Dichter A und Dichter B - ein philosophischer Dialog   64

Amüsantes/Satirisches · Experimentelles

Von:    rosmarin      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 9. Dezember 2005
Bei Webstories eingestellt: 9. Dezember 2005
Anzahl gesehen: 3229
Seiten: 4

"Du hast keine Ahnung von Dichtkunst", sagt der Dichter A zu dem Dichter B.



"So", sagt der Dichter B zu dem Dichter A, "teile mir bitte mit, wie diese, deine ungelehrige Meinung zustande gekommen ist."



"Du schreibst avantgardistischen Scheiß", erwidert der Dichter A dem Dichter B, "so schreibt doch heute keine Sau mehr. Millennium! Millennium! Das ist das A und das O, alles kommt ungereimt daher, ist das A und O einer Sache, das Wichtigste, Wesentliche, von A bis Z, Anfang bis Ende, alles, wer A sagt, muss auch B sagen, wer mit einer Sache anfängt, muss damit fortfahren. A. A. A. ampere avance, Berlin, Paris, Wien. 20 Stück, a' 3 €, alogisch, amorph, ana partes aequalis, anguilla vulgaris. Verkauft werden unser Jahrtausend, niedergerissen. Das Haus ist abbruchreif, morbide. Strafe abbrummen, verbüßen, Rheumapflaster, belladonna, capsicum, schräg nach unten senken, weiterfließen, Frischdampf, Kadaver beseitigen, Altes in die Abdeckerei, dezimieren, die Welt verbessern, Faules obdizieren, huldigen dem Sex, der Obszönität, der Kotzpoesie, dem Propheten den Bart abdrehen, durch Herumkreisen los reißen, Kurswechsel. Abdriften, Körper in anderem Material hinterlassen, durch Hebeldruck einen Schuss auslösen, Abspreizen beweglicher Körperteile, besonders von Gliedmaßen in der Art des Syllogismus, Störgeräusche durch Wegschneiden der Obertöne beseitigen, Vater des Moschus anbeten, Sonnenuntergang bis Mitternacht, Tagesende, Abertausend Jahre. Das ist der aberwitzige Wahnwitz einer Droge, die wir spüren müssen, genießen.



Das Messer fuhr ihm ab. Rutschte ihm aus ...



Den Kurs eines Segelschiffes so ändern, dass der Wind voller in die Segel fällt, vom Glauben abfallen, ein Flugzeug aus dem Sturzflug in die Normalfluglage bringen, einen Kometen abfangen, in einem leeren Teich nach Fischen fischen, das ist die Kunst, weiße Weihnacht erleben, ohne Schnee..."



"Du bist ein Arsch", sagt der Dichter B zu dem Dichter A. "Ich habe verstanden nichts."



"Eben", sagt der Dichter A zu dem Dichter B. "Millennium! Babys! Kosmischer Ritterschlag!"



"Aber...", sagt der Dichter B verunsichert.
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"Abertausender, ungeahnter Möglichkeiten", fährt der Dichter B fort, "öffnet dieses Jahrtausend seinen Menschen. Eine Gnade ist es, in ihm leben zu dürfen. Missbrauchen wir sie nicht; seien wir idiomorph, Kristalle, die in einer Flüssigkeit, dem schmutzigen Wasser der Vergangenheit, auskristallisiert wurden und eine charakteristische eigene Gestalt entwickeln konnten; idiopathisch, also selbständig und unabhängig von Krankheiten und Leiden; galoppieren wir ins nächste Jahrtausend, schwingen wir, gleich einem Idiophon, dessen Körper sich selbst wiegt wie ein Triangel; erheben wir unsere Idios, unsere eigene Stimme, unser Keimplasma und legen ab unsere angeborene Überempfindlichkeit gegen bestimmte Stoffe aus dem Sumpf der Vergangenheit mit Widerwillen und tödlicher Abneigung; sind wir nicht mehr ein Haufen eigentümlicher Mischung bildungsunfähiger Schwachsinniger; unser Jahrtausend ist ohne Bedarf des gewöhnlichen Menschen, unkundiger Laien und Stümper; wozu den Idiotenhügel immer wieder rauf und runter, idiotensicher, narrensicher; reißen wir uns die Maske vom Gesicht, die schwerste Form des angeborenen Schwachsinns, die Unsinnigkeit der größten Dummheit, die unüberlegteste Tat, den unsinnigsten Einfall, dumm, blöd, unsinnig, idiotistisch, idiotypisch, festgelegt durch die Gesamtheit des Erbguts Gattung Mensch; legen wir endlich ab die sprunghaft auftretende Veränderung dieser, dieser, dieser Erbanlage; interessieren wir uns doch für IDN, DSl, integrieren wir Fernschreib - und Datennetz, Nachrichtennetz und überhaupt Netz und Net und unsere elitäre Spezies Homo sapiens zur Übermittlung einer wunderbaren Botschaft; zerren wir andere Planeten an uns, kreisen wir in fremden Sonnen, ergötzen wir uns an dem Götzenbild in Aussehen, Gestalt und Beschaffenheit als Abgott, dem Gegenstand der Verehrung, dem Eidolon als Trugbild unserer Idylle und richten es auf zum Ideal, verehren es als Idol, wie wir einst verehrten die Bilder alter Meister, die Musik Beethovens, Elvis und Bob Delans und die Dichtkunst wie das beschauliche Leben ein-facher, natürlicher Menschen, die huldigten Hirten und der Schäferdichtung und glücklich waren; seien wir endlich nicht mehr eine Interessengemeinschaft unnützer Weichtiere mit kurzem, gedrungenem Körper mit auf dem Rücken aufrichtbaren Stacheln: Erinaceus europaeus oder mit Schokoladenguss überzogene und mandelsplitterbesteckte Kuchen oder kratzbürstige, unfreundliche Menschen, die sich verkriechen wie Igel bei Gefahr oder wie der Kugelfisch, der sich aufbläht bei eben dieser und dann schwimmt mit dem Rücken nach unten, Diodon hystrix; stellen wir uns doch der unerhörten Herausforderung in Wissenschaft und Technik, der Politik und der Kunst.
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.."



"Ich verstehe nicht...", sagt der Dichter B zu dem Dichter A.



"Eben", sagt der Dichter A zu dem Dichter B. "Schöpfer, gestaltende Tätigkeit des Menschen. Baukunst, Dichtkunst, Volkskunst, Indianerkunst. Kunst eben, das künstlich Geschaffene; Können, Fertigkeit, Geschicklichkeit, Taschenspielerkunst z. b., oder die bildende Kunst, die Kunst der Antike, des Barock, des alten Orient; oder die abstrakte Kunst, die realistische, alte, neuere, neue Kunst; angewandte Kunst, Gebrauchskunst, Kunstgewerbe, mittelalterliche Kunst, moderne Kunst, äh, ärztliche Kunst, die Sieben Freien Künste, die Schwarze Kunst…"



"Kunstbanause", wirft der Dichter B hämisch ein.



"Eben", sagt der Dichter A belehrend zu dem dichter B. "Kunstdünger, Kunsteis, Kunstfaser, Kunstglas, Kunstglied, Prothese, Kunstherz, Kunstkopf..."



Der Dichter B lacht laut auf.



"Ich meine das Tonaufnahmegerät in Kopfform", sagt der Dichter A gekränkt zu dem Dichter B, "wobei in die Nachbildungen der menschlichen Gehörorgane Mikrofone eingebaut werden, so dass bei der Wiedergabe über Kopfhörer oder mehrerer Lautsprecher ein völlig naturgetreuer Höreffekt ermöglicht wird. Oder nehmen wir einmal die künstliche Atmung, die Anregung der Atmung durch Dritte bei Erstickungsgefahr oder durch medizinische Geräte, z. B. die Eiserne Lunge bei Lähmungen, oder die künstliche Befruchtung, fälschlich betitelt für künstliche Besamung bei der Tierzucht oder der Beförderung von Samenflüssigkeit in die weiblichen Geschlechtsorgane. Hm. Kunstgriff, Handgriff, möglich nicht Jedem. Ein Kniff sozusagen, ein Trick, von einem Künstler, der Kunstwerke schafft, vergleichbar einem Werk der Literatur oder der Musik, künstlerisch dargestellt durch Sänger, Musiker, Schauspieler, bildende Künstler, freischaffende Künstler, wahren Künstlern im Geigenspiel.
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"Oder die künstliche Ernährung", sagt der Dichter B schmunzelnd zu dem Dichter A, "eine Ernährung durch eine dünne Magensonde über die Speiseröhre. Oder eine Magen - oder Darmfistel, durch Klysma oder Einlauf vom After aus..."



"Ich verstehe nicht, was du ...", sagt der Dichter A zu dem Dichter B.



"Eben", sagt der Dichter B zu dem Dichter A und bricht in künstliche Heiterkeit aus, Lustigkeit, Entzücken, Lachen, Lebensfreude.





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Kommentare zur Story:

  hallo, christa, danke für punkte und kommentar.
-literarischen Diarrhoe - was soll ich dazu sagen. lach.
lg
rosmarin  
rosmarin  -  10.08.06 23:32

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  Also wenn ich ehrlich bin, ich schwanke auch.
Zwischen Genialität und dem Ergebenis einer literarischen Diarrhoe. Das muß man erst mal können. Respekt.
LG
Christa  
CC Huber  -  10.08.06 19:02

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  genial - verriss - göttergleich - herrliche kombination.  
rosmarin  -  10.12.05 11:49

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  oh, raoul, ich bin beeindruckt, dachte, diesen text versteht eh keiner, ist etwas für überintelektuelle. war eine herausforderung.
der verriss hätte mich aber auch sehr interessiert. lol.
lg
rosmarin  
rosmarin  -  10.12.05 10:32

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  Das ist genial - ich schwanke zwischen verriss und göttergleich  
Raoul A. RaoulYannik  -  10.12.05 08:52

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Nausicaä" zu "frühling z2"

einfach toll, dieses frühlingsgedicht. du findest in deinen gedichten häufig ganz eigene, besondere bilder. wunderschön, ohne kitschig zu sein.

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