Kurzgeschichten · Erinnerungen

Von:    Sophie Wels      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 6. April 2004
Bei Webstories eingestellt: 6. April 2004
Anzahl gesehen: 1943
Seiten: 2

Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Leute tummeln sich auf den großen Marktplatz. Ich sitze auf einer Bank, vor dem Städtischen Brunnen. Zärtlich wird der feine Wasserregen in meinen Nacken gesprenkelt. Ich sehe ein Kleinkind, das begeistert seiner Mutter einen toten Vogel zeigt. Die Mutter, weniger darüber erfreut, zieht es weiter. Einzelne Gesprächsfetzen dringen in mein Ohr.

„Mama, darf ich den Vogel mit nach Hause nehmen? Dann kann ich ihn Jimmy zeigen.“

„Nein, lass den Vogel da liegen, komm weiter.“

„Aber Mami, bitte, dann kann ich ihn auch begraben.“

Statt ihrem drängelnden Sohn eine Antwort zu geben, steuert sie mechanisch auf die Lösung aller kleinen Probleme hin: das Eiscafé.

Ich lächle. Ja, solche Situationen kommen mir bekannt vor, und auch wenn ich noch nicht alt bin, pflastern solche Ereignisse meine junge Lebensstraße. An ein Erlebnis erinnere ich mich noch immer mit grausamer Genauigkeit. Auch wenn es schon fast 10 Jahre zurückliegt, hat es sich tief ins Unterbewusstsein hineingegraben.

Es war Winter und damals lebten wir noch in einer Großstadt, ehe meine Eltern sich für ein Leben in einer ruhigen Umgebung entschieden. Ich war 5 Jahre alt und wartete mit meiner größeren Schwester draußen vor unserer Wohnung auf unsere Mutter. Wie immer beeilte sie sich nicht sonderlich und um die Zeit bis zu ihrem Erscheinen zu vertreiben warfen wir kleine Schneebälle gegen das große Stopp-Schild, das genau an der Straßenecke stand. Mit Freude, die nur Kinder bei solchen banalen Aktivitäten empfinden können, registrierten wir, wie das vorher leuchtend rote Schild sich zunehmend in eine kleine Winterlandschaft verwandelte. Völlig in dieses Spiel vertieft übersahen wir, dass ein junger Mann uns beobachtete. Nach ein paar Minuten nahmen wir ihn war, dachten uns aber nichts dabei. Ich erinnere mich noch gut an seine Kleidung. Für mich sah er wie ein Abenteurer aus: Lederhosen, eine zerschlissene Jacke und auf seinen Kopf thronte ein altes Zigeunertuch. Scherzhaft fragte er uns: „Darf man das? Einfach Schneebälle auf das wichtige Stopp-Schild werfen?“ Uns entging nicht der lauernde drohende Unterton. Unsicher sah mich meine Schwester an. Mir war klar, Erwachsene waren unantastbare Autoritätspersonen, denen man nie widersprechen durfte.
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Artig stellten wir uns in den Türrahmen, der zur Wohnung führte und fingen an über Unwichtiges zu reden. Der Mann schenkte uns keine Beachtung mehr und bog um die Straßenecke. Als er erneut um die Ecke trat wurde er uns etwas unheimlich. Nervös schaute er sich um und trat dann zu mir. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und noch heute weiß ich, dass er abstoßend stank.

„Na Kleine, willst du nicht mitkommen, ich gebe dir auch Süßigkeiten.“

Meine Schwester hatte sich hilflos das Szenarium angeschaut und wusste auch nicht, wie sie reagieren sollte, als der Mann mich küsste. Ich war noch zu klein um zu verstehen in welche Gefahr wir schwebten. Tränen liefen mir über das Gesicht und krampfhaft hielt ich mich an dem Türrahmen fest. Da hörte ich sie. Durch die menschenleere Straße dröhnten lauten Schritte eines unbewussten Retters. Ein älterer Herr mit Aktentasche und Anzug schritt eilig die Straße hinunter. Auch der Mann hatte den herannahenden Beobachter bemerkt. Bewusst, dass er nun nicht mehr sein Ziel erreichen konnte, drehte er sich schnell um und rannte um die Ecke. Den seltsamen Blick, den mir der Herr zuwarf, werde ich nie vergessen. Wahrscheinlich dachte er ich weine, weil ich im Schnee ausgerutscht und hingefallen wäre. Die schreckliche Wahrheit würde er nie erfahren.



Die Frau und ihr Sohn kommen aus dem Café. Glücklich blinzelt er mir zu. Ich glaube, ich kaufe mir auch ein Eis.
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Punktestand der Geschichte:   3
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Kommentare zur Story:

  Eine wirklich, wirklich interessante Geschichte, aber leider verstehe ich ihren sinn und zweck nicht!  
Unbekannt  -  07.08.06 07:50

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  hui, finde die geschichte ist gut geschrieben. war wohl der blöde ein-punkte-verteiler, der dich so schlecht bewertet hat. etwas seltsam finde ich, wie du von der szene mit der taube zu deiner kindheitserinnerung kommst.

lg nausicaä  
Nausicaä  -  19.05.06 01:43

   Zustimmungen: 4     Zustimmen

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Nausicaä" zu "frühling z2"

einfach toll, dieses frühlingsgedicht. du findest in deinen gedichten häufig ganz eigene, besondere bilder. wunderschön, ohne kitschig zu sein.

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