Briefe an den Erzbischof #1   45

Romane/Serien · Schauriges

Von:    Thomas Redfrettchen      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 6. März 2004
Bei Webstories eingestellt: 6. März 2004
Anzahl gesehen: 2268
Seiten: 6

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Hochverehrter Erzbischof Alexander,



ich schreibe Euch aus tiefster Verzweiflung und Sorge um das Wohl unseres Nonnenklosters der Heiligen Letitia. Besorgniserregende Ereignisse störten die Gottesruhe in unseren heiligen Hallen in den letzten beiden Monaten. Es ist so, als hätte der Teufel persönlich die Gemäuer des Gotteshauses befallen. Was sich hier zugetragen hat, Euer Hochwürden, ist kaum mit Worten zu beschreiben. Seit Jahrzehnten schon widmen wir uns friedlich der Studie der Worte unseres Herrn und der heiligen Schreiber, wohl gefördert durch Euer Gnaden und die ruhige Lage, abgeschieden von der Geschäftigkeit und Hektik des Stadtlebens, in einer der stillen Wälder Ungarns. Doch diese Ruhe wurde gestört, es begann alles, nachdem im noch nicht lange vergangenen Winter, in der Mitte des Januars genau, ein junges Mädchen den Schutz des Klosters aufsuchte.



Ich entsinne mich noch genau des Tages, es war der Tag des Marcellus, am späten Abend, als wir unser Gebet sprachen. Einige der Schwestern waren schon zu Bett gegangen, eine schlimme Krankheit hatte sie seit einigen Tagen geplagt. Plötzlich hämmerte es an den Toren, was keinem der Schwestern auffiel, da es draußen stürmte und alles mögliche gegen die Tür geflogen sein könnte. Doch als das Klopfen immer wieder kehrte, ging ich, um zu sehen, wer dort war. Es war ein leichtes die Tür zu öffnen, zumal das Mädchen, dass ich sodann erblickte, sowie auch der schneetragende Wind gegen diese drückten. Das hübsche Ding fiel mir vor die Füße, der Sturm hatte sie mit viel Schnee bedeckt. Mit Mühe schloss ich die Tür wieder und half dem ihr auf die Beine. Dankend nahm sie meine Hand entgegen und pries einige Heiligennamen bevor ich sie fragte, was sie denn hierher verschlagen hätte. Sie sagte, ihr Name sei Seralia und sie sei eine verfolgte Adlige aus einer Familie, dessen Besitz man enteignet hatte. Ich brachte sie zu den anderen Schwestern, die sie mit Missgunst und Argwohn, Gott sei ihnen gnädig, angesehen hatten.

Es mag wohl an ihrem Aussehen, ihrer Art gelegen haben, Ihr müsst wissen, dass sie wirklich bezaubernd aussah, fein gekleidet und äußerst vornehm war, dass niemand sie so recht leiden konnte. Viele der Schwestern waren hier, da sie sich des bäuerlichen Lebens entsagt hatten und natürlich Abneigung gegenüber den Reichen hegen.
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So erklärte ich die Situation und entschuldigte mich von der Messe, um das Mädchen zu trocknen und ihr ein Bett zuzuweisen.

Während wir den Schlafgemächern entgegen wandelten, folgte sie mir mit unsicherem Schritt. Ich schreckte zurück, als urplötzlich eines der Fenster zersprang und der kalte Wind eindrang. Ich sah in die Augen des Mädchens, die keine Furcht zu verspüren schien. Ihr rotes Haar wurde über ihr Gesicht geweht, es flog hin und her, doch sie trotzte der Kälte mit einem noch kühleren Blick. Es war mich nicht geheuer, ich verspürte Angst, glaubte aber an Gott, dass mir nichts geschehen konnte.

Schließlich kamen wir zu einem der Räume, in denen noch ein Bett frei war. Ich wies sie an sich zu entkleiden, sich und ihre Kleidung am kleinen Kamin zu trocknen. Ich ging und holte ihr etwas zu essen aus der Küche. Es war nicht viel, doch sie freute sich, als ich wiederkehrte und es ihr brachte.

Oh Hochwürden, ich muss beichten, dass mich ihre Schönheit und Reinheit zu unflätigen Gedanken führte und ich dem immer noch nicht entsagen kann, bei all dem, was geschehen ist.



Wie dem auch sei, einige Tage später geschah das erste, was das gesamte Kloster beunruhigte und erschreckte. Beim Wecken machte Schwester Genova die fürchterliche Entdeckung in einem der Krankenzimmer. Die eine Schwester, die erkrankt war, hatte sich dort erhangen über ihrem Bett. Ich bete für ihre arme Seele, die nun ins Reich des Luzifers gesandt wurde, hat sie doch dem Herrn das Recht über Leben und Tod genommen.

Niemand brachte den Vorfall in meiner Gegenwart mit Seralia in Verbindung, doch ich merkte, wie sie tuschelten und lästerten. Nach dem Begräbnis der Schwester außerhalb des Klosters im Wald wurde die Distanz zwischen den Schwestern und dem Mädchen immer größer. Ich zweifle nicht an der Nächstenliebe und der Güte meiner Schwestern, doch es muss sie in Furcht vor ihr gebracht haben, dass sie kurz vor dem Tode eingetroffen war. So etwas hatte es hier noch nie gegeben, dass sie eine der Frauen erhängt hat. Ich walte streng mit ihnen, erziehe sie immer zu Gottesfurcht und Tugendhaftigkeit. Ich sehe in mir keine Schuld.

Wie ich es immer tat, besuchte ich auch zwei Tage nach dem Begräbnis unseren Gast, der sich ganz gut in unserem Kloster eingelebt hatte.
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Es war wieder gegen Abend hin, dass ich sie in ihrem Zimmer aufsuchte. Ihre Mitbewohnerinnen hatten sich in andere Räume verlegen lassen. Das schien sehr an ihr zu nagen, sie wusste, was man über sie dachte. Doch sie wusste auch, dass ich zu ihr halten würde. So freute sie sich immer wieder, dass ich sie besuchte. Wir haben natürlich nicht viel Zeit für sie. Das wollte ich ändern und bot ihr an, dem Kloster beizutreten. Aber sie ist von kämpferischer Natur, Euer Hochwürden, mit allen Mitteln, sagte sie mir, wolle sie sich rächen für das, was ihr und ihrer Familie angetan wurde. Ich predigte ihr, sich nicht dieser Rachsucht hinzugeben, da es heißt: Liebe deine Feinde. Um meine Bitten willigte sie schließlich doch ein einige Zeit in unserem Kloster zu verbringen, auch wenn sie hier unbeliebt war und dies wusste.



Das Zweite, was die Grundfesten unseres Glaubens und unserer Gemäuer erschütterte, geschah wenige Wochen später. Als es wieder Zeit wurde, in der Stadt Einkäufe zu tätigen, machten sich einige von uns auf den Weg, darunter auch Seralia. Wir genießen in der Stadt ein hohes Ansehen, man schätzt unsere Geistesarbeit dort sehr. Viele kommen zu uns, Gelehrte, Fürsten und Kaufmänner, mit einem Text oder Artefakten, dass wir sie deuten und bestimmen.

Jedenfalls schwärmten wir aus, jede nach ihrer Bestimmung, und kehrten wieder zurück. Alle, bis auf eine unserer Schwestern. Die fromme Anna traf sich nicht mit uns wie vereinbart, dass ich beim Grafen um Hilfe bat.

Der Graf der Stadt ist ein wohltätiger und gutmütiger Mensch. Seine Laster sind allerdings die Wollust und seine Nachlässigkeit, die ihn vieles vergessen lassen. Er war bereit uns zu helfen und sandte am nächsten Tage Soldaten aus um Anna wiederzufinden. Doch auch nach einer Woche blieb sie noch verschwunden, bis wir nächtlich durch Aufschreie und grunzende Laute von vor unseren Toren geweckt wurden. Mit Schrecken sahen wir mit an, wie Schwester Anna, nackt bis auf die Haut, blutverschmiert und lüsternes Stöhnen von sich gebend vor den Toren der heiligen Stätte sich auf dem noch leicht mit Schnee bedeckten Boden wälzte. Sie sprach in fremden Zungen, Euer Hochwürden! Sie war besessen, in ihren Augen funkelte der Wahnsinn, während sie sich wie ein Tier vor uns wand.
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Viele der Mädchen und Frauen kreischten und ihrer Schreie mussten bis in die Stadt gereicht haben. Einige unerschrockene und ältere Nonnen sowie ich gingen hinunter und versuchten die Besessene festzuhalten. Sie biss nach uns, krallte sich in meinen Arm fest, als ich ihren umklammerte, bis wir sie schließlich durch einige Schläge mit einem unserer heiligen Bücher bewusstlos prügelten.

Noch viele Tage war sie ein erbärmlicher Anblick, auf einem Bett gefesselt, die Augen stetig aufgerissen und schreiend. Wir waren ratlos, was wir mit ihr machen sollten. Das Sanatorium, einige Städte von hier entfernt, soll ein schrecklicher Ort sein, die Ärzte dort genau wie ihrer Patienten. Und dem Tod wollten wir sie nicht freiwillig hingeben. Seralia besuchte sie dann, ich beaufsichtigte sie, denn sie war mir lieb geworden, das Adelsmädchen. Dort geschah, was mich allerdings an ihrer Reinheit zweifeln ließ. Sie legte ihre Hand auf die Stirn der besessenen Anna und diese hörte auf zu schreien, schloss die Augen und schlief. Entweder war sie eine Heilige oder im Bunde mit dem Teufel, dachte ich mir.

Ich erzählte niemandem von der Wundertat aus Angst, man würde Seralia des letzteren beschuldigen. Und Gott, wie gut das ich es so getan habe, denn schon kurz danach verstarb die Anna im Schlafe. Sie wurde würdig begraben auf unserem Friedhof hinter dem Kloster. Doch nun waren schon zwei unserer Schwestern tot und schnell hatte die ganze Stadt davon erfahren. Ich bekam heraus, dass Anna an dem Tag, als sie verschwand noch gesehen wurde. Der Händler beschrieb sie als völlig abwesend. Was hat es zu bedeuten, Euer Hochwürden?



Seralia stand weiterhin unter meinem Schutz, denn ich glaube nicht, dass sie die Schuld an all dem trägt. Mitte des Februars erreichte uns eine Eskorte, darin ein Herzog, der Einlass erbat. Wir bewirteten den noblen Gast, bis er uns schließlich mitteilte, dass er auf der Suche einem Mädchen ist, dass einem verfeindeten Adelsgeschlecht angehört. Mir wurde Bange, als ich dies vernahm. Ich wusste, dass es Seralia war, nach der er suchte, und ich war froh, dass er sie noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Denn nach seiner Beschreibung durfte er sie genau kennen. So empfahl ich mich und warnte das Mädchen, das meinen Anweisungen zufolge handelte und sich im Keller des Klosters versteckte.
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Als ich wieder zu dem Herzog stieß, hatte man ihm bereits von ihr erzählt. Die Schwestern, mögen ihre Seelen ihre gerechte Strafe erhalten, hatten ihm alles berichtet, auf das ich ihn gerade noch davon abhalten konnte, nach ihr zu suchen. Statt dessen fragte ich ihn, warum er sie denn verfolge. Ich erfuhr, dass sie die letzte des Geschlechts war und er, um die Fehde endgültig für sich zu entscheiden, sie in Gewahrsam nehmen und über sie richten lassen musste, sagte er jedenfalls. Aber in seinem Gesicht sah ich nicht die Gerechtigkeit, sondern den puren Hass und die Mordlust. Schroff verabschiedete ich ihn mit der Versicherung, dass es wirklich eine andere war, die wir aufgenommen hatten. Vergib mir Herr, dass ich gelogen habe, es war nur um des Seelenfriedens willen. Vergib mir Herr, dass ich sie nicht ihrem grausigem Schicksal übergeben habe.



Zum Schutze des Klosters und der Nonnen berichtete ich dem Grafen von den Ereignissen, die ihm aber schon zu Ohren gekommen waren. Flehentlich erbat ich eine Wachtruppe von ihm, die im Kloster zur Not eingreifen könnten. Mit Zögern nur erhörte er mich und willigte ein.

Die anderen Schwestern fürchteten sich vor den rauen Kerlen, die von nun an vor dem Kloster wachten. Sie wollten sie nicht hineinlassen, aus Angst vor den Groben, denn Ihr müsst wissen, dass der Graf sie aus Kostengründen aus einem Söldnerlager angeheuert hatte. Ich hatte keine Wahl und musste sie zu den Mahlzeiten in die Stadt schicken.

So waren aber meine Bemühungen umsonst, denn eine Woche später, in den Abendstunden, als die eine Schicht zu Ende war, wurde ich durch einen Schrei aus dem Gebet gerissen. Ich hörte ihn nur ganz schwach, er kam aus dem Keller, ein Wunder war es, dass ich ihn überhaupt vernahm. Als ich im Keller ankam, sah ich drei Schwestern über der armen Seralia knien und sie peinigen. Mit Seilen schlugen sie auf die kalkblasse Haut des Mädchens, dessen Kleider sie vom Leib gerissen hatten. Ich rief sie auf zur Besinnung zu kommen, doch sie hielten nicht ein, auch als ich sie von ihr zerrte.

Erst die Soldaten, die just am Kloster angekommen die Schmerzensschreie vernommen hatten, konnten den wütenden Furien ein Ende setzen. Sie schlugen die wild gewordenen, bis diese abließen und versuchten sich mit den Soldaten anzulegen.
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Sie rissen an ihren Kettenhemden und kämpften verzweifelt, bis sie schließlich vor Erschöpfung zusammenbrachen.

Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie das arme Ding dort nackt auf dem kalten Kellerboden lag, in Tränen versunken und die Heiligen anflehend. Weitere drei Schwestern hatten wir nun an den Teufel verloren, der immer noch in unseren Gemäuern haust. Die Soldaten arretierten die Nonnen in dem Gefängnis der Burg, wo sie völlig unwissend von ihrer Tat erwachten. Als man ihnen davon berichtete waren sie völlig schockiert und traumatisiert, verließen noch am gleichen Tag die Stadt um ihres Ansehen willen.



Nun haben wir März und es geschah nichts weiters, wobei all jenes, das ich berichtete wohl genug sein dürfte. Aber wir leben nun in ständiger Angst, Euer Hochwürden, viele der Schwestern sind gewillt, das Kloster zu verlassen. Die Stadtbevölkerung schaut ängstlich auf unsere Mauern, man munkelt, das hier üble Flüche den Verstand rauben.

Und Seralia ist seit dem Überfall auf sie vollkommen aufgelöst und zurückhaltend. Sie kauert in ihrem Zimmer und traut sich keiner Seele die Tür zu öffnen, bevor man sie nicht beruhigt. Ich schrieb Euch, Erzbischof Alexander, dass ihr eine Kommission hierher sendet, die den geistigen Zustand der Nonnen und die Reinheit unserer Hallen prüft.



In hoher Besorgnis um das Wohl der Gläubigen und unserer heiligen Pflicht,



Oberschwester Valeska
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Kommentare zur Story:

  oooh ich muss gleich die fortsetzung lesen...  
darkangel  -  25.01.07 21:52

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Unbekannt" zu "Violett"

schöö :-)

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