Die Rache Der Azteken - Joan Unclear Fall 6   40

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten

Von:    Susan Quark      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 23. Februar 2004
Bei Webstories eingestellt: 23. Februar 2004
Anzahl gesehen: 2681
Seiten: 24

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Prolog



Häuptling Acamapichtliloco vom Stamme der Azteken spürte wieder etwas. Seine Knochen, seine Glieder. Dass sein Körper real existierte. Das Gefühl an sich war weniger interessant, als der Umstand, dass er seit fast 500 Jahren nichts mehr gespürt hatte. Genauer gesagt seit dem 13.8.1521, dem Tag, als der letzte Widerstand der Azteken gegen die spanischen Eroberer zusammengebrochen war und er rituellen Selbstmord begangen hatte. Denn seit diesem Tag hockte er einbalsamiert und getrocknet als Mumie unter einer Tempelpyramide im Dschungel Mexikos. Nichts fühlend. Nichts denkend. Im Dunkeln verborgen, bis die Sterne richtig stehen würden. Acamapichtliloco spürte, dass dies sehr bald sein würde. Der Tag der RACHE war nahe..



*



Das Labor im Keller von New Scotland Yard erinnerte mich immer an jene alten Frankenstein Filme, die ich früher gerne angeschaut hatte. Das alte Backsteingewölbe, die endlosen Kabel, das Summen Elektrizität, Skalen und Instrumente. Sie sahen aus wie jene irrsinnige Apparaturen, die dazu dienten, irgendwelche Monster zum Leben zu erwecken. Aber hier endeten auch schon die Gemeinsamkeiten: das Labor des ABCDEFG (Auxiliary Bureau Counter Demons, Extraterrestrial Fiends and Ghosts), wie unsere Abteilung hiess, diente zur Entwicklung von Waffen gegen Monster.



„Hallo Joan, lange nicht mehr gesehen, wie geht’s!“ meine Assistentin Choco sah auch alles Andere aus wie Doktor Frankenstein, wie sie mich als einzige in dem Raum hinter ihrem Schreibtisch begrüsste. Als sie ihre langen Beine auf dem Drehstuhl herum schwenkte fiel mir auf, dass sie unter dem weissen Laborkittel entweder gar nichts oder einen zumindest extrem kurzen Rock anhatte. Ich hatte die Physikstudentin, die gleichzeitig und Partnerin bei Einsätzen gegen allerhand okkulte Schrecken gewesen war, einige Zeit nicht mehr gesehen. Nach dem Chaos in Kapstadt (Siehe gleichnamige Folge) war es ruhig geworden an der Mythos Front. Das hiess aber nur, dass unsere Gegner, die Jünger jener scheusslichen ausserirdischen Gottheiten, die wir mit allen Mitteln von der Erde fernhalten mussten, sich neu formierten um irgendwo auf dem Globus wieder zuzuschlagen.



Aber das Ganze interessierte mich im Moment weniger, als der gläserne Schädel, der inmitten des Chaos auf dem Schreibtisch Chocos befand.
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„Was ist damit?“ Neugierig beugte ich mich über den lebensgrossen Kopf. Er sah absolut detailgetreu aus, nur dass er nicht aus Knochen sondern aus glasklarem Kristall bestand, in dem sich die kalte Neonbeleuchtung des Labors spiegelte.

„Wir hatten das Ding in unserer Asservatenkammer.“ erläuterte Choco ein wenig beiläufig.

„Und warum hast du ihn raus geholt?“

„Ein gewisser Professor Alvarez aus Mexiko bittet uns, ihm den Schädel auszuleihen. Er ist eine Kapazität in Mexikanischer Geschichte und Sammler. Professor Federico Alvarez vom Museo Nacional Antropologica in Mexico City, um genau zu sein.“

„Aber das ist doch New Age Kitsch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Ding der Mühe wert ist.“

„Oh, da ist seine Hoheit aber anderer Meinung“ entgegnete Choco in einem Tonfall, der in mir einige Irritationen hervorrief. Seit wann war die Praktikantin näher an unserem Chef heran als ich? Immerhin hatte ich den Rang eines Chief Superintendent. Unser Dienstherr, seine Hoheit Prinz Charles war in letzter Zeit kaum dazu gekommen, sich um seine ureigenste Institution, das ABCDEFG zu kümmern. Es hiess, dass er erst vor ein paar Tagen von seiner Indien Reise zurückgekehrt war. Ich hatte die Information aus News of the World, das ihn daheim mit Schlagzeilen wie ‚Ist Charles bisexuell?‘ empfangen hatte. So ein Blödsinn. Jeder der den Prinzen auch nur im geringsten kannte, wusste, dass er schlimmstenfalls asexuell war.



Ich blickte von dem Schädel, dessen Lichtreflexe, die sich in ihm spiegelten, beinahe hypnotisch wirkten, auf.

„Solche Schädel sind so weit verbreitet wie Kristallkugeln oder Tarot Karten.“ hob ich wieder an.

„Das mag schon sein. Das Original, der Mitchell – Hedges Schädel, der 1927 in Honduras gefunden wurde, wurde tausendfach kopiert.“ räumte Choco ein und fuhr sich durch ihr schulterlanges schwarzes Haar.

„Aber warum interessiert sich ein anerkannte Experte wohl für Kitsch, der in jedem Esoterik-Laden zu kaufen ist? Das ist doch eine interessante Frage, oder?“

Ein Punkt für Choco. Das Girl machte eine rhetorische Pause und ich hob ahnungslos die Schultern.

„Der Chef ist der Meinung, dass da mehr dahinter steckt.“

Meine Augen waren wieder wie von selbst zu dem Schädel gewandert, der aussah, als ob er irgendwie alles mithören würde, was wir sprachen.
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„Das heisst doch nicht etwa, du fährst dort hin?“ wollte ich wissen.

„Doch, und zwar schon morgen!“ Der Triumph in der Stimme der dunkelbraunen Schönheit war nicht zu überhören. „Der Chef war der Meinung, ich würde viel weniger auffallen als du.“

Ich war nicht wenig vor den Kopf gestossen. Choco hatte noch nie einen Auftrag alleine übernommen, und ausserdem war es ein Unding, mich dabei zu übergehen.

„So geht das nicht, Ihr hättet mich informieren müssen!“

„Charles sagte, dass er dich in Kenntnis setzen würde, hat er das nicht getan?“

„Seit er aus Indien zurück ist, habe ich nichts von ihm gehört.“

„Er ist ziemlich beschäftigt. Aber bestimmt wird er sich bei dir melden.“

Ich sah ein, dass ich nichts machen konnte. Das Girl also zum ersten Mal alleine unterwegs und dann auch noch in Mexiko. Wenn das mal gutging.



*



Ich sass an meinem Schreibtisch im Hauptquartier des ABCDEFG am Victoria Embankment und erledigte lästigen Papierkram. Draussen vor dem Fenster herrschte ein nebliger und regnerischer März Tag. Mein Büro kam mir an diesem Tag besonders düster und altmodisch vor und ich

fühlte mich ziemlich frustriert, dass man mich übergangen hatte. Ich hatte immer noch nichts von Charles gehört und konnte den Prinzen auch nicht erreichen. Zu gerne hätte ich ihm ein paar deutliche Worte gesagt. Ich glaubte bei Alvarez Interesse eher an einen harmlosen esoterischen Schamanen Kult, der wie so häufig nur dazu diente, den gutgläubigen Hobby-Kultisten, oder vielmehr Kunden, das Geld aus der Tasche zu ziehen. ‚Lichtenergie‘ und ähnlicher Unsinn.



Aber ich konnte mich noch glücklich schätzen, dass ich mein Büro wenigstens für mich alleine hatte. Ein Privileg, das wir, wie ich einräumen musste, unserem Chef verdankten. Als Ende der 60er Jahre New Scotland Yard in den Aluminium und Glasbau am Broadway umzog, wurden die Räume hier am Embankment frei für das ABCDEF (damals noch ohne das ‚G‘ im Namen), das gerade gegründet wurde. Das war natürlich vor meiner Zeit gewesen.
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Vor mir stand ein Becher mit heissem Tee, den mir meine Sekretärin Linda vor ein paar Minuten hereingebracht hatte. Ich wärmte meine Hände an ihm und träumte ein wenig vor mich hin. Choco hatte es gut. Sicher lag sie in der warmen Sonne und liess sich von gutaussehenden Boys umschwärmen, während ich hier mit meiner lesbischen Sekretärin.. Mein Telefon klingelte. Ich hob ab. Wie durch Gedankenübertragung meldete sich die Stimme meiner Assistentin am anderen Ende.

„Hallo Joan..“ ich hörte schon am Klang, dass etwas schief gegangen sein musste. „Er ist weg!“

Ich versuchte das Girl erst einmal soweit zu beruhigen, dass sie zusammenhängend sprechen konnte. Dann konnte ich folgende Story aus ihr herausholen:

Tatsächlich hatte sie gleich nach ihrer Ankunft den Professor in Mexico City getroffen. Aber nicht in dessen Institut, sondern – und da wurde ich gleich hellhörig – in einem Strassencafe. Choco hatte ihm dort auch prompt den Schädel übergeben und dann

„..waren da diese zwei Männer an dem anderem Tisch, welche die ganze Zeit so verstohlen herüber geschaut haben. Und als der Professor mit dem Koffer auf die Strasse hinaustrat, fuhr ein Leichenwagen vorbei und die zwei Männer sind aufgestanden. Sie sind mit dem Professor in den Wagen gestiegen und weggefahren!“

Ich fragte Choco, ob sie versucht hatte, mit Alvarez Kontakt aufzunehmen oder das Kennzeichen des Wagens wusste. Nein, Alvarez war verschwunden.

Ich stellte nicht in Frage, dass es Kultisten waren, die Alvarez mitsamt den Schädel mitgenommen hatten, aber ich bezweifelte sehr wohl, ob Alvarez derjenige war, für den er sich ausgegeben hatte.

Und falls doch, so sah es für mich eher so aus, als ob er ein doppeltes Spiel spielte. Ich musste erst einmal mit Charles reden und dann sehen, wie ich die Sache wieder in Ordnung bringen konnte.



*



Es war Nacht im Dschungel. Die alte Maya Pyramide versteckte sich unter Schlingpflanzen und Gestrüpp. Seit Jahrhunderten hatte kein Mensch mehr seinen Fuss auf sie gesetzt. Sie war eigentlich nicht gross, nicht so gross, wie die berühmten Bauwerke von Mexico City, aber immer noch erhob sie sich über die Wipfel der Bäume um sie herum, als wolle sie ihre Unbeugsamkeit gegenüber der Zeit ausdrücken.
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Aber heute Nacht war die Pyramide nicht allein. Ein Fremder hatte sich eingefunden und stand vor ihrem Fuss. Wie er den Weg gefunden hatte, war ein Rätsel und er musste wohl Zugang zu uralten Quellen und Schriften haben, denn niemand ausser ihm wusste von ihrer Existenz. Der volle Mond stand hoch und beleuchtete die uralten Treppenstufen, die zu ihrer Spitze hinauf führten. Gerade so, als ob er den Mann, einladen wollte, hinaufzusteigen. Der Fremde betrat die Treppe. In den Händen hielt er einen grossen Gegenstand vor sich hin, der im Licht glänzte. Langsam stieg er hinan, darauf bedacht, keinen Fehltritt zu tun. Er war kräftig, denn der Aufstieg bereitete ihm keinerlei Mühe. Offenbar war er vollkommen alleine gekommen, denn niemand folgte ihm. Der Mann setzte den Gegenstand behutsam auf der Spitze der Pyramide ab und stellte sich breitbeinig daneben, die Arme nach oben gestreckt, als wolle er den Mond anbeten. Nun konnte man erkennen, dass er mittleren Alters war, schwarze lockige Haare und ein markantes Gesicht hatte. Der Mann begann eigenartige Worte in die Nacht zu rufen. Seine Stimme verklang in der Dunkelheit des Dschungels, aber unter ihm, am Fusse der Pyramide, begann sich etwas zu regen. Es raschelte in den Blättern. Der Geruch von feuchter Erde wurde stärker, als sich etwas aus dem Boden heraus grub. Menschliche Gestalten krochen am Boden, erhoben sich unsicher auf zwei Beine und verharrten, den Mond anstarrend – und das Ding auf der Spitze der Pyramide. Der Fremde hatte die Neuankömmlinge wohl erwartet. In ihrer uralten Sprache rief er ihnen Worte zu, sprach zu ihnen. Er gab ihnen Befehle. Und die Gestalten gehorchten offensichtlich, denn sie setzten sich in langsame Bewegung, hin zu dem Leichenwagen, der auf sie wartete.





Ich hatte mich in Mexico City im Hotel de Cortes einquartiert, ein Kolonialbau in der Avenida Hidalgo gleich gegenüber dem Alameda Park und in der Nähe des Museo Nacional Antropologica. Das Hotel war von aussen gesehen potthässlich, ein einstöckiger, brauner Sandsteinbau mit einem unglaublich protzigen klassizistischen Eingang aus grauen Granit. Darüber prangte in einer Nische eine lebensgrosse Heiligenfigur prangte und das Dach wurde noch von einem Kreuz gekrönt. Aber das Innere war dafür wirklich vom Feinsten. Mein Zimmer war sehr grosszügig, modern aber gediegen möbliert und vor allem makellos sauber.
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Choco wohnte statt dessen in einer kleiner Pension in der Zona Rosa, womit mein Stolz wieder ein wenig hergestellt wurde.



Ich hatte mich in einer Ecke des gemütlichen Patio meines Hotels niedergelassen. Vor mir stand eine Tasse Kaffee und ich betrachtete die Arkaden und die umlaufende Galerie im ersten Stockwerk, die von wildem Wein umwuchert wurden. Es war gegen Mittag und es herrsche eine angenehme Temperatur, nicht wirklich warm, aber der Himmel war blau und die Sonne hatte genug Kraft, dass man den Tag fast frühlingshaft nennen konnte. Aus irgendwelchen Lautsprechern klang gedämpfte Mariachi Musik, die von dem Plätschern des kreisrunden Brunnens untermalt wurde, der in der Mitte des Hofes stand. Es wäre so schön gewesen wäre, dort einfach nur zu sitzen, aber ich wartete auf meine Assistentin, die schon über eine halbe Stunde überfällig war. Hatte sie sich bereits die mexikanische Pünktlichkeit zu eigen gemacht? Bei der Lernfähigkeit des Girls hätte ich es ihr zugetraut. Aber ah, da kam sie ja endlich!



Sehr cooles Outfit! Das musste ich ihr lassen. Wenn es hiess, das Agenten normalerweise unauffällig gekleidet sein sollten, so war Choco das krasse Gegenteil. Sie trug Jeans und eine blaugraue Long-Strickjacke, deren Reissverschluss sie raffiniert oben und unten so weit geöffnet hatte, dass sie nur in der Mitte zusammengehalten wurde. Darunter war nichts Sichtbares ausser ihre Haut. Ein überdimensionales schwarzes Kruzifix, das mit glitzernden Steinchen eingerahmt war, baumelte an einer langen Kette um ihren Hals. Abgerundet wurde das Ganze von einer schief aufgesetzten braunen Lederkappe mit Schirm und einer Kette, die von ihrem Gürtel baumelte. Offenbar hatte sie sich von ihrer gestrigen Krise ganz gut erholt.



„Hola!“ begrüsste sie mich salopp und liess sich mir gegenüber nieder.

„Hello“ gab ich zurück und trank langsam aus meiner Kaffeetasse. Ich sah Choco an, dass sie geradezu vor Erzähldrang platzte. Ich hörte ihr zu aber meine Aufmerksamkeit wurde von einer Gestalt angezogen, die kurz nach ihr hereingekommen war und sich an einen der anderen Tische gesetzt hatte. Ein alter Mexikaner, ungepflegte Erscheinung in einem hellen Anzug, Hut tief ins Gesicht gezogen. Er bemühte sich nicht zu uns herüber zu sehen, obwohl wir die einzigen Gäste waren.
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Irgendwie wirkte er, als seien seine Klamotten nur ein Sack, in dem er steckte. Vor sich auf den Tisch hatte er eine zusammengefaltete Tageszeitung liegen. Jeder Anfänger musste die uralte F21 Minikamera bemerken, die darin verborgen und auf uns gerichtet war.

Choco bemerkte meine geistige Abwesendheit und verstummte.

„Und dann bist du noch einmal ins Anthropologische Institut gegangen?“ fragte ich sie um den Faden wieder aufzunehmen.

„Ja, gestern und heute. Aber Professor Alvarez ist verschwunden. Selbstverständlich habe ich auch seine Privatnummer versucht – er wohnt allein – aber auch dort Fehlanzeige.“

Ich lächelte „Abwarten. Vielleicht kommen sie statt dessen zu uns.“

Das Girl folgte meinem Blick zu dem Mann am anderen Ende des Patios. Der leerte sein Getränk, stand auf und schickte sich an, das Hotel wieder zu verlassen. Mit Choco im Schlepptau nahm ich die Verfolgung auf. Wir kamen nur wenige Sekunden nach dem Mann auf die Strasse und konnten gerade noch sehen, wie der Mann in einen wartenden Leichenwagen stieg, der sofort wegfuhr. So ein Mist, wir hatten keine Möglichkeit, ihn zu verfolgen. Ich konnte mir gerade noch das Kennzeichen merken. Aber Eines war doch seltsam: der Typ war nicht normal zur Tür eingestiegen, sondern durch die Heckklappe..



*



So schnell wie möglich suchte ich nach einem Zettel, auf dem ich die Nummer des Wagens aufschreiben konnte. Der Boy an der Rezeption unseres Hotels half mir zum Glück weiter. Ach ja, der Boy.. Er war sehr süss, ein wenig jünger als ich und sehr nett. Ich hätte ihn am liebsten sofort vernascht. Aber im Moment waren wir voll mit unserem Fall beschäftigt. Ich verschob das Vergnügen auf später und beriet kurz mit Choco, wie wir den Besitzer des Wagens herausfinden konnten.



„Wir könnte im Yard anrufen, und uns den Besitzer ermitteln lassen“ schlug meine Assistentin vor.

„Ja toll, bis die sich mit den mexikanischen Behörden zusammengerauft haben, das dauert doch Tage. Wir müssen schon zur hiesigen Polizei.“

„Und so tun, als würden wir die Typen anzeigen?“

„Genau.“



Wir liessen uns von einem Taxi zur nächsten Polizeistation bringen.
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Ja, natürlich hätten wir unsere Spezialausweise verwenden können um Amtshilfe von den mexikanischen Behörden zu bekommen. Aber einer der Grundsätze des ABCDEFG war „keep it secret“, was hiess, dass nach Möglichkeit niemand von der Existenz unsere Abteilung oder der Dinge, mit der sie sich beschäftigte, erfahren durfte. Also gaben wir an, dass uns das fragliche Fahrzeug in einen kleinen Unfall verwickelt hätte. Es war nicht unüblich, dass Touristen sich ein Auto für die Dauer ihres Aufenthalts kauften, da dies billiger als ein Mietwagen war. Nein, Anzeige wollten wir nicht erstatten, nur die Anschrift dieses Kerls haben, damit unsere Macker mit ihm „reden“ könnten. Die Polizisten waren von Natur aus ein wenig skeptisch und zögerlich, was wir aber mit einer grosszügigen „Mordida“, einem Schmiergeld, leicht überwinden konnten. Die Auskunft, die wir erhielten war, dass der Leichenwagen einer gewissen „Union de Ancianos y Sacerdotes Indigienas de América“ gehörte.

Ich hatte zwar noch nie von diesem Verein gehört, aber jetzt waren wir ein schönes Stück weiter gekommen.



*



Wir hatten uns in meinem Hotelzimmer verkrochen. Choco geistige Stabilität war inzwischen dank mehrere Cuba Libres und Pina Coladas wieder hergestellt, wenngleich das Girl nun ziemlich abgefüllt war. Ich studierte die Dokumente, die ich aus dem Büro der Re-Union mitgenommen hatte, während meine Assistentin auf der Couch lümmelte und mir leicht lallend mexikanische Witze erzählte:



„Un anciano de 90 años llega al médico para su chequeo de rutina.

El doctor le pregunta cómo se siente.

–Nunca estuve mejor– le responde.

–Mi novia tiene 18 años. Ahora esta embarazada y vamos a tener un hijo.

El doctor piensa por un momento y dice:

–Permitame contarle una historia:

–Un cazador que nunca se perdía la temporada de caza, Salió un día tan apurado de su hogar que se confundió tomando el paraguas en vez del rifle.

Cuando llega al bosque se le aparece un gran oso.

El cazador levanta el paraguas, apunta al oso y dispara.

¿A qué no sabe qué pasó?

–No sé –responde el anciano.
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–Pues el oso cayó muerto frente a él

–Imposible –exclama el anciano– alguien más debe haber disparado.

–¡A ESE PUNTO QUERIA YO LLEGAR!143“



Choco hatte ein Buch mitgebracht, das ich mir unbedingt ansehen sollte. Es ging um alte aztekische Mythen. Der Gott Huitzilopochtli , der in voller Bewaffnung aus dem Leib seiner Mutter Coatlycue geboren worden war und mit seiner Schwester Coyolxauhqui und seinen Brüder kämpfte, die die Milchstrasse bewohnt haben sollen. Huitzilopochtli war von den alten Azteken sehr verehrt worden und jahrelang in einer Art Bundeslade herumgetragen. Das war bei ihrer Suche nach dem gelobten Land. Sahegûn, der Chronist sagt über ihn, dass dieser Gott ein zweiter Herkules gewesen sei, draufgängerisch, stark und kriegerisch. Ein Zerstörer der Städte, ein Schlächter der Menschen. Er wurde er von den Mexica immer mit Furcht behandelt. Hiess das, dass Huitzilopochtli gelebt hatte? Die Waffe Huitzilopochtlis, die sogenannte Türkis oder Feuerschlange sollte irgendwann in den Besitz der Azteken selbst gelangt sein und als heilige Reliquie verehrt worden sein. Als die Spanier kamen und ihre Hauptstadt in einer aussichtslosen Lage war, soll sie als letzte Verzweiflungshandlung einem einsamen Krieger gegeben worden sein, der den Spaniern entgegen geschickt wurde. Er vermochte die Waffe jedoch nicht mehr zu gebrauchen. Seitdem war das Artefakt verschollen. Eine göttliche Wunderwaffe also. Das war alles interessant, klang es doch wie eine mexikanische Version des Cthulhu Mythos. Ob es uns weiterhelfen würde, konnte ich aber nicht sagen.



Ich legte das Buch beiseite und wandte mich wieder meiner Assistentin zu, die mich mit etwas trüben Blick anschaute.

„Wenn wir uns nicht beeilen hat bald jeder Kultist in Südamerika ein Bild von uns in der Tasche und kann uns identifizieren.“

„Das Entwickeln wird etwas Zeit brauchen.“

„Was ist, wenn sie einfach irgendeinen Fotoladen beauftragen?“

„Das wird kaum gehen, da diese Minikameras keine handelsüblichen Filme verwenden.“

„Dann haben die Kultisten selbst ein Labor.“

„Wahrscheinlich.“

Choco hatte recht. Wir konnte es uns nicht erlauben, untätig herum zu sitzen.
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Aber erst einmal wollte ich noch paar Informationen haben. Manchmal hatten die billigsten Polizeimethoden den grössten Erfolg. Ich hatte unser Hauptquartier in London angerufen, um die Besitzer des Leichenwagens checken zu lassen, aber wegen der Zeitverschiebung niemand erreicht. Dafür hatte ich Linda auf ihren Anrufbeantworter gesprochen. Nun warteten wir auf den Rückruf.



Endlich klingelte das Telefon. Ich hob ab. „Hallo ihr Süssen!“ das war unverkennbar Linda. Sie hatte die Informationen mit Hilfe des Computers relativ schnell herausgefunden.



Bei der Union de Ancianos y Sacerdotes Indigienas de América handelte es sich offiziell um eine Vereinigung von 555 Indianerstämmen zwischen der Behringstrasse und Feuerland, die mit friedlichen Mitteln für eine „bessere Zukunft“ eintraten. Für Umweltschutz, Rechte der Indianer, spirituelle Werte, wie die „Vereinigung der Schlange mit dem Adler“ und ähnliches Bla Bla. Scheinbar ein harmloser Verein, der von Spendengeldern lebte und den Rest an notleidende Indianer verteilte.



Schon wieder dieser Alvarez!



Ich dankte Linda für ihre schnelle Antwort und beendete das Gespräch, nicht ohne anhören zu müssen, dass ohne uns im Büro Linda „der tägliche Kick“ fehle. Vielleicht sollte ich meine lesbische Sekretärin wirklich langsam gegen einen Sekretär auswechseln.



Choco gähnte und legte die Ausgabe der Zeitschrift „Esotera“, in der sie gerade geblättert hatte, auf den Teewagen neben sich. „Ich glaube, ich mache eine Siesta“ sagte sie. Das brachte mich auf eine Idee, die ich glatt übersehen hatte:

„Hey Choco, Siesta ist doch von 14 bis 17Uhr! Das heisst, wir haben noch über 2 Stunden. Wenn die Kultisten echte Mexikaner sind, machen sie bestimmt auch eine. Los Choco, aufgewacht, wir besuchen die Indianer Union!“





*

Sie waren von überall gekommen. Von den Rocky Mountains im Nordwesten der USA, den grossen Prärien, von der Ostküste und natürlich auch aus Mexiko, ja sogar aus Feuerland ganz im Süden des Kontinents. Von wo immer Professor Alvarez sie gerufen hatte. 555 Indianer Mumien, eine für jeden Stamm. Sie waren dem Befehl gefolgt, denn das Gelüst nach Rache am Weissen Mann war die Energie, die Jahrhunderte darauf gewartet hatte, zum Leben erweckt zu werden.
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Und niemand ausser ihnen wusste von dem Versammlungsort, der grossen Saal, der unterirdisch mitten in Mexiko City gelegen war. Einige Fackeln – elektrisches Licht wäre ein Stilbruch gewesen – warfen ein unstetes Licht auf die reglosen Mumien. Jede trug die traditionelle Stammestracht und die meisten, nein, fast alle waren Häutplinge mit vollen Ehrenabzeichen. Da waren Federn, Runenstäbe, Raubtierfelle, mit denen sie ihre dürren, ausgetrockneten Körper schmückten. Morgen, am 15. März, würde ihr Schicksal erfüllt werden, würden sie die ultimative Waffe zurück erhalten, mit der sie den gesamten amerikanischen Kontinent zurückerobern würden. Der unterirdische, in den Felsen gehauene Raum war schön kühl und trocken. Hier konnten sie es aushalten. Noch harrten sie geduldig aus, aber in ihren toten Augen war hin und wieder ein Glitzern der Vorfreude zu sehen..



*



Choco hatte darauf bestanden, mit zum Anthropologischen Institut zu fahren, das zum Glück lange genug geöffnet hatte. Also schleppte ich das immer noch etwas unsicher auf den Beinen stehende Girl in die Empfangshalle mit dem riesigen runden Sockel in der Mitte, auf dem neben Blumentöpfen auch ein paar indianische Kunstwerke standen. Meine Assistentin war zwar schon vor mir hier gewesen, aber im Moment keine grosse Hilfe. Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen, die Nerven der jungen Studentin mit Alkohol zu beruhigen. Ich studierte einen Wegweiser zu den verschiedenen Abteilungen des Museums:

Olmeken, Tolteken, Mayas, Azteken, Zaptoken .. Ich fragte meine Assistentin, welches Gebiet Professor Alvarez hatte.

„Äh. Azteken. – Glaube ich zumindest“ nuschelte Choco. Also gut. Das Institut schloss ohnehin in einer Stunde.



Choco zeigte mir den Weg. Der Trakt mit den Büros der Angestellten war eine Stunde vor der Schliesszeit bereits verlassen. Wir machten vor einer unscheinbaren Türe halt; ein Schild trug den Namen Prof. Dr. Federico Alvarez. Ich klopfte an. Keine Antwort. Ich drückte die Klinke – es war abgeschlossen. Nun, damit hatten wir rechnen müssen. Ich besah mir das Türschloss: es war ein Knaufzylinderschloss – nichts zu machen ohne Werkzeug.
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Wie sollten wir da hineinkommen?



Wie so oft half uns der Zufall, diesmal in Form einer Putzfrau, die mit ihrem Wägelchen um die Ecke kam. Seit der Geschichte mit den Todesputzen (siehe DIE TODESPUTZEN VON LONDON) hatte ich eine Abneigung gegen Reinigungspersonal jeder Art, aber diesmal war die Tante ein Geschenk des Himmels. Ich sprach sie an und machte ihr weis, wir seien Studentinnen von Alvarez und müssten dringend ein paar Hefte aus dem Büro holen, ob sie uns nicht aufsperren könnte. Die Alte kam dem ohne ein Wort zu sagen nach während ich sie misstrauisch beobachtete.



Choco und ich schlüpften in das Zimmer. Viel Zeit konnten wir uns nicht lassen, ohne Verdächtig zu werden. Ich ging um den Schreibtisch herum und zog die Schubladen heraus. Vielleicht konnte ich ja einen Hinweis finden. Also dieser Alvarez! Die Schubladen quollen über vor schmutzigen Heftchen. Dieser Mann war nicht nur wahrscheinlich ein Kultist sondern auch ganz sicher pervers.

Ein paar Unterlagen auf seinem Schreibtisch fielen mir ins Auge. Es handelte sich um einen Plan einer archäologischen Ausgrabung auf dem Gelände des Convento de Santiago in D.F. Was war D.F.? Wir würden das später herausfinden.



In diesem Moment passierten zwei Dinge gleichzeitig: zur normalen Eingangstüre des Büros schob sich die Putze von vorhin mit ihrem Wagen herein – wahrscheinlich war sie nur neugierig, was wir hier machten. Gleichzeitig ging die Türe zu einem Nebenraum auf, die ich ganz übersehen hatte und unser Azteke im Anzug mit der Kamera kam heraus. Eigentlich wäre der Anblick des Hutzelmännchens, das aussah, als habe es 10 Jahre in der Sonne gelegen, witzig gewesen, hätte es nicht eine uralte Tokarow 7,62mm mit Schalldämpfer in der Hand gehalten.



Der Azteke zögerte keinen Moment, abzudrücken. Aber genau das war sein Fehler.

Statt uns durchsiebte er die arme Muchacha, die ihr gesamtes Zubehör inklusive Putzeimer mit sich umriss und einen Höllenlärm sowie eine Überschwemmung verursachte.



Ich hatte gerade genug Zeit um mich auf den Angreifer zu stürzen und mit einem brutalen Power Slam auf den Rücken zu knallen – allerdings mit dem Nebeneffekt, dass ich nun auf ihm lag und er vor meinen Augen mit seiner Waffe herumfuchtelte.
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„Caramba!“ kommentierte Choco und kickte dem Typen geistesgegenwärtig die Knarre aus der Hand. „Chicas americanas malditas!“ bekam sie in heiserem Tonfall von der Mumie zurück, was mich ein wenig wunderte, dass der alten Knochen so moderne Ausdrücke beherrschte. Unser Gegner war verteufelt lernfähig!



Ich rappelte mich wieder hoch, packte den erstbesten Gegenstand, der mir in Reichweite war – einen Schrubber - und drosch ihn der Mumie über den Schädel. Jeder Mensch wäre unter diesem Schlag bewusstlos geworden, aber mein Gegner war kein Mensch! Das Dörrobst krallte sich den Besenstiel und versuchte ihn mir aus den Händen zu reissen; die Kraft, die der Untote dabei entwickelte, war erstaunlich. Er zog sich an heran, so dass er wieder zum Stehen kam und ich roch seine ledrige Haut – das war zwar nicht gerade der Axe-Effekt, aber in der Wirkung vergleichbar, dass mir übel wurde und ich loslassen musste.



Zum Glück war aber Choco auch nicht untätig gewesen und hatte die Tokarow aufgehoben. Jetzt ballerte das Girls darauf los. Das war verdammt riskant, trennten mich doch nur wenige Zentimeter von dem Monster. Durch den Schalldämpfer hörte es sich an, als würden reihenweise Sektflaschen entkorkt. Eine kleine Party im Büro von Professor Alvarez? Hoffentlich würden das die Ohrenzeugen denken.



Die Mumie kam jedenfalls gar nicht mehr zum Denken sondern wurde regelrecht zerfetzt.

Die Kugeln schlugen fast ungebremst in die gegenüberliegende Wand ein und nur der Umstand, dass es offenbar verminderte Ladungen waren, verhinderte, dass sie durchschlagen wurde.



Der alte Azteke landete abermals auf dem Boden. Ich sprang zurück. Die Tokarow klickte noch einmal - leer geschossen. Doch dann geschah wieder, woran ich mich nie gewöhnen würde: die Mumie, zerfetzt wie sie war, bewegte sich und begann sich unbeholfen erneute aufzurichten. Es war gnadenlos. Ihr Kopf war nur noch teilweise vorhanden und der Sakko sah noch lächerlicher aus, wies er doch mehrere Löcher auf.



Sie machte einen unbeholfenen Schritt auf mich zu, rutschte aber auf dem Seifenschaum aus, der den halben Fussboden überflutete. Dann drehte sie sich grotesk um die eigene Achse und krachte gegen Alvarez‘ Schreibtisch, den gesamten Inhalt mit sich reissend und einen Arm verlierend, der schon halb abgeschossen war.
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„Caracho!“ Choco schien wirklich Spass bei der Sache zu haben. Endlich hatte ich Luft, meine Vector aus der Handtasche zu holen um dem Monster seine verdiente Silberkugel zu geben, aber es war gar nicht mehr nötig: das Putzwasser auf dem Boden wurde von der ausgetrockneten Gestalt wie von einem Küchentuch aufgesogen und verwandelte sie in einen matschigen Brei. Die Mumie bewegte sich noch ein wenig, wobei sie sich in Tausende Fussel auflöste und daraufhin kehrte endlich Ruhe ein. Nur die Finger an dem abgetrennten Arm klopften noch einen Rhythmus auf die Schreibtischplatte „Ta Dam Da Da Da Tam, Ta Dam Da Da Da Tam“ – es war „Thriller“ von Michael Jackson!



Angewidert steckte ich das Ding in den Aktenvernichter, wo es zu Konfetti verarbeitet wurde. Ich konnte Michael Jackson noch nie leiden.



In der Pampe, die von dem Azteken übriggeblieben war, steckte die Minikamera, mit der er uns heimlich gefilmt hatte. Voller Ekel fischte ich das Ding mit spitzen Fingern heraus und versuchte an den Film heranzukommen. Zum Glück ging der Deckel leicht zu öffnen und der auf halbe Breite zurecht geschnittene Kleinbildfilm brauchte nur herausgezogen zu werden um ihn unbrauchbar zu machen. Dann warf ich das Ding in die Ecke.



Alvarez Büro war völlig verwüstet. Für die arme Muchacha konnten wir nichts mehr tun. Ich hasste es, wenn Unbeteiligte zum Opfer fielen, aber genauso gut hätte ich oder Choco an ihrer Stelle liegen können. Das waren eben die Verluste, mit denen man jederzeit im Kampf gegen den Mythos rechnen musste. Da wir jeden Moment entdeckt werden konnten, machten wir und so unauffällig wie möglich davon.



*



Wir wollten das Museo nicht überstürzt verlassen um keinen Verdacht zu erregen und schlenderten deshalb noch ein wenig durch die Aztekische Abteilung. Choco hatte sich auf einer Bank vor einem aztekischen Artefakt, das die Wand gegenüber einnahm niedergelassen und ruhte sich aus. Ich streifte durch die Flure, betrachtete ebenfalls aztekische Kunst und versuchte, eine Inspiration oder Information zu bekommen, die mir weiterhelfen würde. Um diese Zeit waren wir die letzten Besucher.
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Ich hatte immer noch keine Erklärung, was diese Mumien, mit denen wir es zu tun hatten genau darstellten.

Irgendwie fand ich die Ausstellung beunruhigend. Diese Götter! Coatlycue, Xochipilli, Quetzalcoatl, Huitzilipochtli und wie sie alle hiessen – das waren doch eindeutig cthulhoide Namen. Und ich fand, die aztekische Kunst hatte eindeutig etwas ausserirdisches an sich. Ich erinnerte mich, dass es jede Menge Theorien gab, dass die Azteken Kontakt zu Besuchern aus dem All gehabt hatten. Jedem, der auch nur ein wenig Ahnung vom Cthulhu Mythos hatte, mussten in Angesicht dieser Dinge die Haare zu Berge stehen! Kein Wunder, dass Mexiko als eines der heissesten Pflaster der Welt angesehen wurde. Ich bedauerte, dass ich das Necronomicon nicht mehr hatte. In ihm hätte ich bestimmt einen Hinweis finden können, der mich weiter gebracht hätte. Aber das sagenhafte Buch befand sich wieder in den Händen von Abdul Alhazred, der es mir in Ägypten abgenommen hatte (siehe die Episode INVASION DER MUMIEN). Aber ich war mir sicher, dass hier etwas vor sich ging, das gefährlich war. Gefährlich nicht nur für Mexico City, Mexiko oder Südamerika, nein, für die ganze Welt.



Ich begab mich zu Chocos Platz und setzte mich neben sie. Gegenüber der Bank stand eine riesige Scheibe aus rotem Gestein, aus deren Mitte mir das Gesicht eines Götzen frech seine Zunge herausstreckte. Darum waren kreisförmige Symbole angebracht; manche sahen wie Adlerfedern und Schlangen aus... „.. Die Vereinigung der Schlage mit dem Adler..“ hatte das nicht Linda am Telefon erwähnt?

Auf einem Ständer neben dem Artefakt war eine Tafel mit einer längeren Erklärung angebracht. Ich beschloss, dass ich mir das zum Abschluss näher ansehen wollte:



Der Stein der Fünften Sonne

Der Kalenderstein besteht aus Olivinbasalt, mit einem Durchmesser von 3,75 Meter und ist ca. 24,5 Tonnen schwer. Der Stein wurde 1790 bei Bauarbeiten entdeckt. In der Mitte sieht man das Gesicht des Sonnengott Tonatiuh, mit seinen blonden Haaren und den roten "Falten" um die Augen. Seine herausgestreckte Zunge symbolisiert ein Obsidian Messer , das bei der Opferzeremonie mit Blut benetzt wurde um dem Gott Kraft zu geben. Eingerahmt wird das Göttergesicht von Symbolen für die vergangenen Zeitalter: Jaguar, Regen, Sonne, Wasser und Wind, sowie den Symbolen der vier Himmelsrichtungen.
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Ein Ring mit 20 Tageszeichen, den Bausteinen des Aztekenkalenders, umringt den Sonnengott:

Tag Symbol Gott

1 Krokodil (cipactli) Tonacatecuhtli, Herr der Erhaltung

2 Wind (ehecatls) Quetzalcoatl, die Gefiederte Schlange

3 Haus (calli) Tepeyollotli, das Herz des Berges

4 Eidechse (cuetzepalin) Hueyhuecoyotl, der Alte Kojote

5 Schlange (coatl) Chalchiuhtlicue, die Wassergoettin

6 Tod (miquiztli) Tecciztecatl, der Mondgott

7 Hirsch (mazatl) Tlaloc, der Regengott

8 Kaninchen (tochtli) Mayahuel, die Goettin des Pulque

9 Wasser (atl) Xiuhtecuhtli, der Feuergott

10 Hund (itzcuintli) Mictlantecuhtli, Herr der Unterwelt

11 Affe (ozomatli) Xochipilli, Prinz der Blumen

12 Gras (malinalli) Patecatl, Gott der Heilkunst

13 Rohr (acatl) Tezcatlipoca, Herr des rauchenden Spiegels

14 Jaguar (ocelotl) Tlazolteotl, Goettin der Liebe und des Schmutzes

15 Adler (cuauhtli) Xipe Totec, der gehaeutete (oder auch der geschundene) Herr

16 Geier (cozcaquauhtli) Itzpapalotl, der Obsidianschmetterling

17 Bewegung (ollin) Xolotl

18 Feuerstein (tecpatl) Tezcatlipoca, Herr des rauchenden Spiegels

19 Regen (quiauitl) Chantico, Goettin des Herdes

20 Blume (xochitl) Xochiquetzal, Goettin der Blumen



Der Schmuckring folgt auf den Ring der Tageszeichen, und symbolisiert den hohen Wert der Sonne: stilisierte Adlerfedern, Blutstropfen, Edelsteine und Sonnenstrahlen. Den Rahmen des Kalendersteins bilden zwei "Türkisschlangen", aus ihren Schlünden blicken der Feuergott Xiuhtecutli und Tonatiuh, der Sonnengott. Aus den Schlangenkörpern schlagen Flammenbündel nach oben als Symbol der heißen Sonne. Genau oben schließlich weisen die Schwänze der Schlangen auf ein Quadrat, in dessen Innerem ein letztes Tageszeichen erscheint. Anscheinend lebten die Azteken allerdings nach dem Sonnenjahr "xihuitl", das aus 365 Tagen - 18 Abschnitten mit jeweils 20 Tagen und 5 "Überschüssigen" bestand, diese so genannten "nemontemi" galten als unheilvoll.



Ich fand, der Kalender der Aztekten war logischer als der Julianische, der bei

uns in Gebrauch war.
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Dass eine Eidechse das Symbol für einen Kojoten

darstellte, war andererseit wieder so eine typische Logik der Azteken, aber ich

nahm es nur zur Kenntnis. Ebenso, dass die Göttin der Liebe gleichzeitig

die des Schmutzes war. Aber der morgige 15.3. war demnach der Tag des Xipe

Totec, des gehäuteten Herrns. Des Adlers. Und die Schlange war dem Wasser

zugeordnet. Wasser, das stand für Cthulhu.Noch ein Puzzlestein in dem Rätsel, das ich nicht lösen konnte. Heute war der 14. Da das Museum jetzt jeden Moment schliessen würde, war es an der Zeit, sich aus dem Staub zu machen.



*



Wir waren unbehelligt aus dem Gebäude herausgekommen und mit einem Taxi auf dem Weg zurück in mein Hotel. Eigentlich waren wir beide völlig erschöpft, aber ich war überzeugt, dass wir nur noch diese Nacht hatten, um das Rätsel zu lösen. Das waren meine Gedanken, als wir die kurze Strecke zwischen Chapultepec und Alameda Park chauffiert wurden und ich aus dem Fenster im Fond des Taxis sah. Menschen, Taco-Buden, Geschäfte, ein Zeitungsstand flogen an mir vorbei. Plötzlich befahl ich dem Fahrer anzuhalten. Ich riss die Türe auf und sprang aus dem Wagen. Da war es! Auf der Schlagzeile der Zeitung vor mir prangten die Buchstaben D.F. ! Ich überflog den Artikel – der Inhalt war mir so gut wie egal. Wie hatte ich so blind sein können: die Buchstaben D.F. standen für Distrito Federal, also Mexico City! Das hiess, das Convento de Santiago musste hier in der Stadt sein.

Ich stieg wieder ein und gab dem Fahrer die Order uns, zum Convento de Santiago zu fahren!



Das Convento de Santiago entpuppte sich als alte spanische Kolonialkirche. Früher musste wohl einmal ein Kloster dazugehört haben, aber es war nichts mehr davon zu sehen. Jetzt war es nur noch eine der vielen Kirchen, die für ihre Colonia, den Stadtteil zuständig war, der hier nicht gerade zu den reichsten von Mexico City zählte. Wir stiegen die wenigen Stufen hinauf, die zum Eingang führten. Das schwere Holztor war unverschlossen. Choco und ich betraten das Innere. Draussen wurde es langsam dunkel, so dass ein düsteres Zwielicht in dem Gotteshaus herrschte. Vielleicht wäre die historische Ausstattung beachtenswert gewesen, aber uns interessierte mehr die archäologische Ausgrabung, die unübersehbar an einer Seite des Kirchenschiffes lag.
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Von Weitem sah sie nur wie eine rechteckige, etwa 2 mal 3 Meter grosse Aushebung aus, die mit ein Seilen gesichert war. Choco und ich traten näher. Da waren Stufen, die in die Tiefe führten. Uralte Stufen, die Jahrhunderte lang unentdeckt unter den Steinfliesen der alten Kirche geschlummert hatten.

Ich sah mich kurz um, ob niemand in der Nähe war und warf einen kritischen Blick auf meine Assistentin. Das Girl war zum Glück fast wieder nüchtern. Wir überstiegen die Absperrung und betraten vorsichtig die ausgetretenen und unregelmässigen Stufen. Schon nach wenigen Schritten umgab uns völlige Dunkelheit und es hätte keine Sinn gehabt, weiterzugehen, hätte ich nicht eine kleine LED Taschenlampe in meiner Handtasche dabei gehabt. Das Licht war nicht besonders hell, aber es reichte, dass wir den Weg fanden. Ich ging voran.



Die Treppe war zum Glück nicht sehr lang und mündete in eine Krypta, deren Tonnengewölbe offenbar aus dem rohen Felsen gehauen war. Es war kühl und muffig. Aber auch vollkommen leer. Ich wunderte mich schon, was es hier Interessantes geben sollte, als ich den niedrigen Durchgang an der gegenüberliegenden Seite entdeckte. Ich wollte die Öffnung gerade untersuchen und leuchtete hinein. Eine Art Tunnel, nicht besonders geräumig, aber dafür tief lag vor mir.



Plötzlich stiess Choco einen erstickten Schrei aus. Im gleichen Moment bewegte sich etwas vor mir und zog mich zu sich in die Öffnung hinein. Hände umklammerten meine Arme und im Licht der Lampe, das wild umher tanzte, sah ich die verzerrte Fratze einer dieser Azteken Mumien. Ich versuchte, ihren Griff abzuschütteln. Für einen Augenblick gelang es mir auch, aber da wurde ich schon von hinten um die Taille gepackt. Ich trat mit einem Bein aus und traf, aber nun konnte mich mein vorderer Angreifer endgültig aus dem Gleichgewicht bringen und ich fiel äusserst schmerzhaft auf das Knie meines Standbeins. Bei dem Aufprall schlug ich mir auch noch die Handknöchel am Boden auf und verlor die Lampe. Jemand zog mich nun von hinten an den Beinen aus dem Loch wieder heraus, während von meinem vorderen Angreifer nichts mehr zu sehen war.
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Ich strampelte so gut es ging, aber schon packte ein drittes und viertes paar Hände nach meinen Armen und hielt mich fest. Verdammt, es waren einfach zu viele!



Wir waren in eine Falle gegangen.



*



Stundenlang hatten wir in Finstern in auf dem kalten Steinboden des unterirdischen Verlies gelegen, in das uns die Indianer-Mumien geschleppt hatten. Mir war immer noch nicht klar, ob sie uns in der Krypta erwartet hatten, oder ob wir ihnen nur zufällig in die Arme gelaufen waren. Na ja, war ja auch egal. Meine Glieder waren im Laufe der Zeit durch die Fesseln vollkommen steif geworden – dabei konnte ich SM & Bondage noch nie leiden. Ich wollte Choco schon fragen, ob sie etwas dafür übrig hatte, als die Türe aufging, und ein paar von den Azteken Zombies hereinkamen. Diesmal hatten sie sich richtig chic gemacht und ich ahnte gleich, dass sie etwas Besonderes vor hatten: statt ihrer schlabbrigen Anzüge trugen sie Lendenschurze, Amulette und bunte Federn. Ihre Körper hatten sie mit grellen Farben bemalt und in den Händen hielten sie doch tatsächlich Fackeln statt Taschenlampen! In dieser Montur hätte sie glatt als Touristenattraktion auf dem Zocalo, dem Zentralplatz von Mexico City auftreten können. Von der Brust des Vordersten baumelte mein Elder-Sign Schlüsselanhänger. Damit war schon einmal klar, dass die Bande keine cthuloiden Geschöpfe waren, denn ein Elder Sign meiden Mythoswesen wie der Teufel das Weihwasser. Aber der Mann sah ja auch gar nicht wie eine Mumie aus. Er war viel kräftiger, die Haut straff, das Haar nicht verfilzt, sondern schwarze Locken, etwa Mitte Vierzig und gar nicht übel aussehend. Nur seine triumphierende Miene und das irre Leuchten in seinen Augen machten ihn mir sofort unsympathisch.



„Professor Alvarez!“ rief Choco aus.



„Hola! Ich bin sehr erfreut, Sie und ihre reizende Freundin als Gäste bei unserer Zusammenkunft dabei haben zu dürfen. Aber was sage ich Gäste! Ihnen, meine verehrten Damen, ist eine der Hauptrollen zugedacht!“ Alvarez grinste dreckig.

Wir wurden gepackt, hochgehoben und hinaus in einen engen und niedrigen Gang geschleppt. Der Gesichtsausdruck der Zombies war eindeutig lüstern. Dass uns diese Trockenindianer vergewaltigen konnten bezweifelte ich, blutleer wie sie waren.
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Aber dann fielen mir die uralten Aztekischen Opfer Rituale ein mit Herz herausschneiden und so..

„Professor Alvarez, Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass die Opfer immer Freiwillige waren?“ versuchte ich ihn hinzuweisen.

„Oder Gefangene.“ war die trockene Antwort, aus der ich ein wenig Belustigung heraus hörte.



„Wir sind britische Beamtinnen. Es wird nicht nur diplomatische Verwicklungen geben, wenn sie uns etwas antun. Man wird nach uns suchen, ermitteln und auf Ihre Spur kommen. Die britische Krone verzeiht nie! Sie schaufeln sich nur ihr eigenes Grab. Wenn Sie uns jetzt gehen lassen, können Sie aus der Sache noch herauskommen.“ Meine Versuche, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, waren zugegebenermassen schwach.

Aber Alvarez antwortete nicht mehr. Wir wurden in einen grossen Saal gestossen, der ebenfalls von Fackel beleuchtet war.



Ein Raum, der aussah wie ein Theater, jedenfalls musste ich als erstes an eines denken, als ich ihn zum ersten mal erblickte. Ein Theater, das vor langer Zeit unterirdisch in den Felsen gehauen war, oder zumindest eine natürliche Höhle, von Menschen erweitert. Der vom anderen Ende her leicht abfallende Boden endete auf einer Bühne, auf der wir herauskamen. Aber der technische Fortschritt hatte auch vor ihm nicht Halt gemacht: an der Decke und den Wänden schlängelten sich Stromkabel und Rohre, die zur Versorgung des Stadtviertels gehörten, in dem wir waren, so dass das Ganze wie ein bizarres Endzeitgemälde von Louis Royo wirkte. Zumindest die Stadtwerke hatten den Saal bereits entdeckt und nutzten ihn als billige Verteilerstation. Wozu hatte der Raum nur früher gedient? Bestimmt hatten hier irgendwelche Vorführungen stattgefunden. Und heute war das Publikum auch wieder anwesend.



Es waren Hunderte. Ich sah Federschmuck, Irokesenfrisuren, Speere, bunte Klamotten. Die grosse Zusammenkunft der Indianerstämme. Aber es waren keine normalen Indianer. Dies waren Mumien, von Alvarez wiederauferweckte Tote, die auf irgendeine, mir völlig schleierhafte Weise hierher gefunden hatten. Und sie standen regungslos da und warteten auf uns. Und da war noch etwas, was mir gar nicht gefiel: auf der Bühne befand sich ein grosser kugelförmiger Stein. Dies konnte nur ein Tichatl der alten Azteken sein. Und ein Tichatl diente, soviel ich wusste, keinem anderen Zweck, als Menschen darauf zu opfern.
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Neben dem Stein stand völlig stillos ein fahrbarer Metalltisch, der mit einem weissen Tuch zugedeckt war und an ein Utensil aus einem Operationssaal erinnerte. Ich konnte mir denken, was sich darunter befand.



Während unsere Bewacher uns eisern festhielten, erhob Alvarez feierlich das Wort. „Meine Brüder von Feuerland bis zur Behringstrasse!“ Ihr seid ihr hierher gekommen, da die Zeit reif ist. Die Zeit ist reif, die Jahrhunderte alte Schmach und Unterdrückung, die uns durch die verfluchten Weissen Männer widerfahren ist, wieder gut zu machen! Und dann noch die globale Erwärmung, das Sterben des Great Barrier Reef vor Australien, die Umweltverschmutzung im Yellowstone Nationalpark, die Ausrottung der Bisons, die Zerstörung des Regenwaldes, die auch durch lächerliche Bier-Spenden-Aktionen aus Alemania nicht aufgehalten wird, sowie das Aussterben des mexikanischen Querzahnmolchs Axolotls! Wir waren einst frei! Und frei werden wir wieder sein! Lange war er fast vergessen, aber auch er hat nur gewartet: Xipe Totec, in seiner unendlichen Weisheit und Güte hat mir, Don Federico Alvarez, den Auftrag gegeben, Euch, meine Brüder zu versammeln, damit er unter uns treten könne. Unter seiner Führung und mit seiner göttlichen Hilfe, werden wir die Türkisene Schlage wieder erhalten.“



Erstmals ging so etwas wie Bewegung durch die Versammelten Zombies. Oh Gott, die Geheimwaffe aus der alten Legende! Wir sollten geopfert werden, damit diese Mumien nach fast 500 Jahren Rache am Weissen Mann nehmen konnten.



Choco sollte zuerst daran glauben. Die Monster zerrten sie zu dem Opferstein und legten sie mit dem Rücken darauf, so dass meine Assistentin darüber gespreizt hing, was normalerweise etwas überaus Aufreizendes gehabt hätte, in dieser Situation aber nur äusserst demütigend war. Alvarez ging zu dem Tisch und zog mit einer theatralischen Geste das Tuch fort, das ihn bedeckte. Darunter befand sich natürlich nichts anderes, als der Kristallschädel, der der Auslöser unseres Abenteuers gewesen war. Und daneben lag ein übel aussehendes langes Ritualmesser, über dessen Zweck ich nicht lange nachdenken brauchte.

Choco versuchte den Kopf zu drehen, um mehr von Alvarez zu sehen, was ihr aber aufgrund der Fesseln kaum gelang.
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Die Augen des Artefaktes blickten auf die versammelte Menge herab. Der verrückte Professor stellte sich nun hinter den Schädel und intonierte eine Beschwörung in der Sprache der alten Azteken, die vor lauter „X“, „Qs“ „ochtlis“ und „chtlis“ nur so strotzte. Die Augen des Schädels begannen langsam von innen heraus zu glühen. Bestimmt ein Trick, der mit Lasern erzeugt wurde, die irgendwo im Hintergrund versteckt waren und genau ausgerichtet waren. Ich suchte den Raum ab, konnte aber nichts entdecken. Die Versammlung begann den Namen Xipe Totec zu murmeln. Etwas bahnte sich an..



Alvarez nahm feierlich das Ritualmesser und näherte sich Choco, die sich in ihren Stricken wand, aber keine Chance hatte, sich zu befreien. Genussvoll senkte er die Spitze des Mordinstrumentes genau zwischen ihre kleinen, wohlgeformten Brüste und ritzte die Haut etwas, so dass eine dünne Blutspur entstand. Ein Raunen ging durch die Menge und die Blicke der alten Indianermumien wurde noch lüsterner als sie ohnehin schon waren. Ich war zwar auch wie Choco gefesselt, aber ich musste etwas tun!



„Xipe Totec – Xipe Totec – Xipe Totec“



Ich rempelte den Wächter links von mir an und warf mich dann auf den rechts von mir stehenden. Zusammen gingen wir zu Boden. Ich hatte schwach gehofft, dass durch diese Aktion meine Fesseln sich lockern würden und ich mich befreien könnte, aber ich lag einfach nur schmerzerfüllt da und zerrte an den Fesseln, die keinen Millimeter nachgaben.



„Alvarez! Sehen Sie nicht, das Mädchen ist doch selber Südamerikanerin!“ schrie ich, was mir nur einen Fusstritt der Wachen einbrachte, der mir die Luft raubte. Inzwischen hatte das Grauen eine weitere Dimension angenommen, denn die Augen des Kristallschädels sendeten zwei Lichtstrahlen über die Köpfe der Menge aus, die sich im Hintergrund verloren. War das etwa doch echt? Ein Fuss stellte sich auf meinen Nacken und drückte mich in den Staub, aber Alvarez war zumindest etwas aus dem Konzept gebracht worden. Er legte das Ritualmesser auf den Tisch neben dem Schädel zurück und gab seinen Wachen einen Wink. Zwei der Kerle packten Choco grob an und hoben sie von der Steinkugel herunter. Der Fuss verschwand aus meinem Nacken und meine zwei Bewacher machten Anstalten, mich an ihre Stelle hochzuheben.
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Jetzt oder nie! Mit einer schnellen Drehung des Kopfes biss ich meinem Peiniger in die Fessel. Es war ein Gefühl, wie wenn man in ein mürbes Gingerbread beisst. Und auch der Geschmack war ähnlich: die Mumie schmeckte nach Kardamom, Ingwer und Haselnüssen. Meine Attacke war aber erfolgreich, denn das Monster verlor das Gleichgewicht und krachte zu Boden, eine ebenfalls nach Gewürz riechende Staubwolke von sich gebend. Ich war zwar immer noch gefesselt, aber mit einer Krümmung meines gesamten Körpers manövrierte ich mich an den Rolltisch mit dem Kristallschädel heran. Und dann ergriff ich die einzige Chance, die wir noch hatten, hier lebend herauszukommen. Ich zog meine Beine an und trat so kräftig ich konnte gegen den Rollwagen. Der setzte sich in Bewegung und raste auf die Wand zu, an der einige marode Wasserleitungen entlang liefen.



Der Rollwagen krachte gegen eines der Rohre. Es hielt - das war unsere letzte Chance gewesen.



Aber dann nahm ich wahr, wie am Ende des Rohres, wo es mit dem nächsten verbunden war, ein Wasserstrahl aus dem Flansch herauskam. Der Strahl wurde schnell stärker und schliesslich zerbrach die Rohrverbindung und eine riesige Wasserfontäne schoss mit vollem Druck mitten in den Saal.



Wir hatten die verheerende Wirkung von Nässe auf die Mumien bereits in Alvarez Büro kennengelernt und hier war sie nicht anders. Die Dörrindianer wichen mit einem Aufschrei aus 555 Kehlen vor dem Wasserschwall zurück. Der Kristallschädel, der sich auf dem Tisch befunden hatte, war auf den Boden gefallen und in Tausend Splitter zersprungen.

Die Mumien versuchten aus dem Raum zu entkommen, aber das Wasser spritzte und sprudelte mit solcher Gewalt, dass sie keine Chance hatten. Der Boden war zwar erst ein paar Zentimeter hoch überschwemmt, aber das Wasser löste zuerst ihre Füsse auf! Das hatten sie nun davon, dass sie in ihrer Ethno-Kluft keine vernünftigen Schuhe trugen. Einer nach dem anderen stürzte und löste sich langsam in den Fluten auf, die sich in eine unappetitliche Brühe verwandelten.



Alvarez stand völlig fassungslos da und rang sichtlich nach Luft. Aber da war noch jemand. Hinter ihm stand eine Gestalt gebückt, in einer schäbigen braunen Kutte.
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Nein, das war keine Kutte, es war die Haut eines Menschen, die sich die Gestalt übergeworfen hatte! Ihr Gesicht war von meiner Position aus nicht zu sehen, aber ich war auch ganz froh darüber. In ihren Händen ruhte eine längliche, kompliziert gemusterte Stange, die wie eine türkisene Schlange aussah. Sollte Alvarez, dieser Vollidiot, doch noch seine Wunderwaffe bekommen? Das durfte nicht sein!



Alvarez wachte endlich aus seiner Erstarrung auf und bemerkte die Gestalt, die hinter ihm stand. Er drehte sich um und seine wütende Fassungslosigkeit machte blankem Entsetzen Platz. Vielleicht hätte er auch nicht gerade ein Elder Sign tragen sollen, denn das kam bei Cthuloiden Gottheiten nicht besonders gut an. Und so war es auch: die Erscheinung richtete die Waffe genau auf Alvarez. Ein blaugrüner Strahl zuckte auf und traf Alvarez genau an der Stelle, wo mein Elder Sign hing. Das Amulett konnte seinen Träger nicht schützen: Alvarez löste sich förmlich in Luft auf, ohne noch einen Schrei von sich geben zu können. Und auch der geheimnisvolle Azteke war so schnell verschwunden, wie er erschienen war.



Zurück blieb nur mein Elder Sign auf dem Boden.



*



Es war nur eine Frage der Zeit und Hartnäckigkeit gewesen, bis Choco und ich uns aus unseren Fesseln befreien konnten. Das Ritualmesser, das inmitten der Scherben des Kristallschädels lag, hatte uns dabei gute Dienste geleistet. Von den Mumien war nichts mehr zu sehen, einige waren wohl entkommen, aber das Wasser, das immer noch sprudelte und inzwischen den Rand der Bühne erreicht hatte, wäre auch für uns ein Problem geworden. Zumindest waren wir beide nass bis auf die Knochen. Wir hatten den Weg durch die unterirdischen Gänge zurück ins Convento de Santiago gefunden und waren von dort aus in mein Hotel zurückgekehrt.



Während ich mich schon in meinem Bademantel kuschelte, war Choco immer noch im Badezimmer beschäftigt.

„Diese Feuerschlange..“ rief sie zu mir heraus „..irgendwie erinnert mich die Wirkung an den Dämonenzerstäuber. Es würde mich echt interessieren, wie das Ding so kompakt sein kann. Ausserdem welche Energiequelle die wohl benutzt haben.“ Das war typisch für die Physikstudentin, mochte sie nur ihre technischen Überlegungen anstellen.
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Von mir aus konnte die Wunderwaffe der Azteken wieder 500 Jahre verschollen bleiben. Ich streckte meine Hand aus und schaltete das Radio ein. Es lief ein Deutscher Song, dessen Text ich nicht richtig verstehen konnte

Caramba Caracho ein Whiskey

Caramba Caracho ein Gin

Verflucht Acapulco Dolores

Und alles ist wieder hin



Die Stimme des Sängers rief Assoziationen mit Tiefen Wesen in mir hervor und ich schaltete wieder aus. Aber die Idee mit dem Whiskey war gar nicht schlecht.



Epilog



Als einziger war er der Überschwemmung der Katakomben entkommen. Häuptling Acamapichtliloco war ziellos umhergeirrt und hatte sich schliesslich auf den Zocalo, den Hauptplatz, von Mexico City geschleppt. Der Platz, der schon seit seiner Zeit bestand hatte sich in den letzten 500 Jahren stark verändert. Nur undeutlich konnte er die Menschen erkennen, die sich um ihn versammelt hatten. Es waren kleine Leute mit kurzen Haaren, farbloser Kleidung und schlitzförmigen Augen. Sie hielten kleine magische Kästchen vor ihre Gesichter, wenn sie ihn anblickten und schnatterten ständig in einer komischen Sprache. Nein, das waren keine Spanier mehr und auch keine Weissen Männer. Acamapichtliloco dämmerte der Gedanke, dass es völlig irrelevant geworden war, Rache zu nehmen. Die komischen Menschen blickten zum Himmel und begannen auf einmal seltsame ausfaltbare Dächer hervorzuholen, die sie über ihre Köpfe hielten. Dann begannen Tropfen zu fallen. Der Letzte der Azteken spürte, wie sich seine ausgetrocknete Mumienhaut langsam auflöste...
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  Verwöhnt von den vorangegangenen Folgen fehlte mir in Nr. 6 der Schwung, kam mir nicht so locker vor, zum Teil auch etwas Zähflüssig.
3 Punkte  
NewWolz  -  11.03.04 13:15

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