Trauriges · Kurzgeschichten

Von:    sweet_kitten      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 23. März 2006
Bei Webstories eingestellt: 23. März 2006
Anzahl gesehen: 1933
Seiten: 2

Nun blieb ihr also noch eine Stunde, so stand es zumindest auf dem Beipackzettel. Eine Stunde, 60 Minuten, 3.600 Sekunden. Wie viele Herzschläge waren das? Wie viele Atemzüge? Vielleicht war es auch nicht mehr so lang, schließlich hatte sie nicht eine Tablette genommen, sondern zehn. Als sie sich in ihr Bett legte, schmerzte ihr Hals von den kleinen, harten Kugeln. Doch bald hätte es ein Ende mit den Schmerzen und dem Leid, bald würde sie auch den Menschen, die sich einst ihre Freunde nannten, nicht mehr in die Augen blicken müssen. In den letzten Wochen hatte sie das allerdings sowieso nicht allzu oft tun müssen, da sich keiner mit ihr abgegeben hatte. Vielleicht hatten sie alle Recht, sie war es nicht wert, die Zeit ihrer Mitmenschen zu verschwenden. Seit Monaten war sie kaum von zuhause weggekommen, hatte sich nie mit Freundinnen getroffen. Sie hatte Angst. Angst, jemand könnte ablehnen, wenn sie vorschlug, man könne ja mal wieder etwas zusammen unternehmen. Sie spürte wieder diesen unglaublichen Druck, unter dem sie schon seit Wochen stand. Alles musste perfekt sein, in der Schule wollte sie nur Einsen schreiben, ihre Freizeit musste gefüllt mit anspruchsvollen Beschäftigungen sein, jeder musste sie mögen. Und je mehr sie sich selber diesem Druck unterwarf, desto weniger gelang ihr das alles.

Außenstehende hätten zu ihr gesagt: Was willst du eigentlich noch erreichen? Du bist eine der Besten in der Schule, du hast viele Freunde, du hast eine tolle Familie, du bist intelligent und siehst nicht schlecht aus.

Doch was sollte sie damit anfangen, empfand sie das alles doch nicht so! Ja, sie war gut in der Schule, doch zu welchem Preis? War sie nicht in allen anderen Klassen als Streberin verpönt, auch wenn sie noch so oft betonte, dass sie nicht mehr lernte als ihre Mitschüler?

Ja, sie hatte auch viele Freunde. Gehabt. Als sie sich ihnen noch stellte und sich nicht mehr und mehr in sich zurückzog. Allerdings waren viele dieser Freundschaften schon immer sehr oberflächlich gewesen und ihre beste Freundin hatte sich in den letzten Monaten auch mehr und mehr von ihr abgewandt.

Ja, ihre Familie war wirklich toll, sie war das einzige, was ihr bis zum heutigen Tage noch Halt gegeben hatte. An sie war auch ihr Abschiedsbrief gerichtet, schließlich wollte sie ihnen sagen, dass sie nicht an dem Schuld hatten, was im Moment mit ihr geschah.
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Unaufhaltsam. Inzwischen waren die Tabletten schon in ihrem Magen angekommen, bald erreichten sie in den Darm, die betäubenden Wirkstoffe gelängen in ihr Blut und benebelten allmählich ihre Sinne, bis sie sanft entschlummerte.

Ja, sicher war sie auch nicht dumm und hässlich auch nicht. Aber was nützte ihr das? Sie war nun sechzehn Jahre alt und noch nie mit einem Jungen „gegangen“ oder „zusammen gewesen“, wie man so schön sagte. Es gab da zwar jemanden, der sein Interesse an ihr offen zeigte, aber sie war wohl zu schüchtern, um diese Gefühle zu erwidern. Wie in so vielen Fällen. Wofür lohnte es sich also, weiterzuleben? Sie würde nie über ihren Schatten springen und etwas in ihrem Leben erreichen, nie heiraten, nie Kinder bekommen, nie die Schule abschließen, nie studieren, nie einen schönen Beruf haben. Sollte sie für immer und ewig zu Hause wohnen bleiben, ihren Eltern auf der Tasche liegen und womöglich als einer dieser hoffnungslosen, arbeitslosen, kinderlosen, glücklosen Menschen enden, die den Tag vor dem Fernseher verbrachten und nicht wussten was sie mit ihrem Leben anfangen sollten?

Dann doch lieber einen Schlussstrich ziehen unter all das Elend, dass das Leben für sie bereithielt.

Die Tränen rollten über ihre Wangen, als sie langsam in eine tiefe, schwarze Bewusstlosigkeit entglitt.
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Punktestand der Geschichte:   7
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Kommentare zur Story:

  thx sabine und destiny!
so viel kann ich verraten: die geschichte hat ein gutes ende, sie wurde gerade rechtzeitig gefunden...  
sweet_kitten  -  03.04.06 15:50

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  Inhalt, Thema, Schreibstil - gefällt mir Alles. Soetwas aus der Sicht von Jemanden zu schreiben ist sicherlich auch nicht einfach.
Ich kenne selbst Menschen, denen es ähnlich erging, habe es bei einer Freundin fast hautnah erlebt, damals! Die Geschichte hat gerade ein paar Erinnerungen hochgebacht.
Es ist traurig, wenn Menschen sich aufgeben, einfach nicht mehr können und zu unüberlegten Handlungen greifen. lg Sabine  
Sabine Müller  -  02.04.06 14:46

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  Dein Schreibstil gefällt mir und das Thema hast du meiner Meinung nach auch gut behandelt. Es ist wirklich sehr schwer über sowas zu schreiben, ich hab mich auch schon einige Male daran versucht.
Besonders den Anfang (bzw. die ersten Sätze über die Zeit, welche noch bleibt) finde ich sehr gelungen.
LG Destiny  
Destiny  -  02.04.06 11:39

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  Auch danke an presko und Meerschweinchen für die netten Kommentare!
@Meerschweinchen: Ich bin am überlegen, ob ich die Geschicht weiterschreiben soll, aber ich glaube eher nicht, das würde die Privatsphäre dieser Person verletzen. Außerdem muss ich ja Minotaurus zuliebe mal was positiveres schreiben :)  
sweet_kitten  -  26.03.06 17:39

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  Ich finde die Geschichte auch gut. Ich würde dieses Mädchen wachrütteln und sagen "Mach was aus deinem Leben. Versuche es, denn du kannst nur einmal Leben". Denn an Wiedergeburt oder so ein quatsch glaube ich nicht. Ich konnte durch diese Geschichte gut durchblicken. Du hast einen guten Schreibstil. Mach weiter so!
Lg Meerschweinchen  
Meerschweinchen  -  25.03.06 22:25

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  ich fand die Geschichte sehr gut geschrieben. Du schreibst aus der Sicht der betroffenen Person, also ist die Geschichte halt klar einseitig und klar fehlt da die Reflexion.
ich finde wenn solche Texte mit soviel Klasse geschrieben werden wie du, ist das absolut ok.
Selbstmitleid etc. finde ich keines. Das sind nun mal ernstahfte und wichtige Themen heute. Warum sollte man also darüber nicht schreiben dürfen?  
presko  -  25.03.06 02:02

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  Sorry, habe wohl vor lauter Zorn die Punkte vergessen, ich Schussel.  
CC Huber  -  24.03.06 15:33

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  Erst mal danke für das Feed-back! :)
@Minotaurus: Ich verarbeite in Geschichten gerne das, was ich erlebe oder, in diesem Fall, jemand, der mir sehr nahe steht. Wenn diese Art von Geschichten nicht deinen Geschmack trifft, so ist das dein gutes Recht, aber ich finde es nicht gerade fair, mir dann so eine schlechte Bewertung zu geben, ich hoffe, dass mein Schreibstil, meine Sprache, mein Geschichtenaufbau usw. bewertet werden und nicht unbedingt der Inhalt! Dieses Thema ist nunmal eines, das mich sehr bewegt, deshalb hab ich es aufgeschrieben, und wenn du keine solchen Geschichten lesen wilst, dann bitte ich dich, einfach wieder wegzuklicken ;)
@rosmarin und Christa: Danke für die netten Kommentare, ja, es kam zum Glück zu einem guten Ende. Ich finde das Thema ziemlich schwer, um darüber zu schreiben, aber es musste einfach sein. Meine nächsten Geschichte werden bestimmt wieder optimistischer
lg, Miriam  
sweet_kitten  -  24.03.06 14:19

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  es ist eine nachdenklich machende kleine geschichte über ein pupertierendes mädchen, das sich selbst unter druck setzt, indem es immer die beste sein will, damit überfordert ist, depressiv wird und als einzigen ausweg den tod sieht. makaber, aber gar nicht so selten. und das schrecklichste daran ist, dass die wurzel des übels in ihr selbst liegt, denn eigentlich geht es ihr ja gut.
schön wäre es gewesen, wenn du die geschichte zu einem hoffnungsvollen ende gebracht hättest, denn mit der erkenntnis kann man ja sein leben ändern. mit dem freitod als ende ist alles vorbei, man richtet noch mehr schaden an.
die geschichte ist nicht schlecht geschrieben und den einen punkt von mino finde ich sehr ungerecht und subjektiv.
lg
rosmarin  
rosmarin  -  24.03.06 10:39

   Zustimmungen: 4     Zustimmen

  Ach du meine Güte!
Geht das HIER jetzt auch schon los?
Diese Storys von Ritzern, Borderlinern, vermeintlichen Selbstmördern und anderen Spinnern, die meinen, damit ihre Umwelt "beglücken" zu müssen.
So etwas gehört zu einem Psychotherapeuten und nicht auf eine Autorenplattform!  
Minotaurus  -  24.03.06 10:13

   Zustimmungen: 1     Zustimmen

  Irgendwie macht mich das zornig. Soviel Energie in Selbstmitleid, Schuldzuweisungen an die anderen, keine Selbstreflektion. Die Konzentration auf das "eigene", hausgemachte Elend. Feigheit, sich nicht dem Problem zu stellen, so ein wenig der Hinweis "Ihr werdet schon sehen, was ihr mir Böses angetan habt".
Ich möchte dieses Mädchen schütteln, ihr mal die Augen öffnen für echte Probleme.
Na hoffen wir mal, es kommt noch zu einem guten Ende.
Christa  
CC Huber  -  24.03.06 09:59

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Nathanahel Compte de Lampeé" zu "Manchesmal"

... welch ein wunderschöner text ! lg nathan

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