Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten

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Erstveröffentlichung: 29. Mai 2005
Bei Webstories eingestellt: 29. Mai 2005
Anzahl gesehen: 1414
Seiten: 5

Mit Duisburg assoziiert der einfache Mann auf der Straße Schimanski, Leidenfrost und die Fossa. Nicht aber Brot und Elstern.

Wie bitte? Dem einfachen Mann auf der Straße fällt zu Duisburg doch gerade mal Horst Schimanski ein. Der abgehalfterte, tourettierende Tatortkommissar, dargestellt von Götz George, der immer am Rande der Legalität und im speckigen Anorak seine Ermittlungen versah, bevor er ihn an den sprichwörtlichen Nagel hängte, bzw unehrenhaft entlassen worden ist, so genau weiß man das schon gar nicht mehr.

Bei Leidenfrost, Johann Gottlob, klingelt es eventuell noch bei einigen Physikstrebern, nicht dass sie den Knaben unbedingt mit seiner Heimatstadt Duisburg in Verbindung brächten, wohl aber mit dem “Tanzenden Tropfen” dem nach ihm benannten Leidenfrostschen Phänomen, die “Verzögerte Stoffumsetzung”, auf die Leidenfrost 1756 kam, als er die Salze des harten Duisburger Wassers ausdampfte, um die Herstellung von Erde aus Feuer und Wasser zu belegen. Er erwärmte einen eisernen Löffel bis zur Rotglut und ließ einen Tropfen darauf fallen. Ist die Temperatur der Oberfläche hoch genug, um eine rasche primäre Verdampfung zu erreichen, so tanzt der Wassertropfen auf einem Dampfpolster, der ihn vor der direkten Wärmeübertragung isoliert. Der Tropfen verkocht nicht zischend, sondern gleitet fast reibungsfrei 30 Sekunden lang über die glühende Fläche hin und her, während er lautlos kleiner wird. Unterhalb einer bestimmten Temperatur (dem Leidenfrost-Punkt) sieden die Tropfen rasch und verdampfen brodelnd, und ab dem Leidenfrost-Punkt vergehen sie langsam, geheimnisvoll und still.

Und das haben die sterbenden Tropfen mit der justament mit Aussterben beschäftigten Fossa gemeinsam, einer sehr raren, spindeldürren madegassischen Schleichkatzenart, die sich in erster Linie von Lemuren, also Halbaffen ernährt. Als einzigem Zoo der Welt ist es dem in Duisburg gelungen, sie in Gefangenschaft zu züchten, und andere Zoos mit den Würfen zu versorgen, so dass man sagen kann, die Zoofossas der Welt, ihre Wurzeln haben sie in Duisburg. Irgendwann wird der Zeitpunkt gekommen sein, dass Madegassen nach Duisburg pilgern müssen, wenn es sie fossisch-nostalgisch anwandelt. Woher allerdings die Futterlemuren stammen, wird beim Besuch des vom mehrspurigen Autobahnknoten Duisburg/Essen/Köln und Eisenbahnschneisen brutal zerschnittenen Zoos, über dem eine dicke Wolke ranzigen Frittierfetts hängt, so klar nicht, darüber hüllt man lieber den gnädigen Mantel des Schweigens.
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Vielleicht bekommen sie statt der gewohnten Halbaffen nur Viertelaffen? Außerdem kommt einem vor, dass der Zoo sowieso nur in erster Linie der Pommes Frites wegen aufgesucht wird, oder dem allsonntäglichen Tiergesichtermalworkshops für Kinder; relativ unbehelligt geht die Schleichkatze, der kahle Marabou, auch Philosophenvogel genannt, dem sie ein, wohl von einer Großkatze abgenagtes Ochsenbein ins Gehege geworfen haben, und das possierliche, den Morast mit seinem Rüssel pflügenden Pinselohrferkel ihren Tagwerken nach, und ebenfalls wenig Beachtung findet das einzigartige “Maus-Haus”, das ist eine komplett eingerichtete Küche, mit unabgewaschenem Geschirr, Töpfen und Pfannen, in denen Essensreste vor sich hinkrusten, und an denen sich ein auserwählter Mäusestaat gütlich tun kann, der erste Schritt der Duisburger Variante einer Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär möglicherweise.

Walter, der Wombat, ein tasmanischer Plumpbeutler, dieser letzte Stoiker unter den Geschöpfen Gottes, hat es da auf der Karriereleiter schon etwas weitergebracht, für ihn hat die Patenschaft Madame Agnes Mandel übernommen, honorige Besitzerin des Agnes-Mandel-Bettenhauses, dem praktischerweise auch eine Drive-In-Wäscherei angegliedert ist, deren voluminöse Hochleistungswaschmaschinen spezialisiert sind auf überformatiges Problemwaschgut wie Rheumalind- und Allergikersteppdecken, aber auch Vorzelte. Und solange Menschen schlafen, zelten und waschen, wird es Walter gutgehen, da braucht man keine Sorge zu tragen.

Im Innenhafen Duisburgs entsteht gerade unter der Leitung des Architekturpapstes Lord Norman Foster ein ambitioniertes Umwidmungsprojekt. Ehemalige Mühlen- und Speichergebäude, die als stadtbildprägende Kulisse erhalten bleiben, werden in attraktive Wohn-, Büro- und Gastronomieadaptionen umgewandelt.

Duisburg galt noch bis vor kurzem als Brotkorb des Ruhrgebietes, wofür noch die absurd hohe Frequenz an Bäckereien Indiz ist, die in der schauderhaften Fußgängerzone der Stadt um Kunden buhlen, mit teilweise seltsamen Argumenten (“Ihr fairer Bäcker”, was mag wohl in dieser Branche als unfair gelten? Statt Mehl Zement, statt Rosinen Kieselsteine?)).
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In den imposanten Getreidespeichern der verwaisten Küppersmühle hat sich der Duisburger Immoblien-Nabob und Kunstsammler Hans Grothe von den schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron ein prächtiges Museum für zeitgenössische deutsche Kunst bauen lassen, auf 5000 m2 versammelt er hier, was in der martialischen Malerei momentan so Rang und Namen hat, A.R. Penck, Georg Baselitz, Markus Lüpertz und Anselm Kiefer, der neben tonnenschweren Büchern aus Blei mit Sonnenblumenkernen als Buchstaben auch das bekannte, monströse Werk “Große Fracht” präsentiert, man sieht eine riesige, grob aus Dachrinnen zusammengeschweisste Concorde, die verdorrte Sonneblumen als seltsame Fracht aufgenommen hat, an deren Wurzelwerk Klumpen betonharten Lehmbodens baumelt, um damit über eine zerfurchte schwarz-graue Landschaft hinwegzutrudeln.

Dieses Konzept, neue Nutzung, Eleganz und Boheme einem solch siechen Areal einzuhauchen und es damit wiederzubeleben, ist so neu nicht, ähnliche Konzepte fand und findet man in der Hamburger Speicherstadt, den Wiener Gasometern, den Docklands in London und gar nicht so weit entfernt, im benachbarten Düsseldorf, mit seinem so genannten Mediapark und dessen inzwischen schon ein bisschen nervenden, verdrehten Häusern von Frank Gehry, der sich anheischig macht, zum neuen Friedensreich Hundertwasser zu werden.

Und dass dieses Konzept richtig erkannt und angenommen wird, ist ein Risiko, das man nie abschätzen kann, aber die Architekten können mit ihren durchdachten Plänen natürlich nicht auch die individuellen Bedürfnisse der Bewohner und Benutzer formen, so findet man hier im Industriehafen Duisburgs den gewöhnlichen Friseur, der sich einem Assimlierungs- oder Mimikrireflex folgend natürlich Hairstylist bzw Intercoiffeur nennen muss, und an seine Schaufensterscheibe mit selbstklebenden Buchstaben davon kündet, dass er ES geworden ist, nämlich “Weltpokalsieger”. Und die verdammenswerte Erlebnisgastronomie, die mit ihren “Speisen und Getränken zu zivilen Preisen” lockt, und zwar unter anderem für ein ranziges “Schnitzel Hawaii”, und schon Adolf Loos hat vor mehr als hundert Jahren zähneknirschend hinnehmen müssen, dass sich die Bewohner seiner, unter der Direktive “Ornament ist Verbrechen” gebauten Objekte, schnöde Biedermeier-Blumenkästen vor die Fenster hängten, und da nimmt es natürlich nicht Wunder, dass die Geschichte sich in Duisburg wiederholt, wenn der Lord, Norman Foster nämlich, der sich im Übrigen hier erstmalig an einem Wohnhaus versucht hat, konfrontiert wird mit seriellen Gartencenterblumenkübeln mit massenkompatiblem Gestrüpp, mit denen die Balkons zugestellt werden, und an jeder zweiten Balustrade eine Plastikkatze hangelnd baumelt, die man in der Winterzeit durch einen Weihnachtsmann ersetzt.
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Und wenn der Duisburger von sich und seinesgleichen spricht, vom besonderen Menschenschlag seiner Region, der Ruhrregion, dann kommt immer wieder das Attest, dass man hier ganz besonders ehrlich sei, das Herz am rechten Fleck trüge, und sich auch nicht davor scheue die Wahrheit zu sagen. Aber es beschleicht einen wie eine Schleichkatze der Verdacht, dass das letztlich nur zu Leerformeln geronnene Allgemeinplätze sind, die so auch andernorts ihre Gültigkeit haben, nur käme dort niemand auf die Idee diese Erkenntnis mantraartig zu wiederholen. Andererseits bekommt durch die Wiederholung das Ganze eine irgendwie komische Eigendynamik. “Wie gehts? Ja, nee, muss ja. Noch Tässken lecker Kaffee? Ja, nee, ach ja, auf einem Bein kann man ja nicht stehn. Wie auch immer. Schönen Tach noch. Ja, dann bis morgen, sei es wie es sei, ja, nee, ja, morgen is auch nochn Tach, Hauptsache gesund, ja, nee, man steckt nicht drin, wem sagense das?” usw, so mäandern sie den ganzen lieben langen Tag, und das meinen sie wohl mit “Herz am rechten Fleck”, das ist offenbar die spezifische Art im Ruhrgebiet zu atmen, Sauerstoff aufzunehmen und Kohlendioxid abzugeben, und die Mitmenschen wie Flimmerhärchen an der intimen Praxis des Atmens teilhaben zu lassen. 25 000 mal pro Tag.

Und unter ziemlich sicheren Umständen, die nie ganz geklärt werden können, nicht mal von Horst “Schimmi” Schimanski, wird Johann Gottlob Leidenfrost seine Erkenntnis von den tanzenden Wassertropfen ebenso akustisch begleitet haben, und wer weiß, vielleicht unterhalten sich die Fossas ebenfalls mittlerweile so?

Was nun die Elstern betrifft, diesen neckisch keckernden Kulturfolgern, die wie durch Geisterhand initiiert, das Stadtbild inzwischen mehr prägen als woanders die Tauben. Ist es das gesellige und geschwätzige Ruhrklima, das ihrem Naturell entspricht? Kein Mensch, kein Ornithologe, kein Duisburger, und schon gar nicht der sprichwörtliche einfache Mann auf der Straße kann das beantworten.
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Und wenn dereinst die Elstern die Stadt übernommen haben werden, den Bürgermeister, Zoodirektor und Bettenhausbesitzer stellen, und auch den einfachen Mann auf der Straße, und sich zu einem “Tässken lecker Kaffee” verabreden, wird es keinen Menschen mehr geben, der antworten kann, weil jede Phrase, jede billige Erklärung gesagt und abertausend mal wiederholt und solange durchgekaut wurde, bis kein Inhaltsstoff, kein Nähr-und Wissenswert, kein Aroma mehr übrig geblieben ist, nur noch die Atemluft, die sie ursprünglich einmal war. Und die wird idealstenfalls kaum wahrnehmbar rascheln wie der Knisterflug einer Libelle.
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Kommentare zur Story:

  Offensichtlich gehörst du zu den Kunst-Schreibern, denen nichts am Leser liegt.
Naja, man muss deine Texte ja auch nicht lesen.  
Das Getriebe  -  31.05.05 14:13

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Hallo, besonders die letzte strophe gefällt mir. Wäre das leben nur schön und man hätte alles, wäre man auch nicht glücklich. lg Holger

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