Poetisches · Amüsantes/Satirisches

Von:    Rolf-Peter Wille      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 5. Oktober 2004
Bei Webstories eingestellt: 5. Oktober 2004
Anzahl gesehen: 5187
Seiten: 4

(eine lyrische Reise in die Dichterhölle)





von und mit Rolf-Peter Wille







für H.H. (und R.S.)







Geliebter Heinrich:



Dein Lästermund der sabberte

In’s Angesicht der Gaffer.

Dein scharfer Zahn zerknabberte

Manch’ heilige Metapher.



Und Deine Zunge, lang und spitz,

Verspritzte Ironie

In Prosa, im satir’schen Witz

Und in der Poesie.



Doch Deine Lyrik singet reich,

So hold und schön und reine.

Aus Tränen sprießen mir sogleich

Die Blümlein, liebster Heine.







Schizophrenia Poetica



(eine lyrische Reise in die Dichterhölle)







I. Fernes Grün

II. Das Lied vom Sandmann

III. Wiederauferstehung

IV. Betrogenes Sehnen

V. Schizophrenia Poetica

VI. Trugschluss im Mai

VII. Adieu, Du Ich …

VIII. Die kleine schwarze Agonie

IX. Der ironische Freitod

X. Beelzebubs Fliege

XI. Die Glühmücken

XII. Schlummer von Kristall

XIII. Jenseits

XIV. Vergänglichkeit

XV. Der Doppelgänger

XVI. Der Untote





I.



Verblüht, entblättert stehn die Bäume.

Ihr Grün war nur ein kurzes Glück.

Nun ziehen sehnsuchtsvolle Träume

In ferne Frühlingszeit zurück.



Das Atmen einer milden Weite

Ersetzt mir sanft der Jugend Grün.

Zwar ist mein Frühling nur der zweite,

Doch hold darf er im Herbst erblühn.



Bald spür ich schon die leisen Flocken

Wie ein vertrautes, süßes Weh

Im ewig weichen, weichen Locken

Der eisig reinen Winterfee.





II.



Ich wanderte, ich wanderte

im milden Dämmerlicht.

Da sah ich so ein Wesen.
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Es ging ein kleiner Wicht.



Der holperte, der stolperte

so über Stock und Stein.

Es tanzten Eintagsfliegen

im Abendsonnenschein.



Er humpelte und rumpelte

gar stets vor mir im Gras.

Es wackelte die Mütze,

es zitterte die Nas.



Er klapperte und tapperte

mit seinem Wanderstab

und pochte auf die Erde

als suchte er sein Grab.



Da flatterte, da flatterte

sein finsteres Gewand.

Er trug auf seinem Buckel

den Sack mit feinem Sand.



Wer ist denn dieser Unhold?

Hast Du ihn nie gesehn?

Du glaubst nicht mehr an Zwerge?

Du glaubst nicht mehr an Feen?



Das ist der alte Sandmann,

der uns die Sonne raubt.

Und sieh, die Eintagsfliegen,

die tanzen ihm ums Haupt.





III.



Es lächelte selig gelinde,

Es lispelte sanft und verzückt.

Nun ist mir das Bildnis vom Kinde

Verblichen, zerronnen, entrückt.





Da hab ich gestammelt, geweinet,

Und Stille entstellt das Gesicht.

Doch lieblich erstrahlet und scheinet

Ein Lächeln aus meinem Gedicht.





IV.



Sanft ist mir durch den Traum gezogen

ein Sehnen süßer Wonnigkeit,

noch im Erwachen zartes Glück.

Nun stehe ich am Uferrand

und wünsche sehnend mich zurück

und starre in die dunklen Wogen.

Doch meine Sehnsucht hab betrogen

ich mit der Wirklichkeit.





V.



Ich wünschte mir, ich wäre

so wie mein lyr’sches Ich.

Das weinet manche Zähre

gar weich und wonniglich.



Es singt so, ach, sensibel

in moll, ja selbst in Dur.

Das wirkliche? Penibel -

so stumm, so steif, so stur.



Ich hoff’ wir beide werden

uns einmal finden leis -

wenn nicht auf dieser Erden

dann wohl im Paradeis.
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VI.



Ich wanderte mit Dir im Mai wie an vergangnen Tagen

durch die Natur.

So frank und frei wie damals lagen

die weissen Blüten auf der Flur. Gar wie aus alten Sagen

und Mythen sang die Schar der Vögel.

Es summte in der Heide und ich weinte und ich lachte

und vermeinte,

vereint wie damals einst zu sein mit meinem lieben Geist.

Ich war geheilt und nicht entzweit...

und ich erwachte.





VII.



Im Spiegel sah ich ein Gesicht,

mocht es gar nicht leiden,

sag’s, mein Lieb, Dir im Gedicht:

Ich laß mich von Mir scheiden.



Wir suchen einen Herrn Chirurg,

soll uns gut zersägen;

noch besser einen Psycholog,

so einen rechten schrägen.



Der legt uns lieb auf seine Couch,

läßt dann ohne Säumen,

ohne Weh und Ach und Autsch

zart sich uns zerträumen.



Wir werden sicher süß entzweit.

summ nicht trübe Lieder.

Im Frühjahr, wenn es Rosen schneit,

sehn wir uns mal wieder.





VIII.



Im Sommer im sonnigen Spanien

da wachsen die wilden Geranien.

Im Winter im kalten Betónien

blühen so giftig Agónien.



Es wandelt meine Phantasie

und pflückt sich eine Agonie,

pflanzet sie, dünget sie

mit feiner schwarzer Ironie.



Ach Blümelein, mein Blümelein,

wächst Dich in mein Herz hinein,

kranker, sücht’ger Parasit,

singst durch mich Dein grauses Lied.



Schwarz die Trauer, schwarz der Flor,

schwärzer noch ist mein Humor.





IX.



Wie hab’ ich meine Ironie

Gespuckt - oh ja - gespuckt!

Doch eben hab’ ich aus Verseh’n

Ein Stück davon verschluckt.
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Zuerst war’s nur wie Branntewein -

Hat nur ganz leicht geätzt;

Doch dann - oh nein - wie Rattengift

Hat’s mir den Bauch zerfetzt.



So hab’ ich meinen armen Leib

Mit Ironie befleckt

Und bin dann noch zu guter Letzt

Verreckt - oh ja - verreckt.





X.



Ist’s wahr, was das Sprichwort vom Teufelchen sagt,

zur Not frisst das Ärmste auch Fliegen?

Der Beelzebub nämlich, der hat mir geklagt,

ihm täten die Viecher nicht liegen.



Er sei wohl ihr Fürst - doch schmeckten sie nicht;

sie summten zu elendiglich:

"Ich fresse was Bessres zum Jüngsten Gericht,

zur Not dann, mein Lieber, auch Dich!"









XI.



Ich ging durch einen heissen Wald,

Darin die Mücken glühten.

Die Mücken glühten weiss und kalt.

Ich dacht an finstre Mythen.



Ich dacht an eine dunkle Gruft.

Da huschten Ungetiere.

Es tanzten in der heissen Luft

Die winzigen Vampire.



Ich strich durch Dickicht und Gebüsch,

Wo giftig Blumen blühten.

Manch Falter zappelt wie ein Fisch.

Und nur die Mücken glühten.



Da lief ich fehl und in die Irr.

Die Nacht mit ihren Tücken,

Die glimmert fahl, sie redet wirr.

Es glühten nur die Mücken



Es flimmert im Gespensterwald.

Es glüht die Mückenbrut.

Sie leuchtet mir so weiss und kalt

Und trinkt mein heisses Blut.



Bald werd ich schwach und müde sein.

Mein Wandern ist vollbracht.

Dann stellt sich auch das Glühen ein.

Dann wirds wohl schwarze Nacht.





XII.



In einem kalten Schlummer von Kristall

Erlausche ich den Klang der Pyramide

Als schwebenden Gesang. In feinem Liede

Erzittert mir ihr Glas aus reinem Schall.



Erschauernd, tief im Puls der Melodie,

Verschmilzt mein Traum mit glitzernden Geweben,

Die sie erfüllt in polyphonem Leben

Mit klingender, sonorer Harmonie.
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Und kälter wird mein Schlaf. Im weissen Saale

Der Pyramide klirrt die Melodie

Nun immer leiser - wie vereistes Lachen.



Erstarrt, verrenkt in bleiernem Chorale,

Stöhnt eine Orgel ihre Agonie;

So fern - unendlich ferne dem Erwachen.





XIII.



Als Kindlein nur durft ich im runden,

im singenden Schlummer gesunden.

Im wunden Schlafe verschlissenen Alters

schnarcht meine Spinne zerrissene Lieder.

Die kalten Winde will sie fliehen,

spinnt sich zerwebte Agonien.



Jedoch die Glieder krabbeln weiter

im Bauch der Stadt verwirrt;

der brummt sich was, verdattert;

Nur eine Sehnsucht flattert noch, ein Hauch, verirrt

und matt und summt sich leise Lieder;



Und immer wieder…,

und immer wieder müdes Lachen,

im Traume ein Erschauern;

Da wähne ich mich fiebernd schon erwachen.

Doch nur als Raupe wurmt es fort durch trübe Mauern.





XIV.



Vergänglichkeit, Vergänglichkeit,

Verlaß’ mich nicht im Grabe;

Damit sich noch manch’ Würmchen dann

Am faulen Fleische labe.





XV.



Im Jammertal, in tiefer Gruft

such ich meine Trümmer,

höre, wie es nach mir ruft

in doppeltem Gewimmer:



"Was klagst Du mir Dein Ach und Weh,

Du halb zersägter Sänger?"



"Schmachte tief im Rosenschnee,

schräger Doppelgänger!"



"Kehr heim zu mir, verkehrtes ‘Du’,

vergiß Dein kaltes ‘Dich’!

Verschmelzen werden wir im Nu

zu einem heißen Ich."



Und aus der Gruft im fahlen Licht

naht sich finstrer Schatten.
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Es streift sein Blick mein Angesicht,

verhuscht wie flinke Ratten.



"Mein Freund, so sprich, bist Du’s, mein Ich?

Wie ist es hier so duster!"



"Auf …", so krächzt es fürchterlich,

"…auf, zum Flickeschuster!

Heim, kehr heim; es brennet hier

heißes Feuerlein.

Schmilzt Du mir, verschmelzen wir.

Komm! Jetzt bist Du mein."





XVI.



Wo Egel gierig ekle Säfte saugen -

Sieh’, welch ein süchtig klebriges Gewürm -

Verglüht im Tümpel giftiges Gestirn.

Es glimmt ein grauser Mond in Unkenaugen.



Und nachts am Sumpf im faulen Fieberschein,

In feuchten Grüften modernd klamm gefangen,

Von schimmelndem Geflechte sanft behangen,

Verweset leise käsiges Gebein.



Es muß um jenen Sumpf geduckt ein Wesen schleichen:

In dunklem Traume, der sich selbst verdaut,

Kann es sich dennoch niemals selbst entweichen.



Welch Unhold, dem es vor sich selber graut!

Und in dem Tümpel, in dem gräulich bleichen,

Da hab’ mein Spiegelbild ich nie erschaut.
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Kommentare zur Story:

  Das sind ja eine Menge Gedichte und es dauert ein Weilchen bis man sie durch hat, aber es lohnt sich. Es ist mit deinen Gedichten wie mit Konfekt, es zergeht einem auf der Zunge. Sehr gelungen. Ich habe viel schmunzeln müssen.  
   doska  -  10.02.10 13:21

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Vielen Dank, Euch beiden, ditar und cronos! Es freut mich, dass Euch meine "vergifteten" Lieder gefallen...

Liebe Gruesse,
Rolf-Peter  
Rolf-Peter  -  07.10.04 16:45

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  in der nähe der genialität
kompliment

old heinrich würde sich NICHT im grabe herumdrehen

fünf komma fünf punkte von mir
wenns denn ginge  
cronos  -  07.10.04 12:10

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  wunderschön beschrieben, gratuliere. gr. ditar  
ditar  -  06.10.04 08:26

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Hallo, sehr berührend. Gefällt mir gut, auch wenn es sehr traurig ist. Gruß Sabine

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