Die französische Künstlerin Sophie Calle hat einmal ihre Mutter gebeten einen Detektiv zu beauftragen, dass er sie für die Dauer einer Woche observiere. Ich vermute Calles Intention war, den Alltag nicht mehr so schludrig runterzuleiern, sich ein bisschen Mühe zu geben, sich auch Kleinigkeiten, wie die des regelmäßigen Ganges zum Klopapierhändler immer bewusst zu sein, des Detektivs Kassiber sollte sie wohl an all das erinnern. Aber ich kann mich irren, die Disziplin Kunstexegese sieht mich bisweilen wie ein Storch im Nebel nach Fröschen in Aspik stochern. Vielleicht ist sie ja auch nur eitel und braucht den Voyeur wie andere den Bissen Brot mit Kirschmarmelade. Oder noch profaner: Sie ist nur von den regelmäßigen Anrufen ihrer Mutter, mit den Fragen, was sie denn den lieben langen Tag so mache, genervt, und sie hat ihr den Vorschlag mit dem Schnüffler gemacht.
Wenn mich ein Detektiv überwachen würde, sähe er mich häufiger in dem fraglos angenehmsten und schönsten Kaffeehaus der Stadt, dem Café Tuchlauben in den Tuchlauben sitzen, und den gegenüberliegenden Hauseingang beobachten. Der Detektiv würde denken, ich sei ebenfalls einer, und er befinde sich in dem Elvis-Costello-Songs “Watching the Detectives”. Mein Interesse gilt, natürlich neben der Oasigkeit des Cafés, die man förmlich einatmen kann, dem einsamsten Museum Wiens, den “Neidhard Fresken” vis a vis der Kaffeestube. Seit 20 Jahren warte ich nun schon, dass da mal einer reingeht. Gesehen habe ich, außer mir, noch nie einen. Und das bei dem großartigen Namen dieser Einrichtung! Das wird auch nichts mehr, jetzt ist auch noch das grellgelbe Türschild, das auf das Museum im ersten Stock hinwies, abgebrochen, eine zeitlang lag es im Hauseingang hinter der Tür, jetzt ist es ganz verschwunden. Die Neidhard Fresken sind aus dem 13. Jahrhundert, und die ältesten profanen (nicht religiöse) Fresken Wiens. Beaufsichtigt werden sie von einer ganz wunderbaren, höflichen, fast scheuen Dame mit kroatischem Akzent, die gerne Radieschen isst und 7-Kräuter-Beuteltee trinkt. Immer wieder gerne ergieße ich über ihre lediglich administrative Beziehung zu den Fresken ein wenig von der Milch menschlicher Zuneigung. Sie war leider noch nie im Café Tuchlauben, wie sie mir erzählte. Ihre halbwüchsige Tochter ist mit Sicherheit nicht bauchnabelgepierct und hat auch kein tätowiertes Steißgeweih -auch wenn ich sie nicht gefragt habe, ich weiß das.
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Was man an den Wänden sehen kann, sind nur blasse Schemen von Männern in Strumpfhosen. Auf Wunsch legt die beste Museumswächterin von allen ein erklärendes und leierndes Video ein, welches, unterlegt mit Schalmeiengequäke, die Freskenfragmente erklärt, man erfährt von zwei Männern, die sich bei einer Schneeballschlacht “in die Haare geraten” sind, sie schmeißen mit ovalen Gegenständen, “vielleicht sind es Schneebälle, vielleicht Eier” sagt der kauzige Kommentator, möglich, dass sie sich darüber in die Haare geraten sind: machen wir hier eine Schneeball- oder Eierschlacht?. Eine andere Szene stellt den Herzog Neidhart dar, der das erste Veillchen der Saison gefunden hat, und es unbedingt seiner Königin zeigen möchte; um es zu markieren, stülpt er seinen Hut (der aussieht wie ein Turnschuh der Firma Adidas) über das Gewächs, er rennt los, die Monarchin zu holen, unterdessen hat die Aktion ein Bauer beobachtet, er hat die Blume ausgezupft und “einen Kothaufen daruntergelegt”, als der Herzog mit der Königin zurück zum Hut kommt, ist die Überraschung natürlich nicht eben klein.
Vor 600 Jahren lachte man sich darüber tot, so wie sie sich heute über den neuen Bully-Film totlachen. Mein Lachen hält sich in Grenzen, lacht Ihr Euch nur alle tot, ich bewundere währenddessen still die profanen Radischen der Museumsfrau, weil ich in diesem Moment selbst gerne eins wäre.
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