Spannendes · Kurzgeschichten

Von:    sid ronnin      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 12. Oktober 2006
Bei Webstories eingestellt: 12. Oktober 2006
Anzahl gesehen: 1905
Seiten: 5

Der Wind strich ums Haus und rüttelte an den Fenstern und Türen. Es war Herbst. Stürmischer Herbst und es war nicht eben angenehm sich nach draußen begeben zu müssen. Doch es ließ sich nicht ändern. Der alte Schellenwecker hatte der Nacht wie schon seit Wochen um vier Uhr dreißig ein jähes Ende bereitet.

Das Zimmer war kalt. Eine Heizung gab es hier nicht. Und selbst wenn es eine gegeben hätte, so wäre sie sicherlich außer Funktion gewesen. Heizmaterial war sehr knapp und nur wer gut bezahlte konnte damit rechen ausreichend versorgt zu werden.

Die Zeiten waren nicht rosig im Moment. Tröstlich war für die Menschen lediglich das es den meisten anderen auch nicht besser ging.

Martin Stein rieb sich den letzten Rest Schlafes aus den Augen und schaltete deine Nachttischlampe ein. Doch der Raum blieb dunkel.

„Mist,“ schimpfte er. „Schon wieder kein Strom!“

Dann fingerte er in der Schublade des Nachtkastens herum und förderte eine Schachtel Zündhölzer hervor. Nun endlich wurde es hell im Zimmer. Monoton tickte der Wecker und nahm stetig mehr Zeit mit sich fort. Das Frühstück würde wieder einmal entfallen. Keine Zeit.

Mürrisch zog er seinen Mantel an, als er sich angekleidet hatte, und verließ sein Zimmer. Im Haus war es dunkel wie in einem Kuhhintern. Auch hier brannte kein Licht. So blieb ihm nichts anderes übrig als durch den dunklen Gang der Treppe entgegen zu streben.

Mit ausgestreckten Armen schritt er dahin. Am Ende des Ganges war ein Geländer. Dort musste er abbiegen. Wohl fühlte er sich allerdings nicht. Es war nicht ausgeschlossen das sich ein Bewohner das Geländer abgebaut und durch seinen Kamin gejagt hatte. In diesem Haus war alles möglich.

Aber es war noch da und so stürzte er nicht wie er befürchtete zwei Stockwerke in die Tiefe.



Die Strasse lag öde vor ihm. Die Straßenlaternen, soweit es sie noch gab, waren meist defekt. Es war kein Mensch auf der Straße. Kein Verkehr. Früher einmal fuhren um diese Zeit – es war gerade fünf Uhr geworden – die ersten Busse in die Innenstadt. Doch das war einmal. Nun gab es keine Busse mehr. Zumindest keine die zu dieser frühen Stunde ihre Runden drehten.

Martin hatte sich an diese Umstände längst gewöhnt.
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Er hatte es aufgegeben sich über irgendetwas aufzuregen oder sich Sorgen zu machen. Er lebte einfach von einem Tag auf den anderen. Wie so viele andere auch.

In der Ferne, nahe dem verlassenen Güterbahnhof, durchbrach eine im Wind schaukelnde Laterne das Zwielicht. Wolkenfetzen jagten über den nächtlichen Himmel und der Mond schielte ab und an durch die Lücken im Wolkengeflecht.

„Gespenstisch,“ dachte Martin und ging die Priegnitz- Straße entlang. Er lief mitten auf der Straße denn man konnte nie sicher sein vor herunterstürzenden Trümmerteilen. Zumal wenn es so windig war wie diese Nacht. Links von ihm zogen sich die zerschossenen Häuser entlang, die wie Totenschädel ihre leeren Fensterhöhlen gegen ihn bleckten, wenn der Mond die Fassaden beschien. Auch zu seiner Rechten lag manche Ruine. Doch diese Seite der Straße hatte es nicht ganz so stark getroffen. Es war lange her seit die letzten Bomben gefallen waren. Nur unregelmäßig krachte manchmal eine Granate in eines der Häuser.

Am Bahnhof in der Stadt zu wohnen war schlimmer. Dort gab es kaum ein Haus das noch vollkommen in Takt war. Und die wenigen die es gab hatten keine Scheiben mehr in den Fenstern oder kein Dach mehr. Aber zumindest standen sie noch und man konnte darin wohnen. Sofern man gerne gefährlich lebte, denn die Bahnhofstraße und das gesamte Bahnhofsgebiet standen noch immer häufig unter Beschuss.

Genau genommen wusste niemand zu sagen weswegen man sich schlug und wer mit diesem Unfug begonnen hatte. Es war schon zu lange her, der Ausbruch dieses Krieges. Seit bald zwanzig Jahren ging es hin und her. Erstaunlich, wie ausdauernd so ein Schlamassel sein kann, dachte sich Martin oft.

Ihn hatte man bislang nicht zu den Waffen gerufen. Er sei für die Industrie zu wichtig hatte es immer geheißen. Aber was besagte das schon?





Irgendwie sehr seltsam das Leben... -



Martin blieb an dem halb zerfallenen Bushäuschen stehen und ließ seine Gedanken fliegen.

Sollten sie doch warten auf ihn, was machte das schon? Ob er hier stand und sinnierte oder in seinem Büro hockte und nichts zu tun hatte weil es kein Material für die Prüfstände gab, wo lag der Unterschied?

Und so dachte er ein wenig über sein Leben nach, während der Herbstwind in dem Dämmerlicht an seinen Kleidern zerrte.
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Martin erinnerte sich noch schwach an den letzten Friedenssommer. Er war damals gerade siebzehn geworden und hatte sich unsterblich in die Tochter des Druckers Straasemann verliebt. Es war ein schöner Sommer. Er war sehr heiß gewesen und was noch wichtiger war, er war unbeschwert gewesen. Keine Last hatte in ihm geruht, alles war locker und unbeschwert. Alles war Henriette.

Dann kam der Herbst und sein Studium begann. Henriette schrieb ihm beinahe täglich glühende Leibesbriefe und Martin beantwortete sie ebenso brennend. Eines Tages kamen keine Briefe mehr und er fragte sich was geschehen sein mochte. Sein letzter Brief kam mit dem Vermerk „UNBEKANNT VERZOGEN“ zurück. Seine Welt begann erste risse zu bekommen. Doch das Leben ging natürlich weiter. Weniger unbeschwert als bislang. Dann kam der neue Mann im Staat. Martin hatte ihn nicht gewählt, wie so viele andere auch. Die Zeitungen hatten berichtet Doktor von Althofen, so hieß der neue Staatsführer, hätte mit einer überwältigenden Mehrheit gesiegt und seinen Gegenkandidaten vernichtend geschlagen.

Von fünfundneunzig Prozent war die Rede gewesen. Gigantisch! Aber vollkommen unmöglich. Wie sich einige Tage nach der Wahl herausgestellt hatte, war der Gegenspieler weit besser als der Sieger der Wahl. Reinhold Schuster kam auf sechsundfünfzig Prozent der Stimmen, wie unabhängige Presseorgane berichteten. Wie konnte das möglich sein? Diese frage stellte sich auch Martin auf seiner Universität.

Dann brach der Bürgerkrieg los. Ein Jahr lang stritten die Parteien erbittert und es gab hunderte von Toten. Ganze Landstriche fielen dieser Fehde zum Opfer. Und das Böse obsiegte! Althofen war der neue Präsident.

Nach langer Zeit kam nun wieder ein Brief von Henriette. Martins Herz schlug fast einen Purzelbaum.



„Hallo Martin! Du musst unbedingt kommen. Es ist etwas schreckliches passiert. Verzeih das ich letztes Jahr so plötzlich verschwand. Ich werde Dir alles erklären wenn wir uns sehen. Sei vorsichtig wenn du kommst. Erzähle niemandem davon! Verbrenne diesen Brief wenn du ihn gelesen hast.

Alles liebe Deine Henriette.“



„Sehr merkwürdig.
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..“ meinte Martin. Dann schrieb er sich eilig die Adresse auf die auf dem Umschlag als Absender angegeben war und verbrannte den Brief sammt Umschlag in seinem Ofen, der mitten im Zimmer stand.

Was war da nur los, so fragte er sich? Dann begann er nach zu denken und ihm war gar nicht wohl in seiner Haut. Wenn seine Gedanken zutreffen sollten, dann waren einige Menschen in größter Gefahr!

Am nächsten Morgen war er in den erstbesten Zug gesprungen der ihn nach Hause bringen konnte. Nach drei Stunden fahrt durch eine verödete Landschaft die vom Bürgerkrieg gezeichnet war, hatte er endlich sein Ziel erreicht. Mißtrauisch und argwöhnisch gegen jedermann sah er sich auf dem Bahnsteig um.

„Hier ist nichts mehr so wie es sein sollte,“ murmelte er still vor sich hin.

Männer in langen grauen Mänteln, die auffällig konzentriert in ihre Zeitungen stierten standen überall herum. Martin wusste nicht welche Funktion sie hatten. Ob sie nur Reisende oder Pendler waren, oder aber zu dieser neuen Geheimpolizei gehörten, die Althofen nach dem Bürgerkrieg aufgebaut hatte. Nach kurzem zögern schritt er durch die Bahnhofshalle dem Taxistand zu. Ihm war als folgten ihm hundert Augen. Kalte Schauer jagten ihm über den Rücken.

Eine innere Kälte herrschte hier in dieser Stadt, die er vor knapp dreizehn Monaten verlassen hatte. Plakate prangten an Hauswänden und Litfaßsäulen. Große Lettern verkündeten den Umschwung und den Aufstieg des Landes zu einer bedeutenden Macht. Grosspurige, leere Worte glotzten von diesen Werbeträgern. Nutzlos, unbeachtet aber dennoch konnte man sich ihrer Botschaft nicht entziehen. Lautsprecherwagen fuhren durch die Stadt und brüllten eben diese Propaganda in die Straßen, Häuser und Wohnungen.

Es gab kein Entkommen. Sie waren Überall! Und die Grauen Männer waren auch überall. Es schien als bespitzele ihn jedes Haus, jede Gasse und jeder Pflasterstein über den er ging. Nun fror er wirklich. Martin war es als müsste das Blut in seinen Adern zu Eis erstarren. Warum hatte er nicht schon früher mitbekommen das dieses Land sich verändert hatte?

Wahrscheinlich, so dachte er sich lag es an seinem Studium mit dem er so sehr beschäftigt gewesen war.

Schließlich stieg er in ein Taxi und ließ sich in die Stresemann Straße bringen.
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Dort wollte er Straasemann, den Drucker, besuchen. Doch als er beim Cafe Stenglein, genau gegenüber der Druckerei ausgestiegen war und das Taxi davon brauste traf ihn der erste Schock dieses Tages.

Das Gebäude in dem sich die Druckerei befand, war vollkommen ausgebrannt. Nur dort wo der Schriftzug „DRUCKEREI STRAASEMANN & CO“ einst in goldenen Lettern zu lesen stand, erkannte man die sauber gefügten roten Ziegel des Sichtmauerwerks. Alles andere war schwarz von Ruß und Rauch. Die Lettern hatte man offenbar entfernt.

Geschockt von diesem Anblick lehnte Martin an der Wand des Cafes. Und wieder hatte er das Gefühl beobachtet zu werden.

Nach einigen Augenblicken der Sammlung ging er ins Cafe und trank einen Wodka. Damit hatte er nicht gerechnet. Die Firma war einfach nieder gebrannt. Und keines der Nachbarhäuser beschädigt. Nicht einmal ein kleiner Makel war an ihnen zu sehen...



„Ach äh... Bedienung bitte!“

„Ja mein Herr, was kann ich für Sie tun?“

„Ich habe eine Frage und hoffe Sie können mir da weiterhelfen,“ meinte Martin diplomatisch. Die Kellnerin sah Martin mit offenem Blick an und wartete was er wohl zu fragen hatte.

„Wissen Sie zufällig was aus der Druckerei gegenüber geworden ist?“

Das Gesicht der Kellnerin wurde Augenblicklich zu Stein.

„Nein,“ sagte sie schroff „ und ich denke Sie gehen jetzt besser. Der Drink geht aufs Haus. Und jetzt verschwinden Sie hier! “

Martin war völlig erschrocken. Eilig zog er eine Jacke an und verließ das Lokal. Mehr und mehr kam in ihm die Überzeugung auf das etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte!

Und wieder fühlte er sich beobachtet. Doch nun wusste er weshalb. Hinter der ausgebrannten Ruine im Tordurchgang standen sie: Die grauen Männer. Fünf von ihnen konnte er sehen. Wie viele es aber wirklich waren wusste Martin nicht.

„Was wollt ihr von mir?“ schrie Martin der Ruine zu. Einige Passanten blieben stehen und sahen ihn verständnislos an.

„Ich spinn doch nicht,“ sagte er leise zu sich selbst und starrte die verkohlten Mauern an. Sie waren nicht mehr da! Die Grauen waren verschwunden. Insgeheim begann sich Martin zu fragen ob sie je in den Mauern gestanden hatte oder ihm nur sein überreizter Verstand einen Streich gespielt hatte.
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Kommentare zur Story:

  gefällt mir gut, besonders, da die Hauptgeschichte die Erinnerung vom Martin ist  
Doris Edlinger  -  08.04.07 19:09

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