Jesus -El Erlöser- Christus   24

Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Thomas Redfrettchen      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 27. März 2004
Bei Webstories eingestellt: 27. März 2004
Anzahl gesehen: 2036
Seiten: 12

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


1. Kapitel



Die Schulklingel ertönt und errettet uns von den ermüdenden Qualen des Englischunterrichts. Mit einem verhaltenen Gähnen stehe ich von dem harten Plastikstuhl auf. Nächste Stunde Mathe, denke ich mir. Wieder der erste von meinen Freunden, der den Raum verlassen könnte und auch wollte. Obwohl es draußen eisig ist, verregnet nass, drängt es mich auf den Schulhof. Geduldig warte ich trotzdem. Zwanzig Minuten hätten sie ja sowieso noch Zeit.

Es war erst die dritte Stunde in diesem Raum. Wir sind bereit zu gehen. Obwohl ich immer einen großen Rededrang habe, besonders nach den Stunden, gebe ich diesmal nichts von mir.

Ob der Lehrer weiß, wie langweilig sein Unterricht ist? Der Gedanke verschwindet, weicht wieder dem Drang, hinaus zu gelangen. Ich gehe aus dem Raum, warte kurz vor der Tür bis meine Freunde folgen. Ein reger Schülerstrom ist in dem Gang zu verzeichnen. Viele gehen nolens volens nach draußen, einige holen sich Sachen aus ihrem Fach, rote, grau umrahmte, quaderartige Kästen, mit Nummern und Buchstaben versehen. Zu gerne würde ich wissen, was sich in einem bestimmten befindet.

Wir gehen durch die Tür, sie ist grün, mehr Glas als Metallfläche, scheint es, und doch ist sie schwer aufzudrücken. Es werden immer mehr Schüler vor meinen Augen. Nun im Foyer beziehungsweise im Treppenhaus erhöht sich ihre Zahl. Viele bekannte Gesichter, viele unbekannte, nicht das, was ich suche. Ich biege nach links ab, die kleine Treppe hinunter. Es geht nach draußen. Wie erwartet überkommt mich eine Kälte, schon im Vorraum, durch den man den ganzen Schulhof überblicken kann.

Mit Vorfreude öffne ich die letzte Tür und erblicke, wonach ich mich gesehnt hatte. Einige Sekunden, während ich nach vorne gehe, verharrt mein Blick auf einem Punkt, er wird erwidert, ich wende mich ab und folge dem bekannten Weg. Den Bordstein hinunter, zwischen zwei der vielen Metall-, Anti-Autopfeiler hindurch, unter mir nun der seltsame, rote Belag der Sportplatzlaufbahn, gehe ich weiter. Nun links und rechts von mir Tischtennisplatten, bekannte Gesichter spielen, mit Kellen, Schulbüchern oder ihren Händen. Bald erreiche ich den grünen Zaun, der uns von den Fußballern und ihrem Spiel trennt. Meine Lethargie verfliegt langsam und ich lehne mich gegen den Zaun, nur ganz leicht, damit die Bälle mich nicht zu stark zurückwerfen.
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2. Kapitel



So nah und doch so fern, denke ich und hole aus meiner Tasche die zweite Mahlzeit dieses Tages in Form eines Pausenbrotes.

„Warum so still?“, fragt einer meiner Freunde.

Ich hebe sichtbar meine Schulter. Ein Gespräch zwischen den anderen beiden beginnt, schwierig erscheinende Hypothesen, Metaphysik, die keine ist. Es geht um Jesus, der immer noch rätselhafte. Jesus inspiriert durch seine Taten, seinen Ruhm auf der Welt. Spaßig ist es, immer wieder die Wunder des 'Heilands' anzuprangern und den Gegenüber mit Fragen aus der Bibel zu quälen. Doch jetzt nicht, ich bin mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Während ich in mein Toast beiße, senke ich den Blick auf den mit Kaugummi verklebten Boden und vergesse plötzlich alles, was mich eben noch bedrückte.



Meine Augen öffnen sich, aber hatte ich sie geschlossen? Und ich hebe meinen Kopf wieder, voller Willenskraft und Tatendrang blicke ich mich um. Ein leichter Schrecken durchfährt mich, um mich herum nun Sand, warme Luft umströmt meinen Körper, lässt mir kleine Körner entgegenkommen. Ich schaue mich an: Tiefschwarze Gewänder hüllen mich ein. Verwundert über diesen recht ungewöhnlichen Tagtraum, erblicke ich in einigen Metern Entfernung einen Mann durch die Wüste wandern.

Mit sicherem, aber ungewolltem Schritt bewege ich mich auf ihn zu. Er ist hoch gewachsen, seine braunen Haar größtenteils versteckt mit einer typischen Kopfbedeckung, sein Gesicht von einem braunem Bart umrahmt.

„Sei gegrüßt!“, sagt er zu mir, als ich auf ihn treffe. Seiner Stimme kann ich Entbehrung von Nahrung entnehmen, sie ist schwach und brüchig.

„Wohin wanderst du, oh Herr?“, frage ich ihn.

„Dort, wo mich der Geist hinführt.“ Er weist auf die weiße Taube, die ihm vorausfliegt.

Wir gehen einige Schritte zusammen, es scheint aber, als würden wir nicht vorankommen. Alles sieht gleich, alles sieht fremd aus. Dünen, wohin ich blicke, und doch ein Pfad, auf dem wir gehen.

Vor uns erscheint plötzlich eine finstere Gestalt. Auf einem schwarzem Hengst sitzt er und in schwarze Gewänder ist auch er gehüllt.
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Nur zwei Augen funkeln uns entgegen, während er sein Pferd beruhigt.

„Hör mich an, Sohn Gottes! Du leidest Hunger, verwandele die Steine zu Brot, so dass du deinen Hunger stillen kannst.“

Ich erschreckte und blickte verdutzt in die Augen des mageren Mannes. Sollte er wirklich...?

„Es steht geschrieben: 'Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, dass aus dem Mund Gottes geht.'“, antwortet der vermeintliche Christus standfest dem Reiter.

Das Pferd gerät außer Kontrolle, wiehert heftig und bäumt sich vor uns auf. Der Reiter presst es mit aller Kraft auf den weichen Wüstensand, wendet es und winkt uns hinter sich her. Ich folge dem Wanderer vorsichtig, unwissend was nun geschehen würde. Schon nach einigen Schritten wurden die Umrisse einer Stadt erkennbar, wo vorher nur aufgewirbelter Sand zu sehen war. Der Reiter gibt dem Pferd die Sporen und reitet in großer Eile der Stadt entgegen.



Stillschweigend erreichten wir auch nach vielleicht einer halben Stunde großartig gebaute Tore. Davor sind Wachen postiert, die den Besuchern der Stadt Zoll abverlangen.

„Seid gegrüßt, Wächter der Stadt Jerusalem.“ Er segnet sie.

Die weiße Taube setzt sich auf den großen Torbogen.

„Sei gegrüßt, Wanderer“, gibt die eine Wache von sich.

„Ich wünsche eure prächtige Stadt betreten zu dürfen.“

„Der Herrscher verlangt von jedem Besucher drei Silberlinge.“

„Wenn drei Silberlinge mehr den Bedürftigen helfen, will ich sie gerne geben.“

Aus seinem Gewand bringt er drei glänzende Münzstücke hervor und legt sie in die Hand der Wache. Diese weitet ihre Augen, starrt meinen Begleiter an.

„So sei es, die Silberlinge werden den Bedürftigen helfen“, spricht die Wache mit entgeisterter Stimme und gibt ihm das Geld zurück. Wir schreiten unter dem verwundertem Blick der anderen Wache durchs Tor.





3. Kapitel



Ich bin fasziniert von den großen Tempelbauten, die das Antlitz der Stadt prägen wie die vielen Häuser aus Lehm. Wir schreiten durch die Straßen, vorbei an Schmieden, Gerbereien und Färbern, an Wohnhäusern jeglicher Art.
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Viele Menschen ziehen an uns vorbei, manche erkennen Heiligkeit in dem Mann, mit dem ich wandere.

Später erreichen wir den Tempel, der ebenfalls von Mauern umringt ist. Vor dessen Eingang ist wieder der Reiter, es scheint, als habe er auf uns gewartet. Sein ungestümes Pferd wird wilder, als sich Jesus der Gestalt nähert. Diese blickt ihn wieder so feurig an, steigt von seinem Tier ab und macht sich auf den Weg in den Tempel, wie auch viele andere Gläubige.

Die prächtigen Säulen, die noch schöneren Gänge, die hinauf führen, erzählen alle Geschichten der Heiligen, die diese Stadt prägten. Die schwarze Gestalt bewegt sich mit ungeheurer Schnelligkeit, wir konnten und Jesus wollte ihm auch nicht standhalten. Gemächlich erreichen wir die oberste Plattform. Dort, auf einer Zinne wartetet der vermeintliche Teufel.

„Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: 'Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einem Stein stößt.'“, sagt der Teufel und zeigt gebieterisch auf den Erdboden, weit hinab.

Ich schaue hinunter und mir wird schlecht. Jesus steigt auf die Zinne, ich ihm nach halte seinen Arm fest, weiche aber sofort wieder von ihm. Denn ein plötzlicher, geistiger Blitz durchfährt mich und ich lasse von ihm ab.

„Wiederum steht auch geschrieben: 'Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.'“, sagt Jesus mit festerer Stimme und wies mahnend in den Himmel.

Ich krieche mit wackligen Beinen von zurück von dem Abgrund.

Der Teufel blickt Jesus scharf an und bewegt seine Hand zu seinem Mund, schaut tief hinunter und pfeift in einem in die Knochen fahrend schrillen Ton, stürzt sich in die Tiefe. Ich eile schnell zur Zinne, auf der er eben noch stand und beobachtete fassungslos die fallende Gestalt. Doch zu meiner absoluten Verwunderung landet sich sicher auf ihrem Pferd, welches sich wieder auf seine Hinterbeine stellt, danach brausend davon galoppiert. Meine Augen folgen dem düsterem Reiter samt Reittier, wie sie, so schnell wie ein Auto die Straßen entlang düsen.

Jesus legt schützend seine Hand auf meinen Kopf, ich blicke ihn an, während er von der Zinne steigt. Er nimmt die Hand von mir und weist mich an, ihm zu folgen.
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Ohne Rast verlassen wir die Stadt in andere Richtung, dorthin, wo der Teufel geritten ist. Einer Handelsstraße folgend wandern wir bis in die Nacht. Der Mond scheint nun sichtbar durch schemenhafte Wolkenschleier hindurch und erleuchtet uns den Weg. Die Kälte zehrt an mir, doch Jesus scheint keine Ermüdung zu spüren.

Zahllose Stunden später erreichen wir den Fuß eines kleinen Berges. Auf dem Gipfel sehe ich die Umrisse des Teufels mit seinem Pferd. Innerlich bitte ich darum, mich kurz hinzusetzen zu dürfen, doch unerbittlich zieht Jesus mich hinter sich her, bis wir den Gipfel erreichen.

Wieder steht er vor dem Teufel, blickt ihn entschlossen an. Dieser wendet sich mit seinem Pferd dem Abhang zu und zieht mit seiner Hand über den Horizont.

„Sieh, Sohn Gottes, alle Reiche der Welt. Alle will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest!“

„Weg mit dir Satan! Denn es steht geschrieben: 'Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.'“

„Wie du wünschst, Herr“, zischt der Teufel ihm entgegen und springt mit seinem Pferd über die Kante des Berges, doch bevor ihn die Schwerkraft nach unten zieht, verschwindet er im Mondlicht.

Jesus wendet sich zu mir.

„Du siehst, mein Sohn, so wie ich den Versuchungen des Teufels widerstanden habe, kannst du auch der Versuchung widerstehen.“

Ein greller Lichtblitz blendet mich, über dem Abhang erscheint ein silber glänzender Engel, verhüllt in schwere Stoffe, wie es scheint, hält er ein Schwert in seinen Händen. Vor Jesus kniet er nieder und überreicht ihm mit Blick auf den Boden das Schwert, das mit mir unbekannten Symbolen verziert ist.





4. Kapitel



Ich öffne mein Augen wieder. Sekunden mögen vergangen sein, ich befinde mich wieder auf dem Schulhof, immer noch mein Pausenbrot in der Hand halten. Alles ist wie zuvor und doch hat es sich geändert.

Etwas schockiert von dieser Eingebung schlinge ich mein Essen hinunter und bewege mich zum Abfalleimer, um meinem Müll loszuwerden. Es kommt mir seltsam vor, aber wieder erinnere ich mich an die Zeilen, die in dieses großartige Buch geschrieben worden.

„Wenn dich aber dein rechtes Auge zum Abfall verführt, so reiß es aus und wirf's von dir.
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Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in der Hölle geworfen werde“, so ist es wortwörtlich (ironischerweise?) mir in den Sinn gekommen.

Das Wortspiel mit dem Abfall lässt mich leicht den Kopf schütteln, als ich mich wieder meinen Freunden zuwende. Wieder spüre ich den inneren Zwist in mir, der mich förmlich zerreißt. Ein Teil kämpft, wenn auch nur argumentativ und kontrollierbar, gegen das andere an. Doch so langsam fühle ich die Müdigkeit, die durch diesen seit einigen Tagen andauernden Kampf entstand.

Bittend blicke ich zum Himmel, den grauen. Und dort soll das Allerheiligste hausen, denke ich mir. Lieber an den harten Boden der Erde gebunden sein, als an die Unsicherheit der Lüfte. So frei man sich auch fühlt, fallen ist wahrscheinlicher und leichter denn steigen.

Das Gespräch meiner beiden Freunde endet in einer abwertenden Bemerkung, als Konter für eine andere. So enden fast alle Gespräche in unserem Freundeskreis. Nur einer von ihnen weiß um meinen inneren Kampf, kann aber nicht begreifen, was es heißt, sich in Logik und Emotion aufzuteilen. Vielleicht sind es ja gegensätzliche Kräfte, vielleicht ineinander greifende, auf jeden Fall wird man erst Frieden finden, wenn man sie einpendelt oder eine vollkommen ignoriert.

Ich versuche weiterzuträumen, dieser Welt bietet im Moment nichts besonderes.



Viele Menschen stehen um mich herum, es scheint, als sei ein ganzes Volk, will sagen, ein bunter Mix aus allen Völkern herbeigekommen. Ich versuche mich zu orientieren und erkenne, dass ich auf einem Berg stehe. Die Sonne strahlt unerbittlich vom Himmel auf den trockenen Felsboden.

Etwas weiter vor mir erreicht der Berg seine höchste Stelle, was ein in den Himmel ragender Fels bewirkt. Auf diesem Fels erscheint eine Gestalt. Ich erkenne ihn wieder, es ist der Wanderer, es ist Jesus. Er streckt seine Hände in die Höhe um die rumorende Masse zu beruhigen. Dann setzt er sich auf den harten Stein und beginnt zu reden.

„Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Ihr seid das Licht der Welt. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“

Ich verdammter, denke ich mir, aber lasse ich mich doch nicht von dieser Werbung gewinnen.
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„Ich habe gehört, dass gesagt ist: 'Du sollst nicht ehebrechen.' Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“

Es scheint, als schaut er mich mit strengem Blick an.

„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: 'Auge um Auge, Zahn um Zahn.' Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und ihr habt gehört, dass gesagt ist: 'Du sollst deinen Nächsten lieben' und deinen Feind hassen. Aber ich sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“

Ich wundere mich über solche Ironie, wie dumm es doch eigentlich ist, was er von sich gibt. Es ist dem Menschen nicht bestimmt, seine Feinde zu lieben, denn die lieben ihn nicht.

Doch die Rache Jesu kam schnell, ein stechender Schmerz peinigt mich von einem Moment auf den anderen in meinem Kopf. Ich kneife die Augen zusammen und halt meinen Kopf. Aufbegehrend und spottend bete ich das Vaterunser, aber nicht so, wie es die Kirche sagt.

„Unser Vater, du im Himmel, geheiligt werde dein Name. Es komme dein Reich. Es geschehe dein Wille wie im Himmel auch auf Erden. Unser täglich Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben haben unseren Schuldnern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Bösen.“ Zeitgleich spricht Jesus es mit mir. „So sollt ihr es sagen, wenn ihr im Stillen zu eurem Herrn betet.“

Warum verschandelt sie das Wort, dass klar geschrieben ist, frage ich mich. Sie erinnert mich an den 'Großinquisitor' von Dostojewskij, diese Frage. Langsam beruhigen sich die beiden Kräfte im meinem Geist.



Noch lange spricht Jesus, verkündet sein Wissen. Noch lange lausche ich seinen Worten. Doch sie berühren mich nicht, ich spüre, dass die Logik diese Schlacht gewonnen hat. Kühl und gelassen stehe ich lange auf dem Berg, dessen Sonne niemals niedriger zu stehen scheint.

Als er seine Rede endet, verlassen die Menschen teils bestürzt, teils erfüllt den Berg. Ich bewundere diesen Mann, wie er doch so ketzerisch den Leuten einredet. Denn ich weiß ja um sein Ende, wie er selbst bestimmt auch.
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Ich bleibe allein auf dem Berg stehen und blicke zu Jesus, der auf mich zu kommt.

„Mit Misstrauen hast du meine Lehren vernommen. Was lässt dich so spitzfindig auf sie blicken? Ich versuche dir Kraft zu geben, doch du weist die Hilfe standhaft von dir.“

„Versuche mich zu überzeugen“, sind meine letzten Worte, bevor Jesus, der Berg und die hohe Sonne wieder in die Vergangenheit zurückkehren.





5. Kapitel



Die Schulklingel ertönt wieder. Man hat die Bitten der Schüler erhört und uns zehn Minuten früher in das Schulhaus hineingelassen.

Alles wiederholt sich, diesmal gespiegelt und im Rückwärtsgang. Das übliche Gedränge an der Eingangstür lässt mich kalt, nur hinein, egal um welchen Preis. Äußerlich mag ich aufgeweckt erscheinen, doch innerlich bin ich gedankenversunken. Wenn mich jemand ansprechen würde, würde ich erst einmal aufschrecken. Doch es geschieht nichts, ich kehre zurück in den Klassenraum, gefolgt von meinen Freunden.

Während ich die Mathe-Sachen aus meiner Tasche hole, überlege ich verbissen daran, wie es weitergeht. Doch das grelle Neonlicht, die lauten Stimmen um mich herum und der Drang zur Vorbereitung auf die nächste Stunde hindern mich daran, einen klaren Gedanken zu fassen.

Der Lehrer betritt den Raum, der Rest der Pause verfliegt schnell. Dann schellt es erneut, diesmal zum eigentlichen Ende der Pause und schließlich noch einmal zur Stunde.

„Na endlich“, flüstere ich vor mich hin.



Geballtes Wissen - das erwartet man eigentlich vom Mathematikunterricht, doch bei uns ist das anders. Es herrscht zu jeder Stunde großgemeine Unwissenheit und die gesamten fünfundvierzig Minuten gibt es dann nur Erklärungen.

Wir sollten es nicht, sehen es aber positiv. Zum Glück hab ich ja auch noch Wahlpflicht Mathe, sonst würde ich wahrscheinlich nervös durch die Gegend laufen und verzweifelt versuchen sinnlose Gleichungen zu lösen.

Es endet die Stunde, der Lehrer, völlig desillusioniert von seinem Beruf, beantwortet weiterhin einzelne Fragen, während ich mich aus dem Klassenzimmer entferne. Endlich Schluss, nur fünf Stunden heute, ein Segen dieser Freitag.
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Eigentlich bin ich nie allein auf mein Weg nach Hause, doch heute ist dies der Fall, da mein üblicher Begleiter ein Projekt zu bearbeiten hat. Gut, mehr Zeit, weiter zu grübeln.



Es nächtigt, ich stehe auf den Straßen der Stadt Jerusalem. Eine Gestalt huscht sich dauernd umsehend von Ecke zu Ecke. Ich folge ihr auf Entfernung bis zu dem Tempel. Er betritt ihn und ich finde ihn wieder in einem großen Raum, ein weiterer Mann befindet sich dort.

„Mein Herr, Hohepriester des Tempels, ich bin gewillt Euch den Menschensohn auszuliefern, der Eure Gläubigen verführt.“

„Du bist einer von ihnen, wie kannst du ihn verraten?“, fragt der Hohepriester.

„Ich sehe, dass Ihr Missgunst gegen ihn hegt und verleugne seine Worte um Euren Segen zu erhalten. Er spricht nicht wahr, wie kann er, wenn gegen Euch?“

„Du scheinst nicht die Lüge auf der Zunge zu haben. Ich gebe dir den Segen, eine große Tat sollst du verbracht haben. Das wird dir reichlich entlohnt. Lasst uns den Hauptmann befragen, wie er uns am besten helfen kann.“

Sie gehen an mir vorbei, sehen mich anscheinend nicht. Aber ich sehe in die Augen des Verräters, sie blitzen auf wie die des dunklen Reiters. Eine Hand auf meiner Schulter lässt mich erschrecken.

„Siehst du, er hat mich verraten“, sagt Jesus, der hinter mir erschien. „Er hat sich dem Verfall hingegeben, ihn wird seine gerechte Strafe auf Erden und im Reich Gottes erwarten. War er nun standhaft, frage ich dich? Wirst du standhaft sein?“



Die Szene verschwimmt, mein Begleiter steht immer noch neben mir, doch vor uns taucht eine Gruppe auf, bewaffnete Soldaten, Priester und vorneweg der Verräter. Dieser kommt Jesus als einziger nah.

„Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?“, fragt er ihn, streicht mit seiner Hand über seinen Kopf, worauf Judas auf die Knie fällt vor seinem Herrn.

„Sieh, er bereut, nachdem ich den Teufel von ihm genommen habe. Sein Leiden beginnt nach seinem Fall und deines?“

Einer der elf hinter mir stürmt nach vorn und schlägt auf die Menge von Soldaten ein, trifft dabei das Ohr eines Knechtes, der neben einem Priester steht.

„Haltet ein, meine Jünger! Lasst ab! Nicht weiter!“, rief Jesus. Er ging zu dem schreienden Jungen hin und heilte sein Ohr.
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„Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen. Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die der Macht der Finsternis.“

Und ich sah, wie sie ihn ergreifen und abführen, während Judas auf dem Boden weint.





6. Kapitel



Nicht im Traum spinnt sich die Geschichte weiter, denn Träume sind nicht zu kontrollieren. Obwohl ich in dieser Nacht verwaschen die Bilder meiner Fantasie widergespiegelt bekomme, setzte ich die Geschichte erst nach dem Schlaf fort.

Müde wache ich auf, besessen von dem Gedanken, wie es weitergehen könnte. Ein einsames Gefühl durchzieht mich, wie verlassen doch mein Leben ist, verlassen von Lebendigkeit. Wie ein Geist, ja, vielleicht nur der Geist ist es, der meine Hülle noch kontrolliert. Jede menschliche Regung ist verschwunden, kein Wille zur Zerstörung, kein Wille zur Beherrschung, keine Möglichkeit zur Liebe. Doch ich weiß von ihr, dass sie tief in mir sitzt, in Wahrheit lenkt und denkt, um in der schlimmsten Stunde zuzuschlagen.

Trübseligkeit ist nicht meine Art, Freude verbreite und nehme ich gerne, doch meine ich stets bedacht zu handeln. Im Nachhinein denke ich über mein Tun nach und schäme mich dafür; bin ich in Verruf geraten?



Heute stehe ich nicht auf, solange ich nicht Klarheit bekomme in diesen Zwist. Ich blicke an die Decke. Die seltsamen in der Raufasertapete befindlichen Holzspäne formen bizarre Muster. Mein Gehirn täuscht mir vor, Bilder zu sehen, die zunächst visuell, dann virtuell werden, will sagen ich beginne wieder zu träumen, mit offenen Augen diesmal. Doch wenn ich willentlich erkenne, dass es so ist, verschwindet dieser Zustand. Es droht mir jedoch das nochmalige Einschlafen.



Ich befinde mich in einer aufgebrachten Menschenmenge, die Sonne steht wieder hoch am Himmel. Es ist vermutlich ein Marktplatz, hinter einem Rednerpult steht ein Römer in einem amtlichen Gewand.

„Ich sage euch erneut: Was hat denn dieser Böses getan? Ich habe nichts an ihm gefunden, was den Tod verdient; darum will ich ihn schlagen lassen und losgeben“, spricht er.

Das Geschrei wird lauter und man wirft mit Verderblichen nach dem Amtmann, der sich hinter seinem Pult zu verstecken versucht.
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Aufgebrachte Bürger rütteln an dem Podest und viele schreien nach Kreuzigung.

„Genug, genug!!!“, schreit es hinter dem Pult hervor, „Ich will eure Bitte erfüllen.“

In seinen Augen spiegeln sich Unverständnis und Wissen um die Ungerechtigkeit wider. Es wurde ein kräftiger Mann dahergeführt, der übersät war mit Narben und dessen Haar filzig ihm vom Kopf hängt. Als er der jubelnden Menge übergeben wird, lacht er, entblößt sein geschändetes Gebiss.



Einen Augenblick später knie ich vor dem Kreuz, an dem der vermeintliche Erlöser geschlagen wurde. Es ist ein grauenerregender Anblick, so, wie man ihn in jeder Kirche zu sehen bekommt. Um mich herum sind Soldaten, doch sie scheinen nur wie Pappfiguren, die mit dem Wind schwanken.

„Sieh mein Freund, es ist die Stunde meines größten Leids. An meinem Kreuze hänge ich nun, verlassen von der Welt. Es ist nun die sechste Stunde, in dreien werde ich nicht mehr sein. Sieh mein Leiden, sie meine Not und wisse: Wahrlich, er hat sein Gewissen gesättigt mit Standhaftigkeit.

Du siehst den Schriftzug über mir: Jesus Nazarenus Rex Judaeorum, das heißt Jesus von Nazareth, König der Juden. Unter diesem scheide ich dahin, unter diesem sollte mich die Welt verewigen. Und was weißt du? Erkennst du die Lüge des Lebens? Doch es geht nicht darum, die Wahrheit zu finden, sondern allein darum seine Ziel zu bewahrheiten.“

Ich schaue in die Sonne und blinzle ihrem Untergang entgegen. Um mich herum ist es tot und leer, alles wartet nur auf den erhabenen Moment. Etwas bewegt mich dazu aufzustehen und einfach zu gehen. Durch die Soldaten, durch die Kreuze, durch das Licht.





7. Kapitel



Ich öffne die Augen wieder. Alles um mich erscheint verschwommen, scheint sich zu bewegen. Es erinnert mich an den angeblichen Ausspruch Heraklits, „panta rhei“, alles fließt. Steht das denn im Widerspruch zu dem, was ich mir einzureden versuche? Ist wirklich alles im Wandel begriffen, in jedem Moment, in jeder Lebensweise? Es wäre ein Jammer, denn so käme die Welt nie zum Stillstand, um vielleicht über ihre Fehler nachzudenken.

Es wird mir schwer ums Herz, ein beklemmendes Gefühl ergreift mich, als ich wieder an sie denken muss.
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Fast einen Tag lang konnte ich sie verdrängen. Doch der Mensch ist und bleibt ein Tier, kann er sich nicht von seinem Urtrieb lösen und sein Leben dem Sinnen und Forschen widmen. Er ist noch lange nicht der Übermensch, wie ihn die Philosophen beschrieben, in der heutigen Zeit immer weniger, und wahrscheinlich wird er nie zu diesem Übermenschen heranwachsen. Das alles haben wir dem ewigen Fluss zu verdanken, sowohl den Fortschritt als auch den Verfall. Schließt sich denn das eine aus dem anderen?

Angenommen der technische Fortschritt hält weiter an, werden wir dann nur noch seelenlose Hüllen sein, die das ganze Denken ihren metallischen Sklaven überlässt? Hochmut kommt vor dem Fall (?)



Jetzt hat es eine Ende genommen, dennoch drängt etwas mich, weiterzudenken, weiterzuträumen. So kann es nicht enden, nicht mit dem Tod. Es sollte niemals mit dem Tod anfangen oder enden, sonst könnte man es Leben nennen.

Blinzelnd wasche ich die Unklarheit aus meinen Augen und gebe mich völlig meiner Fantasie hin



Wüste umgibt mich wieder, glänzender Stein auf dem ich stehe. Die Sonne geht unter, in ihrem glutroten Licht sehe ich eine Familie, die mir entgegen zieht. Ärmliche Leute, Mutter und Vater mit ihrem Sohn, der vergnügt umhertollt. Sie nähern sich mir, die Eltern schauen traurig in meine Augen, doch der Junge bleibt mit einem Grinsen vor mir stehen.

„Sei gegrüßt! Woher kommst du, seltsamer Wanderer?“, fragt er mich.

„Ich komme aus dem Zweifel und gehe ins Ungewisse. Und welchem Ziel strebt ihr entgegen?“

„Ägypten, das Land der Pharaonen.“

„Zieht in Frieden, zieht in Glück. Doch vergiss mich nicht.“

„Vergesse besser nicht dich selbst.“

Sie bewegen sich weiter, immer weiter. Noch eine Weile bleibe ich stehen, sehe ihnen hinterher wie sie am Horizont verschwinden. Schlafen, nur noch schlafen will ich jetzt.



Langsam und tief atme ich ein. Es ist verbrauchte Luft, verbraucht an Idee und Geist (sowie auch an Sauerstoff). Ich bin nicht davon überzeugt, dass ich jetzt den Zwiespalt in mir besiegt habe. Doch ich glaube, dass ich damit leben kann, als Wanderer zwischen den Welten der Liebe und der Logik.
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Nachwort:



Zunächst einmal will ich klarstellen, dass ich keiner Glaubensrichtung angehöre. Ich benutze in dieser Geschichte lediglich den Menschen Jesus als imaginären Lehrer des Lebens. Es mag Züge des Christentums aufweisen, doch distanziere ich mich ausdrücklich von diesem Glauben. Biblische und kirchliche Motive bergen nur eine gewisse Faszination, dich ich gerne ausnutze (im übrigen auch Zitate).

Ich will auch gar nicht, dass sich jemand meinetwegen mit dieser oder jener Richtung auseinandersetzt oder dies als Werbung für eine solche sieht. Das heißt im Klartext: Bitte nur ernsthafte Kommentare, also Verbesserungsvorschläge oder philosophische Bemerkungen, die rein auf Fakten oder logischen Schlussfolgerungen basieren, nicht aber irgendwelche missionarischen Texte. Ich verweigere jedwede Stellungnahme zu christlichen Fragen.



Der Ich-Erzähler weist starke Züge von mir auf, auch wenn diese Story keine wahre Erzählung aus meinem Leben ist. Zwar könnte ich mich mit dem Erzähler personifizieren, doch wandle ich nicht so nachdenklich durchs Leben. Deshalb hab ich das ja auch geschrieben, um meine Zweifel und meinen Zwist auf einen bestimmten, fixierten Punkt zu bringen, bloß noch verschönert und etwas fantastischer gestaltet mit Hilfe des Lebens Jesu.



(Im Übrigen: Diese Story hat keinen Bezug zu dem Kinofilm, der momentan läuft, zumal ich den mit meinen zarten 15 Jahren gar nicht anschauen darf.)
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Punktestand der Geschichte:   24
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Kommentare zur Story:

  Hi.
Also dein Stil gefällt mir sehr gut aber das war ja schon immer so. mir gefällt es wie du Träume und realität abgewechselt hast . Es war sehr angenehm zu lesen, ein bisschen spannend´, einfach gut.
Es war für mich jedenfalls sehr interessant als bekherte Christin lese ich gerne über Jesus. paar einzelhieten gefielen mir nicht, die haben jedoch nichts philosophisches an sich oder wollen etwas verbessern sonder sind halt doch nur glaubensabhängig, deshalb unterlasse ich ihre nennung auch.

leibe grüße,
und danke,
mal wieder etwas schönes lesen zu dürfen,

smithy bewertung: gut  
smith  -  23.09.05 20:01

   Zustimmungen: 4     Zustimmen

  sprache und stil: 5pkt.
rahmengeschichte: 4pkt.
eigentlicher inhalt: 3pkt.
= 4pkt.
:-)  
jaana  -  28.11.04 17:32

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  von deinen fähigkeiten als autor bin ich jedenfalls überzeugt. was das spirituelle anbetrifft nicht, aber das spielt auch keine rolle. es war wirklich ein schönes "erlebnis" diese real geschriebene story zu lesen
danke  
zizou  -  28.05.04 18:51

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Kommentar von "Homo Faber" zu "Der Zug"

Hallo, ein schöner text, du stellst deine gedanken gut dar, trifft genau meinen geschmack. lg Holger

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