Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Heiko Sonnleitner-Seegmüller      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 13. Mai 2005
Bei Webstories eingestellt: 13. Mai 2005
Anzahl gesehen: 2399
Seiten: 3

Lebensinhalte



Seine Gedanken kreisten um die kommenden Minuten. Ein Zwang machte sich in ihm breit, welcher ihm befahl liegen zu bleiben, obwohl er schon seit einer halben Stunde wach in seinem alten, wackligen Bett lag. Er wußte, daß er noch einige Minuten liegen bleiben mußte; sich seinen Gedanken hingeben mußte. Gedanken die frei waren; die nicht jenen Zwängen unterlagen, die seit langer Zeit sein Dasein bestimmten und für lange Zeit bestimmen würden. Zwänge die stärker waren als er; derer er sich nicht erwehren konnte, so sehr er sich auch bemühte.

Diese Zwänge. Sie kamen nicht schleichend. Sie entwickelten sich nicht über Jahre hinaus und gaben ihm damit die Chance sich daran zu gewöhnen, sich darauf einzustellen. Diese Zwänge kamen innerhalb von Sekunden. Sie kamen in Sekunden und bestimmten seit dieser Zeit seine Existenz. Er konnte sich nicht dagegen wehren. Vielleicht war er zu schwach um sich wehren zu können, vielleicht gab es keine Möglichkeit sich dagegen zu wehren; diese Zwänge aus seinem Leben zu verbannen.

Der junge Mann sah zu seinem Fenster durch welches nur zwei oder drei Sonnenstrahlen drangen und schwach das staubige, nur spärlich möblierte Zimmer erhellten. Blicke zu diesem Fenster. Blicke die er immer zur gleichen Stunde tat, zur gleichen Minute, zur gleichen Sekunde. Seit Jahren. Jeden Tag.

Langsam griff er neben seinen Hals. So als wolle er eine Decke greifen, die seinen Körper bedeckte. Eine Decke die nicht vorhanden war. Es war ein Griff der durch diesen Zwang erfolgte. Durch diesen alles bestimmenden Zwang. Langsam schob er das Nichts zur Seite, setzte den rechten Fuß neben sein Bett, richtete sich auf und ließ den linken Fuß folgen. Wie er es seit Jahren schon tat. Zur gleichen Zeit, an der gleichen Stelle des Hauses. Selbst seine Füße standen ohne Abweichung jeden morgen an der gleichen Stelle. So wie jede seiner Bewegungen niemals auch nur die geringste Toleranz aufwies.

Der junge Mann erhob sich und lief zu einem alten, verrotteten Stuhl. Für einen kurzen Augenblick blieb er stehen. Dann ergriff er etwas, das vor einigen Jahren noch vorhanden war. Doch die Jahre waren dahingezogen und so berührte seine Hand nur die staubige Luft, zog diese an sich und führte jene Bewegungen aus, die ein Mensch tätigt wenn er eine Hose überstreift.
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Dann griff er wieder in jene Richtung in welcher dieser alte Stuhl stand und schien sich ein Hemd überzuziehen, welches nicht vorhanden war. Seit Jahren zur gleichen Sekunde; die gleichen Bewegungen. Ohne Abweichung.

Während er diese Bewegungen mechanisch ausführte, stellte er sich immer wieder die Frage, wie lange es diesen Stuhl noch geben würde. Würde dieses Sitzmöbel noch einige Monate seinen Dienst verrichten oder waren es eher Wochen, Tage. Und nachdem er sich diese Frage gestellt hatte, dachte er bei sich, daß es egal sei. Es sei egal, da er durch diesen Zwang kontrolliert wurde und selbst wenn es diesen Stuhl nicht mehr gibt wird er die gleichen Bewegungen ausführen. In jener Weise, als wäre dieser Stuhl noch immer existent; als wäre noch alles an jenem Platz und in jenem Zustand wie damals als diese Zwänge begannen und seither nicht mehr aufhörten.

Seine Schritte führten ihn gemächlich zur Zimmertür, welche schon seit langer Zeit aus den Angeln gefallen war. Und doch griff er nach dem Türbeschlag und führte eine Bewegung aus, als wolle er jene Tür öffnen, welche auf dem Boden lag und schon seit langer Zeit ihre Funktion aufgegeben hatte.

Der junge Mann schritt aus der Tür. Seine Gedanken kreisten nun um die kommenden Minuten. Jene Minuten, die damals sein sorgloses Leben beendeten und ihm nun dieses zwanghafte Dasein bescherten.

Der junge Mann lief nach rechts, schritt durch die Tür zu seinem Bad; lief auf das Waschbecken zu. Seine Blicke geradeaus gerichtet führten ihn seine Schritte exakt an jene Stelle, an der er auch damals stand. Damals als diese Zwänge begannen. Wie damals schaute er in den Spiegel vor welchem er stand.

Wie lange schon hatte er sein Gesicht nicht mehr gesehen? Wie lange schon verdeckte der Staub und Dreck auf diesem Spiegel seine Sicht?

Seine Hände berührten den alten Wasserhahn, drehten am Ventil. Der junge Mann konnte sich noch gut an jenes Geräusch erinnern, welches er damals vernommen hatte. Das Plätschern des Wassers, wie es aus diesem Wasserhahn trat. Ein Geräusch welches er seit langer Zeit nicht mehr vernommen hatte und niemals wieder vernehmen würde.

Der junge Mann beugte sich nach vorne, berührte mit seiner Hand das Waschbecken, welches zur Hälfte auf dem Boden lag.
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Er fühlte wie ein Blitz seinen Körper durchfuhr. Mechanisch begann er zu schreien. Er fühlte den Schmerz von damals, er schrie wie damals. Es war ein Teil seines Zwanges.

Wieder sah er die Bilder vor sich. Die Bilder seiner letzten Sekunden. Er fühlte den Strom, wie er durch seinen Körper zuckte. Sein geistiges Auge begann sich an den zufälligen Augenblick zu erinnern, als er dieses Elektrogerät unter dem Wasser sah. Jenes Gerät, welches er mit seinen Händen berührte.

Der junge Mann fiel um, bemerkte wie das Leben aus seinen Gliedern wich. Mechanisch, wie damals. Er blieb liegen. Leblos. Er wußte, es würde morgen wieder geschehen. Es würde geschehen, wie es schon seit Jahren geschehen war und wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit geschehen würde.
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Punktestand der Geschichte:   84
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Kommentare zur Story:

  Das ist aber ein armes Gespenst.
Der Titel stört mich ein wenig. Lebensinhalte. Als ob du den Leser bewusst auf eine falsche Spur bringen wolltest. Das hat die Geschichte nicht nötig.  
Chris Stone  -  19.05.05 14:45

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Kommentar von "Sabine Müller" zu "Die Lebenswippe"

Hallo, sehr schöne, wahre Gedankengänge! 5 Punkte von mir. lg Sabine

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