Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Conva      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 27. April 2004
Bei Webstories eingestellt: 27. April 2004
Anzahl gesehen: 2343
Seiten: 6

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Luilla



Am nächsten Morgen erwachte sie durch einen Schwall kalten Wassers, der ihr ins Gesicht geschüttet wurde. Als sie die Augen öffnete, erkannte sie ein ungefähr achtjähriges Mädchen. Es war sehr rundlich, hatte wässrige blaue Augen und einen Schmollmund. Die blonden Zöpfe waren hochgesteckt wie bei einer Erwachsenen und das grüne Kleid war aus feinstem Samt.

„Mama hat gesagt, ich soll dich faules Stück wecken.“ verkündete das Kind mit schriller Stimme. „Und ich soll dir sagen, dass du kein Frühstück bekommst, weil du so lange geschlafen hast.“

Cára wagte nicht, die zornige Bemerkung auszusprechen, die ihr auf der Zunge lag. Stattdessen stand sie schnell auf und zog sich ihr Kleid wieder an, während das Mädchen sie beobachtete. Ihre langen nassen Haare würden schon wieder trocken, wenn sie in der Küche neben dem Feuer arbeitete. Doch ihr Bett würde so schnell nicht wieder trocknen, vor allem, weil sie keine Zeit mehr hatte, die Laken ordentlich auszubreiten. In Gedanken verfluchte sie das unbekannte Mädchen.

Dann lief sie hinunter in den Hühnerstall und sammelte die Eier in einen Korb ein. Dabei stellte sie sich noch ziemlich ungeschickt an und mehr als ein Huhn protestierte und so fing sie sich einige kleine Wunden ein. Das Mädchen beobachtete sie immer noch aus zusammengekniffenen Augen, sagte jedoch kein Wort. Sie machte Cára jedoch nervös und das zu Recht, wie sich herausstellen sollte. Als Cára endlich die meisten Eier, so vermutete sie, eingesammelt hatte, ging sie in Richtung Küche. Da stellte ihr das Mädchen ein Bein, Cára fiel und die Eier flogen in hohem Bogen aus ihrer Hand und gingen zu alle zu Bruch, als sie auf dem harten Boden aufschlugen.

„Ups, da hat wohl jemand nicht aufgepasst.“ sagte das Mädchen hämisch und ging dann, eine fröhliche Melodie summend, davon. Bestürzt betrachtete Cára die Schweinerei. Was sollte sie nun tun?

Da keifte auch schon die Stimme der Giza sie an. „Du ungeschicktes Mädchen! Na warte!“ Cára empfing eine schmerzende Ohrfeige. „Zur Strafe bekommst du eine Woche nur trockenes Brot zum Essen! Das wird dich hoffentlich lehren, in Zukunft vorsichtiger zu sein!“

„Aber das war doch nicht meine Schuld...“ stammelte Cára.
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Doch in diesem Moment erschien das kleine Mädchen wieder.

„Ooh, was hat die denn gemacht, Mama!“ sagte dieses in unschuldigem Tonfall zur Giza.

„Luilla, wer hat dir erlaubt, hier herumzulaufen! Du solltest doch lernen!“ sagte die Wirtsfrau, allerdings mit deutlich gemäßigterer Stimme. Und Cára merkte, das dieses die kleine Tochter der Wirtsleute sein musste, von der die Vorsteherin im Waisenhaus geredet hatte, und das sie gegen diese offensichtlich keine Chance hatte.

Luilla starrte sie herausfordernd an und streckte ihr die Zunge raus, als die Mutter gerade nicht hinsah, ganz so, als wolle sie Cáras Gedanken bestätigen.

Bedrückt ging Cára in den Stall, um dem wenig liebevoll Klepper genannten Pferd sein Futter zu geben. Der Wallach schnupperte kurz an ihr, bevor er sich seinem Fressen zuwandte und sie genoss diesen freundlichen Kontakt – auch wenn er nur von einem Tier kam.

Dann ging sie in die Küche, um ihren Kampf gegen das Geschirr anzutreten.



So schlecht der Tag auch begonnen hatte, er wurde noch schlimmer.

Es stellte sich heraus, dass Luillas Lehrer krank war und sie vermutlich einige Zeit nicht unterrichten konnte. Deshalb hatte das Mädchen viel Zeit, um Cáras Leben zur Hölle zu machen. Sie warf einige Teller auf den Boden, schmiss den Topf mit Suppe um und lief dann zu ihrer Mutter, um Cára zu verpetzen. Auch die alte Diza traute sich nicht, gegen diese Gemeinheiten vorzugehen. Dies lag aber zum Teil wohl auch daran, dass Cára als alleinige Schuldige bezichtigt wurde.

Am Ende des Tages hatte diese starke Kopfschmerzen von den Schlägen der Wirtsfrau und ihrem Hunger. Ihr Bett war noch immer feucht, daher breitete sie die Laken zum Trocknen aus und bereitete sich aus ihren Kleidern auf dem Holzboden eine Liegestätte. Da sie auch für die restliche Zeit dieses Monats nichts zu Essen bekommen sollte außer einem harten Stück Brot abends, versuchte sie sich einen Plan zurecht zu legen, um irgendwie auf andere Weise an Essen zu kommen. Doch ohne einen vernünftigen Gedanken fassen zu können, schlief sie schnell ein. Im Traum verfolgte sie Luillas kreischende Stimme, die sie bezichtigte, in die Speisekammer eingebrochen zu sein. Das Gesicht von Luilla verwandelte sich dann in das der Giza, die sie anbrüllte und undankbar nannte.
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Die Diza tauchte auf und wollte sie in einen Suppentopf stecken, begleitet vom Gelächter der Wirtsfamilie. Giza te Trang sagte: „Eine sehr nette Familie, Du wirst der reizenden Tochter von Giz te Groot Gesellschaft leisten. Ihr werdet ganz bestimmt bald gute Freundinnen!“

Als Cára am nächsten Morgen erwachte, dachte sie sich düster, dass sich diese Worte wohl kaum bewahrheiten würden.



Doch entgegen ihren Erwartungen verlief der Tag zunächst beinahe friedlich. Sie schaffte es mit deutlich weniger Bisswunden aus dem Hühnerhaus zu kommen und traute sich, Klepper ein wenig zu streicheln. Dieser schien die seltene Liebkosung zu genießen und blies ihr freundlich seinen warmen Atem ins Gesicht. Bei der Zubereitung der Mittagssuppe schaffte sie es, ein wenig Gemüse in ihrer Schürze verschwinden zu lassen, das sie in den kurzen Augenblicken, die sie alleine war, hungrig hinunterschlang. Die Wirtsfrau war mit Luilla im Ort einkaufen, so dass sie erst einmal vor den beiden sicher war. Wie sie gemerkt hatte, brüllte der Wirt zwar viel, doch war er nicht so schnell mit Schlägen bei der Hand, wenn sie etwas falsch machte.

Doch dies war nur die Ruhe vor dem Sturm.

Die Wirtsfrau und ihre Tochter kamen am Nachmittag zurück und Cára merkte sofort mit der Wachsamkeit eines ängstlichen Beutetieres, dass Luilla schlechte Laune hatte. Den Grund dafür erfuhr sie auch recht schnell, da sich das Mädchen lautstark bei ihrem Vater beschwerte, dass ihre Mutter ihr ein bestimmtes Kleid nicht gekauft habe und sie zum Trost noch nicht einmal Süßigkeiten bekommen hätte.

„Wie oft muss ich dir denn noch sagen: Es gibt keine Süßigkeiten mehr für dich!“ fuhr Giza te Groot ihre Tochter an. „Du bist viel zu dick. Wenn du so weitermachst wirst du in einigen Jahren zwei Stühle zum sitzen brauchen und welcher Mann will schon so ein Fricc als Eheweib!“

Fast hätte sie Cára leid tun können – aber auch nur fast. Sie hatte noch nie ein Fricc gesehen, was aber nicht weiter verwunderlich war, da diese Tiere im Meer lebten. Sie wusste jedoch, dass sie ungeheuer dick und ungeheuer hässlich waren. Kein Wunder also, dass Luilla heulend verschwand.

An diesem Abend war der Ansturm der Männer auf das Wirtshaus besonders groß, da sie heute ihren Lohn erhalten hatten.
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Und so musste Cára wieder in der Schankstube helfen. Sie verabscheute dies, denn die Männer waren nicht gerade zimperlich in ihrer Ausdrucksweise und der eine oder andere griff ihr auch schon mal an ihr Hinterteil. Innerlich vor Wut schäumend traute sie sich jedoch nicht, sich etwas anmerken zu lassen, denn ihre Strafe wäre gewiss fürchterlich. Einen Gast zu beleidigen war das letzte was sie sich leisten konnte, da sie doch ohnehin schon so in Ungnade gefallen war.

So hetzte sie also von Tisch zum Tresen zu Tisch ohne den Sturm zu bemerken, der heraufzog.

Luilla war wütend auf ihre Eltern und wütend auf dieses dünne Mädchen, das von den Männern in der Stube derb angemacht wurde. Sie war wütend, weil ihre Eltern sie nicht beachteten und statt dessen Cára mit Anweisungen und Tadeln überschütteten. Sie war wütend, weil das fremde Mädchen von einigen Männern sogar mit bewundernden Blicken verfolgt wurde. Vor allem von einem jungen Burschen, der nach der Planung ihrer Eltern einmal ihr eigener Ehemann werden sollte.

Luilla ging in einen der Vorratsschuppen hinten im Hof und öffnete den Hahn eines großen Fasses Bier. Das gleiche tat sie mit einem Fass Wein. Sie schmuggelte ein großes Stück Schinken und Käse in Cáras Raum. Sie öffnete die Tür des Hühnerstalls, so dass die Hennen entwischen konnten. Dann ging sie zu ihrer Mutter und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

„Cára!“ Die Stimme klang unheilverkündend. Wie ein Donnergrollen, das vor dem Nahen eines Gewitters warnt.

„Ja, Giza te Groot?“

Die Frau packte sie schmerzhaft am Arm und zerrte sie in den hinteren Hof, vor ihren Gästen wollte sie keine Szene machen.

„Kannst du mir das erklären?“ zischte sie. Ihre leise Stimme klang für Cára bedrohlicher als ihr ganzes vorheriges Gekeife. Zuerst verstand sie nicht, was die Frau meinte, dann erkannte sie im Licht des Mondes jedoch die offene Tür des Hühnerstalls. Panik überfiel sie.

„Das war ich nicht. Ich habe die Tür ordentlich zugesperrt. Ich habe mich extra noch einmal vergewissert.“ stammelte sie.

„So. Dann warst du das hier wohl auch nicht?“ zischte die Giza und zerrte Cára weiter zu dem Schuppen mit den Getränkevorräten.
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Entsetzt erkannte Cára die dunklen Flecken auf dem Boden.

„Wer war es denn, der hier je eine Flasche unseres besten Weines und Bieres für einen Gast abzapfen sollte, damit dieser die Getränke mitnehmen kann. Das warst wohl nicht du, oder?“ Immer noch diese bedrohlich leise Stimme, die für die zitternde Cára jedoch wie laute Donnerschläge klang.

„Doch. Das war ich. Ich meine, ich habe die Flaschen hier gefüllt. Aber ich habe die Hähne dann wieder zugedreht. Ich schwöre es!“ rief sie unter Tränen.

Plötzlich bemerkte sie am Rand ihres Gesichtsfeldes eine Person, die sie schnell als Luilla erkannte. Und plötzlich traf sie die Wahrheit wie ein Blitzschlag. Luilla hatte ihre schlechte Laune an ihr ausgelassen!

Die Wirtsfrau zerrte sie weiter in ihr Zimmer und deutete auf den Schinken und den Vioya. „Und das ist nicht zufällig auch auf mysteriöse Weise ohne deine Schuld in deinem Zimmer gelandet?“

Was hätte Cára erwidern können? Sie wusste, dass sie unmöglich Luilla beschuldigen konnte. Dies würde wahrscheinlich den einzigen Effekt haben, ihre Strafe noch zu verschärfen.

„Ah, verstockt bist du auch, du Gör!“

Die Frau schleifte sie wieder zurück in den Hof.

Das Gewitter war direkt über ihr und entlud sich mit voller Wucht. Die Wirtsfrau schlug sie mit einem dünnen elastischen Stock, bis ihr Kleid in Fetzen von ihren Schultern hing und ihr Rücken blutete. Dann brachte sie persönlich Cára in ihre Kammer und schloss sie dort ein. Diese hatte die ganze Zeit ohne einen Schmerzenslaut die Hiebe ertragen, auch wenn ihr die Tränen unablässig über die Wangen strömten. Nun konnte sie ein Wimmern jedoch nicht zurückhalten und bald schluchzte sie, so dass ihre magere Gestalt geschüttelt wurde. Dies erleichterte sie zumindest ein wenig. Unter Schmerzen schälte sie sich anschießend das Kleid vom Körper unter kühlte ihren geschundenen Rücken mit den feuchten Laken ihres Bettes. Ironischerweise musste sie Luilla beinahe dankbar sein, dass diese ihr an diesem Morgen heimlich wieder einen Krug Wasser über das Bett geschüttet hatte, als Cára schon im Hof war.

Während ihrer schlaflosen Nacht dachte sie darüber nach, wie ein Mensch wohl so grausam werden konnte wie die Mitglieder der Familie te Groot.
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Nicht einmal die schlimmsten Strafen im Waisenhaus ließen mit dem eben erlebten vergleichen! Und während sie so nachdachte wurde ihr Hass auf Luilla immer größer, denn in erster Linie war diese es gewesen, die ihr das angetan hatte. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sie nicht ewig hier bleiben konnte, sondern sobald als möglich die Flucht wagen musste.



Am nächsten Morgen konnte sie sich kaum bewegen, doch unbarmherzig scheuchte die Giza sie an die Arbeit, nachdem die Tür aufgeschlossen wurde.

Zu Cáras größter Überraschung fand sie in dieser dunklen Stunde einen Menschen, der ihr half: Die Diza drückte ihr heimlich einen kleinen Topf in die Hand und raunte ihr zu: „Die Salbe darin sollt’ deinem Rücken helfen. Schmier sie morgens un’ abends auf die Wunden, aber wasch vorher deine Hände, damit deine Wunden sich nich’ entzünden.“ Und wenig später fand Cára in einem der Töpfe einige Leinenstreifen, um ihre Wunden zu verbinden. Als sie der Diza danken wollte, winkte diese ab. „Ich kenn Luilla. Sie is’n Teufel, wenn du mich fragst! Aber kein Wort zu den Wirtsleuten. Will meine Stelle hier nich’ verlieren. Werd’ im Gegensatz zu dir ordentlich bezahlt. Aber was die mit dir gemacht haben is’ nich’ gut, oh nein!“
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