht für bescheuert hielt.

„Ja, ich rede oft mit ihr, auch wenn sie es wahrscheinlich sowieso nicht hören kann“, erzählte ich.

„Und wie geht es dir so?“, fragte sie dann.

Das fragte sie mich jetzt plötzlich, als ich sie zufällig traf, nachdem sie sich einen Dreck um mich gekümmert hatte, als ich sie unbedingt brauchte und sich zwei Jahre danach nicht ein einziges Mal bei mir gemeldet hatte. Jetzt war doch ein guter Zeitpunkt, sie zu ignorieren oder ihr meine Meinung zu sagen, nämlich dass ich nun auch keine Lust mehr hatte, mich mit ihr zu unterhalten.

„Ganz gut, und dir?“, erwiderte ich stattdessen.

„Mir auch, danke“, antwortete sie.

„Seit wann sind deine Haare schwarz?“, fragte ich.

„Seit vier Monaten etwa“, sagte sie und lächelte fast.

„Sieht gut aus, steht dir gut“, sagte ich.

„Danke“, sagte sie, jetzt lächelte sie wirklich ein wenig.

Es war schon ein komisches Gefühl, nach zwei Jahren wieder mit ihr zu reden. „Und was machst du so? Machst du noch die Ausbildung, die du damals angefangen hast?“, erkundigte ich mich.
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„Ja, ist jetzt mein drittes Lehrjahr, läuft ganz gut?“, erzählte sie. „Und du? Arbeitest du noch in der Boutique?“

„Ja, nebenbei mache ich ein Fernstudium in BWL.“

„Nicht schlecht“, meinte sie.

„Ja, ich muss auch schon wieder weiter“, meinte sie plötzlich darauf. „Mach ´s gut, vielleicht sieht man sich bald mal wieder“, sagte sie noch und ging los.

Ich hatte gedacht, ich könnte mich mit ihr aussprechen, und schon war sie wieder weg. Und wie schnell sie weg war, von einer Sekunde auf die andere plötzlich, sehr seltsam. Da sah ich Pias Vater. Dann war er wahrscheinlich der Grund, warum sie plötzlich so eilig aufgebrochen war, sie hatte ihn wohl kommen sehen und wollte ihm nicht über den Weg laufen. Sie hatte nahm nämlich auch einen anderen Weg als er. Er hatte mir gerade noch gefehlt, nicht nur weil er mir die Möglichkeit vermasselt hatte, mich mit Melanie auszusprechen, sondern weil ich ihm auch nicht gerade begegnen wollte, aber es war zu spät für mich, um auch abzuhauen, denn er hatte mich schon gesehen.

Er ging langsamer als er mich sah, zögerte ein wenig, kam aber doch auf mich zu.

„Martin“, sprach er ein wenig erstaunt.

Ihn sah ich jetzt seit der Beerdigung zum ersten Mal wieder.

„Herr Reindel“, erwiderte ich grüßend.

„Lange nicht mehr gesehen“, stellte er fest.

„Ja“, sagte ich nur.

„Ich erinnere mich noch, was du auf der Beerdigung zu mir gesagt hast“, sagte er. „Du hattest Recht.“

Er konnte sich wohl nicht entscheiden, ob er mich siezen oder duzen sollte. „Wobei genau?“, fragte ich.

„Nun, damit dass ich alles falsch gemacht hab, und dadurch Pia, meine einzige Tochter verloren hab. Aber leider hab ich erst hinterher, viel zu spät, meine Fehler bemerkt“, erklärte er traurig.

Eine späte Einsicht, aber dennoch besser als gar keine Einsicht, auch wenn das Pia nicht mehr zurückbrachte.

„Leider merken wir alle oft erst hinterher, dass wir Fehler gemacht haben. Aber eigentlich waren nicht Sie das wirkliche Problem, sondern Ihre Frau“, entgegnete ich dann.

„Ich habe mich von ihr getrennt“, gab er bekannt.
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„Eine kluge Entscheidung“, lobte ich ihn.

„Ja, das war es, irgendwie habe ich mich zu viel von ihr beeinflussen lassen“, stellte er fest. Genau das, was Pia uns erzählt hatte.

„Pia hatte es auch immer gesagt. Bianca und Melanie mochten diese Frau auch nicht“, gab ich zu. Sein Nicken darauf ließ erkennen, dass er es einsehen konnte. „Mich wahrscheinlich auch nicht“, sagte er dann. „Ich hab gesehen, dass du mit Melanie zusammen hier warst und wie sie gegangen ist, als sie mich gesehen hat.“

„Nein, wir waren nicht zusammen hier, wir haben uns hier zufällig getroffen, ich hatte mit ihr auch schon zwei Jahre keinen Kontakt mehr“, erläuterte ich.

Jetzt merkte ich erst mal, was es für ein Zufall war, dass ich beide, nachdem ich seit etwa zwei Jahren nichts mehr mit ihnen zu tun hatte, an demselben Tag zur selben Zeit am selben Ort traf.

„Vielleicht können wir ja auf einen Kaffee gehen, ich lade dich gern ein“, schlug er vor. Ich wollte nicht unhöflich sein, daher nahm ich an.

Wir redeten natürlich viel über Pia, was mir nicht leicht fiel. Warum ich zu Melanie keinen Kontakt mehr hatte, wollte er auch wissen, aber ich erzählte ihm nicht, wie es war, ich sagte einfach, dass ich es nicht wisse, was ja eigentlich nicht ganz falsch war. Ich verzieh ihm, dass er mit Schuld daran hatte, dass Pia tot war, und ich war sicher, Pia würde es auch tun, wenn sie mitbekommen sollte, wie er sich Vorwürfe machte. Eigentlich stand er genauso einsam da wie ich: er war von seiner ersten Frau, Pias Mutter geschieden, hatte seine Tochter verloren und hatte sich von seiner zweiten Frau getrennt. Auch wenn seine zweite Frau kein Verlust war, aber dass er feststellen musste, wie schlimm sie war, war mit Sicherheit ein Verlust.

Wenn ich doch nur noch die Gelegenheit gehabt hätte, mich länger mit Melanie zu unterhalten. Wenn sie auch Pia an ihrem Grab besuchte, bedeutete es, dass sie ihr gegenüber doch keine falsche Freundin gewesen war, wieso sollte sie sonst an ihrem Grab gewesen sein. Natürlich bedeutete das noch lange nicht, dass sie mir gegenüber eine wahre Freundin gewesen war, aber Hauptsache sie war es Pia gegenüber gewesen.

Ich musste abends erst einmal ein Bier trinken, weil ich so aufgedreht war. Gestern hatte ich meinen Vater zum ersten mal wieder gesehen, und heute Melanie.
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Und ich hatte mit beiden gesprochen, und auf beide hatte ich so eine Wut gehabt. Wie es Bianca wohl ging, was sie wohl machte. Ich hatte Lust mich bei ihr zu melden, gern hätte ich ihr erzählt, dass ich Melanie getroffen hatte, aber ich ließ es bleiben. Sie lebte vielleicht inzwischen mit ihrem Freund zusammen, da würde ich jetzt wahrscheinlich stören. Ob Melanie auch einen Freund hatte? Mit Sicherheit. Nur ich war allein. Ich trank eine zweite Flasche Bier. Meine Oma rief in dem Moment an, sie sprach auf meinen Anrufbeantworter, sie wollte wissen, was es so Neues gebe. Damit meinte sie wahrscheinlich, ob mein Vater da gewesen war, wollte wohl nur nicht so direkt fragen, falls er noch nicht da gewesen war. Ich beschloss sie am nächsten Tag zurückzurufen. Ich hatte in dem Moment einfach keine Lust zu reden.

Ich machte Musik an. Ich ließ ein Lied spielen, dass ziemlich oft gespielt wurde, als Pia und ich zusammen waren und wir beide gut fanden. Ich drehte die Musik richtig laut auf, dabei trank ich meine dritte Flasche Bier. Ich merkte, wie der Alkohol wieder zu wirken begann. Ich döste vor mir hin.

Plötzlich klingelte und klopfte es an der Wohnungstür. Es war meine Nachbarin, diejenige, die Sebastian vertrieben hatte. Hinter ihr stand auch ihr Mann. Beide sahen sehr verärgert aus.

„Sind Sie verrückt geworden? Machen Sie die Musik leiser, das ist doch hier keine Diskothek!“, schimpfte sie.

Erst jetzt realisierte ich, wie laut die Musik wirklich war.

„Oh entschuldigen Sie, Sie haben Recht, ich werde es sofort abstellen“, sagte ich.

„Ja gut“, sagte sie. Sie schien zu merken, dass ich gar nicht richtig bei der Sache war und sah mich ein wenig besorgt an.

„Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte sie mich dann.

„Oh ja, doch. Es war nur ein harter Tag, ich war gerade irgendwie fast eingeschlafen und hab daher gar nichts richtig wahrgenommen“, erklärte ich. „Kann ja mal vorkommen, stellen Sie die Musik einfach nur ein wenig leiser“, sagte sie dann und wünschte mir noch einen schönen Abend. Ich stellte die Musik ab und ging schlafen.

Ich träumte, Melanie, Kathy und Kirsten waren bei mir und begannen fort zu schweben. Ich streckte meine Hand nach ihnen aus, doch sie sahen mich nur eiskalt an und entfernten sich immer mehr.
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Dann war da noch Sebastian, der mich darauf anfing zu umarmen und zu küssen. Vor Schreck wachte ich auf. Das war kein Traum, das war ein Alptraum. Und einen kurzen Moment, vielleicht ein paar Sekunden nachdem ich aufgewacht war, klingelte das Telefon, allerdings nur einmal. Ich sah auf die Uhr, es war viertel vor eins. Ich hatte schon so einen Verdacht, wer da angerufen hatte.
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Punktestand der Geschichte:   12
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Kommentare zur Story:

  Hallo,

es ist echt erstaunlich. Den ersten Eindruck von DDorf hatte ich damals auch. Heute ist es in manchen Stráßen (Altstadt) noch immer so, aber man findet hier zum Glück auch alternative Ecken.

Lg Sabine  
Sabine Müller  -  12.01.07 18:41

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Unbekannt" zu "Violett"

schöö :-)

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