Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    schwiminator      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 26. März 2006
Bei Webstories eingestellt: 26. März 2006
Anzahl gesehen: 2322
Seiten: 4

Es war schon fast Winter. Alles was in den Süden wollte, war dorthin geflogen. Vor allem braune, tote, aber auch grüne Bäume säumten die Lichtung. Ihre Nadeln waren wie ein Wunder. Ein Wunder, das Gott anscheinend nur den Nadlern geschenkt hatte. Alle anderen Bäume im Wald waren kahl, verhungert, als wären sie tot. Auf die Lichtung prahlte der Mond. In seiner ganzen Fülle und weiß wie eine Oleanderblüte, wenn sie im Mai den harten Winter überstanden hat und endlich die Sonne erblickt, warm und lächelnd, wie ein Freund, den man lange Zeit sucht und plötzlich wieder sieht.

Mitten in diesem Grün, Braun und Weiß stand ein Mann. Kaum Kleider am Leib. Nur ein Fetzen auf der frierenden, fast himmelblauen Haut. Diesen Fetzen hatte ihm eine Frau geschenkt hatte, die Mitleid hatte. Mitleid, weil es ihr doch so gut ging und ihm so schlecht. Mitleid, weil man doch selbst alles hatte und er nichts. Schließlich heißt es nicht DIE Leben, sondern DAS Leben, das man genießen sollte. Dies entdeckte in diesem Moment wohl auch die Frau. Selten hatte sie einen so starken Kontrast gespürt. Einen Kontrast wie zwischen den zwei Nichtfarben. Grübelnd blickte sie dem Mann lange nach, wie er sich nochmals bedankend von dannen zog, bis ihr eine Träne die letzte Fassung kostete und sie gleichzeitig in die Realität zurückholte. Tatsächlich wanderte der Mann ein wenig glücklicher weiter; auf seinem leichten, unbeschwerlichen Weg rund um die Welt. Nichts schien ihn aufzuhalten auf seiner Suche nach dem Etwas, dem Etwas, das er sein ganzes Leben gesucht, aber nie gefunden hatte.



So war er auch auf die Lichtung gekommen, frierend und mit starrem Blick. Er war schon alt und gebrechlich. Sein Rücken war gekrümmt, wie ein Grashalm, der keine Kraft mehr besitzt um gerade zu stehen und fast vom Wind umgeweht wird. Trotzdem hatte er noch die Kraft um seinen Kopf zu heben und empor zu richten.

Seine Augen blickten zum Mond, der sich vom Schwarz des Himmels abhob.

Plötzlich fing der Mann an zu schmunzeln. Er setzte sich auf das Gras, das mit einer leichten Frostschicht überzogen war; er aber fror nur noch ganz wenig, denn der große Mond spendete dem kleinen alten Mann Wärme.

Er überlegte, warum er überhaupt hier stand. In seinem Gedächtnis, auf das er sich immer hatte verlassen können, strömten Gedanken wie in einem Bach, der sich hoch oben in den Bergen aus schmelzendem Eis bildet und dann etliche Kilometer fließt; sich um Biegungen windet, Wasser bei Regen aufnehmen muss, sogar manchmal mehr, als er tragen kann.
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Um dann nach langer Zeit einem Fluss sein Wasser zu schenken.

Langsam entsann sich der Mann. Und es kam ihm vor, als könne er für seinen Zustand gar nichts. Er hatte sein ganzes Leben hart gearbeitet, immer fleißig wie eine Biene, darum bemüht Nahrung für den Nachwuchs zu sammeln; er hatte schließlich länger gearbeitet, als er hätte müssen. Der Mann hatte immer Spaß am Leben gehabt. Freute sich über jede Kleinigkeit, wie ein kleines Kind, das einen Lutscher geschenkt bekommt. Doch dann kamen sie und nahmen ihm alles weg. Sein ganzes Leben nahmen sie ihm, spielten mit ihm wie mit einem Ball, es schien, als wüssten sie nicht, was sie da taten. Nachhaltig dachten sie jedenfalls nicht!

Als der Mann mit solchen Gedanken um sich warf, schaute ihn der Mond böse an. Wie konnte man so über sein Leben denken? Hatte und hat nicht jeder einen Sinn zum Leben geschenkt bekommen? Und muss sich nicht jeder um sein eigenes Schicksal sorgen?

Der Mond verschwand kurz hinter einer Wolke. Man konnte fast meinen, er wollte den Mann für solche Gedanken bestrafen. Und tatsächlich fror der alte Mann wieder, der Mond gab ihm keine Wärme mehr. Doch schon bald kam der gelbe Ball wieder und zeigte sich in Hülle und Fülle, spendete Licht und Mut, als wolle er den Mann trösten. Sofort fing es im Gehirn des Alten wieder an zu arbeiten. Über und über dankte er dem Mond für seine Vergebung, wie eine Henne, die ihre Eier behalten darf. Der Mann pries alle Menschen, die ihm geholfen hatten zu überleben und es bis hier her zu schaffen. Außerdem gab er dem Mond Recht, schließlich hatte der Mann ja noch ein Ziel im Leben, das er erreichen konnte, das Etwas finden.

Kurzum, der Mann war wieder glücklich, dachte erneut an früher und ertappte sich dabei, wie er sich lange seiner großen Liebe zurückerinnerte. Er war damals noch jung und sie war zärtlich. Doch er hatte sich nie sie zu fragen getraut. Immer wenn sie auftauchte, verschwand er. Langsam war der Kontakt zu ihr abgebrochen. Er hatte ihr nur noch seine Träume gewidmet, die überschwemmt waren mit traurigen Gedanken.
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Sie waren nie klar, hatten selten ein Ende.

Letztlich kam er zu einem Entschluss: Er liebte sie immer noch. Tief im inneren weinte er, doch er wusste, dass alles seinen Sinn hatte. Doch die Frage nach dem Sinn des Leben, ließ in nicht los, wie eine Klette, die sich im Wald an die Hose hängt, in der Hoffnung sich fortpflanzen zu können. Sofort bekam er Antwort: Denn als er den Mond anschaute, bemerkte er seine unübertreffbare Pünktlichkeit, jede Nacht, 365 Tage im Jahr, schon über 150 Millionen Jahre. War und ist es nicht er, der uns vor zigtausenden Meteoriteneinschlägen bewahrt hatte. Unermüdlich dreht er seine Kreise. Warum sollte das keinen Sinn haben? Der Mond als ständiger Begleiter gab dem Mann jedenfalls die Antwort.

Nach kurzer Dauer dachte der Mann auch schon an etwas ganz anderes: An die letzten Winter, denn es hatte angefangen zu schneien. Als Kind hatte er oft im Winter Schneemänner gebaut und mit ihnen gespielt als wäre es seine Geschwister, denn er hatte keine gehabt.

In all dieser Zeit war der Mond schon ein ganzes Stück auf seiner Sisyphosstrecke weiter geglitten, ohne dass es dem alten Mann aufgefallen wäre. Langsam rieselten Schneeflocken vom Himmel hernieder, in der Hoffnung, den Boden bald zu erreichen und den Pflanzen wenigsten ein kleines Geschenk zu machen. Der Mann fing eine Flocke nach der anderen und freute sich seines Lebens. Seine alte Liebe war vergessen, den Sinn des Lebens hatte erkannt, alles Frieren war verflogen. Und er spielte im sich langsam wachsenden Schnee wie ein kleines Kind. Das Leben noch mal leben, das müsst man, nichts würde er genauso machen, alles anders, neue Grenzen entdecken würde er, sich neue Ziele setzen.

Bald ließ er den Stofffetzen auf den Boden gleiten und sprang unermüdlich auf dem weichen Waldboden.



Nach langer Zeit bemerkte er das Verschwinden des Mondes und wurde wieder ein wenig stiller. Und als er so da saß, in seiner Kahlheit, taute der Schnee unter seiner Körperwärme. Die Bäume fingen an zu blühen, aus dem Boden sprießen Keimlinge und der Alte hörte den ewigen Schrei eines gerade erschossenen Vogels. Wie ein Pfeil schoss dieser Schrei in das Herz des Mannes und ließ dieses aufflammen- blutrot. In seinem Körper brannte es, aber nirgends hörte man die schrillen Sirenen der Feuerwehr.
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Vom Mond war jetzt nur noch ein kleiner Zipfel zu sehen.

Der alte Mann, von der Schönheit ringsherum in einen Bann gerissen, blickte hoch und grinste, lachte, grölte dem großen, schlauen, runden Mond entgegen. Dankte ihm und Gott für sein Leben, kniete nieder und tat etwas, dass er seit etlichen Jahren nicht mehr gemacht hatte- er betete.

Lange dauerte dies und es schien bald, als würde der Mann schlafen, doch plötzlich riss er seine Augen auf.

Sein Puls raste, wie der eines Leistungssportlers. Schnell blickte er ein letztes Mal hoch in den stahl-grauen Himmel und schmunzelte- er hatte das Etwas entdeckt...



Der Mond verschwand nun ganz, zog weiter Richtung Norden auf seiner ewigen Kreisbahn umkreiste er weiter die Erde um Platz zu schaffen für die Sonne, die den Menschen das Tageslicht und somit neue Kraft, aber auch einen Tag voll harter Arbeit schenken wird. Als treuer Freund und Begleiter des Mannes ging er, ohne sich zu verabschieden...



...und gleichzeitig erlosch die letzte Flamme auf der Lichtung.

_______________________



Wenn man sich einmal von dieser Welt verlassen fühlt, dann blicke man einmal bei Nacht hinauf in den Himmel und betrachte den wohl treuesten Begleiter und letzten Freund des Menschen - den MOND.



Lukas M.


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Punktestand der Geschichte:   10
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Kommentare zur Story:

  Die geschichte hat mich zu tiefst bewegt  
Unbekannt  -  02.08.07 00:41

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  besonders:
der mond wärmte ihn
gänsehaut wohlige ;)  
sofí  -  04.06.06 18:52

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  Oh, diese Geschichte ist wirklich wunderschön und berührend! So toll beschrieben und ich find den Mond auch so schön, könnte ihn immer anschauen. Ich mag die Metaphern und die bildhafte Sprache und die Idee mit dem alten Mann und seine Begegnung mit dem Mond.  
Aya  -  03.06.06 01:42

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  Wow, die Geschichte is so traurig am Schluss, obwohn eigentlich nichts tragisches passiert... man kann lange darüber nachdenken  
Solveig  -  28.03.06 16:21

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

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