Schauriges · Kurzgeschichten

Von:    Susan Quark      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 13. April 2004
Bei Webstories eingestellt: 13. April 2004
Anzahl gesehen: 2005
Seiten: 3

Er blickte schon lange aus dem Fenster. Draussen war fast nur Dunkelheit. Kein Mond, keine Sterne. Nur das fahle Licht einiger Strassenlaternen jenseits der Mauer. Der grosse Hof davor war wie immer absolut leer – Niemandsland. Die Basketball Markierungen auf dem Beton glänzten matt. Seine Augen folgten den Geraden, die zu Kreisbahnen wurden, sich kreuzten, und dann wieder zu Geraden...



Er legte seine Stirn an das Eisengitter des Fensters. Das Metall war angenehm kühl und glättete seine Gedanken. Er schloss die Augen. Die Nachtluft roch heute feucht und nach Blüten. Von irgendwo her war schwach Marschmusik zu hören. Die Quelle musste irgendwo innerhalb des Gebäudes liegen. In all den Jahren hätte er bestimmt auch ein Instrument lernen können. Aber das konnte er ja immer noch tun..



Er drehte sich um. Seine Zelle lag im Halbdunkel. Nur die Leselampe über dem Schreibtisch an der Wand brannte. Ihr Licht war zu schwach um die Schatten zu verdrängen, die in den Ecken nisteten. 2 mal 3 Schritte, das waren 6 Quadratschritte. Auf dem Schreibtisch lag wie immer ein Krimi. Er kannte ihn inzwischen auswendig. Er würde sich bald neue Lektüre beschaffen..



Er ging zu dem Waschbecken gegenüber dem Schreibtisch. Darüber hätte eigentlich ein Spiegel gehört. Aber das war hier nicht zulässig. Aus Sicherheitsgründen hiess es. Er liess das Becken halbvoll laufen. Kaltes Wasser, warmes gab es nicht. Beim Darüberbeugen kam ihm ein Schatten auf der Wasseroberfläche entgegen. Schemenhaft konnte er sein Gesicht sehen. Die Jahre hatten sich als Falten eingegraben. Eine Sekunde war er erschrocken darüber. Aber er tat es schnell als einen Effekt des schlechten Lichts ab..



Er beschloss, sich nur die Hände zu waschen. Auf seine Hände war er immer besonders stolz gewesen. Künstlerhände, Intellektuellenhände. Jetzt wirkten sie ausgelaugt. Die Arbeit in der Wäscherei tat ihnen nicht gut. Jeden Tag ausser Sonntags. Das war nichts für ihn. Perfekt Bügeln und Zusammenlegen. Es hätte etwas Unnützeres sein können..



Aber warum legte er sich nicht einfach schlafen? Morgen würde er hier herauskommen. Er versuchte, diese Gedanken jetzt zu verdrängen, an etwas anderes zu denken. Ihm fiel bloss nichts ein, auf was er sich konzentrieren konnte.
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Am schlimmsten waren die Nächte, in denen welche durchdrehten. Ihre Schreie gellten durch die Korridore und raubten einem den Schlaf. Selbst dann noch, wenn wieder Ruhe war. Das waren die hoffnungslosen Fälle. Nicht, dass er dazugehörte! Er würde niemals einen Koller bekommen.



Ja, würde ein neues Leben beginnen. Alles aus seinem Inneren herausnehmen und wegwerfen. Zunächst würde es eine angenehme Form der Betäubung sein. Und dann würde er sich neu auffüllen. Er würde wieder Unterricht geben. Ja sogar wieder Elternabende, obwohl er die immer besonders gehasst hatte. Eine neue Stelle würde er leicht finden, denn Lehrer waren immer gesucht. Er konnte sich glücklich schätzen, dass er eine zweite Chance bekam.Wer bekam schon eine zweite Chance im Leben?



Dieser ignorante Klugscheisser von Psychologe hatte ihm manische Eifersucht unterstellt. Ihm, der der geduldigste Mensch war! Er war nicht krank, so ein Quatsch. Das hatte er jetzt ja wohl ausreichend unter Beweis gestellt. Und sie war nicht nicht tot, das hatte er nie geglaubt. Er hätte sie nie umbringen können. Bestimmt wartete sie auf ihn. Gut, er hatte nichts mehr von ihr gehört, aber das konnte nur daran liegen, dass sie alle Kontakte unterbrochen hatten.



Die Flitterwochen würde er nachholen. Venedig im Frühling sollte ja das Nonplusultra sein. Er versuchte sich zu erinnern, ob der Karneval schon vorüber sei. Ja, bestimmt. Ironie des Schicksals, dass er nach so langer Zeit nur ein paar Wochen zu spät dran war..



Durchdrehen wäre jetzt das Schlimmste, was ihm passieren konnte. Aber er war schon lange darüber hinweg. Man konnte die Zeit in Drei Abschnitte einteilen: Am Anfang, da war man noch belastbar und musste sich erst eingewöhnen. Kritisch war die mittlere Phase: wenn man begriff, wie lange die Zeit war und dass das Leben an einem vorbeiging. Er wusste nicht mehr, wie er das überstanden hatte. Aber irgendwie hatte er es geschafft. Vielleicht weil Pessimismus noch nie sein Ding war. Und gegen Ende war es dann wieder einfach. Jetzt, am Ende war es ganz einfach. Morgen war es überstanden..



Seine Aufmerksamkeit wurde auf die Zellentüre gelenkt, an der der Schieber aufging. Ein Augenpaar starrte durch die Öffnung.
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„He, Zeit das Licht auszumachen!“

„Ist ja gut. Morgen komme ich sowieso raus.“ gab er zurück.

„Ja ja, klar - wie immer, Methusalem!“

Der Schieber knallte unter Gelächter zu. Die Schritte des Wärters entfernten sich, während der Eingesperrte hinter ihm wie verrückt gegen die Tür hämmerte.
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Punktestand der Geschichte:   46
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Kommentare zur Story:

  Ich verstehe nicht, warum niemand diese Geschichte bisher kommentiert hat. Die ist doch super geschrieben!! Eine Szene, die man schon 1000 x im Fernsehen gesehen hat. Aber trotzdem so geschrieben, dass man sich nicht langweilt.
Nur zwei klitzekleine Bemerkungen:
"Und sie war nicht nicht tot, das hatte er nie geglaubt." - Ich glaube, hier ist ein "nicht" zuviel.
Und dann die Sache mit den "gesuchten" Lehrern. Hier in Österreich herrscht z.Bsp. ein totaler Lehrerüberschuss.

Ciao Magnus  
Magnus Schwenk  -  06.05.04 01:36

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Interessante Kommentare

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